[Direktlink zum Film]

Als historisches Ereignis scheint 9/11 hinter wenigen ikonisch verdichteten Bildern gleichsam verschwunden zu sein - die Macht des ewigen Loops. Als eine konkrete, traumatisierende Erfahrung ist 9/11 kaum mehr nachvollziehbar; umso wichtiger sind meiner Meinung nach Aufarbeitungs- und Erinnerungsversuche, die sich gegen das Ikon wenden. Eine Ausstellun wie seinerzeit "This Is New York", die Tausende von Privatfotos versammelte, ist da ein erster Versuch: Vom Panoramablick der (ohnehin warenförmigen) Berichterstattung befreit, weitet sich der Blick aufs Detail, auf das Konkrete und subjektiv Erfahrbare; wenn ein Nachrichtenloop im steten Zermahlen eines Bildes ihm selbst jede Signifikanz raubt (so wie ein auf Tonband gesprochenes "Ich liebe Dich" bei loophafter Wiedergabe zur mechanistischen Performance ohne emotionalen Resonanzraum gerinnt), entsteht durch Hinwendung auf das momenthafte Detail eine neue Konkretizität, die jeden vorschnell, und auch dieser Tage wieder oft geäußerten Zynismus vergessen und sich mithin gerade auch gegen diesen in Stellung bringen lässt.

September 11, 2001: What We Saw mag ähnlich wirken. Es handelt sich um eine Hobbyaufnahme des Ereignisses von zwar nicht unmittelbarer, aber doch hinreichend gegebener Nähe. Die Einstellungen sind oft quälend lange, zumal der Ablauf der Dinge bekannt ist. Im Off hört man Entsetzen; eine Sprache für dieses zu finden ist langfristig Sache der Kunst und also der Geschichtsschreibung überlassen, im Moment aber steht nur die Unfähigkeit zur adäquaten Artikulation des Entsetzens als Zeuge für dessen Ausmaß - oh my god, immer nur dieser eine Ausspruch. Wo jegliche Routine einer Semantik der Ereignisse außer Kraft gesetzt ist, wo Weltverlust herrscht, da verschlägt es die Sprache und das Bild erhebt sich.

Man kennt die Bilder - und kennt sie nicht: Sie sind perspektivisch verschoben und dehnen sich in der Zeit aus, wo sonst nur unter dem Diktat der warenförmigen Nachricht Screenshots und kurze News-Snippets die Konkretizität des Ereignisses zerfasern und leicht einsortierbar machen. Man merkt das erst, wie Erfahrung kaputt gemacht werden kann, wenn man selber minutenlang auf die klaffende Lücke im World Trade Center starrt, wo der Qualm heraussteigt; das zweite Flugzeug naht nicht heran, der Turm stürzt nicht ein. Die News und Headlines werden in fast schon Bazin'schen Einstellungen rückübersetzt in das faktisch sich ereignet Habende, zumindest was die Dauer betrifft.

Erst jetzt, zum fünften Jahrestag von 9/11, wurden diese Aufnahmen in fast uneditierter Form der Öffentlichkeit übergeben. Ich halte diesen Beitrag für wichtiger und wertvoller als alle Wortmeldungen der ewig Nölenden und Berufszyniker und Ideologen, die sich dieser Tage selbstgefällig durch Abgeklärtheit gegenseitig zu übertrumpfen versuchen; allzumal noch schlimmer wenn dies im Namen eines bequemen und nur vermeintlichen Humanismuses geschieht, der Zahlen aufwiegt, miteinander verrechnet und auf anderes verweist, auf was sonst nicht im Traum verwiesen würde. Da werden die Toten aus anderen Gräbern nochmals hervorgezerrt, um andere herunterzuspielen. Ein gewalttätiges Possenspiel.


° ° °




kommentare dazu:





To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.


...bereits 1050 x gelesen