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Erst vor kurzem musste ich innerlich wieder schwer die Augen nach oben verdrehen, als ein Kommilitone im filmwissenschaftlichen Referat es sich nicht nehmen ließ, anhand einer Sequenz aus einer us-amerikanischen TV-Serie auf "die prüden Amis" hinzuweisen. Schon deshalb muss man der flickr-Kontroverse der letzten Tage - und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir in naher Zukunft noch viele weitere Spektakel solcher Art erleben werden - eigentlich im höchsten Maße dankbar sein, weil sie deutlich aufzeigt, in /welchem/ Land der westlichen Industrienationen der Jugendschutz, nimmt man ihn beim juristischen Wort, ins völlig Groteske und Bizarre entglitten ist. Ob und wie der deutsche Jugendschutz solche Manöver wie die von flickr zur deutschen Premiere eingeleiteten wirklich nötig machen oder nicht, ist dabei völlig unerheblich - es reicht alleine schon der Umstand, dass man, um auch wirklich sicher gehen zu können, angesichts einer paranoischen Gesetzeslage solche Restriktionen am besten schon im Vorfeld quasi-paranoisch in Erwägung ziehen muss.

Es ist erstaunlich, wie wenig Bewusstsein dessen herrscht, was in dieser Hinsicht in Deutschland abgeht. Da ich in einer Videothek jobbe, liegen mir Feld-Erkenntnisse sozusagen "aus erster Hand" vor. Groß ist oft das Erstaunen, wenn die Leute erfahren, dass es so etwas wie Indizierungen gibt und welche hirnrissigen Manöver diese nötig machen, will man nicht strafrechtlich belangt werden (dass die Bundesrepublik die einzige Nation des Abendlandes ist, in dem Herstellung und Vertrieb so genannter,allerdings fiktiver "Gewaltfilme" mitunter auch strafrechtlich belangt werden können, spricht dabei Bände), von Beschlagnahmungen und Verboten ganz zu schweigen.

Und schließlich sollte noch auf eines hingewiesen werden. Als in den USA "Deep Throat" an den us-amerikanischen Kinokassen in die Top5 der Jahresabschlussbilanz der Filmindustrie quasi "gewählt" wurde, drehte man in Deutschland noch strunzdumme Schulmädchenreport- und Lederhosenfilme, die an Misogynie, Verklemmtheit, Lustfeindlichkeit und Spießbürgerlichkeit kaum zu übetreffen sind. An subversive Meisterwerke wie The Opening of Misty Beethoven oder Thundercrack! ist unter deutschen Bedingungen, egal an welchem exakten historischen Ort, schon gleich nie überhaupt nur zu denken gewesen. Die Nachwirkungen dieser schwer neurotisierten Kultur sind heute noch zu spüren, wenn sie nicht noch immer alltäglich ist, betrachtet man sich etwa nur die Diskrepanz zwischen empörten Headlines, Kleinanzeigenteil und dem Altherrenwitz in Fotoform, welche die erfolgreichste Zeitung Deutschlands, im übrigen noch immer die beste Widerspiegelung der Kultur-Kloake, die dieses Land nun einmal ist, ohne mit der WImper zu zucken in sich vereint.


° ° °




kommentare dazu:



soralis, Montag, 25. Juni 2007, 14:45
Da hast Du mir wirklich aus der Seele gesprochen, da ich auch vom Flickr Debakel direkt betroffen bin, weil ich dort meine Fotos fürs Blog hoste. Was hätte in Sieben Jahren Rot-Grün alles passieren müssen, von der Drogenfreigabe, bis zum Jugendschutz und Urheberrechtsgeschichten (es fällt ins Auge die Englische Wikipedia deutlich besser bebildert ist), stattdessen haben sie Liebesdienereien für die Wirtschaft und darüberhinaus auch für die US-Geheimdienste betrieben. Doch jetzt ist es zu spät (die SPD wird wenn man den Erfolg der neuen Linken betrachtet auch in den nächsten 20 Jahren nicht mehr ohne die CDU an die Regierung kommen) und ein Verzeihen wird es nicht geben. Zumindest von mir nicht. Die Idiotie im Flickrdebakel wird unter anderem dadurch klar, dass die Bilder Toter Hunde von Loupiote, für mich nicht einsehbar sind, mir verweigert werden. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, mir als diplomierten Biologen wird unter Berufung auf deutsches Recht, das Bild eines toten Hundes verweigert.
Kulturkloake, fürwahr!
http://www.flickr.com/photos/loupiote/436239732/

soilworker, Montag, 25. Juni 2007, 22:06
Der Unterschied ist doch der: In Deutschland gibt es "klare" Gesetze, egal wie schwachsinnig die auch sein mögen. In den USA ist zwar erst mal kaum etwas verboten, aber diese Freiheit wird durch selbstauferlegte Regularien von Verbänden und Organisationen ad absurdum geführt.

