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Charly Bronson deconstructed...

Wer sich ein bisschen in dem übel beleumundeten Subgenre des Selbstjustizfilms auskennt, weiß, dass viele der dort beheimateten Filme sehr oft nach gewissen, immer gleichen Spielregeln funktionieren: In den meisten Vigilantenreißern der alten Schule, Ein Mann sieht Rot und seine Sequels nehmen hierbei wohl eine paradigmatische Funktion ein, waren die Verhältnisse klar umrissen. Es gibt Täter, es gibt Opfer. Opfer rächt sich an Täter. Punkt. Erleichtert wurde alles noch durch das völlige Fehlen von Backroundinformationen über Herkunft und Motivationen der Täter. Das Böse, oftmals etwas übernatürlich gezeichnet, schlägt aus dem Nichts zu und zieht sich wieder dorthin zurück. Paul Kersey etwa wird die Mörder seiner Frau niemals ausfindig machen. In Sympathy for Mr. Vengeance wird dieses Prinzip vom Kopf auf die Füße gestellt, die quasi-metaphysische Besetztheit der Täter zugunsten einer gnadenlosen, kalten Fixierung der Einzelschicksale aufgelöst.

Der taubstumme Ryu, ein ehemaliger Student, muss sich nach der Erkrankung seiner ihn finanziell unterstützenden Schwester als Metallarbeiter in einer Fabrik verdingen. Ein Knochenjob. Sein Ziel: Geld für eine kostspielige Nierentransplantation, die die einzige Chance für seine todkranke Schwester darstellt, zusammenzuraffen. Doch Ryu macht sich in seinem Betrieb bei der Akkordarbeit fast kaputt. Er und seine Freundin leben in Armut. Um das Maß voll zu machen, kann das Krankenhaus einfach kein passendes Spenderorgan auftreiben. In seiner Not wendet er sich an dubiose Organhändler, um auf diesem Wege an eine Niere zu gelangen. Doch natürlich geht alles schief. Die Gangster rippen ihn ab, nehmen sein Geld und schneiden ihm eine Niere aus dem Körper. Als dann das Krankenhaus endlich einen Spender gefunden hat, ist das Ersparte weg. Seine linksradikale Freundin schlägt ihm vor die Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmanns zu entführen. Um das Leben seiner Schwester retten zu können, stimmt er der Aktion zu. Unter der Bedingung es dem entführten Kind so angenehm wie möglich zu machen und auf jedwede Gewaltanwendung zu verzichten.

Schon ganz schön viel Handlung sollte man meinen. Tatsächlich aber erst der Aufhänger für die folgenden, tragischen Ereignisse. Regisseur Park Chan-wook lässt sich für diese ausgedehnte Exposition reichlich Zeit, was dem Film sehr zu gute kommt und den Zuschauer stark an die Wünsche, Träume und Leiden der Protagonisten bindet. Als Ryus kranker Schwester bewusst wird, dass ihr Bruder dabei ist sein eigenes Leben wegzuschmeißen, um das ihre zu retten, bringt sie sich, um nicht länger zur Last zu fallen, um. Ryu realisiert was geschehen ist, erleidet beinahe einen Nervenzusammenbruch und fährt mir dem Mädchen unter Tränen an einen See, um seine Schwester zu begraben. Dort geschieht das Unglück: Aufgrund von Unachtsamkeit und Ryus eingeschränkter Wahrnehmung, fällt das entführte Kind in den See und ertrinkt. Während er und seine Freundin, nun die Taschen voller Geld, von nagenden Schuldgefühlen heimgesucht werden, schwört der Vater Dong-jin blutige Rache an den Entführern seiner Tochter. Mit Hilfe eines Detektivs macht er sich auf die Suche...

Im Laufe der Handlung stellte sich bei mir sukzessive ein Gefühl großen Unbehagens ein: Wie kann alles nur so entsetzlich in die Binsen gehen? Mit der idealistischen Absicht gestartet ein Menschenleben zu retten, bleiben am Ende einer unglücklichen Kettenreaktion nur gescheiterte Existenzen und Tote zurück. Der unangenehme Trick des Regisseurs besteht darin, für keine der Gruppierungen Partei zu ergreifen. Die wechselnden Erzählperspektiven unterstreichen diesen Ansatz. Der Film selbst nimmt in gewisser Weise die Rolle des Beobachters ein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat das sich ereignende Unglück erbarmungslos zu dokumentieren. Die Verzweiflung der Figuren wird somit auf mir bis dato nicht bekannte Weise nachvollziehbar gemacht. Ständig ist der Zuschauer ideologisch ungefilterten, unangenehm starken Emotionen ausgeliefert, die – jedenfalls mir - gewaltig zu knabbern geben. Was hat es jetzt mit dem titelgebenden Mr. Vengeance auf sich? Nun, die Protagonisten sind in ihren Rollen praktisch doppelt besetzt. Als Täter und Opfer. So ist Dong-jin durch den Tod seiner Tochter Opfer, um dann in seinem rasenden Hass zum Rächer zu werden. Aber auch der Entführer Ryu ist keineswegs nur Täter. Die Organhändler haben ihn betrogen und seine Niere genommen. Auch er wird sich rächen. Der Zuschauer steht nun vor folgendem Dilemma: Alle Motive sind völlig plausibel und jederzeit nachvollziehbar. Eine prekäre Lage angesichts des sich abzeichenden Unheils. Die Gabe verzeihen zu können scheint der einzige Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu sein. Doch dazu findet niemand die Kraft.

Formal hält sich der Film an eine realistische Inszenierung, die aber dann und wann durch mit Understatement eingesetzte, intelligente Einfälle glänzt. Manierierte Coolness sucht man hier zum Glück vergebens. Die Gewalt kommt äußerst explizit – Latex, kein CGI! - daher, spielt sich teilweise aber auch nur im Kopf des Zuschauers ab. Die bedrückende Atmosphäre wird noch durch die weitgehende Abwesenheit von Musik bzw durch den selten eingesetzten dissonant-minimalistischen Score gesteigert. Das Motiv der Taubstummheit bildet ebenfalls eine interessante Kompoente. Oft ist aber auch nur das Wimmern und Schreien der Protagonisten zu hören. Wenn Dong-jin Ryus Freundin mit einer Autobatterie foltert, möchte man sich am liebsten die Ohren zuhalten, um nicht mehr diesem schrecklichen Geschrei ausgesetzt zu sein. Die Bilder sind hingegen meist ruhig, beinahe statisch, können aber jederzeit in Szenen von eruptiver Härte und Grausamkeit umschlagen.

Ein sehr unbequemer Film, der sowohl seinen Protagonisten, als auch dem Zuschauer einiges abverlangt. Dem Genrefreund hingegen bleibt indes die Einsicht, dass es Charles Bronson meist deutlich einfacher hatte.

imdb | mrqe


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