Thema: Berlinale 2006
Das Verhältnis von Trauma und Film, diesen dabei zunächst verstanden als Medium und Form der Äußerlichkeit, ist prekär: Zwar mag es dem Filmbild obliegen, einen traumatisierenden Prozess als solchen optisch einzufangen; doch widerstrebt es dem zur Objektivierung neigenden Bild, das Trauma selbst, eine theoretische Figur der Verletzung, die sich Versprachlichung wie Aufdeckung immer wieder entzieht, zu fassen zu bekommen. Das Trauma lässt, zumindest in der psychoanalytischen Theorie, nur referenziell auf sich schließen, verbirgt sich hinter Schichtungen aus Verschiebungen und Verdrängungen, verweist immer wieder auf die Krypta im Seelenapparat, ohne aber einen Schlüssel mitzuliefern. Für das Trauma im Film heißt dies, eine Methode zu finden, die über bloße Repräsentation hinausgeht, die die Konstruktion einer verlässlichen Diegese womöglich in Permanenz unterwandert und den Prozess des storybuildings selbst - verstanden als das Verhältnis zwischen fabula (das Erzählszenario als solches, wie es sich objektiv-linear nachvollziehen ließe, ein dem Film zumindest tendenziell unäußerliches Konstrukt, das der Zuschauer selbst im Abgleich mit den filmischen Informationseinheiten herausbildet) und syuzhet (dessen dramaturgische Staffelung in der ästhetischen Einheit des Filmes selbst) - reflektiert. Strange Circus, der dritte Langfilm von Shion Sono, der bereits mit dem kontroversen Suicide Club für einiges Aufsehen sorgte, operiert genau in diesem Bereich.
Der Film schildert... ... ja, was? Zumindest, und von Anbeginn kann da kaum Zweifel bestehen, keine verlässlich-äußerliche Abfolge von Erzähleinheiten. Die erste Sequenz zeigt einen bizarren Zirkus, zwischen Grand Guignol, klassischem Vaudeville, queer gathering im Sinne einer Rocky Horror Picture Show und Revue - ein Ort jenseits der eigentlichen Diegese; der Film findet weiters objektiv erscheinende Bilder, dann wieder mentale Bilder, die auf rein optischer Ebene innere Verfassungen wiederspiegeln, bald illustrativ-objektive, die ebenso innere Ansichten zu bieten scheinen, dabei aber nicht die Bildoptik selbst, sondern eine bizarr-surreale Setgestaltung - vor Blut triefende Wände beispielsweise - nutzen. Im Kern stehen drei Figuren: Die Mutter, der Vater, die Tochter. Es ist Mißbrauch von Vaters Seite im Spiel, in diesem Familienroman; in reichlich pervers arrangierter Form obendrein, die schon bald Zweifel an der Wahrhaftigkeit aufkommen lässt, zumal der Kommentar der mißbrauchten Tochter aus dem Off darüber schon bald die eigene sexuelle Entzückung und Frauwerdung kommuniziert. Es wirkt, bei aller Eindringlichkeit und Drastik, ein wenig zu erotisch verspielt, was da zu sehen ist, um wirklich wahr zu sein; ein wenig wie bei Sacher-Masoch liegt die Verzückung an der erotisch-entwürdigenden Anordnung in der Luft, das leicht schwülstige Element mit Transgression liebäugelnder erotischer Literatur. Lässt sich dem Erfahrungsbericht trauen? Was ging wirklich vonstatten? Welchen Status hatten die stilistisch so kunstvoll ausarrangierten Bilder wirklich? Es kam, so legt der Film nahe, schließlich zum Muttermord durch die Tochter, bei dieser nun zur schuldkomplex-beladenen Herausbildung einer zweiten Persona: Die Tochter ward zur Mutter und fand im Bild als solche Repräsentation noch im Schulalltag.
