Freitag, 24. Dezember 2004
Der größte Lacher wurde von langer Hand geplant. Man kann darin vielleicht Bezeichnendes für die Sendung selbst finden, so man mag. Jedenfalls: Im Öffentlich-Rechtlichen präsentiert sich Harald Schmidt im öffentlich-rechtlichen Look der Deutschlehrer aus seiner Generation: Wallend-weißes, schulterlanges Haar, ein bärig wirkender Bart verdeckt das dennoch offensichtlich leicht aus den schneidigen Konturen geratene Gesicht. Fehlen nur die Flicken an den Ärmeln. Man meint kurz Harry Rowohlt in diesem Onkelgesicht zu erkennen, doch gibt Schmidt sich ganz würdevoll, auch zur Pfeife wird schon bald gegriffen. Das ist eher Grass als Rowohlt, was hier präsentiert wird, und man ist sich nicht sicher, ob das alles nun - "Wir sind jetzt im Ersten!" - ironisch, oder nicht vielmehr affirmativ gemeint ist. Der erste Moment jedenfalls wirkt befremdlich, ein Auflachen, doch dann vervollständigt sich das Bild: Schmidt, dessen Stärke die Spontaneität ist, die Frechheit im Augenblick, scheint auf diesen Witz, auf diese Verschiebung im öffentlichen Bild, ein gutes Jahr hingearbeitet zu haben. Das verspricht nun nicht das Beste.

Und in der Tat wirkt das Revival mit Reformen (die Gäste wurden - ein Pluspunkt! - aus der Show gestrichen) bemüht. Wie ein Versuch an alte Tage anzuschließen, um es irgendwie allen recht zu machen. Nur wenige Gags zünden, die meisten laden eher zum Gähnen ein: Es mangelt ihnen an der Würze, am Pfiff, der nun auch bei der alten Show nicht immer vorhanden war, aber im Falle eines Mangels zumindest gekonnt in Kauf genommen wurde. Der Emnidwitz - 197% der Ostdeutschen befürworten eine Rückkehr Harald Schmidts auf dem Fernsehbildschirm auch wenn dies mit sozialen Härten verbunden wäre - ist ein astreiner Rohrkrepierer und die Castro untegejubelte Bomba Atomica ist unwitziger als das Stolpern des Mannes selbst, in das sie windschief digital eingefügt wurde. Dafür viel Selbstbeschaulichkeit und ungemein angestrengte Versuche, sich selbst im deutschen Diskursboot wieder zu verorten: Fit für Deutschland, "Harold explains Germany" - blasse Kopien früherer Glanzleistungen der Überaffirmation.

Das Spielerische und Experimentelle wolle man kurzhalten, konnte man es aus ARD-Chefetagen im Vorfeld hören. Die neue Schmidtshow hinterließ im ersten Anlauf diesbezüglich den Nachgeschmack eines übereifrigen Gehorsams. Zwar war nicht alles schlecht, doch wirkte vieles eingerostet und nur schwer wieder in Gang zu kriegen. Die öffentlich-rechtliche Saturiertheit, die sich durch die Sendung zog und in Haarwuchs und Bart sich widerzuspiegeln schien, könnte dem Anarchischen, das die Schmidtshow zu ihren besten Zeiten auszeichnete, über kurz oder lang das Genick brechen. Dass es auch bei den gebührenfinanzierten Anstalten anders geht, diesen Beweis hat Schmidt längst erbracht: Seine besten Zeiten hatte er zweifellos bei Schmidteinander, damals noch bei den Dritten.


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Rechtzeitig zu Weihnachten ein kleines Geschenk vom Potsdamer Platz: Die Berlinale gibt erste Wettbewerbsfilme und den Jury-Präsidenten bekannt. Im folgenden die Pressemitteilung:

Image Hosted by 
ImageShack.usDer deutsche Hollywood-Regisseur Roland Emmerich wird Präsident der Internationalen Jury der Berlinale 2005. Emmerichs internationale Karriere begann mit dem Film Das Arche Noah Prinzip, der 1984 auf der Berlinale lief und weltweite Aufmerksamkeit erregte. Hollywood entdeckte das Talent und es folgten der Oscar-gekrönte Independence Day, Godzilla und The Patriot. 2004 lieferte Emmerich mit The Day After Tomorrow einen aktuellen Beitrag zur Diskussion der Klima-Katastrophe (filmtagebuch).

Die ersten Filme für den Berlinale-Wettbewerb stehen fest. Mit dem Eröffnungsfilm Man to Man von Régis Wargnier (siehe hier) sind bereits elf Filme, darunter acht Weltpremieren, im Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Deutschland
In Gespenster, einer deutsch-französischen Ko-Produktion, erzählt Regisseur Christian Petzold (Die innere Sicherheit) die Geschichte der Französin Françoise, deren Tochter als Kleinkind in Berlin entführt wurde. Nach jahrelanger Ungewissheit glaubt sie die Tocher in der Streunerin Nina (Julia Hummer) endlich wieder gefunden zu haben.
Kommentar: Petzold im Wettbewerb - das wurde Zeit! Schon sein eindringlicher Wolfsburg war im Panorama sträflich deplaziert. Ein erster Tipp von meiner Seite aus - große Vorfreude.

