Thema: Berlinale 2008
16. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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Dass der Experimentalfilmregisseur Guy Maddin für seinen ersten Dokumentarfilm auf eine hierfür übliche Filmform zurückgreifen würde, wird keiner ernsthaft erwartet haben: In seinem mittlerweile stattlichen Werk entwickelte der Kanadier eine im internationalen Filmgeschehen einzigartige Formsprache, die klassische Undergroundfilm-Ästhetik mit dem ästhetischen Repertoire des Stummfilms und anderer historischer Filmformen geradezu hyperbolisch eskalierend verschmilzt. Postmoderner Zitatereigen und bloß sich anschmiegende Pastiche-Ränke hingegen sind seine Sache nicht; zwar bedient sich Maddin reichhaltig aus dem Fundus der Filmgeschichte, greift diese Elemente aber lediglich auf, um sie vermittels einer hochassoziativen Montage zu einem ekstatisch-rauschhaften „stream of consciousness“ zu verdichten, der immer auch, so zumindest die Behauptung, autobiografisch eingefärbt ist: Gedächtnis und Erinnerung sind bei Maddin, so hat es den Anschein, immer schon von den geisterhaften Bildern der Geschichte besiedelt. Wenn Guy Maddin also den Spuren der Geschichte seiner Heimatstadt Winnipeg folgt, darf man annehmen, dass er hierfür vor allem in den verschütteten Schichtungen seiner eigenen Erinnerung schürft und diese in delirante Bilder umsetzt. Jeglichen Anspruch auf Objektivität verbietet schließlich schon der Filmtitel.
Winnipeg erscheint als mythologisch überhöhter Ort: In der Mitte des nordamerikanischen Kontinents gelegen, entstanden an einer Kreuzung zweier Flüsse, die immer wieder assoziativ mit dem Schoß der eigenen Mutter verquickt werden, eine Stadt, die den Großteil des Jahres eingeschneit ist und deren Bewohner Maddin als eine Horde Somnambuler darstellt. Ein Ort, der Maddin wie ein Alb auf die Seele drückt, mehr „haunting ghost“ als konkrete Lokalität, ein Ort, der ihn hervorgebracht, wenn nicht ausgespien hat, sein steter biografischer Bezugspunkt (immer wieder kommt Maddin in seinen Filmen auf Winnipeg zu sprechen), dem doch unbedingt zu entfliehen ist. My Winnipeg, ein anscheinend nötig gewordener Exorzismus: Aufwachen aus diesem Albtraum Winnipeg, von hier fliehen, das ist Maddins Programm.
Dazu gräbt er tief in der Geschichte, auf deren Episoden er die Stationen seiner Biografie bezieht. Eine Auflistung großer Männer und ihrer Taten darf deshalb nicht erwartet werden, Maddin betont das Obskure, Abseitige, Verwunderliche: Dass Winnipeg den größten Güterbahnhof Nordamerikas hat beispielsweise, oder aber er berichtet von seltsamen Stadtfesten, von verqueren TV-Serien, in denen seine Mutter (hier erstmals bei Maddin von sich selbst gespielt) mitgewirkt hat, natürlich von dem Friseursalon, in dem er aufgewachsen ist, von dessen beißenden Gerüchen, von Neben- und Hinterstraßen, vom Schnee über der Stadt und von mystischen Seancen im Rathaus unter Teilname von Politikern und Bordell-Geschäftsführerinnen. Dies alles geschieht wie in einem flirrenden Wachtraum, in Form des für Maddin so typischen, filmhistorisch informierten Gleitens durch wehmütige Erinnerungen und assoziative Gedankenfetzen, die der Regisseur im fortwährenden Off-Kommentar einbaut.
Je tiefer Maddin gräbt, umso mehr Schichten der Stadt, wie seiner Persönlichkeit, legt er frei. „A City of Palimpsests“, sagt er an einer Stelle in einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Dabei geht es ihm, im Endeffekt, genau um die Rettung dieser historischen Schichten: Denn dies alte Winnipeg, in dem Maddin aufgewachsen ist, droht vom Modernisierungsschub unaufhaltsam verdrängt zu werden. Das alte Eishockeystadion, in dem die Winnipeg Maroons manch glorreichen Sieg davontrugen, an das Maddin goldene Kindheitserinnerungen knüpft, in dem seit Jahrzehnten jener charakteristische Duft aus Männerschweiß und Pisse durch die Gänge zieht, muss einer seelen-, also geister-, da geschichtslosen Shopping Mall weichen, derweil ein neues, für Maddin gänzlich uninteressantes Stadion an anderer Stelle aufgebaut wird. In diesen Momenten erwacht der Filmträumer Maddin und lässt als Kommentator des aktuellen Stadtgeschehens seinem narzisstisch eingefärbten Zorn freien Lauf; um die Hässlichkeit des bloß Präsentischen herauszustellen, werden in solchen Spitzen die traumwandlerischen Schwarzweißbilder durch lediglich die blanke Materialität der äußeren Erscheinung transportierende Digitalfotografien verdrängt, so dass man erbarmungslos mit der Nase voran auf das Pflaster der Realität gestoßen wird.
Die Reise in Guy Maddins Heimatstadt entspricht einer Reise in Guy Maddins verkarstete Neurosenwelt, sein Verhältnis zur Stadt entspricht, ganz psychoanalytisch, dem zwischen Mutter und Kleinkind: Zwischen verzehren wollender Liebe und drangsalierendem Hass. Maddins Flucht muss – wie die von der Mutter - notwendig erfolglos bleiben: Mit seinem wunderbaren Doku-Biography-Amalgam My Winnipeg setzt er seiner Stadt ein eigenwilliges, dunkel glitzerndes Denkmal und verschweißt sich so noch mehr mit ihr. Ohne Winnipeg ist Maddin nicht denkbar, und jetzt, nach diesem Film, auch Winnipeg nicht mehr ohne Maddin.
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Dass der Experimentalfilmregisseur Guy Maddin für seinen ersten Dokumentarfilm auf eine hierfür übliche Filmform zurückgreifen würde, wird keiner ernsthaft erwartet haben: In seinem mittlerweile stattlichen Werk entwickelte der Kanadier eine im internationalen Filmgeschehen einzigartige Formsprache, die klassische Undergroundfilm-Ästhetik mit dem ästhetischen Repertoire des Stummfilms und anderer historischer Filmformen geradezu hyperbolisch eskalierend verschmilzt. Postmoderner Zitatereigen und bloß sich anschmiegende Pastiche-Ränke hingegen sind seine Sache nicht; zwar bedient sich Maddin reichhaltig aus dem Fundus der Filmgeschichte, greift diese Elemente aber lediglich auf, um sie vermittels einer hochassoziativen Montage zu einem ekstatisch-rauschhaften „stream of consciousness“ zu verdichten, der immer auch, so zumindest die Behauptung, autobiografisch eingefärbt ist: Gedächtnis und Erinnerung sind bei Maddin, so hat es den Anschein, immer schon von den geisterhaften Bildern der Geschichte besiedelt. Wenn Guy Maddin also den Spuren der Geschichte seiner Heimatstadt Winnipeg folgt, darf man annehmen, dass er hierfür vor allem in den verschütteten Schichtungen seiner eigenen Erinnerung schürft und diese in delirante Bilder umsetzt. Jeglichen Anspruch auf Objektivität verbietet schließlich schon der Filmtitel.
Winnipeg erscheint als mythologisch überhöhter Ort: In der Mitte des nordamerikanischen Kontinents gelegen, entstanden an einer Kreuzung zweier Flüsse, die immer wieder assoziativ mit dem Schoß der eigenen Mutter verquickt werden, eine Stadt, die den Großteil des Jahres eingeschneit ist und deren Bewohner Maddin als eine Horde Somnambuler darstellt. Ein Ort, der Maddin wie ein Alb auf die Seele drückt, mehr „haunting ghost“ als konkrete Lokalität, ein Ort, der ihn hervorgebracht, wenn nicht ausgespien hat, sein steter biografischer Bezugspunkt (immer wieder kommt Maddin in seinen Filmen auf Winnipeg zu sprechen), dem doch unbedingt zu entfliehen ist. My Winnipeg, ein anscheinend nötig gewordener Exorzismus: Aufwachen aus diesem Albtraum Winnipeg, von hier fliehen, das ist Maddins Programm.