Der zweite Teil schlägt in der Tat, nach etwas setgestalterischer Verwirrung, eine andere Sichtweise vor: Es mag sich um die Visualisierung eines erotischen Romans einer einigermaßen bekannten wie spleenigen Autorin handeln. Die aber wiederum sieht der MutterTochter zum Verwechseln ähnlich. Ein zweifelhafter Fan sucht die Nähe zur Autorin, er will wissen, ob es sich um Autobiografisches handelt. Natürlich nicht, so die Autorin; doch der Film bleibt unklar und findet erneut shiftings und Verschiebungen, von einer Identität zu anderen, von einer Erzählperspektive zur nächsten. Bis das Szenario an sich, zumindest dem Anschein nach, in blutiger Anordnung, die den Bogen zur bizarren Manege des Beginn zu schlagen sucht, aufgelöst, die Erzähl- und Bildebenen aufgedröselt werden.
Bis dahin ist es ein langer Weg und ein gewisser Hang zur Ausstellung des eigenen Kunstkönnens und -wollens ist dem Film kaum abzusprechen; lange war zumindest ich gewillt, das ganze als prätentiös, arg überkonstruiert und selbstgefällig abzutun. Doch entwickelt der Film ohne Frage einen Reiz nicht so sehr durch einige, in der Tat überstark vorhandene, Brutalität und der generellen Lust am manschend Transgressiven, sondern vielmehr durch seine dann doch stets fokussiert vorgehenden Erzählmanöver, die es ihm gerade gestatten, eingangs geschildertes Problem unaufgeregt und mit einiger gewitzter Nasführung des Zuschauers zu bewältigen, die eben nicht auf Übertölpelung, sondern auf dessen gezielte Steuerung lenkt.
Die offensichtliche (und ich möchte sagen: sehr kundige) Einführung psychoanalytischer Theoreme in den japanischen Film ist dabei zum einen recht bemerkenswert (und in diesem Maße scheint mir das für das japanische Kino bislang auch einigermaßen einzigartig, entwickelt es seine Geschichten doch üblicherweise erfreulich "un-freudianisch"), zum anderen aber auch von Gewinn selbst: Anders als etwas ungelenk agierende westliche Filme wird hier nicht versucht, das ohnehin problematische Theoriegebäude mittels Narration als gültige Konstante quasi zu anthropologisieren; im Gegenteil wird über die Thematisierung von Narrativität und Erzähltaktiken, die sich sozusagen im Vorbeigehen ergibt, das narratologische Gerüst der Psychoanalyse selbst in den Vordergrund gestellt.
Strange Circus ist vielleicht kein mitreißender Film, zumal wenn man ihn vom Genre her begreift (und die Programmierung des Films an jener Stelle im Internationalen Forum, wo üblicherweise jährlich ein neuer, wenn auch gehobener Genreknaller aus Fernost zu sehen ist - sei es PTU oder die Infernal Affairs-Trilogie - legt dies zunächst nahe), in seiner künstlerischen Konzeption und Herangehensweise, die ihn irgendwo zwischen Kunst-Splatter und Filmessay verortet, zollt er, bei näherer Betrachtung, dann doch einigen Respekt ab.
imdb ~ weitere Informationen ~ Jump Cut-Kritik
Der Film schildert... ... ja, was? Zumindest, und von Anbeginn kann da kaum Zweifel bestehen, keine verlässlich-äußerliche Abfolge von Erzähleinheiten. Die erste Sequenz zeigt einen bizarren Zirkus, zwischen Grand Guignol, klassischem Vaudeville, queer gathering im Sinne einer Rocky Horror Picture Show und Revue - ein Ort jenseits der eigentlichen Diegese; der Film findet weiters objektiv erscheinende Bilder, dann wieder mentale Bilder, die auf rein optischer Ebene innere Verfassungen wiederspiegeln, bald illustrativ-objektive, die ebenso innere Ansichten zu bieten scheinen, dabei aber nicht die Bildoptik selbst, sondern eine bizarr-surreale Setgestaltung - vor Blut triefende Wände beispielsweise - nutzen. Im Kern stehen drei Figuren: Die Mutter, der Vater, die Tochter. Es ist Mißbrauch von Vaters Seite im Spiel, in diesem Familienroman; in reichlich pervers arrangierter Form obendrein, die schon bald Zweifel an der Wahrhaftigkeit aufkommen lässt, zumal der Kommentar der mißbrauchten Tochter aus dem Off darüber schon bald die eigene sexuelle Entzückung und Frauwerdung kommuniziert. Es wirkt, bei aller Eindringlichkeit und Drastik, ein wenig zu erotisch verspielt, was da zu sehen ist, um wirklich wahr zu sein; ein wenig wie bei Sacher-Masoch liegt die Verzückung an der erotisch-entwürdigenden Anordnung in der Luft, das leicht schwülstige Element mit Transgression liebäugelnder erotischer Literatur. Lässt sich dem Erfahrungsbericht trauen? Was ging wirklich vonstatten? Welchen Status hatten die stilistisch so kunstvoll ausarrangierten Bilder wirklich? Es kam, so legt der Film nahe, schließlich zum Muttermord durch die Tochter, bei dieser nun zur schuldkomplex-beladenen Herausbildung einer zweiten Persona: Die Tochter ward zur Mutter und fand im Bild als solche Repräsentation noch im Schulalltag.
