Die U-Bahn kommt in Gang, über das Bild rollen sich unzählige Fahndungsfotos wie ein Fetisch: Gesucht wird Matsu, genannt "Sasori", der Skorpion, gespielt von Meiko Kaji. der unangefochtenen Königin des japanischen Exploitationfilms. Ein Chanson hebt an: Das Rachelied einer Frau. Schon der Vorspann ist reinste, rauhe Poesie, wie man sie nur im Exploitationfilm finden kann; die existenzialistische Schönheit des Verbrechens in einer schmutzigen Welt.
Von der Poesie der Filmlayer und Vorspannmusik wechselt der Schnitt hart zur blanken Realität: Matsu im Innern der U-Bahn. Im zweiten Teil war sie den Häschern des Strafvollzugs entkommen, nun versucht die gesuchte Ausbrecherin unterzutauchen. Es gelingt nicht, ein Polizist in zivil versucht sie zu überwältigen, indes ohne Erfolg: Sie steht draußen, vor der U-Bahntür, die sich schließt, er noch im Innern, beide mit einer Handschelle aneinander gekettet. Mit großem Schwung zieht sie das Messer - zwei, drei Hiebe später ist der Polizist entarmt und Matsu gelingt die Flucht: Mit einer Handschelle am Handgelenk und mit einem abgeschnittenen Arm im zweiten Ring. Der gerade erst begonnene Film hat hier bereits seinen ersten Höhepunkt.
Die Gewalt ist grell, doch wirkt sie nie der Gewalt alleine wegen aufgegeilt. Es liegt keine Herrlichkeit in ihr; sie wirkt gehetzt, reflexartig, wie ein letztes Mittel in einer übermächtig gewordenen Welt, die einen zu verschlingen droht. Im Falle von Sasori 3 ist dies wörtlich zu verstehen: Matsu flüchtet in die graue Unterwelt verelendeter Prostituierter und muss schließlich in die abgedrängte no go area der Gesellschaft schlechthin flüchten: In die Kanalisation, wo sie Wasserfluten und Feuersbrunst gleichermaßen zu widerstehen hat.
Der erste Sasori-Film war ein von der Muse höchst inspiriertes Meisterwerk des Exploitationfilms, das zwischen Sleaze und dem Autorenfilm entlehnten ästhetischen Manövern changierend den Clash höchst unterschiedlicher Film- und Bildmodi zelebrierte; von solchen Ambitionen ist nun der dritte Teil zwar leider weit entfernt. Doch baut Shunya Ito auch in diesen regelmäßig melancholisch-poetische Zwischentöne ein, etwa in jenen Momenten, in denen die Prostituierte, bei der Matsu untergekommen ist und für deren Sache sie fortan kämpft, Matsu in der Kanalisation sucht: Zu diesem Zweck beugt sie sich über die zahlreichen Kanaldeckel ihrer Stadt, ruft wehmütig "Sasori" in die Tiefe darunter und wirft brennende Streichhölzer als visuelles Signal hinterher. Die Perspektive wechselt in die Kanalisation, von wo aus man den tief gestaffelten Raum sieht - und die brennenden Streichhölzer, die von oben herab fallen und die nach und nach näher an die Kamera kommen, begleitet vom Rufen der Frau, die ihre Weg- und Kampfgefährtin sucht.
Wenn Sasori 1 also Künstlichkeit suchte, sucht der dritte Teil nun die rauhe Poesie im Faktischen. Matsu ist in der konkreten Welt angekommen, wo sie erneut dazu gezwungen ist, ihre Skorpionstachel auszufahren. Erneut verleiht ihr Meiko Kaji eine atemberaubende Präsenz. Am Ende scheint sie ihren Frieden gefunden zu haben, indem sie sich als Person ganz auslöscht: "Aufenthalt unbekannt", endet das letzte Schriftinsert. Der vierte Teil lugt schon um die Ecke.
Eine DVD ist von Rapid Eye Movies angekündigt.
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kommentare dazu:
Auch was Literaturtipps betrifft, bin ich nicht von großer Hilfe. Ich kenne schlichtweg keine Bücher, die sich mit ausführlich mit dem japanischen Exploiationkino befassen. Weiterhin halte ich es auch nicht für ratsam, sich über den Umweg der Lektüre gelehrter Bücher Filme abseits der Kanonisierung zu erschließen; das ist ja gerade das schöne daran, dass solche Filme gerade durch ihre bisherige Un-einsortiertheit noch einigermaßen vitale Diskurse ermöglichen. Die neugierige, mit allen Sensoren geöffnete Rezeption halte ich immer für fruchtbarer als die rezeptive Bestätigung des ohnehin Bereits-Gewussten.