Dazu gräbt er tief in der Geschichte, auf deren Episoden er die Stationen seiner Biografie bezieht. Eine Auflistung großer Männer und ihrer Taten darf deshalb nicht erwartet werden, Maddin betont das Obskure, Abseitige, Verwunderliche: Dass Winnipeg den größten Güterbahnhof Nordamerikas hat beispielsweise, oder aber er berichtet von seltsamen Stadtfesten, von verqueren TV-Serien, in denen seine Mutter (hier erstmals bei Maddin von sich selbst gespielt) mitgewirkt hat, natürlich von dem Friseursalon, in dem er aufgewachsen ist, von dessen beißenden Gerüchen, von Neben- und Hinterstraßen, vom Schnee über der Stadt und von mystischen Seancen im Rathaus unter Teilname von Politikern und Bordell-Geschäftsführerinnen. Dies alles geschieht wie in einem flirrenden Wachtraum, in Form des für Maddin so typischen, filmhistorisch informierten Gleitens durch wehmütige Erinnerungen und assoziative Gedankenfetzen, die der Regisseur im fortwährenden Off-Kommentar einbaut.
Je tiefer Maddin gräbt, umso mehr Schichten der Stadt, wie seiner Persönlichkeit, legt er frei. „A City of Palimpsests“, sagt er an einer Stelle in einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Dabei geht es ihm, im Endeffekt, genau um die Rettung dieser historischen Schichten: Denn dies alte Winnipeg, in dem Maddin aufgewachsen ist, droht vom Modernisierungsschub unaufhaltsam verdrängt zu werden. Das alte Eishockeystadion, in dem die Winnipeg Maroons manch glorreichen Sieg davontrugen, an das Maddin goldene Kindheitserinnerungen knüpft, in dem seit Jahrzehnten jener charakteristische Duft aus Männerschweiß und Pisse durch die Gänge zieht, muss einer seelen-, also geister-, da geschichtslosen Shopping Mall weichen, derweil ein neues, für Maddin gänzlich uninteressantes Stadion an anderer Stelle aufgebaut wird. In diesen Momenten erwacht der Filmträumer Maddin und lässt als Kommentator des aktuellen Stadtgeschehens seinem narzisstisch eingefärbten Zorn freien Lauf; um die Hässlichkeit des bloß Präsentischen herauszustellen, werden in solchen Spitzen die traumwandlerischen Schwarzweißbilder durch lediglich die blanke Materialität der äußeren Erscheinung transportierende Digitalfotografien verdrängt, so dass man erbarmungslos mit der Nase voran auf das Pflaster der Realität gestoßen wird.
Die Reise in Guy Maddins Heimatstadt entspricht einer Reise in Guy Maddins verkarstete Neurosenwelt, sein Verhältnis zur Stadt entspricht, ganz psychoanalytisch, dem zwischen Mutter und Kleinkind: Zwischen verzehren wollender Liebe und drangsalierendem Hass. Maddins Flucht muss – wie die von der Mutter - notwendig erfolglos bleiben: Mit seinem wunderbaren Doku-Biography-Amalgam My Winnipeg setzt er seiner Stadt ein eigenwilliges, dunkel glitzerndes Denkmal und verschweißt sich so noch mehr mit ihr. Ohne Winnipeg ist Maddin nicht denkbar, und jetzt, nach diesem Film, auch Winnipeg nicht mehr ohne Maddin.
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16. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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Ein ausgemachter Pimpf von heruntergekommenem Adelpatriarchen erliegt den Einflüsterungen seines opportunistischen Schwagers und verhökert seine beiden Töchter an den um einen Thronfolger bangenden König Heinrich VIII., nur um damit, infolge einiger Unabsehbarkeiten und Intrigen, das Leben seines Nachwuchses aufs Spiel zu setzen, was mit weitreichenden welthistorischen Erschütterungen - die Lossagung Englands von der katholischen Kirche - einher geht.
Ausgewalkt wird dies in 115 langen Minuten, in denen jede Kameraeinstellung sitzt, jeder Lichtstrahl exakt hingetupft ist, fortwährend Zeugnis abgelegt wird von Überstunden der Ausstattungs- und Schminke-Crew und regelmäßig Wolken im Zeitraffer bedeutungsschwanger über Adelshäuser hinwegfliegen dürfen. Die Schwester der Königin ist durch und durch glossy und über seine gesamte Spieldauer unerträglich geschmackvoll.
Was er erzählt, wäre von einigem historischen Interesse. Immer wieder gibt es eine Ahnung des Risses durch die Bevölkerung, den die schwanzfixierten Manöver des Königs zur Begattungs-Durchsetzung von Anne Boleyn hervorriefen, die schließlich die Church of England zur Gründung brachten, allein es wird sich nicht die Bohne dafür interessiert. Stattdessen viel persönliches Drama und Tränenrühriges, ein bisschen Kindstod hier, ein wenig Vergewaltigung von hinten dort, nicht enden wollende Geilheit, versuchter Inzest dann und schließlich auch Enthauptungen - stets unter Wahrung von Geschmack und Respekt vor den Sehgewohnheiten des Publikums: Die Schwester der Königin erzählt sich nach Manier eines süßlich-traurigen Romanheftchens industrieller Fertigung für bildungsferne Hausfrauen im fortgeschrittenen Alter. Solche werden sich auf einen schönen Kinoabend freuen, andere dürfen sich beleidigt fühlen.
Ein ausgemachter Pimpf von heruntergekommenem Adelpatriarchen erliegt den Einflüsterungen seines opportunistischen Schwagers und verhökert seine beiden Töchter an den um einen Thronfolger bangenden König Heinrich VIII., nur um damit, infolge einiger Unabsehbarkeiten und Intrigen, das Leben seines Nachwuchses aufs Spiel zu setzen, was mit weitreichenden welthistorischen Erschütterungen - die Lossagung Englands von der katholischen Kirche - einher geht.
Ausgewalkt wird dies in 115 langen Minuten, in denen jede Kameraeinstellung sitzt, jeder Lichtstrahl exakt hingetupft ist, fortwährend Zeugnis abgelegt wird von Überstunden der Ausstattungs- und Schminke-Crew und regelmäßig Wolken im Zeitraffer bedeutungsschwanger über Adelshäuser hinwegfliegen dürfen. Die Schwester der Königin ist durch und durch glossy und über seine gesamte Spieldauer unerträglich geschmackvoll.
Was er erzählt, wäre von einigem historischen Interesse. Immer wieder gibt es eine Ahnung des Risses durch die Bevölkerung, den die schwanzfixierten Manöver des Königs zur Begattungs-Durchsetzung von Anne Boleyn hervorriefen, die schließlich die Church of England zur Gründung brachten, allein es wird sich nicht die Bohne dafür interessiert. Stattdessen viel persönliches Drama und Tränenrühriges, ein bisschen Kindstod hier, ein wenig Vergewaltigung von hinten dort, nicht enden wollende Geilheit, versuchter Inzest dann und schließlich auch Enthauptungen - stets unter Wahrung von Geschmack und Respekt vor den Sehgewohnheiten des Publikums: Die Schwester der Königin erzählt sich nach Manier eines süßlich-traurigen Romanheftchens industrieller Fertigung für bildungsferne Hausfrauen im fortgeschrittenen Alter. Solche werden sich auf einen schönen Kinoabend freuen, andere dürfen sich beleidigt fühlen.
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Thema: Berlinale 2008
13. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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13. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Wohl eines der Highlights der diesjährigen Berlinale - und von mir leider noch nicht ein einziges Mal besucht - ist Ekkehard zufolge die Hommage an Francesco Rosi, Bei aufsmaulsuppe, wo ebenfalls fleißig von der Berlinale gebloggt wird, findet sich der Hinweis auf einen bereits 1987 von Georg Seeßlen verfassten, bei der alten Tante filmzentrale hinterlegten Essay zum Werk des geehrten Regisseurs.
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13. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Nur den Akkreditierten Berlinale ist die unglaublich kleine, alte Dame ein Begriff, normalsterbliche Besucher kennen nur ihre Bilder: Erika Rabau, oder eben schlicht: Erika. Keine Pressekonferenz ohne die schrullige Hoffotografin des Festivals in der ersten Reihe. Im Berlinale-Staralbum der taz wird sie näher vorgestellt. 2004 war sie bereits der Berliner Zeitung sowie dem Tagesspiegel ein Portrait wert.
