Thema: Filmtagebuch
Ich muss gestehen von Chuck Palahniuk, am bekanntesten wohl für seinen Debütroman, die literarische Vorlage zu David Finchers Fight Club, bislang noch nichts gelesen zu haben. Obwohl ich immer wieder mal Lust dazu hatte. Es hat sich nur nie ergeben. So bin ich auf Gedeih und Verderb dem Glauben ausgeliefert. Dem Glauben, das Chuck Palahniuk einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren der USA sein soll.
Dies zumindest behauptet die vorliegende Doku in wenig distanzierter Haltung. Was man so sieht und hört, darin, könnte in der Tat darauf schließen lassen, dass Palahniuk so eine Art J.G. Ballard der Jetztzeit sein oder als solcher eines Tages mal angesehen werden könnte. Zumindest hat er dafür die beste Voraussetzung: Eine Art cult following unter jungen Amerikanern, von denen einer sozial ausgegrenzter als der andere wirkt. Freaks und Nerds, schlechte Zähne, seltsame Frisuren, Übergewicht und Ticks, wohin man schaut. Und mittendrin Chuck Palahniuk, der einst Automechaniker war und dessen trainierte Oberarme in der Tat so aussehen, als würde er sich regelmäßig mit Tyler Durden prügeln. Meist tritt er kultiviert und charmant auf, unbestritten verfügt er über das wertvollste Kapital unserer Zeit: Charisma in rauen Mengen. Dann wieder trägt er Tarnhosen und Hemden mit abgeschnittenen Ärmeln, als käme er gerade aus irgendeinem Manöver im Feld.
Das Bild, das sich hier ergibt, ist nicht unbedingt das schlechteste; es ist dem etablierten Literaturbetrieb mit seinen öden Ritualen, seinen Schleimereien, Unverbindlichkeiten und Intrigen, seinen Wichtigtuereien und Gelecktheiten - seien es, gleichviel, Frisuren, Geschlechtsteile oder Arschlöcher - allemal vorzuziehen. Es ergibt sich eine neue Verbindlichkeit der Physis, des Da- und Dabei-Seins. Darin ist das Bild Fight Club - den ich als Film eben kenne - nicht unähnlich.
Was sich aber auch ergibt, ist eine Art Religionskult. Unschwer ist Palahniuk in den Augen der Fans als Messias zu erkennen. Postcards from the Future entstand zu weiten Teilen auf zwei Palahniuk-Konferenzen, die im Abstand von zwei Jahren am Literatur-Department einer us-amerikanischen Universität unter der Schirmherrschaft einer ihrerseits von Palahniuk begeisterten Professorin stattfanden. Sowohl Palahniuk, als auch die Idee zur Konferenz wurden ihr von Studenten angetragen. Und Palahniuk nun also diskutiert und doziert, beantwortet mal brav, mal spitzbübisch Fragen und sitzt anderen lectures im Publikum bei. Darauf angesprochen, meint er an einer Stelle, dass der Gedanke, an einer Konferenz über sein literarisches Werk teilzunehmen, zunächst sehr creepy gewesen sei; er habe in Erwägung gezogen, ihr fernzubleiben, hatte sich dann aber, aus Höflichkeit, doch dafür entschieden, an ihr teilzunehmen. Palahniuk ist ein Charmeur. Selbst anstößigste und unsensibel geführte Interviews dreht er noch zu seinen Gunsten um. Er ist ein begnadeter Anekdotenerzähler. Und im Publikum wird deutlich spürbar nach jeder Silbe gelechzt, während Palahniuk mit ausgezogenen Schuhen im Schneidersitz auf dem Dozententisch hockt. Wie allen messianischen Figuren überwältigt auch er den Sinnesapparat seiner Gefolgschaft: Bei der öffentlichen Lesung einer offenbar wirklich äußerst schauderhaften Horror Short Story fällt einer im Publikum unter viel Geschrei in Ohnmacht. Ein übliches Phänomen, erfährt man bald.
An anderer Stelle spricht Palahniuk vermutlich nicht zufällig davon, dass der Menscheit die großen Erzählungen abhanden gekommen sind. Er nennt sie die meta-narratives und meint, beispielsweise, das Christentum oder den Kommunismus; Palahniuk, der antipostmoderne Postmoderne. Diese stories jedenfalls seien es, die das Leben der Menschen zum Besseren ändern könnten. Ein communism saves us all sei Partikular-Geschichtchen wie Britney Spears is hot vorzuziehen. An der Generation seines Publikums läge es ein neues meta-narrative zu installieren. Nicht auszumachen ist, ob Palahniuk sich selbst für einen Propheten hält. Vermutlich eher nicht, er wird aber dazu erhoben.
Jene Momente, in denen Palahniuk frei und vom Film selbst auch ungestört doziert und redet, sind bis zum äußersten seduktiv. Man will die Bücher lesen, man will diesem Mann glauben. Im Vorspann zu Postcards from the Future taucht eine Website auf, die den Film präsentiert und wohl auch produzietr hat. Betitelt ist sie schlicht: "The Cult". Postcards... ist von Fans gedreht, die ihrem Meister bedingungslos an den Lippen hängen.
Das ist letztendlich das Heikle des Films. Man erfährt nur wenig bis nichts über die Bücher selbst, dafür viel, sehr viel, von Palahniuk. Mag sein, dass er Finger auf offenen Wunden der Jetztzeit legt. Man erfährt nur nicht recht, welche Wunden das sind. Man muss es sich denken, und man muss die bedingungslose Begeisterung der Fans glauben, wenn man nicht, hie und da, vor ihr erschrickt. User-Votes, imdb: 8,4/10.
