Mit dem herrlich skurillen The Saddest Music in the World gelang dem kanadischen Einsiedel-Independent-Regisseur Guy Maddin vergangenen Dezember auch endlich in Deutschland der Einstand in den Kinobetrieb. Dem war eine (meines Wissens komplette) Retrospektive im Kino Arsenal vorangegangen, nun läuft sein neuestes Werk unter dem Rubrum "Forum Special Screening". Es bleibt zu hoffen, dass solche Manöver den eigenwilligen Regisseur in der deutschen Filmlandschaft auch für die Zukunft verankern.
Brand Upon the Brain ist eine "Remembrance in 12 Chapters", wie das Insert zu Beginn verrät. Das "by Guy Maddin" ist in diesem Falle wörtlich zu verstehen: Maddin selbst reist zu Beginn auf eine entlegene, kleine Insel, auf der er seine Kindheit in einem dem starken Regiment seiner Mutter unterstehenden Waisenhaus verbracht haben will. Hier steckt alles voller Erinnerungen, voller Past-ness. Natürlich greift er zum Pinsel, um dem in einem Leuchttum gelegenen Waisenhaus einen neuen Anstrich zu verpassen - und um also alte Erinnerungen zu übertünchen.
Natürlich geht das Vorhaben schief: Munter übersprudeln sich die Ereignisse, kommen bizarre Bilder wieder, die sich aus dem Stummfilm, der Mythologie der Phantastik und der Schundliteratur des späten 19. Jahrhunderts speisen. In einem aberwitzigen Bilderreigen geht es um Mütter, die wie Vampire "Nektarit" aus den Kindern saugen, um emsig in Kellern arbeitende Väter, die den Jungbrunnen erfinden, um Filmstars, die zu Detektiven aus Jugend-Kriminalromanen werden, und Jugendlieben, die Gender-Grenzen überwinden. Das Bizarre und Skurille, das Witzige und Erschreckende liegen bei Maddin nahe zusammen: Wenn Film, wie allerfrüheste Filmtheorie gerne behauptet hat, den Modus von Erinnerung und Träumen wiedergibt, dann liefert Guy Maddin einen verführerischen Beweis dafür, dass dies gelten mag, solange denn der richtige an den Apparaturen sitzt.
Denn Brand upon the Brain ist ungemein rasant und höchst assoziativ gestaffelt, filmischer stream of consciousness. Dies ist vor allem Maddins künstlerischem Projekt zu verdanken: Seit Jahren arbeitet sich Maddin an der spezifischen (Material-)Äthetik der Stummfilmzeit ab, ohne dabei bloß Pastiche-Gesten für versonnene Nostalgiker abzuliefern. Im Gegenteil, Guy Maddin nimmt den Stummfilm in einer Weise ernst, die Schwindeln macht: Maddin dreht keine bloße Reprise, sondern denkt Stummfilm in einer Weise weiter, als hätte die Film-Genealogie in den späten 20er Jahren an einer anderen Stelle abgebogen.
Gerade das Stumme und materialästhetisch Verfremdete bietet sich als Medium für einen stream of consciousness an; in Brand upon the Brain hat Maddien, der die Techniken für eine solche Filmkonzeption im jahrelangen Privatstudium weit abseits des Filmbetriebs erlernt hat, seine Methode zu einer Perfektion heranreifen lassen, die, allerdings, gerade so noch auf der Kippe zum "Maddin-Manierismus" steht.
Zwar mag Brand... an seinen Vorgänger nicht ganz heranreichen; dennoch stecken in ihm noch immer soviele Ideen, die sich in rasantester Flüchtigkeit vor einem abspielen, wie sie manch anderer Filmemacher zahlenmäßig in seiner ganzen Schaffenszeit nicht anhäufen kann. Alleine die Vision schon, die Maddin antreibt, seine Liebe für's - motivische wie rein physische - Material und nicht zuletzt die sture Eigenwilligkeit, mit der Maddin sich voran durch's Werk bewegt, lassen auch in Brand Upon the Brain nichts anderes zu als freudiges Staunen, zumal wohl in der Deutschen Oper, wo der Film am 15.02. in einer (schon ausverkauften) Sondervorführung mit Geräusch- und Musikorchester und Isabelle Rosselini als Filmerzählerin (im normalen Kino ist ihr Kommentar Teil der Tonspur) aufgeführt werden wird.
imdb ~ info-seite (forum) (das dort verlinkte pdf bringt ein ausführliches interview mit maddin)
kommentare dazu:
...bereits 3138 x gelesen