Marc Rothemunds Sophie Scholl – Die letzten Tage schildert die letzten sechs Tage im Leben der 1943 in Nazi-Deutschland hingerichteten Mitbegründerin der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“. Julia Jentsch (Die fetten Jahre sind vorbei) spielt die junge Studentin, die ihren Überzeugungen auch dann nicht abschwört, als ihr der Tod droht.

In Hannes Stöhrs episodischer Komödie One Day in Europe werden vor dem Hintergrund eines Champions-League-Finales Touristen in Moskau, Istanbul, Santiago de Compostela und Berlin in Diebstähle verwickelt. Die Emotionen kochen an allen Orten. In der deutsch-spanischen Ko-Produktion spielen u.a. Erdal Yildiz, Florian Lukas, Miguel Lira und Boris Arquier.

Frankreich
Zu den französischen Wettbewerbsbeiträgen gehören Le promeneur du Champ de Mars von Robert Guédiguian und Les temps qui changent von André Téchiné.

Basierend auf der gleichnamigen Biografie von Georges-Marc Benamou erzählt der Regisseur in Le Promeneur du Champ de Mars von den letzten Tagen François Mitterrands, in denen er seinem Vertrauten, einem jungen Journalisten, intimste Geheimnisse und persönliche Erinnerungen offenbart. Michel Bouquet (Toto, der Held) verkörpert den ehemaligen französischen Staatspräsidenten.

In Téchinés Film spielen Catherine Deneuve und Gérard Depardieu ein Liebespaar, das sich nach dreißigjähriger Trennung in Tanger wieder begegnet. Ihre Gefühle füreinander sind längst noch nicht aufgearbeitet.

USA
Der amerikanische Regisseur Wes Anderson, zuletzt mit der Familiengroteske The Royal Tenenbaums im Berlinale-Wettbewerb zu Gast, präsentiert mit The Life Aquatic eine irrwitzige Unterwasser-Komödie über eine exzentrische Familie auf der Jagd nach einem mörderischen Hai. Bill Murray, Willem Dafoe, Anjelica Huston und Owen Wilson spielen die Hauptrollen.
Kommentar: Ganz offensichtlich eine Platzierung als Starvehikel im Wettbewerb. Mir soll das recht sein: Ich mochte Royal Tenenbaums sehr (auch wenn mir Rushmore verschlossen blieb) und die Aussicht, eventuell Bill Murray in einer Pressekonferenz zu erleben, ist nicht die Schlechteste. Von meiner Seite aus Empfehlung Nummer 2!

Einen Blick in die selbstzerstörerischen Abgründe einer obsessiven ‚amour fou’ im prüden Großbritannien der 50er Jahre eröffnet Regisseur David Mackenzie in Asylum (USA/Irland): Natasha Richardson spielt die Frau eines Psychiaters, die eine leidenschaftliche Affäre mit einem Patienten ihres Mannes beginnt. In weiteren Rollen sind Sir Ian McKellen (Herr der Ringe) und Hugh Bonneville (Iris) zu sehen.
Kommentar: Liest sich auf den ersten Blick an wie einer jener obligatorischen "Problemfilme", die im Wettbewerb 2004 arg überrepräsentiert waren.

Afrika
Mark Dornford-May siedelt seine Filmadaption der Bizet-Oper U-Carmen e-Khayelitsha (Carmen in Khayelitsha) in den südafrikanischen Townships an und inszeniert sie vollständig in der Landessprache Xhosa. Die Titelrolle in diesem Regiedebüt aus Südafrika spielt die auf internationalen Opernbühnen gefeierte Pauline Malefane, die selbst aus Khayelitsha stammt.

Einen weiteren Blick auf Afrika wirft die britisch-südafrikanisch-italienische Ko-Produktion Hotel Rwanda, die als europäische Premiere außer Konkurrenz im Wettbewerb läuft. Regisseur Terry George erzählt die wahre Geschichte des Hotelmanagers Paul Rusesabagina (Don Cheadle, nominiert für den Golden Globe), der während des Bürgerkriegs über tausend Tutsi-Flüchtlingen Unterschlupf vor der Hutu-Miliz gewährte.

Asien
Gu Changwei, einer der bekanntesten und erfolgreichsten Kameramänner des chinesischen Films (Lebewohl, meine Konkubine), präsentiert bei der Berlinale sein Regiedebüt mit der Weltpremiere Peacock. Er schildert den Alltag einer Familie in einer kleinen Stadt in der Provinz Henan. Die Handlung beginnt nach dem Ende der Kulturrevolution in den siebziger Jahren und endet 1984.
Kommentar: Empfehlung Nummer 3 bislang, ausgehend allein von dem Konkubinenfilm, den ich sehr gut fand.


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Thema: Kinokultur
Das Jahr neigt sich dem Ende zu, Zeit für Bilanzen und Rückblicke. Ich selbst halte mich noch etwas bedeckt, da ich bis Silvester noch ein paar Lücken schließen will. Aber Film Comment hat bereits eine in der Tat sehr schöne Jahresliste ins Netz gestellt, der man über weite Strecken nur zustimmen kann. Und manche Anregungen, bzw. Erinnerung findet sich auch darin.

[via knoerer-furl]


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