Schon die ersten, sagen wir, zehn Minuten verweisen einen Gutteil des Science-Fiction-Kinos der letzten Jahre in seine Schranken. Children of Men folgt der Tugend jener besseren phantastischen Literatur - von J.B. Ballard beispielsweise, oder Philip K. Dick -, die sich nicht im ziselierten Ausmalen und seitenweise blumigen Sichtbarmachen übt, sondern in wenigen Anmerkungen, Nebensätzen, quasi en passant, eine ganze Welt mit ganz eigenen Implikationen entstehen lässt. Der Spezialeffekt hier nicht als Augestelltes, das in erster Linie auf Rechnerpower und money is time verweist, sondern ganz im Sinne der Etablierung dieser Welt arbeitet. Diese wiederum ist eine, in der seit 18 Jahren keine Menschen mehr geboren wurden. Im London der ausgehenden 2030er Jahre führt dies zusehends zum Chaos zwischen Lethargie und terroristischen Anschlägen. Unterdessen stehen an aller Ecke die Menschenkäfige bereit: Wie wir bald lernen, sind seit einigen Jahren sämtliche Ausländer als illegale Flüchtlinge eingestuft und werden, wie einer sagt, "wie Küchenschaben" gejagt.
Die Welt hier ist dunkel und trostlos, doch nicht im pathetischen Sinne, weit also entfernt von den Dystopiebehauptungen des in dieser Hinsicht so kläglich gescheiterten V wie Vendetta. Sie ist trostlos, gerade weil die Menschen sich in ihr mit einer Präsenz des Alltäglichen und des Trotts bewegen, die vor der Leidensfähigkeit des Menschen fürchten lässt.
Theo, einstiger Politaktivist, nun im Büroleben gestrandet, gespielt von Clive Owen, der hier die beste Performance seines Lebens vorlegt, Theo also schlafwandelt beinahe schon durch diese Welt. Wie alles andere in diesem Film ist auch er von einer Tiefe der Zeit geprägt, die die Welt von Children of Men fest im Glaubhaften verankert: Alles, hat es den Anschein, ist hier so, und dies seit langem. Unversehens gerät Theo in die Auseinandersetzungen verschiedener Untergrundorganisationen, die sich um eine junge Afrikanerin drehen, die, wie sie Theo bald offenbart, das erste Kind der Menschheit seit Jahren in sich trägt. Theo, der vermutlich nicht ganz ohne Grund so heißt, fällt wider Willen die Aufgabe zu, die werdende Mutter zu schützen.
Cuarón durchdringt diese Welt mit seiner Kamera eher, als dass er sie mit ihrer Hilfe konstruiert. Auffallend häufig zieht er sie nach hinten, lässt sie also rückwärts fahren, was bis heute im Erzählkino eine eher ungewöhnliche Art des Filmens darstellt. Entsprechend ausgefeilt ist seine mise-en-scène. Dies nicht als bewusstes Statement zum Status Quo der Filminszenierung zu lesen, fällt schwer: Cuarón lässt selten schneiden, dafür ist seine Kamera ungeheur agil im Feld; den actionreichsten Moment gegen Ende fängt er schließlich in einer so wenig heischenden wie dennoch atemberaubenden Plansequenz ein. Was ein Michael Bay anhand geschätzter 180 Schnitte aufgelöst hätte, mittels Bergen von footage, die am Ende montiert werden, ist bei Curaón eine einzige, schier endlose Kamerabewegung, die dem Raum zwar Kontinuität verleiht, aber dennoch keine Weiträumigkeit, sondern, ganz im Gegenteil, eine beengende Trostlosigkeit etabliert. Diese, bisweilen fast - im allerdings guten Sinne - gemächliche, Sorgfalt in der Inszenierung stellt unter dem Vorzeichen heutigen Filmeschaffens eine kleine Oase dar; unweigerlich fühlt man sich an Glanzmomente der Filmgeschichte aus den 70er Jahren erinnert, als eine lange gute Einstellung mehr zählte als montierte Hektik.
Children of Men begeistert weniger auf Fanboy-Ebene, eher spricht aus ihm die souveräne Geste eines Regisseurs, der sich auf allen Gebieten absolut sicher ist. Der Film zeichnet ein düsteres und melancholisches Bild der Zukunft, die Ernsthaftigkeit des in ihm eingebetteten Kommentars ist jederzeit abzuspüren. Es ist spannend zu beobachten, wie in jüngster Zeit - etwa auch in Linklaters A Scanner Darkly - klassisch phantastische Stoffe jüngst wieder auf ihr eigentliches Potenzial hin abgeklopft und in dessen Sinne eingesetzt werden. Schön, dass es wieder ernster zugehen darf; für mich zählt Children of Men jedenfalls, nach nun nachgeholter Sichtung, zu den besten Kinohighlights des vergangenen Jahres.
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