Thema: Filmtagebuch
06. März 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
01.03., Kino Intimes
"... und weil der Mensch ein Mensch ist"
Ein Fußballspiel. Leidenschaftlich verfolgt von der Handvoll Figuren, die uns der Film vorstellt. Sie fiebern mit, die angespannten Gesichter füllen die Leinwand, Gegenschuss zum Spiel, dann wieder die Gesichter. Erst als sich etwas vor das Blick-/Spielfeld schiebt, wenn der Ball sich gefährlich dem Tor der Gegnermannschaft nähert, wenn genau dieses Tor, auch der entscheidende Moment, nicht mehr zu sehen ist, weil sich da ein Dach davor schiebt, wissen wir: Die sitzen gar nicht im Stadion. Die sitzen auf dem gerade im Bau befindlichen Hochhaus neben dran, wo der eine gerade als Bauarbeiter sein Brot verdient. Die anderen: arbeitslos, entmutigte Klassenkämpfer, gestrandet. In solchen Momenten, wenn der Film wie beiläufig seine Semantik zur Beschreibung der sozialen Peripherie entwickelt, ist er ganz bei sich und: groß. Das beißt sich etwas mit Momenten, die beinahe schon schal sind, wenn beispielsweise der eine, der Älteste, dessen Frau vor Jahren abgehauen ist, weil er ein Säufer ist, und seitdem lebt er verwahrlost, wie man nur verwahrlost leben kann, sich umgebracht hat, aus dem Fenster gesprungen ist er, liegt auf dem Vordach der Platte, in der er sein Dasein fristete (nennen wir es nicht "Leben") - da liegt er dann, das Licht drunter ist defekt, blinkt, als die Szene abblendet, verlischt es endgültig, wie der,der drüber liegt: Das ist so naheliegend wie störend.
"Beim Kaurismäki sieht das alles ganz anders aus, da ist das immer viel schöner", sagt S. nach dem Kino. Ja. Die Unterschiede sind ganz deutlich: Kaurismäki sucht im sozialen Elend Poesie und Solidarität und überhöht beides entsprechend. Das ist nichts Schlechtes. León de Aranoias Film hingegen hat anderes im Sinn: Er schaut, wo die Solidarität geblieben ist unter diesen Wegrationalisierten, wie es um diese bestellt ist. Zu Beginn deshalb heroische Bilder von der Fabrikbesetzung: Vermummte Arbeiter, Polizisten, Barrikaden, Auseinandersetzungen, Zusammenhalt. Darüber gelegt allerdings: Schöne, leichte Musik - ein Bruch. Und von diesen Bildern, die einen - ließe die Musik das doch nur zu - beinahe schon mitmachen lassen wollen, bei diesem Kampf, stürzen wir direkt hinüber in das, was später kommt: Der Film spielt zwei Jahre später (was wir lange nicht wissen), vom Zusammenhalt ist, bis auf ein paar Abende in der Kneipe, gemeinsame Besäufnisse kaum was geblieben. Probleme allerorten, kein Geld auf Tasche, die Fabrik klagt auf Schadensersatz - biografische Trümmer. Auswege gibt es nicht, nur Australien als Bild, der Kontinent, wo so viel Land ist, dass jeder dort vom Staat Land zugeteilt bekommt, wo alle alles teilen - so denkt der eine, wenn er in der Sonne liegt. Wie weit es wohl nach Australien ist, wie lange man mit dem Schiff fahren muss, um in dieses Paradies zu kommen, wissen sie nicht. Am Ende nur das verzweifelte Aufbäumen, der letzte Clou: Klauen wir uns ein Schiff, segeln wir etwas nach draußen, vielleicht ist dort Australien. Weit kommt man nicht: Nur ein paar Hundert Meter von der spanischen Küste weg, in die Sonne, die einem das Gesicht umschmeichelt, es naht schon die Küstenwache, als es Morgen wird: Bleiben wir zumindest gelassen, das ist alles was uns noch bleibt.
