Thema: literatur
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Blöd. Trotz dem mir Neal Stephenson nun schon von mehreren Seiten - und zwar dringend und gerade mir - empfohlen wurde, kann ich ihn einfach nicht lesen. Mehrere Versuche. Klappt nicht, komm ich nicht rein. Das ist eine Art des Schreibens, die ich mal, was jetzt böser klingt, als gemeint, geschwätzig nennen möchte, die mir jeden Nerv raubt. Ein einfacher Transit von einem Ort zum nächsten wird da auf vier Seiten aufgeblasen; weil alles beschrieben wird, was nur beschreibbar ist. Ziel soll wohl ein Bild sein, das einem Filmbild nachempfunden ist: Reich an Eindrücken, da blanke Äußerlichkeit (noch schlimmer treibt das Dan Brown, den ich wirklich für unlesbar halte). Vergessen wird dabei - so dies denn die Intention ist -, dass ein Filmbild chockartig einfach da ist, als Eindruck unmittelbarer Evidenz. Und das ist das Gegenteil von drei, vier Seiten lang alles mögliche beschreiben, damit ich weiß, wie das da aussieht. Der Eindruck ist nicht evident, er ist vollgestellt. Nicht aber im Sinne einer Entropie, die sich bei Pynchon ergibt; einfach vollgestellt, zugeschrieben. So kommt man zwar auf 1200 Seiten; aber immer ist da dieser nagende Zweifel, dass ein Autor, der eben geradlinig schreiben würde, der einfach einen Punkt zu benennen weiß, dass ein solcher Autor den selben inhaltlichen Effekt auf, sagen wir, 400 Seiten zeitigen würde.

Nach 200 Seiten habe ich Cryptonomicon weggestellt. Mir schien da nichts zu holen; exakt zehn Seiten, die ich inhaltlich interessant fand, und dann immer wieder literarisches Stellwerk, Mobiliar. Das Gefühl, mich zu quälen, wo ein - ich will ja nicht sagen: talentierterer, vielleicht ja aber doch - anderer Autor eine knackige Exposition auf 40, 50 Seiten hingekriegt hätte. Dann auch immer dieses pausbäckig-verbrüdernde in Stephensons Tonfall, diese leicht zur Selbstgefälligkeit neigende /Kenntnis einer Sache/, die da transportiert werden soll, während mangelnde literarische Ambition immer mal wieder als Bodenständigkeit zu vermitteln versucht wird, um zu rechtfertigen, dass man sich durch Beschreibungswust durchzukämpfen habe, die manche Leute sich von einem Beststeller vielleicht ja sogar versprechen.

Ich halte es da lieber mit David Morrell, dem Autor jenes sehr guten Soldatenthrillers, der später mit Sylvester Stallone verfilmt wurde. Der meinte mal sinngemäß, dass viele Autoren versuchen, ihre Bücher mit vielen Beschreibungen zu füllen, wohingegen er soviel Beschreibung wie möglich herauszieht, um den Erzählraum für den Leser zu öffnen. Ich will zwar keiner Ellroy'schen Lakonie das Wort reden (auch wenn die, in ihren Momenten, viel für sich hat), aber: Das hat schon was. Wer mehr als 400 Seiten für seinen Roman veranschlagt, sollte einen guten Grund dafür mitbringen [das ist ja, letzten Endes, auch immer die Tragik bei Clive Barker, der in den Büchern des Blutes ja so ein begnadeter, einfallsreicher Erzähler ist, ganz einfach, weil das short stories sind, in die er sein ganzes Herzblut legt; wohingegen ihm in den letztenn Jahren kein Buch mehr unter 800 Seiten geraten darf und dann fängt er an Luft zu holen und anzuheben... ...und glücken tut's fast nie].

Ganz andere Baustelle dann heute nachmittag: Die ersten Seiten von Rainald Goetz' Kontrolliert. So jenseits aller ausgestellter Bodenständigkeit mit Beschreibungslust, so vollkommen jenseits jeder Langeweile. Ein faszinierendes, druckvolles Dickicht.


° ° °




kommentare dazu:



rrho, Dienstag, 5. September 2006, 12:08
ja, cryptonomicon kann etwas länglich werden, und da stephenson zu barocker ausweitung und -walzung seiner werke neigt, war der baroque-cycle die logische konsequenz - band 3 steht noch immer ungelesen und dick im regal, ich trau mich einfach nicht ran.

aber, die lanze soll gebrochen sein, stephenson kann (oder konnte), fand und finde ich, auch anders; "zodiac" und "snow crash" sind flott und unterhaltsam, so zum weglesen halt, und "the diamond age" greift dann zwar schon weiter aus, ist aber imho noch nicht ganz so ausgewalzt wie alles folgende (na gut, zum ende hin schon).

ich bin gerne mal mit leihexemplaren behilflich. man muß ja nicht alles kaufen, was man skeptisch sieht.


thgroh, Dienstag, 5. September 2006, 20:15
Ja, so dachte ich mir das auch schon; dass er da mit Cryptonomicon einfach den Seitenfetisch bekommen hat...

