Wenn man sich mal den dreisten Luxus der Perspektive eines äußeren Beobachters leisten mag, dann ist der Kapitalismus eigentlich wohl nicht mehr ernst zu nehmen. Trash-Entertainment, bestenfalls.

Ein Beispiel: Seit September gibt's im Edeka nebenan wieder allerlei Weihnachtsgebäck, natürlich auch Marzipankartoffeln. Den abgehangenen Spruch von wegen "wird auch jedes Jahr früher" spar' ich mir einfach, das ist was für Leute, die sich, meist ohne Erfolg, gerne als smart verkaufen (und vermutlich sind die eh mit denen identisch, die im Kino nach der Werbung, wenn nochmal das Licht vor dem Film angeht, lautstark feixen, dass das echt ein prima Film gewesen sei). Ich mag Marzipankartoffeln sehr gerne, die darf es ruhig das ganze Jahr geben.

Kommen wir zum Punkt: Die Marzipankartoffeln gibt's nämlich in verschiedenen Stückzahleinheiten, wie ja fast eigentlich alles. Die kleinstmögliche Einheit besteht aus 125 Gramm zu 49 Cent und diese soll im weiteren als Bezugsgröße dienen. Die nächstmögliche Einheit schlägt bereits mit 50 Cent mehr zu Buche, für - aufgemerkt! - 75 Gramm mehr Inhalt. Na hoppla, denkt man sich da vielleicht, dann käme ja zweimal die kleinste Einheit nicht nur einen Cent billiger, nein, man hätte auch noch 50 Gramm mehr Naturalien im Wanst! Linienbewusste Völlerer mögen für sich diesen Umstand vielleicht noch damit aus der Welt schaffen, dass 1 Cent nun wirklich keinen arm mache, und man vielleicht auch gar nicht gleich den Drang nach einem Viertel Kilo Marzipan verspüre, sondern auch gerne mal mit etwas weniger Vorlieb nähme. Grotesk aber wird's, wendet man sich, eh schon verwundert, dem dritten Konsummodell zu: 500 Gramm Marzipan in einer wabbeligen Plastikdose für 2,99 Euro! Man muss noch nicht einmal den Taschenrechner bemühen, um festzustellen, dass dem 4 mal die kleinste Einheit im Inhalt zwar gleichkommt, dem Geldbeutel aber mehr als 1 Euro Ersparnis einbringt.

Was will uns good ol' Märchenonkel Kapitalismus nun damit also erzählen? Dass Geld ausgegeben nicht nur geil ist, sondern auch irre sexy, das ist ja nun gewissermaßen eine der konstituierenden Grunderzählungen, das kann's also nun nicht sein. Was also dann? Dass das in Zeiten der Krise und der Rezession für arme Schweine ungemein beruhigende Gefühl, auch einmal der zu sein, der zur größten Packung gegriffen hat, bereits für schlanke 50 Prozent Aufpreis zu haben ist? Oder aber, dass sich Zielgruppe und Kapitalismus mittlerweile derart selbst gegenseitig degeneriert haben, dass einfach nur noch alles scheißegal, "Angebot und Nachfrage" eh nur noch ein Ammenmärchen und "Pisa" nicht nur Symptom, sondern eigentlich schon Zustand ist?

Ich sach ja: Trash eben! Und ich gebe gerne zu: Beim ersten Mal hatte ich auch beherzt zur großen Dose gegriffen (nur um mich nach dem nächsten Besuch einen Tag lang nicht mehr im Spiegel ansehen zu können): Die äußere Perspektive ist eben doch nur Illusion.


° ° °




kommentare dazu:



richie, Samstag, 15. November 2003, 22:53
Marzipan und Mar-zieh-pan
Na ja, den Kapitalismus an ein paar Marzipankartoffeln festmachen?

Ich will nicht den Laden da oder den Konzern in Schutz nehmen, aber schon mal dran gedacht ,dass es verschiedne Qualitäten auch bei Marzipan gibt? Bei Marzipan gibt es sogar ganz entshcieden und ganz entschieden oft sehr, shr verschieden Qualitäten. (Verhältnis Mandel zu Zucker; Zucker ist viel billiger als Mandeln es sind)


immo, Samstag, 15. November 2003, 23:43
Wenn den Kapitalismus nicht in der Warenwelt festmachen, wo dann? ;-)

Und es waren natürlich Marzipankartoffeln des selben Fabrikats, nur eben in verschiedenen Gewichtseinheiten. Ganz bescheuert bin ich ja nun auch nicht. ;-)



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