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13. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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In der lediglich Akkreditierten und Branchenbesuchern zugänglichen Sektion "German Cinema" wurde auch Dominik Grafs neuer Film Das Gelübde, wenn ich das richtig überblicke eine Fernsehproduktion mit bislang nicht festgelegten Erstausstrahlungstermin, gezeigt. Ein eigenartiger, flirrender, aber schöner Film.
Basierend auf dem Kurzroman des Fantasy-Schriftstellers Kay Meyer (hier sein Weblog), den ich allerdings nicht gelesen habe, erzählt er von der historischen, um fiktionale Elemente erweiterten Begegnung des romantischen Schriftstellers Clemens Brentano mit der 2004 seliggesprochenen Nonne Anna Katharina Emmerick im Jahr 1819 im Westfälischen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen frommem Katholizismus und Anti-Aufklärung auf der einen Seite, preußische Disziplin und Fortschrittsglaube auf der anderen. Die Stigmata der Emmerick und ihre Visionen treiben den frisch zur Frömmigkeit gefundenen Romantiker und Ex-Lebemann dazu, sich hinter alle Kunst zu stellen und als braver Protokollant die Trance-Reden der Nonnen aufzuschreiben. Das Buch Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi ist Zeugnis dieser jahrelangen Schreibarbeit und zudem wohl, wenn man diversen Websites und der Wikipedia zum Thema Glauben schenken darf, Inspiration für die Grausamkeiten in Mel Gibsons blödsinnigen Jesus-Gewaltporno The Passion of the Christ.
Die Begegnung ist schicksalsschwer: Brentano, als Seitenwechsler vom Preußentum zu religiös informierter Mittelalterromantik, erscheint als Figur seiner Zeit, in denen sich die seinerzeitigen historischen Frontstellungen aufreibend manifestieren. Brentano, so wird es wenigstens impliziert, geht eine eigenartige Liebesgeschichte zu der Nonne ein, über der er seine eigene Liebe aufs Spiel setzt und verliert, erkrankt schwer und ergeht sich in allerlei Wahnsinn, wie er Romantiker - Hölderlin im Turm - gern ereilt. Graf setzt dies nicht brav nach Lehrbuch um, sondern verleiht auch seinem Film eine Tendenz zum Irrealen, Enthobenen und Gleitenden.
Nonnen, Wahnsinn, Teufelei, das Vexierspiel aus Zucht und Unzucht vor Kulisse des 19. Jahrhunderts: Das gab's schon einmal in der Filmgeschichte, im später so genannten Nunsploitation-Film vornehmlich italienischer Herkunft. Nun wäre es wohl vermessen, Grafs Film wegwischend in eben diese Tradition zu stellen, doch scheint er, unter Deutschlands namhaften Regisseuren dem kernigen Genre-Handwerk noch am ehesten verpflichtet, von diesem zumindest informiert zu sein, wenn er Das Gelübde als stark assoziativ geschnittenen Film inszeniert und dabei auffallend oft das Stilmittel des Zooms - eigentlich verpönt, im italienischen Genrekino aber gang und gäbe, beim Spanier Jess Franco, der selbst einige Nonnenfilme gedreht hat, zur deliranten Kunst gereift - einsetzt: Immer folgt das Bild den Aufmerksamkeiten und Gedanken der Protagonisten, wenn die Montage Aspekte der Handlung krass betont und schnelle Zooms Affekte umsetzen; das leicht grobe Korn des Filmmaterials, die Ausstattung und der immer leicht irrealisierende Gestus der Inszenierung erinnern zudem auf sehr sympathische Weise an das Genrekino der 70er Jahre.
Das Gelübde ist auf gewisse Weise ein Gegenton im deutschen Fernsehfilmschaffen. Orientiert ist er an der etwas rabiateren Genretradition, dennoch ist er auf das nicht zu reduzieren, denn es ist ihm durchaus auch um Kunst zu tun, wenngleich er vom spröde protestantisch anmutenden Kunstfilm mit Aussagecharakter deutscher Provenienz nicht das geringste wissen will.
Graf erweist sich einmal mehr als verlässlicher Maverick der hiesigen Filmproduktion. Zu hoffen bleibt, dass dieser schöne Film nicht dazu verdammt wird, bloß auf Fernsehbildschirmen zu verhungern, sondern auch, denn hier entwickelt er Qualität, im Kino zu sehen sein wird.
In der lediglich Akkreditierten und Branchenbesuchern zugänglichen Sektion "German Cinema" wurde auch Dominik Grafs neuer Film Das Gelübde, wenn ich das richtig überblicke eine Fernsehproduktion mit bislang nicht festgelegten Erstausstrahlungstermin, gezeigt. Ein eigenartiger, flirrender, aber schöner Film.
Basierend auf dem Kurzroman des Fantasy-Schriftstellers Kay Meyer (hier sein Weblog), den ich allerdings nicht gelesen habe, erzählt er von der historischen, um fiktionale Elemente erweiterten Begegnung des romantischen Schriftstellers Clemens Brentano mit der 2004 seliggesprochenen Nonne Anna Katharina Emmerick im Jahr 1819 im Westfälischen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen frommem Katholizismus und Anti-Aufklärung auf der einen Seite, preußische Disziplin und Fortschrittsglaube auf der anderen. Die Stigmata der Emmerick und ihre Visionen treiben den frisch zur Frömmigkeit gefundenen Romantiker und Ex-Lebemann dazu, sich hinter alle Kunst zu stellen und als braver Protokollant die Trance-Reden der Nonnen aufzuschreiben. Das Buch Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi ist Zeugnis dieser jahrelangen Schreibarbeit und zudem wohl, wenn man diversen Websites und der Wikipedia zum Thema Glauben schenken darf, Inspiration für die Grausamkeiten in Mel Gibsons blödsinnigen Jesus-Gewaltporno The Passion of the Christ.
Die Begegnung ist schicksalsschwer: Brentano, als Seitenwechsler vom Preußentum zu religiös informierter Mittelalterromantik, erscheint als Figur seiner Zeit, in denen sich die seinerzeitigen historischen Frontstellungen aufreibend manifestieren. Brentano, so wird es wenigstens impliziert, geht eine eigenartige Liebesgeschichte zu der Nonne ein, über der er seine eigene Liebe aufs Spiel setzt und verliert, erkrankt schwer und ergeht sich in allerlei Wahnsinn, wie er Romantiker - Hölderlin im Turm - gern ereilt. Graf setzt dies nicht brav nach Lehrbuch um, sondern verleiht auch seinem Film eine Tendenz zum Irrealen, Enthobenen und Gleitenden.
Nonnen, Wahnsinn, Teufelei, das Vexierspiel aus Zucht und Unzucht vor Kulisse des 19. Jahrhunderts: Das gab's schon einmal in der Filmgeschichte, im später so genannten Nunsploitation-Film vornehmlich italienischer Herkunft. Nun wäre es wohl vermessen, Grafs Film wegwischend in eben diese Tradition zu stellen, doch scheint er, unter Deutschlands namhaften Regisseuren dem kernigen Genre-Handwerk noch am ehesten verpflichtet, von diesem zumindest informiert zu sein, wenn er Das Gelübde als stark assoziativ geschnittenen Film inszeniert und dabei auffallend oft das Stilmittel des Zooms - eigentlich verpönt, im italienischen Genrekino aber gang und gäbe, beim Spanier Jess Franco, der selbst einige Nonnenfilme gedreht hat, zur deliranten Kunst gereift - einsetzt: Immer folgt das Bild den Aufmerksamkeiten und Gedanken der Protagonisten, wenn die Montage Aspekte der Handlung krass betont und schnelle Zooms Affekte umsetzen; das leicht grobe Korn des Filmmaterials, die Ausstattung und der immer leicht irrealisierende Gestus der Inszenierung erinnern zudem auf sehr sympathische Weise an das Genrekino der 70er Jahre.
