Mittwoch, 10. November 2004
09.11.2004, Kino Arsenal

"... und aus den Seiten stiegen die Figuren auf."
(aus dem Vorspann)

Eine Texttafel zu Beginn rechnet den Posten des Regisseurs Hanns Heinz Elwers zu. Meine (etwas älteren) Quellen im Buchregal sprechen diesbezüglich nur von Stellan Rye. Die imdb verteilt die Rolle auf beide Namen: Nichts Genaues weiß man nicht. Und vielleicht macht es auch kaum Sinn, in diesem Stadium der Filmgeschichte bereits vom "Regisseur" zu sprechen. Richtiger wäre wohl: "Autorenfilm". Denn mit Der Andere (heute abend im Arsenal zu sehen, leider ohne mich; Nachtrag: Christian war dort) begründete Der Student von Prag denselben. Wobei auch hier anzumerken ist, dass unser heutiger Begriff davon sich natürlich unterscheidet: "Autorenfilme" waren damals Prestigefilme für die Filmindustrie, die eigens von Literaten erdacht waren. Man wollte im Feuilleton sich zunächst platzieren, und dann sich dort behaupten.

Der Student von Prag erweitert die horizontale Achse des vorderen Filmraumes, wo sein Geschehen in der Regel stattfindet, um eine in die Tiefe nach hinten weg. Auffällig oft ist die Bewegung ins Bildvordere hinein oder aber von dort nach hinten ab Thema der Einstellung. Dies, so konnte man während der morgendlichen Seminarsitzung beim Referat erfahren, unterscheide dann auch den europäischen vom amerikanischen Spielfilm jener Tage: Während die USA bereits fröhlich schnitten, herrschte in Europa die lange (und weitgehend ruhig bleibende) Einstellung vor, in der sich das Geschehen zwischen Vorder- und Hintergrund organisierte.

Gewissermaßen passt dies auch zu dem Film, stellt doch die romantische Annahme seine Grundprämisse, dass sich das plane Bild - ein Spiegel (vielleicht aber, so denke ich kurz im Saal, während dieser Szene: die Leinwand selbst) - als Fortsetzung des diesseitigen Raums begreifen ließe, aus der Gestalten - Spiegelbilder, Doppelgänger, Automaten - heraustreten und fleischlich werden könnten. Meine schon seit längerem so eingeschätzte Grundannahme des Grusel- und Horrorkinos als ein Genre, das wie kein zweites seinen eigenen Raum thematisiert (um ihn zunächst zu entwickeln, dann zu destabilisieren, ihn "unheimlich" werden zu lassen mit allen Mitteln, die ihm, dem Film - dem einzelnen, aber auch ganz anonym verstanden -, recht und billig sind), findet hier bereits ein erstes Zugeständnis von Seiten der Filmgeschichte.

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Ein bisschen wirkt der Film wie ein Versprechen. Dies natürlich eine rückblickende Annahme, die Geschichte bereits strukturiert und Sinn ausgemacht hat. Ein Versprechen, was die Kinematografie zu bieten wissen wird. Vieles wirkt noch unbeschlagen, roh aneinandergehängt. Doch wird etwas formuliert, was über den Film hinaus verweist. Das Gruselkino formiert, ja konfiguriert sich und lässt erste Schauerahnungen wohlig über den Rücken gleiten. "Das ist noch nicht alles", wird man vertröstet, "wir haben ja erst angefangen." Der Rest: Geschichte (und Romantik).

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Am Ende erliegt Balduin dem Schuss, den er auf das Spiegelbild, dieses buchstäblich kinematographische Phantasma, abgegeben hat: Die Kugel aus der aufs Gegenüber gerichteten Pistole landet im eigenen Rumpf (der destabilisierte, unheimliche Raum!). Eine Umkehrung dieses Motivs, zumindest innerhalb seiner Konstellation, finden wir auch am diesseitigen Ende der Filmgeschichte, in Fight Club. Ob es wohl sinnvoll wäre, jenen mit diesem Film zu lesen, frage ich mich kurz beim Verlassen des Saales. Immerhin erzählen beide vom Schauer der fleischgewordenen Kopfgeburt. Die Distanz dazu schafft das Flächige des Bewegungsbildes. Auf dass es flächig bleibe und die Gestalten dort bleiben, wo wir uns aus sicherer Distanz vor ihnen gruseln!

imdb


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Thema: Kinokultur
Aus aktuellem Anlass die heutige Pressemitteilung des Berliner Filmkunsthauses Babylon:

"In zwei Gesprächen teilte uns die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, vertreten durch die Staatssekretärin Frau Dr. Barbara Kisseler bzw. den Kultursenator Herr Dr. Thomas Flierl, die Streichung der institutionellen Förderung des des „Berliner Filmkunsthaus Babylon e.V.“ durch das Land Berlin zum 1. Januar 2005 mit. Aufgrund aufgelaufener Verbindlichkeiten stehen für den Kinobetrieb im „Babylon“ ab 1. Dezember 2004 keine finanziellen Mittel mehr zur Verfügung. Dem Berliner Filmkunsthaus Babylon e.V. als Betreiber des Babylon wurde von Seiten der Kulturverwaltung empfohlen, Insolvenz anzumelden. Damit steht die Schließung des Traditionshauses am Rosa-Luxemburg-Platz unmittelbar bevor.