Der zweite Teil schlägt in der Tat, nach etwas setgestalterischer Verwirrung, eine andere Sichtweise vor: Es mag sich um die Visualisierung eines erotischen Romans einer einigermaßen bekannten wie spleenigen Autorin handeln. Die aber wiederum sieht der MutterTochter zum Verwechseln ähnlich. Ein zweifelhafter Fan sucht die Nähe zur Autorin, er will wissen, ob es sich um Autobiografisches handelt. Natürlich nicht, so die Autorin; doch der Film bleibt unklar und findet erneut shiftings und Verschiebungen, von einer Identität zu anderen, von einer Erzählperspektive zur nächsten. Bis das Szenario an sich, zumindest dem Anschein nach, in blutiger Anordnung, die den Bogen zur bizarren Manege des Beginn zu schlagen sucht, aufgelöst, die Erzähl- und Bildebenen aufgedröselt werden.
Bis dahin ist es ein langer Weg und ein gewisser Hang zur Ausstellung des eigenen Kunstkönnens und -wollens ist dem Film kaum abzusprechen; lange war zumindest ich gewillt, das ganze als prätentiös, arg überkonstruiert und selbstgefällig abzutun. Doch entwickelt der Film ohne Frage einen Reiz nicht so sehr durch einige, in der Tat überstark vorhandene, Brutalität und der generellen Lust am manschend Transgressiven, sondern vielmehr durch seine dann doch stets fokussiert vorgehenden Erzählmanöver, die es ihm gerade gestatten, eingangs geschildertes Problem unaufgeregt und mit einiger gewitzter Nasführung des Zuschauers zu bewältigen, die eben nicht auf Übertölpelung, sondern auf dessen gezielte Steuerung lenkt.
Die offensichtliche (und ich möchte sagen: sehr kundige) Einführung psychoanalytischer Theoreme in den japanischen Film ist dabei zum einen recht bemerkenswert (und in diesem Maße scheint mir das für das japanische Kino bislang auch einigermaßen einzigartig, entwickelt es seine Geschichten doch üblicherweise erfreulich "un-freudianisch"), zum anderen aber auch von Gewinn selbst: Anders als etwas ungelenk agierende westliche Filme wird hier nicht versucht, das ohnehin problematische Theoriegebäude mittels Narration als gültige Konstante quasi zu anthropologisieren; im Gegenteil wird über die Thematisierung von Narrativität und Erzähltaktiken, die sich sozusagen im Vorbeigehen ergibt, das narratologische Gerüst der Psychoanalyse selbst in den Vordergrund gestellt.