» imdb ~ palahniuk@perlentaucher
» movie magazine search engine ~ movie blog search engine

Das Bild, das sich hier ergibt, ist nicht unbedingt das schlechteste; es ist dem etablierten Literaturbetrieb mit seinen öden Ritualen, seinen Schleimereien, Unverbindlichkeiten und Intrigen, seinen Wichtigtuereien und Gelecktheiten - seien es, gleichviel, Frisuren, Geschlechtsteile oder Arschlöcher - allemal vorzuziehen. Es ergibt sich eine neue Verbindlichkeit der Physis, des Da- und Dabei-Seins. Darin ist das Bild Fight Club - den ich als Film eben kenne - nicht unähnlich.
Was sich aber auch ergibt, ist eine Art Religionskult. Unschwer ist Palahniuk in den Augen der Fans als Messias zu erkennen. Postcards from the Future entstand zu weiten Teilen auf zwei Palahniuk-Konferenzen, die im Abstand von zwei Jahren am Literatur-Department einer us-amerikanischen Universität unter der Schirmherrschaft einer ihrerseits von Palahniuk begeisterten Professorin stattfanden. Sowohl Palahniuk, als auch die Idee zur Konferenz wurden ihr von Studenten angetragen. Und Palahniuk nun also diskutiert und doziert, beantwortet mal brav, mal spitzbübisch Fragen und sitzt anderen lectures im Publikum bei. Darauf angesprochen, meint er an einer Stelle, dass der Gedanke, an einer Konferenz über sein literarisches Werk teilzunehmen, zunächst sehr creepy gewesen sei; er habe in Erwägung gezogen, ihr fernzubleiben, hatte sich dann aber, aus Höflichkeit, doch dafür entschieden, an ihr teilzunehmen. Palahniuk ist ein Charmeur. Selbst anstößigste und unsensibel geführte Interviews dreht er noch zu seinen Gunsten um. Er ist ein begnadeter Anekdotenerzähler. Und im Publikum wird deutlich spürbar nach jeder Silbe gelechzt, während Palahniuk mit ausgezogenen Schuhen im Schneidersitz auf dem Dozententisch hockt. Wie allen messianischen Figuren überwältigt auch er den Sinnesapparat seiner Gefolgschaft: Bei der öffentlichen Lesung einer offenbar wirklich äußerst schauderhaften Horror Short Story fällt einer im Publikum unter viel Geschrei in Ohnmacht. Ein übliches Phänomen, erfährt man bald.
An anderer Stelle spricht Palahniuk vermutlich nicht zufällig davon, dass der Menscheit die großen Erzählungen abhanden gekommen sind. Er nennt sie die meta-narratives und meint, beispielsweise, das Christentum oder den Kommunismus; Palahniuk, der antipostmoderne Postmoderne. Diese stories jedenfalls seien es, die das Leben der Menschen zum Besseren ändern könnten. Ein communism saves us all sei Partikular-Geschichtchen wie Britney Spears is hot vorzuziehen. An der Generation seines Publikums läge es ein neues meta-narrative zu installieren. Nicht auszumachen ist, ob Palahniuk sich selbst für einen Propheten hält. Vermutlich eher nicht, er wird aber dazu erhoben.
Jene Momente, in denen Palahniuk frei und vom Film selbst auch ungestört doziert und redet, sind bis zum äußersten seduktiv. Man will die Bücher lesen, man will diesem Mann glauben. Im Vorspann zu Postcards from the Future taucht eine Website auf, die den Film präsentiert und wohl auch produzietr hat. Betitelt ist sie schlicht: "The Cult". Postcards... ist von Fans gedreht, die ihrem Meister bedingungslos an den Lippen hängen.
Das ist letztendlich das Heikle des Films. Man erfährt nur wenig bis nichts über die Bücher selbst, dafür viel, sehr viel, von Palahniuk. Mag sein, dass er Finger auf offenen Wunden der Jetztzeit legt. Man erfährt nur nicht recht, welche Wunden das sind. Man muss es sich denken, und man muss die bedingungslose Begeisterung der Fans glauben, wenn man nicht, hie und da, vor ihr erschrickt. User-Votes, imdb: 8,4/10.
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° ° °
kommentare dazu:
roland,
Donnerstag, 3. Mai 2007, 19:40
Klingt sehr interessant.
Ich hab von ihm nur "Der Simulant" gelesen, was bei mir das geschmacksfazit "okay, aber wenns das ist, dann ists überbewertet" zurückließ, also keiner, von dem ich jetzt noch unbedingt ganz dringend weitere lesen müsste. (gleiches grad übrigens mit nathalie nothomb)
Ich hab von ihm nur "Der Simulant" gelesen, was bei mir das geschmacksfazit "okay, aber wenns das ist, dann ists überbewertet" zurückließ, also keiner, von dem ich jetzt noch unbedingt ganz dringend weitere lesen müsste. (gleiches grad übrigens mit nathalie nothomb)
frenzy,
Samstag, 5. Mai 2007, 13:10
Ich habe gerade erst "Haunted" gelesen. Ganz nette Sammlung von Kurzgeschichten eingesponnen in einer "Obergeschichte". Aber dann doch nicht wirklich prickelnd...laut Nachwort sind bei einer Geschichte angeblich über 70 Leute bei Lesungen umgefallen.
Fight Club habe ich letztens auf einem Grabbeltisch ergattern können. Hurra!
Fight Club habe ich letztens auf einem Grabbeltisch ergattern können. Hurra!
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