Thema: Kinokultur
Man darf sich fragen, was Baader und Meinhof zu solchen Praktiken eines kapitalistischen Unternehmens wohl gesagt hätten. Oder getan...

Jedenfalls, die Süddeutsche berichtet:
Wer über den Kinofilm "Der Baader Meinhof Komplex" berichten will, dem wird erst einmal gedroht. Ein Fall für Boykott, findet der Journalistenverband.
So droht der Verleih Constantin Film mit einer Strafe von bis zu 100.000 Euro (zu gleichen Teilen aufzuteilen zwischen Journalist und Medium), wenn vor einem vom Verleih festgesetzten Stichtag eine ausführliche Berichterstattung zu Der Baader Meinhof Komplex stattfindet.

Gerade aus Perspektive freier Journalisten wird hier mehr oder weniger mit der mittel- bis langfristigen Zerschlagung der persönlichen Existenz gedroht - ein jeglichen Maßstabs verlustig gegangenes Muskelspiel, das überdies eine neue Stufe der Eskalation im Bereich der Pressearbeit von Seiten deutscher Filmverleiher darstellt. So sollte die Berichterstatung zu Kill Bill 2 ebenfalls per vorgegebenem Stichtag konzertiert werden; bei Spielbergs Krieg der Welten erhielt man Zutritt zur Pressevorführung schließlich schon nur noch mit einer persönlich unterschriebenen Erklärung, einen Stichtag zu berücksichtigen, während der Verleih damit drohte, Abweichler generell nicht mehr zu Pressevorführungen einzuladen (um somit freien Journalisten die Arbeits- und also Existenzgrundlage zu entziehen). All diese Versuche, journalistische Arbeit, die ohnedies schon bei weiten Teilen der Presse von wohlwollender PR-Arbeit aus Dankbarkeit für all die schönen Preview-Screenings nicht mehr zu unterscheiden ist, zusehends zu konzertierten und zu steuern, werden von den drakonischen Maßnahmen, die Constantin nun ergreift, auf nicht mehr hinnehmbare Weise getoppt.

Die SZ boykottiert den Film deshalb, der DJV ruft Journalisten ebenso dazu auf, solche Bedingungen nicht zu akzeptieren. Es bleibt abzuwarten, welche Speichellecker und rückgratlose Puddingspeisen selbst noch unter den Bedingungen solcher Drohungen meinen, industriellen Partikularinteressen unbedingt wohlwollend hinterherzuschreiben, damit's auch weiterhin ein koffeinhaltiges Limonadengetränk gratis zur Pressevorführung dazu gibt.

Als Filmjournalist erkläre ich mich mit SZ und dem DJV absolut solidarisch und rufe auch alle Kollegen dazu auf, sich dem anzuschließen und dies öffentlich kundzutun. Darüber hinaus empfehle ich dem Publikum an der Kinokasse über einen Denkzettel an den Verleih zumindest nachzudenken.

Als Angestellter einer Videothek mit Mitspracherecht bei der Sortimentzusammenstellung werde ich mich dafür stark machen, den Film bei Erscheinen nicht ins Sortiment aufzunehmen und entsprechende Kundenanfragen mit einem Hinweis auf die ungeheuerliche Geschäftspraktik von Constantin zu beantworten.


° ° °




kommentare dazu:



stefan hoeltgen, Dienstag, 12. August 2008, 18:33
zuerst einmal
müsste ja überhaupt geklärt werden, warum man sich überhaupt einen Film, in dem Huddeltuddelknuddelbär Moritz Bleibtreu Andreas Baader spielt, der vom Elementarteilchen-Parfum-Eichinger produziert wurde und auf der überaus zwielichtigen Vorlage eines Stefan Aust basiert, warum man sich - mit anderen Worten - solch einen Schwachsinn überhaupt angucken wollen kann?

Darüber hinaus gebe ich dir, das weißt du ja, vollkommen Recht.


stefan hoeltgen, Dienstag, 12. August 2008, 18:41
Die Sperrfristen haben sich ja auch in der Vergangenheit als "Papiertiger" (Mao) erwiesen. Das Gericht möchte ich sehen, dass einen freien Journalisten verknackt, der gar keine Vefügung darüber hat, was eine Redaktion mit seinem Text macht, nachdem er ihn eingereicht hat! Solche Sperrfristen mit Strafandrohung scheinen mir gelinde gesagt eher eine Nötigung zu sein als dass sie irgend eine Relevanz besäßen.


lukasf, Mittwoch, 13. August 2008, 16:58
Mein Entschluss, erstmal einen weiten Bogen um dieses Baader-Meinhof-Kompott zu machen, stand auch schon vorher fest.
Auch sonst, ja, das wäre vielleicht nicht das schlechteste (ich möchte allerdings natürlich auf keinen Fall der Betroffene sein und das auch keinem wünschen, also nur rein hypotetisch), wenn sowas mal zu einem Prozess führen würde. Den würde der Verleih, das glaube ich auch, haushoch verlieren, erst recht in diesem völlig absurden Fall und so ein Präzendenzfall würde dann vielleicht für klarere Grenzen / Fronten sorgen, wer weiß...


kid37, Freitag, 15. August 2008, 18:24
Konventionalstrafen sind ja das eine, die offene oder versteckte Drohung, Journalisten auch in der Folge nicht mehr für Pressevorführungen u.ä. zu akkreditieren, fürchtete ich mehr. Dann sind sie eben nicht mehr Gast und bekommen eben keine Informationen oder Interviews - oder eben "aus Termingründen" viel später, wenn das Thema keinen mehr interessiert. So oder ähnlich verfahren übrigens auch manche (ÖR-) Sender, die zu bestimmten Produktionen vorab nichts (mehr) herausgeben. Die Branche gibt sich eben gerne als eine von Kultur, solange die eigenen Belange gewahrt und verwöhnt bleiben.

stefan hoeltgen, Freitag, 22. August 2008, 10:32
Gestern und Heute
kamen Presseeinladungen per E-Mail, in denen von einer Sperrfrist nicht mehr die Rede war. Das muss natürlich nichts heißen.

Ich habe dem Verleih und der Agentur aber vorsichtshalber geantwortet, dass ich zu keiner Zeit und in keinem Medium über den Film berichten werde.


thgroh, Freitag, 22. August 2008, 15:42
Die EInladungen habe ich auch bekommen - die Sperrfristen werden darin nicht erwähnt, weil alle Vorführungstermine am Tag des Sperrfristendes oder danach angesetzt sind. Die Sperrfrist und die Drohung mit Konventionalstrafen bezogen sich auf Vorab-Vorabtermine für die Presse, deren Relevanz mit ganz großem R geschrieben wird.



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