Strange Circus ist vielleicht kein mitreißender Film, zumal wenn man ihn vom Genre her begreift (und die Programmierung des Films an jener Stelle im Internationalen Forum, wo üblicherweise jährlich ein neuer, wenn auch gehobener Genreknaller aus Fernost zu sehen ist - sei es PTU oder die Infernal Affairs-Trilogie - legt dies zunächst nahe), in seiner künstlerischen Konzeption und Herangehensweise, die ihn irgendwo zwischen Kunst-Splatter und Filmessay verortet, zollt er, bei näherer Betrachtung, dann doch einigen Respekt ab.
imdb ~ weitere Informationen ~ Jump Cut-Kritik
° ° °
kommentare dazu:
lukasf,
Freitag, 10. Februar 2006, 00:04
naja
Ich weiß nicht, ich konnte mit dem Film gar nichts anfangen. Wie Du sagst, am Ende wird alles aufgedröselt, aber eben nicht dem Anschein nach sondern ganz konsequent, Marke: das bedeutet das, das bedeutet das und - ach ja - das bedeutet nicht das sondern etwas ganz anderes. Noch dazu alles in fast epischer Breite. Mag sein, dass die klassische Psychoanalyse auch so funktioniert, aber spätestens seit Melanie Klein ist man auch dort schlauer geworden. Plus den abgeschmackten Pseudobarockstil und das angepappte Audition-Ende - nein, war gar nicht mein Film. Wobei ich andererseits inzwischen doch fast wieder Lust hätte, ihn nochmal zu sehen, in der Hoffnung, doch noch mehr darin zu entdecken. Denn den Eindruck, ich hätte etwas ganz wichtiges versäumt, hat mir der Film schon mitgegeben. Nur befürchte ich, dass der Film auch genau auf diesen Eindruck abzielt und sonst auf nicht so viel.
Viele Grüße, Lukas
Viele Grüße, Lukas
thgroh,
Freitag, 10. Februar 2006, 00:28
Während des Films (und auch wirklich noch kurz danach) hätte ich Dir vorbehaltlos zugestimmt; und ich fand den Film, so rein als Filmerlebnis, auch nicht "extrem super" (siehe letzter Absatz); aber in seiner Konzeption doch sehr zwingend und in sich schlüssig. Es ließe sich natürlich darüber streiten, ob ein Film, der derart mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Diegese/Erzählebene/Personae spielt, wirklich in der Lage ist, sich epilogisch glaubthaft zu erkennen zu geben, aber ich kann Deinen Punkt auf jeden Fall nachvollziehen.
knoerer,
Freitag, 10. Februar 2006, 15:57
Auch ich finde das Ende bei weitem am problematischsten. Aber zum einen finde ich: Enden werden überhaupt überschätzt. Der größte Teil des Films ist immer der Weg dahin, man sollte sich das retrospektiv nicht wegerklären lassen. Zum anderen gibt es sehr wohl das Bemühen, etwas arg mühsam, gebe ich zu, Offenheiten zu behaupten. "Pseudobarockstil" tut sich mit der Ästhetik aber zu leicht. Es geht um die Herstellung visueller und atmosphärischer Korrelate für Inneres. Nicht im schlüssigen eins-zu-eins, da bleibt doch vieles mit Absicht im Verschobenen und Verdichteten hängen. Keineswegs gibt Sono Sion den Dr. Freud mit dem Schlüssel in der Hand, der alles, was wir sehen, aufzuschlüsseln versteht. Es gibt - gelegentlich etwas allzu deutlich ausgeführte - Lektüreoptionen, mehr dann nicht.
thgroh,
Freitag, 10. Februar 2006, 16:10
Das mit dem "Pseudobarock" fand ich dann in der Tat reizvoll, als der Film in der Mitte bricht und wir in dieser sehr seltsam-freakigen Schriftstellerinnenwohnung sitzen. Nachdem uns mehrfach nahegelegt wurde, die bizarr ausgestatteten Sets des Films als veräußerlichten inneren Zustand zu begreifen, landen wir plötzlich in einer entrückt gestalteten Welt, deren Status zunächst so rein gar nicht einsortierbar ist und womöglich wirklich objektiv diegetischen Charakter für sich behaupten kann. Entfaltete sich der Film und sein Verhältnis zu seinem Bild vorgeblich noch recht überschaubar, wurde hier dann eine Möglichkeit von Lektüre eingeführt, die auch rückwirkend den Status der bisherigen Bildgestaltungen in Frage stellen konnte (was dann ja auch, in der Tat, sehr drastisch geschieht, möglicherweise).
...bereits 3901 x gelesen