Ein Film der Sorte: Wächst in den folgenden Tagen. Deshalb erst jetzt diese Zeilen.
imdb | offizielle site | angelaufen.de | filmz.de
"... und weil der Mensch ein Mensch ist"
Ein Fußballspiel. Leidenschaftlich verfolgt von der Handvoll Figuren, die uns der Film vorstellt. Sie fiebern mit, die angespannten Gesichter füllen die Leinwand, Gegenschuss zum Spiel, dann wieder die Gesichter. Erst als sich etwas vor das Blick-/Spielfeld schiebt, wenn der Ball sich gefährlich dem Tor der Gegnermannschaft nähert, wenn genau dieses Tor, auch der entscheidende Moment, nicht mehr zu sehen ist, weil sich da ein Dach davor schiebt, wissen wir: Die sitzen gar nicht im Stadion. Die sitzen auf dem gerade im Bau befindlichen Hochhaus neben dran, wo der eine gerade als Bauarbeiter sein Brot verdient. Die anderen: arbeitslos, entmutigte Klassenkämpfer, gestrandet. In solchen Momenten, wenn der Film wie beiläufig seine Semantik zur Beschreibung der sozialen Peripherie entwickelt, ist er ganz bei sich und: groß. Das beißt sich etwas mit Momenten, die beinahe schon schal sind, wenn beispielsweise der eine, der Älteste, dessen Frau vor Jahren abgehauen ist, weil er ein Säufer ist, und seitdem lebt er verwahrlost, wie man nur verwahrlost leben kann, sich umgebracht hat, aus dem Fenster gesprungen ist er, liegt auf dem Vordach der Platte, in der er sein Dasein fristete (nennen wir es nicht "Leben") - da liegt er dann, das Licht drunter ist defekt, blinkt, als die Szene abblendet, verlischt es endgültig, wie der,der drüber liegt: Das ist so naheliegend wie störend.
"Beim Kaurismäki sieht das alles ganz anders aus, da ist das immer viel schöner", sagt S. nach dem Kino. Ja. Die Unterschiede sind ganz deutlich: Kaurismäki sucht im sozialen Elend Poesie und Solidarität und überhöht beides entsprechend. Das ist nichts Schlechtes. León de Aranoias Film hingegen hat anderes im Sinn: Er schaut, wo die Solidarität geblieben ist unter diesen Wegrationalisierten, wie es um diese bestellt ist. Zu Beginn deshalb heroische Bilder von der Fabrikbesetzung: Vermummte Arbeiter, Polizisten, Barrikaden, Auseinandersetzungen, Zusammenhalt. Darüber gelegt allerdings: Schöne, leichte Musik - ein Bruch. Und von diesen Bildern, die einen - ließe die Musik das doch nur zu - beinahe schon mitmachen lassen wollen, bei diesem Kampf, stürzen wir direkt hinüber in das, was später kommt: Der Film spielt zwei Jahre später (was wir lange nicht wissen), vom Zusammenhalt ist, bis auf ein paar Abende in der Kneipe, gemeinsame Besäufnisse kaum was geblieben. Probleme allerorten, kein Geld auf Tasche, die Fabrik klagt auf Schadensersatz - biografische Trümmer. Auswege gibt es nicht, nur Australien als Bild, der Kontinent, wo so viel Land ist, dass jeder dort vom Staat Land zugeteilt bekommt, wo alle alles teilen - so denkt der eine, wenn er in der Sonne liegt. Wie weit es wohl nach Australien ist, wie lange man mit dem Schiff fahren muss, um in dieses Paradies zu kommen, wissen sie nicht. Am Ende nur das verzweifelte Aufbäumen, der letzte Clou: Klauen wir uns ein Schiff, segeln wir etwas nach draußen, vielleicht ist dort Australien. Weit kommt man nicht: Nur ein paar Hundert Meter von der spanischen Küste weg, in die Sonne, die einem das Gesicht umschmeichelt, es naht schon die Küstenwache, als es Morgen wird: Bleiben wir zumindest gelassen, das ist alles was uns noch bleibt.
Ein Film der Sorte: Wächst in den folgenden Tagen. Deshalb erst jetzt diese Zeilen.
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