Der taz ist die schon seit einiger Zeit gärende Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen den heutigen "Brennpunkt" wert. Es finden sich ein Interview mit Michael Kauch (FDP), eines mit Gerhard Schick (Grüne) und ein Artikel von Hannes Koch und Ulrich Winkelmann (sowie vom ersteren noch ein knapper Kommentar auf Seite 1).

Zum Thema siehe auch zuvor hier und hier im Blog.

Mittlerweile wurden die Videos von einer wissenschaftlichen Tagung zum bedingungslosen Grundeinkommen auch bei VideoGoogle online gestellt und können von dort aus auch direkt in Weblogs eingebunden werden.

Nachtrag: Hochgradig falsch ist natürlich das Bild von der "Wohngemeinschaft", in der man sich qua Staatsbügerschaft befinde und in der jeder mal "den Müll runtertragen" müsse, das Michael Schlecht von ver.di/WASG dem Artikel von Koch/Winkelmann zufolge bemüht (um das Konzept zu diskreditieren). Das überschaubare Soziotop einer WG lädt natürlich zur zyklischen Delegation hauswirtschaftlicher Pflichten ein, schon aus sinnlich-evidenten Gründen, die sich direkt aus dem Alltagsleben der WG ergeben; dies auf die ungleich komplexere und weit abstraktere Ebene einer eben nicht schicksalshaften, sondernpolitischen Gemeinschaft zu projezieren ist eine Über-Simplifizierung, die den gesamten Aspekt der Arbeitsteilung, auf den gerade moderne - und eben nicht wohnlich verschweiste - Gemeinschaften aufbauen (und ja: zum Glück). Es wird übersehen, dass Arbeit unter den herrschenden Bedingungen nicht zu vergleichen ist mit der sinnlich unmittelbaren Evidenz eines nicht runtergetragenen Mülleimers und dass beides unterschiedlichen Sphären zuzurechnen ist. Ein nicht runtergebrachter Mülleimer ist zunächt einmal schlichtweg als Arbeit da und behindert als solcher die Lebensqualität; durch schlichtes Anpacken ist er aber aus der Welt und die Arbeit erledigt. Arbeit im gesellschaftlichen Sinne organisiert sich aber zunächst einmal auf einem Markt, der mittlerweile so gestaltet ist, dass ein Großteil der verrichtbaren und ausgeführten Arbeit keine marktfähigen Preise mehr erzielt (oder aber: überhaupt gar nicht erst unter Marktbedingungen auftreten kann) - und als Arbeit somit gar nicht mehr denkbar scheint oder eben, schlimmer, liegen bleibt. Gerade ein Grundeinkommen würde den Arbeitsbegriff aus solchen ökonomischen Ketten befreien und Arbeit als solche, als Tätigkeit, wieder aufschließen. Mithin könnte auch überhaupt ein Wettbewerb der Ideen wieder entstehen, aber das sind jetzt, zugegeben, zunächst einmal Phantasien.


° ° °




kommentare dazu:



soralis, Montag, 25. September 2006, 18:03
Da ergeben sich seltsame Frontstellungen zu diesem Thema. Bezeichnend wie Sozialdemkraten und Gewerkschaften dem Anliegen der Einsicht in die Notwendigkeit gegenüberstehen.

woerterberg, Montag, 25. September 2006, 18:47
Das ist ja auch ein Witz.

Keine Ahnung, ob die taz hier in der Kürze die Positionen angemessen abbildet, die es bei Gewerkschaften, SPD und WASG dazu gibt.

Wenn es diese Reserve bei denen, die sich in grossen Teilen immer noch als Repräsentanten der Lohnarbeitenden begreifen, gegenüber dieser merkwürdigen Themenkonjunktur tatsächlich in der berichteten Form gibt: Könnte das damit zusammenhängen, dass sie wenig Neigung haben, erneut eine grosse Abschreibungsrunde bei den Sozialversicherungssystemen zulasten der Beitragszahlerinnen und zugunsten des Kapitals mitzumachen (wie bereits durch Hartz IV, Rentenstagnation u.a.)?

Wer sich mal die Mühe macht nachzurechnen, wird leicht feststellen, dass die ominösen 800 Euro weniger ausmachen als die Summe von Hartz IV, Miet- und Heizkosten und abgeführten Versicherungsbeiträgen heute. Wenn dann noch gleich, wie der Althaus vorschlug, 200 Euro (!) für die Krankenversicherung - sprich: die zukünftige Basis-Kopfprämie der CDU - abgeführt werden, kommt wirklich nur eine Hungerpauschale heraus.

Da wundert es nicht, wenn selbst die FDP draufkommt, dass man auf die Art eine faktische Enteignung von sozialer Teilhabe prima als Entbürokratisierung verkaufen kann, zumal das noch mit grandiosen SV-Beitragssenkungen verbunden wäre, die ihrer Klientel zugutekämen.