Leihexemplare: Schauen wir mal, danke jedenfalls für das Angebot. Wobei ich ja ohnehin kaum Bücher kaufe, sondern fast ausschließlic (Bibliotheken) entleihe. Aber, wenn's akut wird - und prinzipiell uninteressant waren die Inhaltsangaben ja nicht - melde ich mich gerne!

Grüße
Thomas

christian123, Mittwoch, 6. September 2006, 05:56
Na 200 Seiten, immerhin! ;) (bist du wenigstens bis Qwghlm vorgedrungen? ;) )
Es sind insbesondre Orts- und technische Vorgangsbeschreibungen, die mir auch zuweilen etwas Mühe machen bei Stephenson und die ich dann eher überfliege als zu genießen, da stimme ich zu, da neigt er zu einem zwanghaften Alles-visuell-beschreiben-und-mit-betont-lässigen-Metaphern-versehen-Müssen, ohne dass sich das seitens des Lesers in irgendein tatsächliches Vorstellungsbild umwandeln würde. (Wobei ich das Ganze in den deutschen Übersetzungen sehr viel schlimmer fand als im Original; eine Übersetzung macht sowas natürlich in jedem Fall noch viel holpriger, als es schon ist.) Aber ansonsten sagen mir seine exzessiven Abschweifungen, wenn sie sich vom, sagenwirmal, Profilmischen zu abgehobenen Rumnerdereien über wasweißich abstrahieren, eigentlich sehr zu.

"Snow Crash" und "Diamond Age" sind jedenfalls erstklassige SF, er verbrät da rauschhaft Massen an neuesten Konzepten und Ideen und Entwicklungen, die jetzt, ein Jahrzehnt später, tatsächlich eher näher gerückt anstatt dated erscheinen. (Weshalb die Bücher auch nach wie vor *als SF* hervorragend funktionieren, trotz ihres relativ hohen Alters bei ihrer Plazierung in einer relativ nahen Zukunft.) "Snow Crash" allein muss man dem realen Second Life ( http://www.secondlife.com/ ) entgegen halten, das in beängstigendem Maße dem im Buch Beschriebenen sozial, technisch und kulturell identisch (und sich dessen teils auch bewusst, wenn etwa die führende Second-Life-Zeitung sich nach Stephensons Metaverse benennt) ist (überhaupt, ich sollte mal meine Blogserie zu Second Life weiterschreibseln bei Gelegenheit), und "Diamond Age" wird auch schonmal gern in Vorträgen (z.B. beim letzten 22c3) und populärwissenschaftlicher Literatur (Niels Boeing) zur Nanotechnologie als ganz allgemeine Referenz genommen für das, was inzwischen in machbare Nähe zu rücken scheint.

Vom "Cryptonomicon" anschließenden Baroque Cycle hab ich gerade erst mit Band 2 angefangen, aber "Quicksilver" war bereits grandios (oh weh, klinge ich fanboyig ;) ). Ich würde nicht zögern, es über "Cryptonomicon" zu stellen, es ist eigentlich noch viel eher ein breiter Essay über eine Epoche und ihre ökonomischen, politischen und philosophischen /wissenschaftlichen / wissenschaftskulturellen Entwicklungsprozesse als eine Story, die bei "Cryptonomicon" noch eher im Vordergrund steht. Auch die Bild-&-Ortsbeschreibungswut scheint mir, wenn auch nicht gänzlich eliminiert ("Quicksilver" allein beginnt mit einer detaillierten Beschreibung eines Spazierganges durch ein Boston des Jahres 1713), so doch zugunsten diskursiverer Monologe (die detaillierte Beschreibung des Spazierganges verliert sich alsbald in der Kategorisierung des Ganges in einem herbeigedachten cartesischen Koordinatensystem und allem, was dann über den Verweis auf Descartes und dann Leibniz und Newton und was Enoch Root noch so spontan an Bezugsherstellungen einfällt, folgt) entkräftet.

Mir scheint halt, auch gerade in den SF-Büchern, Stephenson vorher noch zuweilen ein filmbildreiches Actionkino zu verfolgen, was sich gerade auch in seiner ganz actionkinoinkompatiblen ausschweifenden Bildbeschreibungswut niederschlägt, während er in "Quicksilver" dann immer weiter von der "Verfilmbarkeit" sich zu entfernen scheint, um mit anderen Formen, bspw. (ganz exzessiv) Brief und Theaterstück und anderen literarischen Formen des 17. Jahrhunderts, zu arbeiten (wobei, im Grunde tut er das ja mit der Hypertext-Fibel in "The Diamond Age" auch schon), und allgemein sich noch stärker so unfilmischen Themen wie Währungssystemen oder Geschichte und Philosophien wissenschaftlicher Methoden oder theologischen Debatten zuzuwenden.

igor, Mittwoch, 6. September 2006, 12:19
Das Cryptonomicon liegt hier bereits auch ein ganzes Weilchen und ich habe die starke Befuerchtung, dass es mir ganz aehnlich damit gehen wird, wie dir Thomas. Deswegen halte ich mich derzeit auch eher an Perdido Street Station, klasse Buch, schoen kompkat, schnelles Tempo und sehr kreative Welt.



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