Aber nicht nur. Schau dir mal die FCC an, die als staatliche Behörde für das zuständig ist, was im US-Fernsehen und Radio gesagt und gezeigt werden darf! Dagegen sind unsere Landesmedienanstalten die reinsten Liberalismus-Vereine. Dazu auch ganz passend das hier. ;-)

Was die amerikanische Prüderie betrifft: Die Tatsache, dass es an West- und Ostküste etwas lockerer zugeht, sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass im Kernland ziemlich konservative Ansichten herrschen, die einen Großteil von Amerika ausmachen.
Ich glaube ja sogar, dass die große Porno-Geschichte der Amerikaner direkt antiproportional zur Verklemmtheit steht. In Japan ist das ähnlich. Die Japaner sind sexuell noch verklemmter, drehen aber im Gegensatz dazu die krassesten Porno(-Gewalt-)filme.

Deep Throat ist eine glorifizierte Legende. Seine bahnbrechende Verbreitung bedeutet ja nicht, dass es nicht auch große Anti-Kampagnen gegeben hätte. Der Film ist in verschiedenen Bundesstaaten verboten worden und war häufig Gegenstand von Gerichtsprozessen.

Ich würde behaupten: Nach der Strafrechtsreform 1973 brach die große Pornowelle auch in Deutschland los. Zwar gab es keinen Film, der irgendwie mit der Popularität von Deep Throat mithalten kann. Aber das ist ja nicht verwunderlich. Die Amerikaner waren schon immer die Meister im Aufbau von Popikonen. Abgesehen davon sollte man auch den Einfluss von Oswalt Kolle und seinen Aufklärungsfilmen nicht unterschätzen, auch wenn das alles aus heutiger Sicht banal wirkt. Diese Filme haben nämlich hierzulande eine öffentliche Diskussion erst möglich gemacht und damit auch dazu beigetragen, den Pornofilm anzuerkennen.


thgroh, Montag, 25. Juni 2007, 23:18
Das ist jetzt alles sehr kenntnis- und hinweisreich von Dir; aber jetzt zeig mir doch bitte noch die Stelle, wo ich schreibe "Die USA ist das von jeglichen Komplexen und Prüderien befreiteste Land der Welt. In ihr wird nichts reguliert, es gibt keinerlei zensurierende Eingriffe und alle Menschen leben in völliger Eintracht mit ihrem und den Körpern der anderen". ;-)

So etwas habe ich schließlich auch nicht behauptet und ich würde es auch nich tun :-) Natürlich wurde D.T. nicht vom großen Teil der Bevölkerung mit offenen Armen als Geschenk an die Menschheit empfangen, natürlich gab es gegen ihn Kampagnen und öffentliche Diskussionen, bis hin zu Sanktionen gegen ihn und die Beteiligten. Natürlich ist das kein Film, der vom Enthusiasmus junger Wilder mit viel Menschenliebe getragen wurde. Natürlich diente er dem schnellen Gelderwerb.

Um was es mir in erster Linie ging ist eine Tendenz der Deutschen, zumal auch unter jenen Schichten, die etwas "angebildet" sind: Homogenisieren und von der dünkelnden Position vermeintlicher Souveränität aus, auch kultureller, sprechen. Das ergibt, und darum ging es mir, keinen Sinn, wenn man von Deutschland aus spricht. Einem "die prüden Amis" sind die "die prüden Deutschen" mindestens ebenso zu entgegnen. Und "die prüden Amis" macht eben, als homogenisierende Aussage, gegenüber der USA auch gar keinen Sinn, wenn man deren kulturelle Spezifität - das Gefälle zwischen Land und Stadt, das Du ansprichst - betrachtet, das sich eben auch übersetzen lässt in das Gefälle zwischen den von der FCC regulierten Fernsehsendern und beispielsweise HBO.