Das Gelübde ist auf gewisse Weise ein Gegenton im deutschen Fernsehfilmschaffen. Orientiert ist er an der etwas rabiateren Genretradition, dennoch ist er auf das nicht zu reduzieren, denn es ist ihm durchaus auch um Kunst zu tun, wenngleich er vom spröde protestantisch anmutenden Kunstfilm mit Aussagecharakter deutscher Provenienz nicht das geringste wissen will.
Graf erweist sich einmal mehr als verlässlicher Maverick der hiesigen Filmproduktion. Zu hoffen bleibt, dass dieser schöne Film nicht dazu verdammt wird, bloß auf Fernsehbildschirmen zu verhungern, sondern auch, denn hier entwickelt er Qualität, im Kino zu sehen sein wird.
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Thema: Berlinale 2008
13. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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» Vorführtermine
» siehe auch: Lukas (begeistert), Anja (beglückt) und Ekkehard (knapp, enttäuscht)
Als Spatzen – Sparrows – bezeichnet man in Hongkong die Taschendiebe, eine dort, wie Johnnie To in der Pressekonferenz süffisant anmerkt, aussterbende Zunft. Aussterbend ist auch die Zunft der Filmemacher, die im Genrekino nicht so sehr auf technologische Selbstläufer, sondern auf exakte Inszenierung, Raumverständnis usw. setzen; und wenn es darum geht, sich im Raum exakt bewegen zu können, ihn für sich zu nutzen, dann sind Taschendiebe und solche Filmemacher, wie To einer ist, mitunter wesensverwandt - der vorliegende Film ist hierfür schöner Beweis.
Sparrow ist zugleich eine Herzensangelegenheit für seinen Regisseur. Vier Jahre lang hat To daran gearbeitet und wäre die Berlinale-Anfrage nicht dazwischen gekommen, so To in einem Interview, würde er noch heute wohl an ihm basteln. Immer wieder rückte er hinter andere Arbeiten – das übliche Maß an Auftragsarbeiten, aber auch ambitionierte Projekte wie die beiden Election-Filme – und wurde nur dann, wie To sagt, fortgesetzt, wenn es die Inspiration hergab. Das ist einerseits vor dem Hintergrund der allgemeinen Produktionsbedingungen in Hongkong bemerkenswert, wo schnelles Produktionsgeld schnellen Ertrag sichern soll, aber auch vor demjenigen, dass To pro Jahr mithin drei bis vier Filme vorlegt.
Dass man dem Film diese Entstehungsgeschichte anmerkt, wäre noch leicht untertrieben. Sparrow zerfällt, wie zuletzt kein anderer Film des Regisseurs, in eine Abfolge ineinander purzelnde set pieces, in denen sich die kaum ausgefeilte Geschichte – ohnedies keine Spezialität Johnnie Tos – gerade mal so ausbuchstabiert: Erzählt wird von Kei (Johnnie-To-Regular Simon Yam), einem sympathischen, augenzwinkernd und hochelegant zu Werke gehenden Taschendieb, der mit drei Partnern – allesamt eher Witzfiguren aus dem Kabinett der Hongkong-Komödie – in hübsch arrangierten Anordnungen auf der Straße zu Werke geht. Wie es ihm, und damit dem Film, an jenen ultra-kriminellen Aspekten, die ansonsten mit dem Hongkong-Film assoziiert sind, mangelt, so mangelt es ihm auch am Pathos, den man gemeinhin aus Hongkong kennt. Kei ist ein Kleinkrimineller, der eher an seinem „Handwerk“ interessiert scheint, als am großen Geld, das sich in den Triaden machen ließe.
Wie jeder gute To-Film spielt auch Sparrow über weite Strecken auf den Straßen seiner Stadt: Als Flaneur streift Kei mit einer alten Kamera durch Hongkong, immer auf der Suche nach schönen Motiven. Dass Sparrow auch ein Film über den Wandel seiner Heimatstadt sei, wo in den letzten Jahren zahlreiche alte Gebäude neuen, modernen Komplexen weichen mussten, darauf weist Johnnie To in der Pressekonferenz hin; mit seiner Kamera hält Kei dieses alte, zurückgedrängte Hongkong fest, genau wie der Film, der, im Hintergrund und am Rande, auch über den Zeitraum seiner Entstehung den Wandel in der Stadt beobachtet. Bei einem solchen Foto-Streifzug tritt Kei schließlich auch die schöne Chun Lei (die wunderbare Kelly Lin) vor den Sucher, die, wie sich bald herausstellt, nicht nur ihm, sondern auch seinen Partnern systematisch den Kopf verdreht und dies mit Grund: Als Festland-Chinesin ist sie einem alten Schwerkriminellen, einem ehemaligen Taschendieb, der ihren Pass unter Verschluss hält, um sie so an sich zu binden, ausgeliefert: Im Duell der Taschendiebe, ausgetragen in den Straßen von Hongkong, entscheidet sich Chun Leis Schicksal.
To erzählt seinen Film anhand überschaubarer, mal von einer kleinen, mal von einer großen Idee getragenen Sequenzen, denen man stets ansieht, dass sie nicht einem übergeordeneten Masterplan, sondern allein der gelegentlichen Inspiration zwischen zwei anderen Arbeiten entspringen. Dabei ging es nie um den großen cineastischen Wurf, sondern eher um freudiges Ausprobieren und die Lust am Experiment, stets von einem Augenzwinkern begleitet. Eine Standardsituation etwa, wie man sie aus zahlreichen Komödien kennt – eine Verfolgung wird durch Leute behindert, die einen großen Gegenstand durch die ohnedies schon beengte Gegend tragen -, wird in Sparrow zu einem kleinen, frechen Meisterstück auf engstem Raum (in einem Hochhausaufzug); den Versuch, einen begehrten Gegenstand zu entwenden – ein Amulett am Halse des Gegenspielers -, inszeniert To als Travestie in der Arztpraxis mit Humor auf kleinstem Raume; atemberaubend hingegen sind seine, wider alle Hongkong-Tradition, entschleunigenden Momente, wenn er eine Verfolgung auf dem Fahrrad inszeniert oder beim grandiosen Showdown, der, statt großer Oper, den Zeitlupen-Minimalismus zwischen Jackentaschen und Regenschirmen sucht. Zwar ist nicht jedes set piece die ganz große Kunst geworden, ein großer Spaß sind sie aber, je auf eigene Weise, schon.
So wie Straßendiebe einen übertölpeln, übertölpelt freilich auch To, der hier On und Off des Bildes mit der großen Souveränität des erfahrenen Filmemachers, der er ist, zu nutzen versteht; zum sympathisch ironischen Grundton des Filmes gehört freilich, dass er nicht jeden Trick der Taschendiebe ins Bild setzt, sondern oft genug ins Nicht-Sichtbare verrückt. Die freche Dreistigkeit, mit der er zwischen Nachvollzug des Geschehens und bloßem Budenzauber changiert, gehört aber mit zur schönen Unbekümmertheit von Sparrow.
Johnnie Tos bester und beeindruckendster Film ist Sparrow zwar nicht geworden; nach wie gehört es zu den großen Verfehlungen aus den Geschichtsbüchern der Berlinale, PTU (2003) seinerzeit nicht in den Wettbewerb geholt zu haben; dennoch, nach den düsteren Triadendramen der Election-Reihe und Exiled ist es ein Genuss, To mal wieder in guter Tradition einfach nur mit Film und seinen Formen fröhlich herumspielen zu sehen.
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» siehe auch: Lukas (begeistert), Anja (beglückt) und Ekkehard (knapp, enttäuscht)
Als Spatzen – Sparrows – bezeichnet man in Hongkong die Taschendiebe, eine dort, wie Johnnie To in der Pressekonferenz süffisant anmerkt, aussterbende Zunft. Aussterbend ist auch die Zunft der Filmemacher, die im Genrekino nicht so sehr auf technologische Selbstläufer, sondern auf exakte Inszenierung, Raumverständnis usw. setzen; und wenn es darum geht, sich im Raum exakt bewegen zu können, ihn für sich zu nutzen, dann sind Taschendiebe und solche Filmemacher, wie To einer ist, mitunter wesensverwandt - der vorliegende Film ist hierfür schöner Beweis.
