Auch eine Ausnahmeerscheinung wie Tim Burtons wundervoller The Corpse Bride (2005) kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass die großen Zeiten des Puppen-Animationsfilms so gut wie vorbei sind. Im wesentlichen fristet er ein Dasein als Abschlussfilm an Filmhochschulen und findet allenfalls noch als gelegentlich dazwischen geschobener Kurzfilm im Nachtprogramm der öffentlich-rechtlichen Programme statt. Wiewohl dieser besonderen Filmkonzeption bis heute eine nahezu magisch-auratische Traumqualität eignet – zumal dann, wenn sich über das Material eine Art phantastischer Animismus legt, der im Unfertigen, nicht ganz Perfekten begründet liegt (das „bewegte Rauschen“ in Puppenkleidern etwa) -, scheint sie dem Gegenwartskino kaum mehr Option zu sein. Bezeichnend mag eine Stelle in Michel Gondrys nicht minder wundervollem The Science of Sleep (2006) sein – ein Film, der auch ein wenig vom Verlust des Kinos seiner Fähigkeit handelt, zum Greifen naheliegende Traum- und Wunschbilder zu zeichnen –, in der sich sich die beiden Träumer Stéphane und Stéphanie voller Tatendrang ins grobe Material stürzen und auf die Idee kommen, mit Klorollen und Zellophan in der eigenen Wohnung einen Animationsfilm zu drehen, der der russischen Tradition nachempfunden ist. Und schlechterdings in dieser Form im Kino wohl keine Repräsentation mehr erfahren könnte.
Umso erfreulicher sind deshalb bezaubernde Filme wie Blood Tea and Red Strings, die vollkommen unerwartet am Rande der allgemeinen Filmproduktion auftreten, in ihrer Anverwandlung des Materials leidenschaftlich anachronistisch sind und sich in einer Filmwelt, in der es für solche kleinen Filmwunder eigentlich keinen Platz mehr gibt, zu behaupten vermögen.
Blood Tea and Red String ist ganz und gar Herzenssache. Man kann nicht anders als jede Einstellung zu genießen, sich in die Details zu verlieren und jede Bewegung, die da stattfindet, als stilles Ereignis zu bewundern. Für ihn verantwortlich zeichnet die us-amerikanische Künstlerin Christiane Cegavske, die nicht weniger als 13 Jahre ihres Lebens in diesen knapp 70 Minuten dauernden Spielfilm investiert hat. In mühe- wie liebevoller Kleinarbeit hat sie sich eine märchenhafte und doch bizarre Geschichte ausgedacht, sämtliche Puppen gestaltet und genäht, alle Kulissen gebastelt und den Film schließlich auf wunderbar körnigem 16mm-Material Frame für Frame selbst gedreht. Er kommt vollkommen ohne Dialog aus und wurde von Mark Growden mit stimmungsvoller, ebenfalls leicht ins Bizarre spielender Musik unterlegt, die einen kongenial in die merkwürdige Welt dieses entspannt plätschernden Films zieht. All diese Liebe zum Detail, zum Material und seiner Sinnlichkeit lässt eigentlich – auch wenn sich die jeweiligen Filme stark voneinander unterscheiden – kaum einen anderen Vergleich zu, als den mit Wenzel Storchs gleichermaßen liebevoll gestalteten Film Die Reise ins Glück.
Die Geschichte von Blood Tea... ist nur schwer wiederzugeben, sie sucht das mythologisch-enthobene und märchenhaft-verfremdete. Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen zwei Gruppen, auf der einen Seite aristokratisch gekleidete, weiße Albino-Ratten, auf der anderen merkwürdige Wesen, die aussehen wie braune Ratten auf zwei Beinen mit Vogelschnäbeln und Schweineohren (die offizielle Synopse nennt sie lediglich „the Creatures who dwell under the Oak“). Die letztgenannten leben ein einfaches Landleben im Innern einer alten Eiche und erhalten eines Tages von den Albino-Ratten den Auftrag, nach Vorbild eines Gemäldes eine Puppenfrau zu erschaffen. Das Werk gelingt in Perfektion, so dass sich der Erbauer selbst in die (allerdings unbelebte) Puppe verliebt und sie deshalb nicht mehr hergeben mag. Daraufhin entführen die weißen Ratten die Puppe, die so gekränkten Schnabelwesen begeben sich ihrerseits auf eine Reise quer durch ein seltsam-schönes Märchenland, um die Puppe zurückzuholen. Sie begegnen einem Frosch, offenbar ein einsiedelnder Schamane, und einer Spinne mit Menschenkopf, die in ihrem blutroten Netz an ganz eigenen Interessen strickt. Unterdessen verfällt auch der Anführer der weißen Ratten der melancholischen Liebe zu dem weiblichen Puppenwesen...