Ob nun Meiko Kaji zur politischen Agitation neigte, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Ich denke eher nicht, wenn man sich ihre sonstige Karriere anschaut, die eher im japanischen Chanson liegt. Parallelen zu Pam Grier? Vielleicht. Wobei die Info, Pam Grier habe mit den Black Panthers geküngelt, mir jetzt auch zum ersten Mal über den Weg läuft. Es gibt zwar die filmhistorische Randnotiz, dass Grier-Filme zu Schulungszwecken auf Panther-Versammlungen gelaufen sein sollen - ob dies aber nicht auch nur ein klangvoller Mythos ist: keine Ahnung.
Wenn es um die japanische Linke und den Film geht, wären die Filme von Koji Wakamatsu ohnehin viel interessanter, da Wakamatsu ganz offen die politischen Bewegungen der 70er in Japan dicht in seinen Filmen aufgriff, sich zu neuen sexuellen Paradigmen, etc. pp. ästhetisch verhielt usw. Und ohnehin wäre es nach meinem Empfinden spannender, generell die Bedingungen der Filmproduktion und -distribution im 70er Japan zu analysieren und dabei gerade auch auf Unterschiede zur westlichen Filmkultur zu achten, statt einzelne Ikonen herauszugreifen und mit cultural-studies-Geste Parallelen zu ziehen, die sich (vermutlich) nur auf der obersten Oberfläche abspielen. Dass in Japan beispielsweise der Softsexfilm filmkulturell gänzlich anders 'aufgehoben' war, ästhetisch vollkommen anders gestaltet war als seine Pendants in amerikanischen und europäischen Bahnhofskino und vor allem auch politisch radikalen Filmemachern mit modernistischer Filmsprache eine Arbeitsumgebung schuf - eben z.B. Koji Wakamatsu -, all dass halte ich z.B. für eine solche Untersuchung wesentlich wichtiger als die Frage nach einer politischen Gesinnung von Meiko Kaji und die Konstruktion von Parallelen etwa zu Pam Grier, die ja, was man bei allem nachgetragenen Gefallen an ihren Filmen und deren ohne weiteres gegebenen subversivem Potenzial dennoch immer wieder betonen muss, vor allem eine Angestellte in einer auf radikalste Weise kommerzialisierten Filmproduktionsumgebung gewesen ist und sich kaum als Herrin ihrer Stoffe bezeichnen lässt. [dass gerade dieser hyper-kommerzielle Apparat, wenn der Markt danach schreit, auch Subversion produziert, mag dabei nur einmal mehr an Lenins Diktum erinnern, dass die Kapitalisten einem noch den Strick verkaufen werden, an denen sie dereinst gehängt werden] (wobei ja auch hier zu betonen bleibt, dass gerade ökonomische Aspekte von Gesellschaft und Kultur in Exploitationfilmen so gut wie gar nicht angesprochen/reflektiert werden)
ich wollte allerdings gar nicht nach den politischen gesinnungen der beiden schauspielerinnen fragen und auch nicht behaupten, grier habe mit der bpp geklüngelt ... ich habe da wohl zu ungenau formuliert; ich meinte eher einen korpus von, sagen wir halt, 'exploitation'-filmen, den man mit den beiden namen verbinden und vielleicht auf 1971/74 datieren könnte ... so nach dem motto, ob sich da quasi teams zusammengefunden haben, die auf dem terrain des genre- o. exploitationfilms in einer wie auch immer zu bestimmenden nähe zur neuen linken mikro- oder identitätspolitisch (wie du willst) zu arbeiten versucht haben ...
wobei ich schon der auffassung bin, dass v.a. die beiden hill-filme 'coffy' und 'foxy brown' (wie ja auch andere sog. 'blaxploitation'-filme) durchaus metaphern und erfahrungen aus der 'black power/panther'-bewegung verarbeiten und, dass wäre aber erstmal ne hypothese, in deren entwicklung wiederum intervenieren ... das mit dem schulungsmaterial hab' ich wohl auch gehört, aber bin da auch skeptisch, ob das so wörtlich zu nehmen ist... vermute mal eher, die haben sich da zum gucken, plauschen und networken getroffen ...
was wakamatsu und deine ausführungen zu filmproduktion usw. angeht, gehe ich wohl vollkommen d'accord ...
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