Sparrow ist zugleich eine Herzensangelegenheit für seinen Regisseur. Vier Jahre lang hat To daran gearbeitet und wäre die Berlinale-Anfrage nicht dazwischen gekommen, so To in einem Interview, würde er noch heute wohl an ihm basteln. Immer wieder rückte er hinter andere Arbeiten – das übliche Maß an Auftragsarbeiten, aber auch ambitionierte Projekte wie die beiden Election-Filme – und wurde nur dann, wie To sagt, fortgesetzt, wenn es die Inspiration hergab. Das ist einerseits vor dem Hintergrund der allgemeinen Produktionsbedingungen in Hongkong bemerkenswert, wo schnelles Produktionsgeld schnellen Ertrag sichern soll, aber auch vor demjenigen, dass To pro Jahr mithin drei bis vier Filme vorlegt.
Dass man dem Film diese Entstehungsgeschichte anmerkt, wäre noch leicht untertrieben. Sparrow zerfällt, wie zuletzt kein anderer Film des Regisseurs, in eine Abfolge ineinander purzelnde set pieces, in denen sich die kaum ausgefeilte Geschichte – ohnedies keine Spezialität Johnnie Tos – gerade mal so ausbuchstabiert: Erzählt wird von Kei (Johnnie-To-Regular Simon Yam), einem sympathischen, augenzwinkernd und hochelegant zu Werke gehenden Taschendieb, der mit drei Partnern – allesamt eher Witzfiguren aus dem Kabinett der Hongkong-Komödie – in hübsch arrangierten Anordnungen auf der Straße zu Werke geht. Wie es ihm, und damit dem Film, an jenen ultra-kriminellen Aspekten, die ansonsten mit dem Hongkong-Film assoziiert sind, mangelt, so mangelt es ihm auch am Pathos, den man gemeinhin aus Hongkong kennt. Kei ist ein Kleinkrimineller, der eher an seinem „Handwerk“ interessiert scheint, als am großen Geld, das sich in den Triaden machen ließe.
Wie jeder gute To-Film spielt auch Sparrow über weite Strecken auf den Straßen seiner Stadt: Als Flaneur streift Kei mit einer alten Kamera durch Hongkong, immer auf der Suche nach schönen Motiven. Dass Sparrow auch ein Film über den Wandel seiner Heimatstadt sei, wo in den letzten Jahren zahlreiche alte Gebäude neuen, modernen Komplexen weichen mussten, darauf weist Johnnie To in der Pressekonferenz hin; mit seiner Kamera hält Kei dieses alte, zurückgedrängte Hongkong fest, genau wie der Film, der, im Hintergrund und am Rande, auch über den Zeitraum seiner Entstehung den Wandel in der Stadt beobachtet. Bei einem solchen Foto-Streifzug tritt Kei schließlich auch die schöne Chun Lei (die wunderbare Kelly Lin) vor den Sucher, die, wie sich bald herausstellt, nicht nur ihm, sondern auch seinen Partnern systematisch den Kopf verdreht und dies mit Grund: Als Festland-Chinesin ist sie einem alten Schwerkriminellen, einem ehemaligen Taschendieb, der ihren Pass unter Verschluss hält, um sie so an sich zu binden, ausgeliefert: Im Duell der Taschendiebe, ausgetragen in den Straßen von Hongkong, entscheidet sich Chun Leis Schicksal.
To erzählt seinen Film anhand überschaubarer, mal von einer kleinen, mal von einer großen Idee getragenen Sequenzen, denen man stets ansieht, dass sie nicht einem übergeordeneten Masterplan, sondern allein der gelegentlichen Inspiration zwischen zwei anderen Arbeiten entspringen. Dabei ging es nie um den großen cineastischen Wurf, sondern eher um freudiges Ausprobieren und die Lust am Experiment, stets von einem Augenzwinkern begleitet. Eine Standardsituation etwa, wie man sie aus zahlreichen Komödien kennt – eine Verfolgung wird durch Leute behindert, die einen großen Gegenstand durch die ohnedies schon beengte Gegend tragen -, wird in Sparrow zu einem kleinen, frechen Meisterstück auf engstem Raum (in einem Hochhausaufzug); den Versuch, einen begehrten Gegenstand zu entwenden – ein Amulett am Halse des Gegenspielers -, inszeniert To als Travestie in der Arztpraxis mit Humor auf kleinstem Raume; atemberaubend hingegen sind seine, wider alle Hongkong-Tradition, entschleunigenden Momente, wenn er eine Verfolgung auf dem Fahrrad inszeniert oder beim grandiosen Showdown, der, statt großer Oper, den Zeitlupen-Minimalismus zwischen Jackentaschen und Regenschirmen sucht. Zwar ist nicht jedes set piece die ganz große Kunst geworden, ein großer Spaß sind sie aber, je auf eigene Weise, schon.
So wie Straßendiebe einen übertölpeln, übertölpelt freilich auch To, der hier On und Off des Bildes mit der großen Souveränität des erfahrenen Filmemachers, der er ist, zu nutzen versteht; zum sympathisch ironischen Grundton des Filmes gehört freilich, dass er nicht jeden Trick der Taschendiebe ins Bild setzt, sondern oft genug ins Nicht-Sichtbare verrückt. Die freche Dreistigkeit, mit der er zwischen Nachvollzug des Geschehens und bloßem Budenzauber changiert, gehört aber mit zur schönen Unbekümmertheit von Sparrow.
Johnnie Tos bester und beeindruckendster Film ist Sparrow zwar nicht geworden; nach wie gehört es zu den großen Verfehlungen aus den Geschichtsbüchern der Berlinale, PTU (2003) seinerzeit nicht in den Wettbewerb geholt zu haben; dennoch, nach den düsteren Triadendramen der Election-Reihe und Exiled ist es ein Genuss, To mal wieder in guter Tradition einfach nur mit Film und seinen Formen fröhlich herumspielen zu sehen.
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Thema: Berlinale 2008
Bevor die Pressevorführung von Jesus Christus Erlöser beginnt, stellt der Vorführer erstmal den HD-Beamer (oder was das war) richtig ein. Das sieht fast so aus wie früher das Testbild im TV. Wenige Meter weiter unterhält sich Buttgereit mit irgendwem, schaut dabei hinter sich und meint mit Blick in Richtung Projektionskammer im schönsten Berlinisch: "Wahnsinn, wat da an Licht rauskommt". Ich drehe mich unauffällig um und meine ein paar Reihen hinter mir den hochgeschätzten Detlef Kuhlbrodt zu entdecken. Und siehe und staune: Ich hatte Recht.
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Was für eine Wurst der Schweigers Till doch ist, denke ich, als ich am Bus von Radio 1 (oder welchem Sender auch immer) vorbeikomme und nur ein paar Fetzen der aktuellen Sendung mitkriege, die da lautstark übertragen wird. Und wie er das immer wieder unter Beweis stellt. Schweiger, der vor kurzem aus der Filmakademie ausgetreten ist, weil er einen Film offenbar nicht richtig einreichen kann, Schweiger, der gerade rund 4 Millionen Zuschauer in seinen Film locken konnte und also keinen Grund haben sollte, sich über irgendwas zu beschweren, Schweiger, der im Vorfeld des Kinostarts keinerlei Pressevorführungen anberaumte, Schweiger also meint da, mal wieder im Kritiker, den Teufel ausgemacht zu haben: Ein Film, so er, den keiner kennt, der sei nicht allein deshalb schon gut, bloß weil ihn eben keiner kennt, und wer aber so denke (ja wer denkt denn aber so?), so er weiter, darf sich seiner, Schweigers, Sympathie ganz gewiss nicht sicher sein. "Und solche Kritiker", umarmt ihn dann die Moderatorin, "sieht man auf der Berlinale nicht wenige" Vermutlich nickt sie dabei lakonisch in sich hinein, schließlich hat sie, wie Schweiger, alles durchschaut.
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Michael Althen meldet sich, kryptisch und antizipierend, bei newfilmkritik zu Wort.