Es gibt eben, und das ist der große Unterschied zum ach so kritischen und unverklemmten Deutschland, innerhalb der USA eine große kulturelle Spannung, die sich auch diskursiv nachvollziehen lässt; gerade eben auch anhand von Beiträgen wie den von mir angesprochenen. Auch eine Figur wie John Waters oder Russ Meyer - ich bleibe dabei: unter deutschen Bedingungen schlicht undenkbar. Oder man denke, in einem anderen Feld, an Leute wie Robert Crumb etc. Das macht die USA zwar nicht zum liberalen Paradies, wo jeder so gut wie alles darf. Aber es weist eben doch den fischigen Geruch eines homogenisierenden "ach, die prüden Amis" auf (was immerhin noch etwas anderes ist, als sich über geschlechtslose Leichen, berechtigt, zu amüsieren ;-)

Natürlich lassen sich solche kulturellen Systeme nur schwer vergleichen; es gibt einige spezifische Unterschiede, darunter auch strukturelle; aber eben auch einige kulturelle und bzgl. der "Mentalitätstendenz". Deutschland hat Martin Walser, die USA William Burroughs; die haben Annie Sprinkle und John Waters, wir Oswalt Kolle. Du verzeihst, wenn ich angesichts von Kolle nicht "Hurra" schreie ;-) (ich finde seine Filme nämlich wirklich sehr schrecklich, und auch ziemlich deutsch ;-) )


p77a, Montag, 25. Juni 2007, 23:45
die gute alte Verallgemeinerung...
... sie ist einfach nicht totzukriegen! Klar gibt es prüde Amis, genauso wie es aufgeschlossene gibt, und bei uns ist das kein Stück anders. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Differenzen zwischen beiden "Lagern" in den USA lauter, öffentlicher und rücksichtsloser ausgetragen werden.

Und dann muss ich noch sowas hier lesen: "Die Japaner sind sexuell noch verklemmter..." Ich kotz im Strahl! Wir sind ja ach so vorurteilsfrei!


soilworker, Dienstag, 26. Juni 2007, 03:22
Dass die Differenzen zwischen beiden "Lagern" in den USA lauter, öffentlicher und rücksichtsloser ausgetragen werden, kann schon sein. Das liegt aber dann vielleicht auch daran, dass die Europäer in dieser Beziehung einfach etwas weiter sind. Es geht hier nicht um Einzelne sondern um die Tendenz in der Masse. Wenn du hier von Verallgemeinerung sprichst, dürfte niemand mehr auch nur eine Statistik gleich welcher Art erheben.

Und was die japanische Verklemmtheit anbelangt, die existiert tatsächlich. Natürlich habe ich selbst keine wissenschaftlichen Studien durchgeführt, aber dafür einiges zu diesem Thema gelesen. Das Problem fängt offenkundig schon mit dem Aufklärungsunterricht in der Schule an, den es zwar seit einiger Zeit gibt, der aber im Vergleich mit unserem deutschen so ausfällt, als würde man den Kindern was vom Storch erzählen.

Aber zugegeben, den Satz über Japan in mein Posting so ohne Erklärung reinzuwerfen, war nicht sinnvoll.


soilworker, Dienstag, 26. Juni 2007, 03:56
Thomas, wenn du dich direkt zu Anfang so über deinen Kommilitonen aufregst, der auf die prüden Amis schimpft, muss ich doch darauf anspringen. ;-)

Dass du die USA nicht als das gelobte Land beschrieben hast, ist mir klar. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass der Vorwurf der prüden Amis nun mal nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Aber du hast Recht, die Floskel "die prüden Amis" beschreibt nicht ausreichend das komplexe Geflecht.

Dass die Amerikaner uns kostbare (Sub-)Kulturschätze vermacht haben, ist unbestritten. Aber ich denke, das haben wir zumindest zum Teil auch der Prüderie selbst zu verdanken. Russ Meyer und John Waters sind doch Rebellen gewesen. Gegen was aber hätten die rebellieren wollen, wenn es nicht die Verklemmten und die Moralapostel der 60er und 70er Jahre gegeben hätte?

Das ist wie mit dem Punk in England oder mit Himmel und Hölle. Nicht das eine ohne das andere.

Aber was hast du gegen Kolle? Der hat doch unsere Nation erst zu dem gemacht, was sie heute ist! ;-))



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