Hintergrund dieser Entscheidung ist ein strukturelles Defizit im Haushalt des Kinos. Seit der Restaurierung des Kinos im Jahr 2001 muß die Zuwendung fast völlig zur Deckung der Miete und der Betriebskosten aufgewendet werden. Dieses strukturelle Defizit hat das Kino von Anfang an begleitet und ist den Verantwortlichen in der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheit seit langem bekannt. In den Rechnungsprüfungen der Senatsverwaltung wurde dem „Berliner Filmkunsthaus Babylon e.V.“ stets eine wirtschaftliche Geschäftsführung bescheinigt und auf die Unterfinanzierung des Hauses hingewiesen. Mit Projektmitteln und Kooperationen mit anderen Einrichtungen (Festivals, Kulturinstitute, Botschaften etc.) konnte das strukturelle Defizit in der Vergangenheit zwar nicht aufgefangen, jedoch abgemildert werden. Im vergangenen Jahr hatte auch der Kultursenator noch eine Möglichkeit zum Ausgleich des Fehlbetrages gefunden. Aufgrund der allgemein angespannten Haushaltslage in diesem Jahr existiert diese Möglichkeit nicht.

Kurz nach der Wende wurde dem Verein „Berliner Filmkunsthaus Babylon“ vom Senat das erste Fördergeld ausgezahlt. Bis dahin hatten lange und zähe Auseinandersetzungen stattgefunden, zunächst, um das „Babylon“ aus der Gesamtmasse der Ost-Berliner Kinos, die privatisiert werden sollten, herauszulösen, schließlich, um das Kino mit seiner besonderen Geschichte und Aura als „Kommunales Kino des Ostens“ – neben dem in West-Berliner „Arsenal“ - zu etablieren. Dieser Kampf war erfolgreich, und der Erfolg war vor allem dem Engagement des Vereins und seinem damaligen Vorsitzenden Rolf Richter zu danken. Es folgten 14 Jahre erfolgreiche, beim Publikum, in der Fachöffentlichkeit und in der Presse hoch geschätzte, durch Preise gewürdigte Filmarbeit. In Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalschutz, der Senatsverwaltung für Bau und Wohnungswesen, der Stiftung Deutsche Klassenlotterie und den Hauseigentümern wurde eine denkmalschutzgerechte Rekonstruktion des Gebäudeensembles nach Plänen von Hans Poelzig durchgeführt. Das „Babylon“ gilt als einzigartiges Symbol von „Filmkunst in Baukunst“. Damit und durch das ambitionierte Programm, das mit inzwischen weit über 100 regionalen, nationalen und internationalen Kooperationspartnern gestaltet wird, hat sich der „Berliner Filmkunsthaus Babylon e.V.“ einen Ruf erarbeitet, der weit über den Berliner Rahmen hinausgeht.

Nach Aussage von Herrn Dr. Flierl soll ein Interessenbekundungsverfahren eingeleitet werden, um einen Nachfolger als Betreiber des Kino „Babylon“ zu finden, der das Haus mit der zur Verfügung stehenden jährlichen Fördersumme von € 320.700, - betreibt. Dies wird nicht gelingen. Um den Betrieb aufrecht erhalten zu können, müsste das Programm radikal kommerzialisiert werden, zumal die mit einem Betreiberwechsel und einer – wenn auch nur vorübergehenden – Schließung verbundene Verunsicherung der Kooperationspartner und Fördermittelgeber zu einem langfristigen Rückzug verschiedener Unterstützungsleistungen führen wird. Eine Spielplangestaltung, wie sie von einem kommunalen Kino gefordert wird und Voraussetzung für eine institutionelle Förderung ist - Vorführung von Filmklassikern, Stummfilmen mit Live-Musik, ständig wechselndes Programm, Diskussionen bzw. Einführungen von Filmemachern oder Filmwissenschaftlern etc. – ist damit nicht durchführbar. Genauso wenig ist eine angemessene Betreuung der Filmfestivals – vom Internationalen Forum des Jungen Films über das Kurzfilmfestival „interfilm“ bis zur Filmreihe des Literaturfestivals – und ein repräsentativer Rahmen für die bilateralen Kooperationen zu gewährleisten, die wir im Zuge der Zusammenarbeit mit verschiedenen Botschaften und ausländischen Kulturinstituten eingegangen sind. Es ist zu befürchten, daß ein Betreiber, der sich auf eine Durchführung des Kinobetriebes zu diesen Konditionen einläßt, nach einem halben Jahr den Spielbetrieb einstellen muß. Ein Betreiberwechsel im „Babylon“ setzt zudem voraus, daß der Vermieter der Räume allen Plänen des Senats zustimmt. Nur der „Berliner Filmkunsthaus Babylon e.V.“ kann aufgrund des langfristigen Mietvertrags einen kontinuierlichen Spielbetrieb gewährleisten.

Wir fordern den Kultursenator daher auf, alle Möglichkeiten zu prüfen, um den Betrieb im „Berliner Filmkunsthaus Babylon“ aufrecht erhalten zu können. Das Schließen des Kinos bzw. der Veränderung seines Profils würde – nach der eine weitere Ausdünnung der kulturellen Kinoszene Berlins bedeuten. Wir dürfen eine solche kurzsichtige und kurzschlüssige Kulturpolitik des Landes Berlin nicht zulassen."


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