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Heavy Metal und Krieg, das gehört zusammen wie Amen und Kirche. Ob sich nun auf den Plattenhüllen einschlägiger Combos muskelbepackte Krieger tummeln oder gleich ganze Schlachtfelder abgebildet sind, ob in den Songtexten zu sägenden Gitarrenwänden und davongaloppierenden Blastbeats allerlei drastische Begebenheiten aus Frontgräben und Bombenkellern zum Besten gegeben werden, oder ob sich schließlich, in eher peinlicher Protestsong-Manier, Antikriegs-Ansichten in Befindlichkeitsprosa aus dem Sonderangebot für Allgemeinplätze ihren Weg bahnen: Der Beispiele gibt es unzählige - wie viele Metalsongs tragen gleich noch "War" im Titel? - und doch eint sie alle vor allem ein Erfahrungshintergrund: Der, der grundsätzlichen Vermittlung; zwar hebt Metal wie kaum eine zweite Jugendsubkultur Krieg und Gewalt ins Bewusstsein seiner Anhänger, die auf diese Weise ja fast schon ironisch "Stahlbad" und "Fun" miteinander in Verbindung zu bringen in der Lage sind, doch konkrete Erfahrungen mit kriegerischen Auseinandersetzungen dürften sowohl auf der Bühne als auch im davor brodelnden Moshpit aller Wahrscheinlichkeit nach keine vorliegen. "Krieg" im Metal erscheint in erster Linie ein ästhetischer Topos, eine Art Erfahrungsreferenz ins Abstrakte hinein, die vielleicht wirklich der Sinnlichkeitsarmut unserer modernen, hochgradig vermittelten Kultur der Gesellschaft entspringt: Wo Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen über Geldausgabe und Wahlzettel stattfindet und sich gesellschaftliche Kämpfe in 0,5% mehr Netto nach erfolgreichem Streik niederschlagen, bietet Metal eine, wenngleich kaum einen Deut weniger vermittelte, Option zur als direkt gewähnten Erfahrung: Der Nackenmuskelkater und das Ohrensausen nach einem durchstandenen Konzert in erster Reihe gehen mit der ästhetischen und inhaltlichen Drastik Hand in Hand.

Für die Band Acrassicauda gilt nichts dergleichen. Wenn sie von Bomben singen, vom Krieg, der alles zerschlägt, von der Ohnmacht angesichts eines außer Rand und Band geratenen technologischen Monsterparks, der erbarmungslos alles um sich herum zermalmt, dann sind das eben nur auf rein textueller Ebene Genre-Spezifikationen, wie sie im Metal üblich sind. Sie zehren sich aber aus einer Alltagserfahrung, die von denjenigen gewöhnlicher Metal-Anhänger drastisch abweicht: Acrassicauda kommen aus Baghdad, Irak, in einer Gegend also, die auf der internationalen Metal-Landkarte geradewegs im Nirgendwo liegt - sie sind die einzige Band ihres Genres in dem Land, ihre Konzerte erreichen kaum eine Besucherzahl, die über die Besuchsdichte einer typischen Teestube hinauskäme. Heavy Metal in Baghdadist somit als Titel für eine Dokumentation, die sich mit der Band befasst, mit dieser implizit überblicksartigen Qualität nicht schlecht gewählt.

Gegründet haben sich Acrassicauda schon vor dem Irakkrieg im Jahr 2003. Eine Auftrittsgenehmigung erhielten sie nur, wenn sie zum einen bei den Behörden als Spielart "Rock" angaben - Metal steht in dem islamisch geprägten Land schwer unter Satanismusverdacht - und zum anderen mindestens ein Loblied auf Saddam Hussein zum Besten gaben - historisches Videomaterial geben hiervon in der Doku bizarres Beispiel. Ohne Szenerückhalt gestaltet es sich schwierig, Auftritte und damit Öffentlichkeit zu ergattern. Die Invasion der USA tat ihr übriges. Die Zeiten danach, die Heavy Metal in Baghdad vor allem fokussiert, sind indes kaum von Frieden gekennzeichnet: Paranoia und akute Gefahr für Leib und Leben gehören zum Alltag in der irakischen Hauptstadt. Nach Sonnenuntergang sollte man zuhause sein, jeder Gang vor die Haustür wird sorgfältig geplant, weite Straßenzüge sind fest in der Hand von auf der Lauer liegenden Scharfschützen und also unbedingt zu meiden, Anschläge welcher Gruppierung auch immer sind fest an der Tagesordnung. Sänger und Bassist - eigentlich beste Freunde, deren Wohnungen kaum mehr als einen Katzensprung entfernt liegen - sehen sich unter solchen haarsträubenden Bedingungen etwa einmal im Vierteljahr. Dann schlägt eine Rakete in jenem Haus ein, in dessen Keller sich der Proberaum samt aller Instrumente befindet: Von Glück lässt sich sagen, dass zu dem Zeitpunkt keine der - aufgrund der Alltagsumstände ohnedies kaum möglichen - Bandproben stattfand. Wenn Acrassicauda vom Wahnwitz solcher Erfahrungen in Metalmanier eher wenig analytisch, sondern polemisch, zugespitzt und parolenartig singen, dann hat dies weniger mit mangelnder poetischer Reflexionsgabe zu tun, und auch nicht notgedrungen etwas mit obligatorischen Genre-Spezifikationen - das rohe und ungeschlachte rührt direkt aus der Fassungs- und Machtlosigkeit gegenüber solchem Irrsinn: An einer Stelle sitzen Sänger und Bassist an einem Swimming Pool eines Hotels zum Interview, als unweit eine Rakete einschlägt. Der Bassist, gerade im Redefluss begriffen, blickt nur einen Moment lang auf, gibt ein diffuses "Hi there" in irgendeine Richtung ab und ist sogleich wieder zurück im Thema.



