12. Februar 07 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren

Flags of our Fathers spürt in verschachtelter Erzählweise einem ins Gedächtnis der USA gemeiselten Ikon und den daran beteiligten Person nach: Joe Rosenthals Fotografie der us-amerikanischen Flagge auf dem Berg Suribachi auf der Vulkaninsel Iwo Jima, dem ersten Flecken japanischen Landes, der im Zuge der Japan-Offensive besetzt werden konnte. Das Foto zählt zu den am meisten reproduzierten der Geschichte, ihm vorausgegangen war eine blutige Schlacht um das Stückchen Erde, in der eine zahlenmäßig hoffnungslos unterlegene und am eigenen, kulturell bedingten Ethos krankende Einheit der japanischen Armee sich bis zum letzten Atemzug der hochgerüsteten Flotte entgegen stellte. Letters from Iwo Jima erzählt von derselben Schlacht - allerdings strikt aus japanischer Perspektive und dies in respektabler Konsequenz.
Ein Foto hier, Briefe dort: Jeweils sind es mediale Artefakte, die für Eastwood den (Erzähl-)Zugriff auf Geschichte nicht nur ermöglichen, sondern überhaupt erst initiieren. Iwo Jima, 2005: Bei einer Ausgrabung stoßen Archäologen auf einen im Tunnelsystem des Berges Suribachi verscharrten Postsack, in dem sich die niemals zugestellten Briefe der hier im technologisch hochgerüsteten Fegefeuer brutal zerschlissenen Soldaten finden. Voller alltäglicher Banalitäten, Gesten des Zweifels und Liebesbekundungen erzählen sie die Geschichte derjenigen, die für einen vor allem auch von japanischer Seite aus fast schon lächerlich unsinnigen und suizidalen Krieg sterben mussten (als unterfütternde Lektüre sei Keji Nagazawas mehrbändige Manga-Autobiografie Barfuss in Hiroshima empfohlen). Letters from Iwo Jima - und damit Eastwood als humanistischer auteur - bemüht sich nun im folgenden, die Soldaten als höchst heterogene Ansammlung von Menschen mit sehr unterschiedlichen Begriffen von Lebensführung und soldatischer Ehre, mit Ängsten und Bedürnissen zu zeigen. Das bedrohliche Bild vom gleichgeschalteten, bedrohlichen Kamikaze-Soldat, der mit unbewegter Miene in den Tod zieht, solange es dem Vaterland dient, wird hier entschieden aufgebrochen.
Die Geste stimmt, allein die Umsetzung macht zu schaffen. Letters from Iwo Jima changiert zwischen Melodram und Kriegsfilm, die Fallen, die beide Genres in sich bergen, werden dabei nicht immer souverän umschifft. Es mag ein ganz grundsäötzliches Problem mit Eastwoods Humanismus sein: Dieser mag für die "aus dem Leben gegriffenen" Dramen, die er in den letzten Jahren ins Kino brachte - Mystic River und Million Dollar Baby, beide verdientermaßen instant classics -, höchst funktional sein; im pompösen Schlachtengemälde in Feldherrenästhetik, das Letters über weite Strecken ist, gerinnen die bewegenden menschlichen Momente indes zu Kolorit. Zwar steigt auch hier wieder die in den letzten Jahren als markantes Stilmittel etablierte Eastwood'sche Schwärze aus der Kulisse den Figuren ins Gesicht; doch folgt dies nicht mehr jener Logik des präzisen Aufbaus, der die vorangegangenen Filme noch auszeichnete: Das zwingende Element geht, zwischen Bolidentrommel und Momenten des Mensch-Seins, verloren. Bleibt vielleicht die Feststellung, dass auch Japaner im Krieg nur (zerfaserbare) Menschen sind.
Ob es für diese Einsicht bald zweieinhalb Stunden Filmlänge und massiven Technikeinsatz benötigt hat, bleibt fraglich. Zumal Eastwood auch den Einsatz der Mittel kaum reflektiert zu haben scheint: Der alten Problemstellung des Anti-Kriegfilms - wie den Krieg darstellen ohne ihn als technologisches Spektakel zu bebildern - scheint Eastwood von vorneherein aus dem Weg gegangen zu sein; es mag auch an Co-Produzent Spielberg gelegen haben, dass Letters from Iwo Jima immer dann, wenn vom beengten Tunnel zum Feldherrenhügel gewechselt wird, eine (unfreiwillige) ästhetische Herrlichkeit entwickelt, die sich aus dem berühmten opening von Saving Private Ryan zwar speist, aber deren Klaustrophobie und Ebene einer ganz physischen Bedrohung nicht adaptiert. Beeindruckend ist es, wenn Berg Suribachi erstmals aus der Luft mit Bomben eingedeckt wird, wenn die us-amerikanische Flotte über's Meer kommt, macht der Rechner Überstunden und des Publikumsstaunens im größen Cinemaxx-Saal darf man sich gewiss sein. Wenn Körper unter Granateneinsatz zerrissen werden, darf der naturalistische MakeUp-Splatter bewundert werden. In all dieser Herrlichkeit verliert Letters jeden existenziellen Ton und produziert am laufenden Meter "Bilder für die Wand".
Letters from Iwo Jima ist im Ganzen betrachtet sicher kein "schlechter Film". Man hätte sich nur gewünscht, dass Eastwoods, grundsätzlich zwar nobler, Humanismus, der immer strikt am Einzelnen und dessen Lebenssphäre orientiert ist, in diesem Falle mehr Raum gegriffen hätte. Sei es, dass er den Einzelnen konsequent ernst genommen oder übergeordnete Strukturen aufgedeckt hätte. So aber bleibt Unwohlsein beim Verlassen des Saals - und die Hoffnung auf Flags of our Fathers als Korrektiv.
imdb
° ° °
kommentare dazu:
...bereits 1501 x gelesen