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Der schönste Moment in Los Olvidados (Retro): Der unschuldig in einem Jugendbesserungsheim (oder war's ein Jugendknast?) einsitzende Junge nimmt ein Ei in die Hand und wirft's dann kurzentschlossen direkt in die Kamera. Überhaupt gibt's in dem Film wahnsinnig schöne Details, die sich von der doch sehr überschaubaren Erzählung des Films abheben und eine Art Eigenleben besitzen. Das alternative Ende aber, das Bunuel, wie das ausliegende Infoblatt der Retrospektive erläutert, auf Produzentenbitten hin nachgedreht hat und im Anschluss gezeigt wurde, ist für den Film gottlob nicht verwendet worden: Es ist eklig beschaulich und ein fieses Stück Agitation niederer Ansinnen auf Zuschauerseite. Versteht sich, dass der Applaus nach diesem Schluss (der echte Schluss wurde eher verhalten bejubelt) bedeutend erleichterter und enthusiastischer ausfiel. Brrr.
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Was für eine Wurst der Schweigers Till doch ist, denke ich, als ich am Bus von Radio 1 (oder welchem Sender auch immer) vorbeikomme und nur ein paar Fetzen der aktuellen Sendung mitkriege, die da lautstark übertragen wird. Und wie er das immer wieder unter Beweis stellt. Schweiger, der vor kurzem aus der Filmakademie ausgetreten ist, weil er einen Film offenbar nicht richtig einreichen kann, Schweiger, der gerade rund 4 Millionen Zuschauer in seinen Film locken konnte und also keinen Grund haben sollte, sich über irgendwas zu beschweren, Schweiger, der im Vorfeld des Kinostarts keinerlei Pressevorführungen anberaumte, Schweiger also meint da, mal wieder im Kritiker, den Teufel ausgemacht zu haben: Ein Film, so er, den keiner kennt, der sei nicht allein deshalb schon gut, bloß weil ihn eben keiner kennt, und wer aber so denke (ja wer denkt denn aber so?), so er weiter, darf sich seiner, Schweigers, Sympathie ganz gewiss nicht sicher sein. "Und solche Kritiker", umarmt ihn dann die Moderatorin, "sieht man auf der Berlinale nicht wenige" Vermutlich nickt sie dabei lakonisch in sich hinein, schließlich hat sie, wie Schweiger, alles durchschaut.
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Michael Althen meldet sich, kryptisch und antizipierend, bei newfilmkritik zu Wort.
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Der schönste Moment in Los Olvidados (Retro): Der unschuldig in einem Jugendbesserungsheim (oder war's ein Jugendknast?) einsitzende Junge nimmt ein Ei in die Hand und wirft's dann kurzentschlossen direkt in die Kamera. Überhaupt gibt's in dem Film wahnsinnig schöne Details, die sich von der doch sehr überschaubaren Erzählung des Films abheben und eine Art Eigenleben besitzen. Das alternative Ende aber, das Bunuel, wie das ausliegende Infoblatt der Retrospektive erläutert, auf Produzentenbitten hin nachgedreht hat und im Anschluss gezeigt wurde, ist für den Film gottlob nicht verwendet worden: Es ist eklig beschaulich und ein fieses Stück Agitation niederer Ansinnen auf Zuschauerseite. Versteht sich, dass der Applaus nach diesem Schluss (der echte Schluss wurde eher verhalten bejubelt) bedeutend erleichterter und enthusiastischer ausfiel. Brrr.
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Thema: Berlinale 2008
11. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
» Vorführtermine
» imdb
Als Klaus Kinski am 20. November 1971 die Berliner Deutschlandhalle mit seinem Programm „Jesus Christus Erlöser“ betritt, kommt es zum Eklat. Zwar war bereits die gesamte vorangegangene Tour nicht unter dem besten Stern gestanden; doch Zwischenrufe, Pöbeleien, Provokationen, diskutierfreudige Zuschauer sowie Kinskis Wutausbrüche und andauernden Performance-Abbrüche gestalten den Abend zum Parforce-Ritt, der bis heute als Legende („Nein, er hat eine Peitsche genommen...“) kolportiert ist.
Das Wissen um den Abend war bislang fragmentarisch; einige Filmaufnahmen – zumeist die zugespitztesten Momente – gab es hie und da im Fernsehen und in Werner Herzogs später Doku-Auseinandersetzung mit Kinski, Mein liebster Feind, zu sehen. Eine Doppel-CD mit Aufnahmen der Tour verschwand kurz nach Erscheinen wieder aus den Regalen auf Grund einer unklaren Rechtesituation, ist aber seit kurzem wieder erhältlich. Erst jüngst veröffentlichte der Publizist Peter Geyer ein um frühe Gedichte Kinskis ergänztes Transskript des seinerzeit frei rezitierten Textes von „Jesus Christus Erlöser“ im Suhrkamp Verlag, wo Geyer auch eine etwas nüchtern geratene Biografie des Künstlers vorlegte.
Der Film Jesus Christus Erlöser versammelt nun ebenfalls von Geyer zusammengestelltes Archivmaterial aus den Beständen des Kinski-Nachlasses und unternimmt dabei den Versuch, die einst so gescheiterte, von Kinski mit glühendem Herzen konzipierte Performance zumindest im Film noch zu retten; zugleich gibt er Einblick in den wirklichen Verlauf des Abends abseits jener wohlbekannten Momente. Gelegentlich eingefügte Texttafeln aus Kinskis Autobiografien, in denen er Jahre später über den Abend reflektiert, kontextualisieren das Gezeigte, wie sie den Film auch eindeutig auf einer Seite positionieren, auf der Kinskis als missverstandenen Künstler.
Wer den Text zu „Jesus Christus Erlöser“ kennt, bekommt inhaltlich wenig Neues zu hören; spannend wird der Film aber nicht nur als weiteres Dokument des herausragenden Rezitations- und Vortragstalent Kinskis, sondern auch Möglichkeit zum Nachvollzug, warum jener Abend vielleicht auf diese Weise enden musste. Die Kamera ist immer dicht bei Kinski, Nahaufnahmen seines voll in den Vortrag aufgehenden Gesichts dominieren über weite Strecken. Im groben Korn des 16mm-Materials werden Tränen in den Augenwinkeln des Künstlers sichtbar, stumme Zeugen der vermutlich nicht nur ausgestellten Ergriffenheit des für seine Emphase bekannten Kinskis. Doch gelegentlich schneidet der Film um, auf das Material der in der Halle stehenden Kameras, die offenbart, was das Publikum in der geräumigen Halle gesehen haben muss: Einen von einer einzelnen Lichtquelle bestrahlten, weit entfernt stehenden Mann am Mikrofon, ein kleiner, bläulich leuchtender Strich inmitten eines großen, schwarzen Filmbildes. Literaturhäuser und übliche Vortragslokalitäten mögen solcher Kargheit einen funktionalen Rahmen bieten; in der Weite der Deutschlandhalle wirkt das Konzept verloren, reizarm. Kein Wunder, das aus solcher Perspektive – wohlweislich setzt Geyer sie nur pointiert und selten in seinem Film ein - , jede Kunstpause Kinskis wirken musste wie die Verlegenheit eines vergessenen Textes, ein Vorwurf, der immer wieder aus dem dunklem Saal lautstark zu hören ist.
Die Tumulte und gegenseitigen Beschimpfungen nehmen zu; ein Höhepunkt entsteht, als Kinski einen jungen Mann, der auf sein Recht auf das Mikrofon insistiert, mit lakonischer Miene vom Schutzpersonal wegführen lässt. "Kinski ist - ein Faschist", ruft es im Sprechchor aus dem Saal. Der Abend endet, vorerst, mit Ansprachen des Hausherrns, der den Gebrauch seines Hausrechts androht, Polizei ist anwesend, ein hektisch gestikulierender Kinski debattiert in Augenhöhe mit Leuten aus dem Publikum.
Abspann – doch halt: Nach dem Abspann folgt ein weiteres Segment. Stunden später, etwa 100 Leute entsprachen Kinskis steten Aufforderungen, dass jene, die die Performance interessiert zu warten hätten, bis „das Gesindel“ die Halle verlassen hätte, geduldig vor der Bühne. Kinski tritt in den Kreis, verzichtet auf sein Mikro und hebt aufs Neue – und man weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Male an diesem Abend – mit den Worten „Gesucht wird Jesus Christus“ an. Nach mehreren Versuchen gelingt es schließlich doch, den Abend, gegen zwei Uhr nachts, zu seinem Ende zu bringen, in direkter Tuchfühlung mit dem kümmerlich verbliebenen Teil des Publikums auf gleicher Höhe. Kinski, scheint es, ist am Ende. Im Endeffekt endet seine Karriere als Vortragskünstler in diesem Moment.