Entdeckt für den Westen wurde Acrassicauda vor wenigen Jahren vom Vice Magazine, einem glossy Magazin für Popkultur abseits von Theorie- aber nicht unbedingt Kunst- und Ästhetikfreundlichkeit, dessen Lifestyle-Gestus sympatischerweise aber auch das Drastische und popkulturell Inkorrekte zu schätzen weiß. Dem einstigen Titelgeschichten-Obskurum Acrassicauda blieb man treu und hielt den Kontakt aufrecht: Daraus erwuchs schließlich dieser Film, vom Vice Magazine produziert und durch die Augen dessen Reporters Suroosh Alvi erzählt, der sich für diesen Film immer wieder, wenngleich eine Spur zu ausgestellt, todesmutig in diverse No-Go-Areas der irakischen Hauptstadt begibt.

Immer wieder begibt sich Suroosh Alvi über teils groteske Umwege in den Irak, um nach der Band zu sehen und um neues Material zu filmen. Entsprechend ergebnisoffen sind die einzelnen Segmente des Films angelegt: Ob es die Band noch gibt, ob einige der Bandmitglieder in den Nachkriegswirren verunglückt sind oder ähnliches, ergibt sich oft erst lange nach der Ankunft in Baghdad und nach ersten Kontaktaufnahmen. Als er an einer Stelle den Sänger der Band per Mobiltelefon kontaktiert, antwortet dieser nur mit zustimmendem oder verneinendem Brummen. Hätte er an jener Stelle, an der er sich gerade befand, offen Englisch geredet, wäre er vermutlich nicht mehr weit gekommen. Später erweist es sich, dass der Band die Flucht nach Syrien gelungen ist, wo sie sich als "Heavy Metal Exilanten" durchzuschlagen versucht.

Wie jede gute Metalband sind auch Acrassicauda an Politik nicht interessiert. Einer von ihnen winkt an einer Stelle deutlich ab: Wenn er im Fernsehen etwas von Politik hört oder ihm jemand seine politische Meinung aufdrücken will, dann würde er einfach abschalten. Es interessiert ihn einfach nicht. Somit sind auch die Texte von Acrassicaude nicht poltisch intentiert. Dennoch, am Ende, in einer der eindrücklichsten Szenen dieses an intensiven Momenten nicht armen Dokuments, wird es politisch, als die Band im syrianischen Exil den bisherigen Rohschnitt des Films sichtet. Hie und da wird bierselig gejubelt, etwa als ein von Vice in Baghdad unter haarsträubenden Bedingungen organisiertes Konzert nochmals Revue passiert gelassen wird; doch zum Ende hin wird es eigentümlich still unter den Metallern: Trauer, Wut, Verzweiflung bricht sich Bahn, als würde das Prisma des Films die eigenen Lebensumstände durch Entwirklichung überhaupt erst noch vor Augen führen: In welche Richtung die Wut zielt, wird nicht ganz deutlich. Wut auf die Filmemacher? Auf die im gemütlichen Westen sitzenden Zuschauer, die sich ein wenig am Elend laben können und dafür die Bequemlichkeit eines Kinosessels nicht zu verlassen brauchen? Oder auf Eliten und Machthaber? Der letzte Satz dann - dieser Sequenz, dieses Films - lautet: "Fuck you, you pigs!", direkt in die Kamera gesprochen.

Trailer:



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kommentare dazu:



tschill, Sonntag, 14. September 2008, 16:27
Bis auf das Gepose der Filmemacher fand ich die Dokumentation größtenteils überzeugend. Es war ein Blick, der Statistiken, Propaganda und Medienanalysen transzendierte. Am besten gefielen mir die Kommentare zur medial ventilierten Jihad-Neurose.

Acrassicauda ist mittlerweile nach Istanbul ausgereist, wie man der offiziellen Webseite entnehmen kann. Die Bedingungen, so der letzte Blogeintrag, sind so rosig wie für viele anderen Kriegsflüchtlinge. Wenn man will, kann man auf der Internetseite übrigens auch per Paypal etwas für die Band spenden.



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