Was so ein Festival auszeichnet, außer dass es, wie Christoph Hochhäusler im BerlinaleBlog der Zeit schreibt, das "extremste Filmbuffet der Welt" ist, sind die unterschiedlichen Dynamiken, die es abbildet. Völlig verrückte Welt herrscht beim ersten Coup Grand des Dieter Kosslick, der öffentlichkeitswirksamen Programmierung vom Rolling-Stones-Vehikel Shine A Light auf den Eröffnungstag. Drei Pressevorführungen, alle rammelvoll. Für die Pressekonferenz heißt es, sich schon anderthalb Stunden zuvor anstellen, wenn das überhaupt mal hinreicht. Ich gelange auch ohne irgendwie rein, allein, weil ich mir den Trash mit eigenen Augen anschauen möchte. Andere haben weniger Glück: Vor der Tür zum Pressekonferenz-Zentrum im Hyat stapeln sich vor allem die Fotojournalisten, denen die blanke Angst um die eigene Existenz ins Gesicht geschrieben steht, wenn die insistierende Security sie nicht gleich reinlässt in den Medien-Hexenkessel.Tragödien und Wortgefechte spielen sich ab, als Journalisten, die ihren Platz mit einer Jacke besetzt hielten, nicht mehr rein gelassen werden, egal, welche Klamotten von ihnen da auf welchen Stühlen rumliegen. Gänzlich kurios ist eine Journalistin im Presse-Computerzentrum, die neben mir saß als ich diese Zeilen eintippte: Als die Pressevorführung, die erste, noch im vollen Schwung war, saß sie da schon und versuchte sich, ob der ersten fünfzehn Minuten, die sie von dem Film wohl gesehen hatte bevor sie dem Saal entfleuchte, eine Filmkritk so irgendwie aus den Rippen zu schneiden. "Die Rolling sind etwas ganz besonderes", stand da am Nebenrechner zu lesen, "Auch für Martin Scorsese. Das beweisen die ersten fünfzehn Minuten seines neuen Films" usw -

Die Pressekonferenz war nun aber doch nicht so voll, wie man's von anderen, wesentlich volleren Konferenzen der Vorjahre in Erinnerung hatte. Jedenfalls, da kamen sie dann irgendwann, die Opas. Natürlich zu spät, sind ja Rockstars. Mick Jagger sieht aus wie Mick Jagger, Scorsese ist erstaunlich frisch und Keith Richards ist von einem handelsüblichen Renter im fortgeschrittenen Alter eigentlich nicht mehr zu unterscheiden, hätte er da nicht lustige Fransen am Opa-Hut, die allerdings auch jeder zweite, unter dem Existenzminimum dahinvegetierende Rentner in Friedrichshain am Hut trägt. Allein Mr. Wood ist das Schicksal wohlgesonnen: Seine Frisur, seit Jahrzehnten unverändert, ist mittlerweile durch ominöse Rockismus-Bands aus dem Indie-Sektor wieder in.

Lahm war das trotzdem und irgendwie auch völlig wurscht. Also floh ich ganz schnell, weil ich eine ganze Stunde davon wohl nicht ertragen hätte, Rock'n'Roll-Typen mögen mir solche Ketzereien verzeihen. Ganz gediegen und gemütlich, wie eh und je eben und von Dynamiken hatte ich's ja eingangs, geht's in der Pressevorführung des Forums zu, wohin ich vor dem Trubel geflohen bin. Der Film ist ein guter Einstieg ins eigentliche Festival und irgendwie mag ich die Forums-Pressevorführungen, weil sie immer so entspannt sind, weil es dort immer Plätze gibt, weil vor dem Saaleinlass kein Pressepogo stattfindet und die Leute, die hier sitzen, während 100 Meter Luftlinie weiter die Stones irgendwelche Kalauer in Kameras sagen, wohl auch wirklich hier sitzen, weil sie hier, aus gutem Grund, sitzen wollen (zugegeben, hier irre ich mich vielleicht, aber der Gedanke ist nett).

Irrsinn hier, Ruhe dort. Draußen vor den Türen nimmt der Betrieb indessen nochmal deutlich zu. Morgen ist der erste richtig richtige Festivaltag mit ordentlich Programm - dann gibt's wieder Irrwitz satt auf allen Parketts und Bühnen. Man muss das irgendwie lieben, einmal im Jahr.


° ° °




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