Jesus Christus Erlöser ist ein spannend nachzuvollziehendes, von Widersprüchen gewiss nicht freies Filmdokument, ein wertvolles Puzzlestück in der steten Aufarbeitung von Leben und Werk dieses Ausnahmekünstlers.
» imdb
Als Klaus Kinski am 20. November 1971 die Berliner Deutschlandhalle mit seinem Programm „Jesus Christus Erlöser“ betritt, kommt es zum Eklat. Zwar war bereits die gesamte vorangegangene Tour nicht unter dem besten Stern gestanden; doch Zwischenrufe, Pöbeleien, Provokationen, diskutierfreudige Zuschauer sowie Kinskis Wutausbrüche und andauernden Performance-Abbrüche gestalten den Abend zum Parforce-Ritt, der bis heute als Legende („Nein, er hat eine Peitsche genommen...“) kolportiert ist.
Das Wissen um den Abend war bislang fragmentarisch; einige Filmaufnahmen – zumeist die zugespitztesten Momente – gab es hie und da im Fernsehen und in Werner Herzogs später Doku-Auseinandersetzung mit Kinski, Mein liebster Feind, zu sehen. Eine Doppel-CD mit Aufnahmen der Tour verschwand kurz nach Erscheinen wieder aus den Regalen auf Grund einer unklaren Rechtesituation, ist aber seit kurzem wieder erhältlich. Erst jüngst veröffentlichte der Publizist Peter Geyer ein um frühe Gedichte Kinskis ergänztes Transskript des seinerzeit frei rezitierten Textes von „Jesus Christus Erlöser“ im Suhrkamp Verlag, wo Geyer auch eine etwas nüchtern geratene Biografie des Künstlers vorlegte.
Der Film Jesus Christus Erlöser versammelt nun ebenfalls von Geyer zusammengestelltes Archivmaterial aus den Beständen des Kinski-Nachlasses und unternimmt dabei den Versuch, die einst so gescheiterte, von Kinski mit glühendem Herzen konzipierte Performance zumindest im Film noch zu retten; zugleich gibt er Einblick in den wirklichen Verlauf des Abends abseits jener wohlbekannten Momente. Gelegentlich eingefügte Texttafeln aus Kinskis Autobiografien, in denen er Jahre später über den Abend reflektiert, kontextualisieren das Gezeigte, wie sie den Film auch eindeutig auf einer Seite positionieren, auf der Kinskis als missverstandenen Künstler.
Wer den Text zu „Jesus Christus Erlöser“ kennt, bekommt inhaltlich wenig Neues zu hören; spannend wird der Film aber nicht nur als weiteres Dokument des herausragenden Rezitations- und Vortragstalent Kinskis, sondern auch Möglichkeit zum Nachvollzug, warum jener Abend vielleicht auf diese Weise enden musste. Die Kamera ist immer dicht bei Kinski, Nahaufnahmen seines voll in den Vortrag aufgehenden Gesichts dominieren über weite Strecken. Im groben Korn des 16mm-Materials werden Tränen in den Augenwinkeln des Künstlers sichtbar, stumme Zeugen der vermutlich nicht nur ausgestellten Ergriffenheit des für seine Emphase bekannten Kinskis. Doch gelegentlich schneidet der Film um, auf das Material der in der Halle stehenden Kameras, die offenbart, was das Publikum in der geräumigen Halle gesehen haben muss: Einen von einer einzelnen Lichtquelle bestrahlten, weit entfernt stehenden Mann am Mikrofon, ein kleiner, bläulich leuchtender Strich inmitten eines großen, schwarzen Filmbildes. Literaturhäuser und übliche Vortragslokalitäten mögen solcher Kargheit einen funktionalen Rahmen bieten; in der Weite der Deutschlandhalle wirkt das Konzept verloren, reizarm. Kein Wunder, das aus solcher Perspektive – wohlweislich setzt Geyer sie nur pointiert und selten in seinem Film ein - , jede Kunstpause Kinskis wirken musste wie die Verlegenheit eines vergessenen Textes, ein Vorwurf, der immer wieder aus dem dunklem Saal lautstark zu hören ist.
Die Tumulte und gegenseitigen Beschimpfungen nehmen zu; ein Höhepunkt entsteht, als Kinski einen jungen Mann, der auf sein Recht auf das Mikrofon insistiert, mit lakonischer Miene vom Schutzpersonal wegführen lässt. "Kinski ist - ein Faschist", ruft es im Sprechchor aus dem Saal. Der Abend endet, vorerst, mit Ansprachen des Hausherrns, der den Gebrauch seines Hausrechts androht, Polizei ist anwesend, ein hektisch gestikulierender Kinski debattiert in Augenhöhe mit Leuten aus dem Publikum.
Abspann – doch halt: Nach dem Abspann folgt ein weiteres Segment. Stunden später, etwa 100 Leute entsprachen Kinskis steten Aufforderungen, dass jene, die die Performance interessiert zu warten hätten, bis „das Gesindel“ die Halle verlassen hätte, geduldig vor der Bühne. Kinski tritt in den Kreis, verzichtet auf sein Mikro und hebt aufs Neue – und man weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Male an diesem Abend – mit den Worten „Gesucht wird Jesus Christus“ an. Nach mehreren Versuchen gelingt es schließlich doch, den Abend, gegen zwei Uhr nachts, zu seinem Ende zu bringen, in direkter Tuchfühlung mit dem kümmerlich verbliebenen Teil des Publikums auf gleicher Höhe. Kinski, scheint es, ist am Ende. Im Endeffekt endet seine Karriere als Vortragskünstler in diesem Moment.
Jesus Christus Erlöser ist ein spannend nachzuvollziehendes, von Widersprüchen gewiss nicht freies Filmdokument, ein wertvolles Puzzlestück in der steten Aufarbeitung von Leben und Werk dieses Ausnahmekünstlers.
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Thema: Berlinale 2008
11. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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Der Yasukuni-Schrein in Tokio ist ein Politikum. Den Ansichten des Shinto zufolge dient er den zahlreichen Seelen der japanischen Soldaten, die in den zahlreichen Kriegen des Landes seit dem Erbau im Jahr 1869 gefallen sind, als spirituelle Heimstätte: Wer hier mit Name und biografischen Notizen präsent ist, weilt hier auch als Geist. Auch die Kriegsverbrecher aus den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem asiatischen Festland im 20. Jahrhundert sind hier mit Namen erfasst und genießen so den Rang von Kriegshelden. Einen diplomatischen Grenzfall stellt deshalb Jahr für Jahr die Würdigung der Toten durch Premierminister Kozumi dar; in Korea, China und anderen Ländern gilt diese, von japanischen Ultranationalisten und Revanchisten als Akt der vermeintlichen Emanzipation gefeierte Geste als geschmacklose Provokation. Alljährlich entfachen sich am Rande dieses Rituals Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Friedensbewegten.
Dass sich nun ausgerechnet ein Chinese des Themas in Form einer Dokumentation annimmt, ist schon deshalb bemerkenswert; zumal, da er dies, wiewohl deutlich auf Seiten der Friedensbewegung, im herausragend diplomatischen Tonfall angeht. Noch bei den größten Ausfällen von Revanchisten und Rechtsradikalen nimmt sich Li Ying zurück: Seine Kamera ist zwar ultra-nah am Geschehen – zuweilen bis an die Grenze des Erträglichen, wenn sie inmitten einer Handgreiflichkeit minutenlang nur wackelt und nichts mehr greifbar nachvollziehbar ist -, doch seine Einstellungen sind oft quälend lange, gerade so, als wäre jeder Schnitt ein Vergehen gegen den Kodex des demutsvollen Beobachters, als der sich Li Ying dem Thema nähert.