Die Freiheit vom bürokratisch durchgesetzten Arbeitsgebot ist ja schön und gut, aber Millionen Leuten erst ihre Beiträge abzunehmen (zu "privatisieren") und sie dann einer noch bittereren Armut als bisher gekannt zu überantworten, ist nicht der Preis, den man zu zahlen bereit sein kann, wenn man mit dem Vorhaben irgendeinen emanzipatorischen Anspruch verbindet. Summen dieser Höhe würden ja nur bedeuten, dass die Bedingung, für mehr oder weniger stumpfsinnige Tätigkeiten auf Geheiss der Bürokratie zur Verfügung zu stehen, abgelöst würde durch den ungleich bedrohlicheren ökonomischen Zwang, sich - mehr oder weniger legal - die nötige Kohle zu besorgen. Was soll daran erstmal gut sein?

Wie Ebermann mal sinngemäss von sich gab: Es sagt viel über den gesellschaftlichen Rückschritt aus, dass manche Beträge für Grund- oder Mindesteinkommen, die heute genannt werden, deutlich unter dem liegen, was die durchschnittliche Arbeitslose noch unter Kohl/Blüm ausgezahlt bekam, und dass man mit derartig lächerlichen Summen trotzdem fast als Revolutionär rüberkommt.


thgroh, Montag, 25. September 2006, 19:14
In aller Eile (weil ich gerade gar keine Zeit habe) : Die von Althaus ins Gespräch gebrachten 800 Euro halte ich auch für wesentlich zu niedrig, ganz klar. Hier muss noch ganz eindeutig ein politischer Kampf geführt werden. Ein Betrag von 800 Euro p.M. kommt in der Tat und ganz effektiv eine Beschneidung der Lebensqualität unter denjenigen gleich, die von einer Einführung eines "Grundeinkommens" eigentlich noch am ehesten profitieren sollten.

Wenn ich das recht verstehe, argumentiert Schlecht allerdings nicht in dieser Hinsicht, sondern moniert eine sich angeblich einstellende Arbeitsfaulheit, die "Bewohner" der Deutschland-WG zur Dienstverweigerung veranlassen würde. Diesen Standpunkt halte ich nicht für angebracht.


soralis, Montag, 25. September 2006, 19:25
Wichtig ist, dass der Diskurs in Gang kommt. Effektiv bekomme ich jetzt mehr, ich bin mit einem "gut"bezahlten 2€ Job allerdings auch in einer privilegierten Position, die gerade ausläuft.
Werde ich allerdings auf ALG II zurückgestuft, werde ich deutlich weniger als 800€ bekommen, die abgeführten Sozialbeiträge miteinberechnet.
Auch für die Miete geht ein Teil des ALG II Salärs drauf.
Wichtig ist die Einsicht, dass die Zeiten der Vollbeschäftigung passe sind. Um diese Umstrukturierung einzuleiten bedarf es jedenfalls noch flankierender Maßnahmen, z.B. im Gesundheitssystem woran sich auch die Beamten gerne beteiligen können. Auch würde der gesellschaftliche Status eines Arbeitslosen deutlich steigen, Energien wären frei für soziales oder ökologisches oder künstlerisches Engagement.


woerterberg, Montag, 25. September 2006, 20:03
Berliner Rechnung: 345 + 360 + Versicherungsbeiträge = deutlich mehr als 800, oder? (erst recht, wenn noch ÖPNV-Ermässigung u.a. an geldwerten Dingen eingerechnet wird, die dann entfielen)

Der Diskurs kann unter den gegebenen Bedingungen, soweit ich sehe, allenfalls bei einer gewissen erhöhten Konvenienz für Künstlerinnen, kleine Freiberufler, Studentinnen, Hausväter und andere Bescheidenheitakrobaten ohne nennenswertes Realeinkommen ankommen - sagen wir 850 Euro.

Ich fände das auch in Ordnung, da ich mich (anspruchsvoll!) ebenfalls zu dieser ständig wachsenden Klientel rechne. Wer sich eine wirkliche soziale Teilhabe in einem umfassenden Sinn - sagen wir >1500 Euro (denn es würde zugleich alles mehr Geld kosten, was heute vielfach noch staatlich vorgehalten oder bezuschusst wird) - davon erwartet, verkennt die Machtverhältnisse in diesem System. Außerdem wäre so etwas nicht (mehr) in nationalem Rahmen praktikabel (vgl. dazu auch das eine oder andere Statement in den Videos, Zirkulationssphäre usw.). Die Gedanken über die freigesetzte Kreativität, den gesellschaftlichen Reichtum usw., höre ich gern - aber ich glaube, den meisten Menschen ist auch heute schon nicht übermässig langweilig in ihrer "Freizeit" (siehe hier). Es geht am Ende vor allem um Zahlen. Im Übrigen gilt weiterhin: Die Revolution wird auf esoterischem Weg nicht zu haben sein.


soralis, Montag, 25. September 2006, 20:30
Das mit den 360 Mietzuschuss höre ich gerne, bei mir sind es 150 €, keinen Deut mehr.
Und ich bin tatsächlich ein esoterischer Bescheidenheitsakrobat, der den Glauben an eine wie auch immer geartete Revolution längst verloren hat. Auch wenn ich mich selbst als einen spirituellen Lebenskünstler bezeichne.
Außerdem gebe ich zu bedenken, dass ursprünglich mal von der PDS angedacht waren 1200€.
Aber sind wir realistisch, das wäre schon gleichbedeutend mit der Revolution.



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