Doch Blood Tea... ist weit mehr als seine bloße Story: Es sind die Details, die zählen und die maßgeblich zum Gelingen seines Projekts, eine wunderbare Welt zu etablieren, beitragen. So bewegen sich die Albino-Ratten beispielsweise in einer knallig-roten Kutsche durch's Land, die unter schwerem Geächze von einer Schildkröte gezogen wird; in ihrer Behausung lebt weiterhin ein Rabe, der anstelle seines Kopfes einen nackten, menschlichen Totenschädel trägt. Hier haben wir Sonnenblumen mit lachenden Gesichtern in den Blüten, dort hingegen bilden kleine Totenköpfe das Blumenantlitz; eine wunderbare Begegnung ist die mit dem dicken, in sich ruhenden Schamanenfrosch, die seltsam neben der eigentlichen Handlung steht. Im Verbund mit der mal krächzenden, mal ziselierten musikalischen Untermalung eröffnet Blood Tea... ein Tor zu einer anderen, traumhaften Welt, die ganz ihrer eigenen Logik gehorcht und alleine schon in ihrem Dasein bewundert werden kann. Auch wenn Blood Tea... Bilder entwickelt, die an bizarrste Momente aus den Grimm'schen Märchen (die freilich nur in der Originalfassung zu finden sind und nicht in den bereinigten Kinderbuch-Versionen) oder sogar an E.T.A. Hoffmanns Sandmann erinnern, eignet dem Film eine nahezu meditative Friedfertigkeit und Schönheit, die sich gleichermaßen aus jüngerem Gothic chic, wie aus den Bildern von Frida Kahlo und den Geschichten von Edgar Allan Poe speist (die, unter anderem, denn auch als Haupteinflüße genannt werden).
Doch auch wenn Blood Tea... mit seiner wundervollen Materialästhetik an alte Kinderfilme aus osteuropäischen Ländern erinnert, ist er selbst weit davon entfernt ein Kinderfilm zu sein; ganz im Gegenteil entspinnt er einen quasi-mythologischen Motivkomplex, in dem es immer wieder auch um Einverleibung und Ummantelungen geht. Hinter der niedlich-pittoresken Kindlichkeit seiner Erscheinung versteckt sich deshalb mithin ein ganz eigener Sinneszusammenhang, der, so ahnt man immer wieder, auch viel mit weiblicher Sexualität zu tun hat. Auffällig häufig handelt Blood Tea... vom Verzehr von Speisen, immer wieder wird die Puppe als Objekt der Begierde (die obendrein noch äußerlich der Regisseurin nachempfunden scheint) eingenäht oder selbst als Behältnis – unter anderem für ein Ei, aus dem ein merkwürdiges Wesen schlüpfen wird – gebraucht. Immer wieder geht es um Transformationen von Material, um Verblühen und Entstehen, um Einverleibung und Entschlüpfung – um einen steten Stoffwechsel also, vielleicht ganz ähnlich wie auch ein Animationsfilm als quasi-rituelle Technik aus gröbstem Zwirn und Textil eine animistische Zauberwelt entstehen lässt, die weit mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Teile. In dieser Logik der Stofflichkeit formuliert Blood Tea... ein faszinierendes Rätsel, das nicht unbedingt gelöst werden muss, um genossen zu werden. Es reicht schon, dem Bizarren und Morbiden in dieser unvergleichlichen Schönheit, die sich gerade auch aus der teils ruckligen Animation und dem groben 16mm-Material speist, nachzuspüren.
In den USA ist Blood Tea... schon auf zahlreichen Festivals für den Phantastischen Film zu sehen gewesen und verdientermaßen häufig prämiert worden. Die dortige Kritik ist sich einig, dass hier ein neuer Kult- und Mitternachtsfilm geboren wurde, der Vergleiche mit klangvollen Namen nicht zu scheuen braucht. Doch auch von solchen Meriten abgesehen, ist Blood Tea and Red Strings ein hervorstechender, ganz und gar außergewöhnlicher Film, der wie zuletzt kaum ein zweiter auch vom kreativen Akt selbst und der Liebe des Künstlers zur Materialität seines Werkes handelt. Ihn an dieser Stelle wärmstens zu empfehlen ist mir deshalb die größte Freude. Dass er auch hierzulande sein Publikum findet und dieser Text daran einen kleinen Anteil hat, bleibt mir abschließend zu hoffen.
» imdb ~ offizielle website ~ christianecegavske.com ~ kid37
» christiane cegavske auf myspace.com ~ youtube.com
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