Li Ying zeigt einen Aufmarsch von Soldaten, einen kuriosen US-Amerikaner, der mit US-Flagge und Pappschild („Ich unterstütze Premierminister Kozumi“) für Irritationen, Beifallbekundungen und Beschimpfungen sorgt, Demonstrationen für und wider den Schrein (naturgemäß kommt es zu Rangeleien zwischen den Parteien), vergebliche Petitionen von Familienangehörigen taiwanesischer Hinterbliebener, die die Namen ihrer Gefallenen aus dem Schrein genommen wissen wollen, die dramatische Intervention eines linken Studenten während der feierlichen Zeremonie, selbstverständlich Kozumis Ehrerweisung und vieles weitere. Die Rolle eines Ruhepols nimmt ein alter Waffenschmied ein, der seit Jahren die im Schrein aufgebahrten Samuraischwerter herstellt. Immer wieder schneidet Li Ying zu diesem alten Handwerker - 90 Jahre ist er alt und der letzte seiner Gilde - zurück, beobachtet ihn bei der Anfertigung eines weiteren Schwertes und stellt ihm dabei, gelegentlich, Fragen, die vom Schmied - ob nun aus Naivität, Altersstarrsinn oder schlichter Unwissenheit - nicht, lachend oder unbekümmert beantwortet werden. Hier wie dort wahrt Li Ying Höflichkeit und Distanz; lieber lässt er die arglos eingefangenen Bilder, die Leute, kurz: das gesellschaftliche Phänomen "Yasukuni" selber sprechen.
Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, spannend, spannender als eine fiktionalisierte Aufarbeitung eines solchen Sujets mit ihren Zugeständnissen an Filmkonventionen und -dramaturgie je sein könnte. An die verwackelte, distanzlose Kamera gewöhnt man sich bald, in der vermeintlichen Amateurästhetik meint man zudem schnell eine Art Konzept zu erkennen: Nur in solcher Haltung gegenüber dem Pro-Filmischen wird die Gefahr, die militaristischen Zeremonien mit ihrem ausgestellten Erhabenheitspathos noch in der kritischen Beobachtung zu duplizieren, umgangen: Das Bild ist grob, der Sound verzerrt die Trompeten ins grotesk Übersteuerte – in Yasukuni findet sich kein einziger für Bellizisten, Nationalisten oder Militaristen verwertbarer Moment. Im Gegenteil, je mehr sich Revanchisten und Nationalisten in Rage reden, desto mehr schieben sie sich hier, trotz aller Ausgewogenheit des Films (in Form von footage darf etwa auch Kozumi seinen Standpunkt lange und unkommentiert erläutern), ins Abseits.
Allein etwas deplatziert und störend wirkt eine Sequenz gegen Ende des Films, die zu pathetisch-melancholischer Musik historische Aufnahmen aus der Geschichte Japans und des Yasukuni-Schreins zeigt und gegen Ende in die bekannten Atompilze von Hiroshima und Nagasaki mündet; zwar schließt Li Ying damit beispielsweise an Keji Nakazawas (lesenswerten) Manga-Klassiker Barfuß durch Hiroshima an, der implizit die Ansicht vertritt, die Atombomben seien eine logische Konsequenz aus der Militarismus- und Nationalismus-Besoffenheit der einsichtsunwilligen japanischen Gesellschaft; nur hat ein ansonsten schon so rundum überzeugender, gerade durch seine Sensibilität und Beobachtungsgabe brillierender Film ein solches Betroffenheitsspektakel eigentlich nicht nötig.
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Der Yasukuni-Schrein in Tokio ist ein Politikum. Den Ansichten des Shinto zufolge dient er den zahlreichen Seelen der japanischen Soldaten, die in den zahlreichen Kriegen des Landes seit dem Erbau im Jahr 1869 gefallen sind, als spirituelle Heimstätte: Wer hier mit Name und biografischen Notizen präsent ist, weilt hier auch als Geist. Auch die Kriegsverbrecher aus den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem asiatischen Festland im 20. Jahrhundert sind hier mit Namen erfasst und genießen so den Rang von Kriegshelden. Einen diplomatischen Grenzfall stellt deshalb Jahr für Jahr die Würdigung der Toten durch Premierminister Kozumi dar; in Korea, China und anderen Ländern gilt diese, von japanischen Ultranationalisten und Revanchisten als Akt der vermeintlichen Emanzipation gefeierte Geste als geschmacklose Provokation. Alljährlich entfachen sich am Rande dieses Rituals Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Friedensbewegten.
Dass sich nun ausgerechnet ein Chinese des Themas in Form einer Dokumentation annimmt, ist schon deshalb bemerkenswert; zumal, da er dies, wiewohl deutlich auf Seiten der Friedensbewegung, im herausragend diplomatischen Tonfall angeht. Noch bei den größten Ausfällen von Revanchisten und Rechtsradikalen nimmt sich Li Ying zurück: Seine Kamera ist zwar ultra-nah am Geschehen – zuweilen bis an die Grenze des Erträglichen, wenn sie inmitten einer Handgreiflichkeit minutenlang nur wackelt und nichts mehr greifbar nachvollziehbar ist -, doch seine Einstellungen sind oft quälend lange, gerade so, als wäre jeder Schnitt ein Vergehen gegen den Kodex des demutsvollen Beobachters, als der sich Li Ying dem Thema nähert.
Li Ying zeigt einen Aufmarsch von Soldaten, einen kuriosen US-Amerikaner, der mit US-Flagge und Pappschild („Ich unterstütze Premierminister Kozumi“) für Irritationen, Beifallbekundungen und Beschimpfungen sorgt, Demonstrationen für und wider den Schrein (naturgemäß kommt es zu Rangeleien zwischen den Parteien), vergebliche Petitionen von Familienangehörigen taiwanesischer Hinterbliebener, die die Namen ihrer Gefallenen aus dem Schrein genommen wissen wollen, die dramatische Intervention eines linken Studenten während der feierlichen Zeremonie, selbstverständlich Kozumis Ehrerweisung und vieles weitere. Die Rolle eines Ruhepols nimmt ein alter Waffenschmied ein, der seit Jahren die im Schrein aufgebahrten Samuraischwerter herstellt. Immer wieder schneidet Li Ying zu diesem alten Handwerker - 90 Jahre ist er alt und der letzte seiner Gilde - zurück, beobachtet ihn bei der Anfertigung eines weiteren Schwertes und stellt ihm dabei, gelegentlich, Fragen, die vom Schmied - ob nun aus Naivität, Altersstarrsinn oder schlichter Unwissenheit - nicht, lachend oder unbekümmert beantwortet werden. Hier wie dort wahrt Li Ying Höflichkeit und Distanz; lieber lässt er die arglos eingefangenen Bilder, die Leute, kurz: das gesellschaftliche Phänomen "Yasukuni" selber sprechen.
Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, spannend, spannender als eine fiktionalisierte Aufarbeitung eines solchen Sujets mit ihren Zugeständnissen an Filmkonventionen und -dramaturgie je sein könnte. An die verwackelte, distanzlose Kamera gewöhnt man sich bald, in der vermeintlichen Amateurästhetik meint man zudem schnell eine Art Konzept zu erkennen: Nur in solcher Haltung gegenüber dem Pro-Filmischen wird die Gefahr, die militaristischen Zeremonien mit ihrem ausgestellten Erhabenheitspathos noch in der kritischen Beobachtung zu duplizieren, umgangen: Das Bild ist grob, der Sound verzerrt die Trompeten ins grotesk Übersteuerte – in Yasukuni findet sich kein einziger für Bellizisten, Nationalisten oder Militaristen verwertbarer Moment. Im Gegenteil, je mehr sich Revanchisten und Nationalisten in Rage reden, desto mehr schieben sie sich hier, trotz aller Ausgewogenheit des Films (in Form von footage darf etwa auch Kozumi seinen Standpunkt lange und unkommentiert erläutern), ins Abseits.
Allein etwas deplatziert und störend wirkt eine Sequenz gegen Ende des Films, die zu pathetisch-melancholischer Musik historische Aufnahmen aus der Geschichte Japans und des Yasukuni-Schreins zeigt und gegen Ende in die bekannten Atompilze von Hiroshima und Nagasaki mündet; zwar schließt Li Ying damit beispielsweise an Keji Nakazawas (lesenswerten) Manga-Klassiker Barfuß durch Hiroshima an, der implizit die Ansicht vertritt, die Atombomben seien eine logische Konsequenz aus der Militarismus- und Nationalismus-Besoffenheit der einsichtsunwilligen japanischen Gesellschaft; nur hat ein ansonsten schon so rundum überzeugender, gerade durch seine Sensibilität und Beobachtungsgabe brillierender Film ein solches Betroffenheitsspektakel eigentlich nicht nötig.
° ° °
lol