Manchmal spielt einem der Zufall kleine Filmwunder in die Hände, so in diesem Falle. Ich komme etwa zehn Minuten zu spät am Potsdamer Platz an, um die eigentlich geplante Filmvorführung noch besuchen zu können. Ein schneller Blick in die diversen Zettel der einzelnen Sektionen mit den Presseterminen weist Lady Chatterley als mögliche Alternative auf; dunkel habe ich vom schnellen Überfliegen der Berichterstattung im Kopf, dass Ekkehard den imnerhin fast dreistündigen Film sehr lobte - also gebe ich ihm eine (zunächst auf eine erste halbe Teststunde begrenzte) Chance, auch wenn ich Adaptionen von klassischer Weltliteratur meist schon alleine deshalb skeptisch gegenüber stehe, weil ich die betreffenden Bücher nicht gelesen habe. Doch der Test gelingt, wird als solcher fast vergessen und fast drei Stunden lang sitze ich, mir der Dauer des Filmes nicht eine Sekunde land bewusst, in der zahlenmäßig sträflich gering besuchten Pressevorfühung und sehe voller Entzücken den wahrscheinlich besten Film des Festivals.
Lady Chatterley erzählt, in Anlehnung an einen Roman von D.H. Lawrence, die Annäherung einer großbürgerlichen jungen Ehefrau in England an die Erotik. Die historische Kulisse stellt als Latenz der soeben beendete 1. Weltkrieg dar: Lady Chatterleys Gatte kehrt querschnittsgelähmt aus ihm ins weit umfassende Anwesen zurück. In einer kleinen Hütte draußen im Wald lebt Parkin, ein vergleichsweise grobschlächtiger Handwerker.
Lady Chatterleys Welt ist ein ummantelnder Kokon, der jede Körperlichkeit verbannt hat, selbst da noch, wo Menschen einander berühren. Die Körperpflege des gelähmten Patriarchen könnte kaum distanzierter ausfallen, ebenso seine Rasur. Chatterley leidet an allgemeiner Schwäche: Diagnostisch klopft der Hausarzt ihren Körper ab. Frühzeitig zeigt der Film sie nackt: Beim Entkleiden vor dem Gang ins Bett betrachtet sie sich im Spiegel - ein Verhältnis zu sich hat sie nicht. Doch liegt in ihrem fragenden Blick ein Tasten. Zuvor war die junge Dame unter Schichten von Textil verwahrt und gleichsam aus der Welt gesperrt.
Regelmäßig fragmentiert die Kamera ihren Körper: Hände werden gefilmt, wenn Chatterley sich streckt, um durch ein Fenster blicken zu können, sehen wir ihre auf Zehenspitze gestellten Füße - eingekleidet im Leder der feinen Schuhe. Ein Körper, so scheint es, der zu sich selbst kein Verhältnis findet, in der kulturellen Semantik nur als Bedecktes, Verborgenes denkbar bleibt.
Parkin tritt erstmals in grober Unbekleidetheit auf: Beim Gang um ein im Wald gelegenes Haus, stößt Chatterley auf ihn bei der Morgenwäsche. Der nackte Rücken löst sichtlich einen Schock aus, sie flieht zurück zu den Bäumen, wartet.
Wenn die Welt des Bürgertums, die Lady Chatterley als Film zeigt, eine ist, die jegliche Taktilität zur materiellen Welt verloren hat, so ist diejenige Parkins eine, die aus nichts anderem zu bestehen scheint. Er hämmert versiert Nägel in Hühnerkäfige, wäscht sich im Freien, verarbeitet das Holz, trägt Handschuhe aus gröbstem Leder, welche die Lady, die langsam die Welt des Handwerkers auch haptisch erkundet, in einer der schönsten Szenen des Films genüsslich überstreift.
Die Annäherung der beiden, die aus Tasten Erotik entwickelt, folgt einer schrittweisen Entblätterung; das Entkleiden, das Tasten, das Fühlen wird Teil des erotischen Zeremoniells der beiden. Keine Stelle an Lady Chatterleys ist erotisch aufgeladener als jenes Stück freie Haut, das sich unter ihrem Rock zwischen dickem Strumpf und Unterrück befindet. Der erste Sex zwischen den beiden mag grob vonstatten gehen (die Geste des Films ist im übrigen einmalig: wir haben die Lady zuvor schon nackt gesehen, hier nun sehen wir sie als Nackte nicht), doch etabliert er eine ganz eigene sinnliche Körperlichkeit, die schließlich, im Laufe des Films, zu einer spielerischen Zärtlichkeit weiterausformuliert wird, deren sensible filmische Umsetzung gänzlich unvergleichlich ist: Die sukzessive körperliche Erfahrung des anderen, die Bewunderung für das einfache /Dasein/ der Merkmale des anderen - ein halb-erigierter Penis, ein Leberfleck auf einer Brust, Schamhaare - entwickelt sich aus einem streng filmisch gedachten Inszenierungskonzept.
Dies sieht vor, dass man nicht erschlagen wird, sondern nachspürt: Über weite Strecken ist Lady Chatterley dialogfrei. Mise en scène und Montage, vor allem aber die sicher geführten Gesten und Blicke, Erzählung und Erzählhaltung des Filmes (gerade letztere immer wieder: eindrucksvoll überraschend!) - all dies schwingt sich zur Eleganz auf, die nicht kulturbeflissenes Virtuosentum, sondern den kommunikativen Akt mit dem Zuschauer zum Ziel hat.
Wenn Erotik denn eine Geistestätigkeit ist, die der rein körperlichen Triebabfuhr des Sexes eine imaginativ-phantasmatische Qualität ermöglicht, die gerade Erfahrung und Inszenierung von Körperlichkeit zusammenbringt, dann ist Lady Chatterley nicht nur einer der erotischsten Filme der letzten Jahre - weit abseits im übrigen jeder Schlüpfrigkeit und Gelecktheit, die diese Bezeichnung oft mitschwingen lässt - , sondern auch einer der besten über Erotik selbst. Warum ein solcher - sowohl inhaltlich, als auch ästhetisch - herausragender Film dazu verdammt ist, weit abseits des Wettbewerbs unter "ferner liefen" wahrgenommen zu werden, bleibt im größten Maße fraglich und dürfte wohl eine der bezeichnendsten Fehlleistungen der Wettbewerbskommission darstellen.
imdb
kommentare dazu:
EA im Fernsehen übrigens am 22.6. auf Arte.
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