Menschen in der Krise: Nachdem die junge Sui Wai (Cecilia Cheung) ihren älteren Verlobten, einen Busfahrer, durch einen Verkehrsunfall während der Arbeit verloren hat, ist sie bemüht, ihr Leben und das seines Sohnes aus erster Ehe Lok Lok in den Griff zu kriegen. Zu diesem Zwecke lässt sie den beschädigten Bus ihres Verlobten reparieren (freilich aber auch aus romantischen Gründen: In diesem Bus fanden erste Annäherungen statt: Das Kennenlernen, das Sich-wieder-Begegnen und nicht zu letzt die Verlobung wie der Film sukzessive in verklärt ausgeleuchteten Rückblenden zu erkennen gibt) und heuert bei dem selben Busunternehmen als freie Mitarbeiterin an. Dies bringt viele Probleme mit sich: Sie ist dem Straßenverkehr nicht gewachsen, verdient zuwenig Geld, vernachlässigt den kleinen Jungen und droht, im männerbundähnlichen Busfahrermilieu aufgerieben zu werden. Zunächst noch aus der Ferne beobachtet Dai Fai (Lau Chin Wan) das junge Mächen, ein Kollege ihres Verlobten, der auch der erste an der Unfallstelle gewesen ist. Langsam führt er sie in das Gewerbe ein, steht ihr mit Tipps zur Seite, während die anderen Kollegen das unbeholfene Mädchen nur verspotten. Als er zunehmend auch von der desolaten Privatsituation von Sui Wai erfährt, die mit der Organisation ihres Alltags schlicht überfordert scheint, steht er ihr auch hier zur Seite und freundet sich mit dem kleinen Lok Lok an, der ihn bald als Vater anzusehen beginnt. Doch auch Dai Fai führt sein Leben nicht so souverän, wie seine große, gut eingerichtete Wohnung suggeriert: Erst spät erfahren wir Details aus seinem früheren Leben, die ihm das Engagement gegenüber Sui Wai zur Gewissensfrage machen.

Einen solchen Film kann man mit viel Schmalz und Sentiment anrühren, doch glücklicherweise ist Derek Yee Routinier genug, um genau in diese Fettnäpfchen nicht zu treten. Seine kleine Geschichte aus den Straßen Hongkongs ist weder rührselig noch pathetisch, sondern im besten Sinne der Wortes bodenständig und geradezu leicht, ohne dem herben Schicksalsschlag, den ein solcher Menschenverlust darstellt, die Dimension zu rauben. Zu diesem gehört nicht nur der anfängliche Schmerz, den Cecilia Cheung in einer ihrer bis dato wohl besten darstellerischen Leistungen prägnant vermittelt, ohne in simples overacting zu verfallen, dazu gehören auch die ersten Schritte des Darüberer-Hinwegkommens: In einem der schönsten Momente des Films gibt Dai Fai, ebenfalls ganz wunderbar von Lau Chin Wan dargestellt, dem Mädchen Busfahrer-Nachhilfeunterricht und zeigt ihr, wie man mit allerlei Spitzbübigkeit und laxer Auslegung der Verkehrsordnung den einen oder anderen Hongkong-Dollar mehr am Abend in der Kasse hat. Man lacht gerne mit, wenn Sui Wai in diesen Momenten das Lachen wiederlernt, und locker-leicht schlägt das Drama an dieser Stelle für eine befreiende Weile in eine kleine Komödie um, ohne dadurch aber die Balance zu verlieren.

Diese Sicherheit für den einzelnen Moment setzt sich fort, wenn zum Ende hin biografische Details aus Dai Fais Leben ins Zentrum des Films rücken und wir von seiner gescheiterten ersten Ehe erfahren. Die Frage, ob er Sui Wai aus reiner Nächstenliebe hilft oder ob er nicht nur einfach frühere Verfehlungen zu kompensieren versucht, ist eine unter diesen Voraussetzungen sehr einfühlsame, die zudem den Film auch davor bewahrt, zur lediglich banalen Liebesgeschichte zu werden. Denn eine Liebesgeschichte ist dieser Film durchaus auch: Keine rührselige gewiss, eine sehr reife, die von menschlicher Größe und auch menschlicher Schwäche erzählt ohne im Pathos zu versinken. Eine geglückte Gratwanderung.

Der Film lauft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Panoramas.

>> Lost in Time (Mong bat liu; Hongkong 2003)
>> Regie: Derek Yee
>> Drehbuch: James Yuen
>> Darsteller: Cecilia Cheung, Lau Chin Wan, u.a.

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