Thema: literatur
Edgar Wallace (1875-1932) kann als Prototyp des industriell vorgehenden Romanschreiberlings angesehen werden, der einer Kultur des Groschenromans, wie wir sie heute kennen, hinreichend die Pforten öffnete. Seine Arbeitsweise orientierte sich an ökonomischen Gesichtspunkten: Stand ein Roman an, sperrte er sich für einige Tage weg und diktierte, so will es die Überlieferung, in einem nicht enden wollenden Fluss die wesentlichen Aspekte des Werks auf Band, sein Sekretär goss die Aufnahmen anschließend in ein geschlossenes Stück Text, gelegentliche Schleifungen an Kohärenz inklusive. Bis zur Drucklegung war der Roman dann schon wieder vergessen, vermutlich lagen da schon etliche andere auf Tonband bereit. Sein Werk reicht von Reportagen und anderen journalistischen Arbeiten über exotische Abenteuerromane und die klassischen Krimis, deren reißerische Titel bis heute den meisten Menschen zumindest hierzulande ein Begriff sind, bis hin zu Drehbüchern wie etwa für King Kong (USA 1933).

Nicht nur sein Rückgriff auf Aufnahmemedien macht Wallace zumindest als Phänomen interessant und markiert ihn selbst als Schriftsteller seiner Zeit, vor allem von seinem weit verzweigte Pulp-Universum, das sich hier im Laufe eines schriftstellerischen Lebens entwickelte, sich in andere Medien ergoss, dort vollkommene Eigenständigkeit entwickelte und weitere Verzweigungen vornahm, geht eine gesteigerte Faszinationskraft aus. Bestes Beispiel ist die deutsche Wallace-Rezeption, die sich von den literarischen Werken und dem Körper des Autors bald getrennt und dessen Namen für sich beansprucht hat: Vor allem aufgrund der Rialtoreihe, die, im Auftrag von Constantin produziert, in den 60er und 70er Jahren eine große Zahl an allerdings sehr losen Wallace-Adaptionen ins Kino brachte und das gesamte Arsenal der damaligen deutscher Darstellerzunft durch ein Bilderbuch-England stapfen ließ, wie es nur in der Geisteswelt zwischen Rhein und Grenze zur DDR existierte, ist Edgar Wallace bis heute ein Begriff geblieben, der jüngst mit Oliver Kalkofes nur mäßig gelungener Parodie Der Wixxer wieder ins Gespräch gekommen ist. Diese ästhetisch unter den Vorgaben des Gothic- und Trash-Kinos sehr schönen, narrativ oft wenig kohärenten Krimi-Schinken bilden den Nukleus eines Wallace-Kultes, der mit dem eigentlichen Autor der zugrunde liegenden Bücher nurmehr wenig gemein hat: Bis heute entdecken immer wieder neue Fan-Generationen die Filme, sie sammeln das reißerische Werbe-Artwork und forschen den vielen personellen Verflechtungen rund um die Filme nach. Die Person Edgar Wallace also gewissermaßen - das ist jetzt natürlich augenzwinkernd zu verstehen - als "erster Beweger" eines bis heute Echos von sich gebenden Pulp-Phänomens.

Der Berliner Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag hat sein ohnehin sehr schönes Programm nun mit einem umfangreichen Wallace-Lexikon verziert. Verantwortlich zeichnen Joachim Kramp und der Theologe Jürgen Wehnert, ersterer hat im selben Verlag schon das Fanbuch Hallo, hier spricht Edgar Wallace! publiziert, zu dem dieses Lexikon nun als Ergänzung angesehen werden darf. Schon rein äußerlich ist die Arbeit der beiden beachtlich und man merkt beim bloßen Ansehen bereits, wie weit sich das Edgar Wallace Universum bis heute verzweigt hat: Mit über 700 Seiten ist das Buch ein echtes Schwergewicht geworden, das in jedem Bücherregal stattlich auffällt; der Verlag, für dicke Filmlexika bekannt, bleibt sich seiner Linie somit erfreulich treu.

"Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein!", lautet der 1926 vom Goldmann Verlag, dem damaligen Wallace-Verlagshaus hierzulande, entwickelte Werbeslogan, der sich schon bald zum geflügelten Wort mauserte und heutzutage auch auf dem Einband des Lexikons zu lesen ist. Und er bewahrheitet sich aufs Neue: Wer einmal mit dem Schmökern in diesem Band angefangen hat, wird ihn so schnell nicht mehr aus der Hand legen. Dafür sorgen alleine schon die unzähligen Einträge zu selbst noch entfernt wallace-relevanten Themen, die zudem untereinander stark - man möchte in heutigen Tagen schon fast sagen - verlinkt sind. Berücksichtigt wurden nicht nur alle internationalen Wallace-Verfilmungen - die sattsam bekannte Rialtoreihe nimmt darin ja nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz aus -, sondern natürlich auch alle Romane, Übersetzer, Figuren, deren Darsteller, Produzenten, wiederkehrende Motive, Spielorte, Kritiken, Hörspiele, usw. usf. Wer beim Nachschlagen eines Films anfängt und den Verzweigungen folgt, kommt über das Recherchieren von Vita und Werk diverser Darsteller über die Regisseure hin zu den Produktionsgesellschaften wieder zurück oder sonst wohin. Auch Schlagwörter wie "Trivialliteratur", die für Wallace zwar sicher relevant sind, mit dem Werk aber nicht in erster Ordnung zusammenhängen, wurden berücksichtigt und befriedigend aufgearbeitet. Die exakte Recherchearbeit der beiden Autoren, die wohl gut mehrere Jahre für sich beansprucht haben mag, tut ihr übriges, um jede Lektüre in dem Lexikon erkenntnisreich zu gestalten. Vor einer solchen Arbeit und Katalogisierung kann man nur den Hut ziehen.

Schön auch, dass nicht nur Bleiwüste herrscht. Die weite Welt von Edgar Wallace bietet immerhin hinreichend knalliges Anschauungsmaterial, nach dem es den Genre- und Pulpfreund dürstet. Herausragend ist dabei natürlich der mittige Farbteil, der viele qualitativ sehr überzeugende Reproduktionen von Aushangsmaterialien und Filmplakaten der klassischen Rialtoreihe versammelt. Dieses Material ist von ganz eigenem ästhetischen Reiz und lässt Freunden der Filme ohne weiteres das Herz höher schlagen. Aber auch der Textteil des Lexikons wird angenehm oft mit Buchcovers, Stils, Portraitfotografien und anderem Bildmaterial aufgelockert. Da man sich leider für ein offenbar eher preisgünstiges, nicht wirklich weißes Papier entschieden hat, sind diese Reproduktionen zwar nicht umwerfend, erfüllen ihren Zweck in einem solchen Lexikon als Anschauungsmaterial aber voll und ganz. Vielleicht aber darf man ja noch auf eine Auswertung des zugrunde liegenden Materials in einem dafür optimierten Bildband hoffen? Zu wünschen wäre es.

Ein schönes großformatiges Lexikon ist das geworden, für das man im Regal gerne Platz macht. Eine faszinierende, verästelte Pulp-Welt, die da gelungen zwischen zwei Buchdeckel gebannt wurde und in die man sich beim angeregten Schmökern nur zu gerne verliert - und welches Lexikon kann über seinen bloßen Nachschlagewerkcharakter schon einen solchen Mehrwert für sich beanspruchen? Zudem auch eine filmhistorisch wichtige Aufarbeitung eines nicht zu unterschätzenden Phänomens der ohnehin oft genug stiefmütterlich behandelten Historie der Populärkultur, die privates Archivmaterial, frei verfügbares Wissen und zahlreiche historische Quellen konzentriert bündelt und sich - das wird sich zeigen - hoffentlich als Referenz für zukünftige Forschungsarbeiten am Wallace-Korpus erweisen wird.

Jürgen Kramp/Joachim Wehnert: Das Edgar Wallace Lexikon
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2004
ca. 720 Seiten, zahlreiche Bilder
ISBN: 3896025082

web: kleiner filmguide


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