05.11.2004, Kino Arsenal

Das mithin schöne am Studium der Filmwissenschaft in Berlin: Man kann für lachhaft schmales Geld 100 Filme aus der legendären Magical History Tour in 365 Filmen des Kino Arsenals wahrnehmen. In loser Folge - und weil mein eigentliches Filmtagebuch mittlerweile leider recht brach liegt - möchte ich deshalb in den entsprechend ausgewiesenen Beiträgen von meinen Erlebnissen im Bauche des Deutschen Filmhauses berichten. Die Magical History Tour beginnt in diesem Jahr für mich mit einem Beispiel des frühen, populären italienischen Kinos: Cabiria.

Kino der Sensationen und des Spektakels! Vulkanausbrüche! Elefanten! Sehet den Moloch! Unschuldige Kinder den Flammen zum Opfer gegeben! Der heldenhafte Maciste! Wie er die Augen kreisen lässt! Paläste voller Prunk! Die Flucht aus dem Verlies! Unmenschliche Kräfte! Marodierende Horden! Hilflose Frauen brutal gefoltert! Brennende Schiffe im Hafen! Die Schlacht um die Burg! Römische Legionäre stapeln sich, die Mauer einzunehmen! Hannibal, wie er über die Alpen kommt! Das weite Mittelmeer! Und ein Abschlussbild so voller saftigem Schmalz, dass es eine wahre Freude ist!

Natürlich: Der Film trägt seine 90 Jahre deutlich auf dem Buckel mit sich rum. Aber das spekulative Kino des Prunks, der ausgestellten Grausamkeiten und sorglos konstruierten Unwahrscheinlichkeiten, für das die italienische Kinematografie Jahrzehnte später weltweit bekannt sein würde, wird hier bereits in jeder Szene präfiguriert. Von Maciste zu Mussolini, könnte man vielleicht auch sagen und in der Tat erinnert das affektierte Spiel des schwarz bepinselten Bartolomeo Pagano, der den punischen Muskelmann personifiziert, wie er sich also als ganzer Kerl augenrollend, armeverschränkend inszeniert, an den späteren Duce, der, soweit ich weiß, seit jeher Freund der prächtig-burlesken Muskelmännerfilme seines Landes war. Und hie und da wirkt Macistes Mimik auch auf ähnliche Weise unbeholfen wie die des mediterranen Faschisten.



Ganz bezaubernd auch die Ausleuchtung: Das vom Arsenal herausgegebene Infoblatt bezeichnet Cabiria als ersten Film, der bewusst von künstlicher Ausleuchtung zur Erzielung verzerrender, dramaturgischer Effekte Gebrauch machte. Vor allem in den wunderbaren Tempelszenen, die das Herz jedes Pulpfreundes höher schlagen lassen sollten, kommt die Lichtmalerei gelungen zum Tragen. Und natürlich auch dann, wenn ein herrlich manischer Archimedes die Sonnenspiegel auf den Feind richten lässt. Des weiteren gefiel mir die Kameraarbeit sehr gut: Von Zeit zu Zeit verschiebt sich die Kamera mit bedächtiger Langsamkeit, an der Grenze zur bewussten Wahrnehmbarkeit schon, um den Raum zu erweitern, das Geschehen um Nuancen zu bereichern. Als Effekt ergibt sich ein ungemein vitaler Filmraum, der die Ahnung um ein Bildkaderäußeres stets in Aussicht stellt und den seinerzeit noch üblichen, distanzierten/distanzierenden "Guckkastenraum" für überkommen erklärt. Und zum Ende hin wird's gar ein wenig Griffith-ish, wenn sich die Ereignisse zuspitzen und mit einigem Gewinn die Parallelmontage ins Feld geführt wird (wie es heißt, ließ Griffith sich von Cabiria durchaus inspirieren).

Es hat Spaß gemacht, trotz einiger, alters- und narrativ bedingter (der Film lief leider nur mit italienischen Zwischentiteln, auf die er sich doch sehr verließ) dramaturgischer Längen. Leider sahen das andere anders: Eine nicht ganz unerhebliche Gruppe der Mit-Studierenden dem eigenen schnöseligen Dünkel lautstark und mit einiger Ausdauer Ausdruck. Nicht nur wegen einiger älterer Herrschaften, die deshalb kopfschüttelnd und resigniert die Vorführung verlassen mussten, ein echtes Ärgernis. Wer sich an einem Ort wie dem Arsenal wie ein Provinzabiturient auf der Berlinabschlussfahrt in einer x-beliebigen Pommesbude (ich war selbst mal einer, ich darf das deshalb so sagen) aufführt, tut damit dem Lebenswerk zahlreicher, verdienstvoller Menschen nicht nur übel Gewalt an, er (oder sie) beschmutzt zudem diesen geschichtsträchtigen Ort der Filmkultur in einer Weise, wie man sie von einem Studierenden der Filmwissenschaft niemals für möglich gehalten hätte. Ich war - gelinde gesagt - geschockt, traurig und zornig zugleich.

imdb


° ° °




kommentare dazu:



thgroh, Samstag, 6. November 2004, 16:23
Siehe auch bei Christian im übrigen, neben dem ich gestern saß und dessen Blog ich eh schon lange mal in die Blogroll aufnehmen wollte. Is nu!


christian123, Samstag, 6. November 2004, 20:45
Danke, da schau ich in meine Logfiles und siehe da, seit exakt 15:23 fallen - laut Referrer - allerlei filmtagebuch-Leser in mein Blog ein (die natürlich herzlich willkommen sind) ;-)

Ich hoffe nur die nächste Filmgeschichtsveranstaltung am Dienstag beginnt nicht damit, dass unser Dozent sich genötigt sieht, Beschwerden der Arsenal-Leitung über die Besucherschaft in den Saal zu tragen. Nach einigen Jahren, in denen ich sehr viele Stummfilm-Vorstellungen im Arsenal erleben durfte, hab ich zwar schon einiges an sonderbarem Publikumsverhalten, jedoch kein derartiges Toben wie gestern erlebt - und wenn das Seminar das die letzten Jahre mit den Arsenal-Besuchen ähnlich gemanaged hat, dürfte ich bei meinen Besuchen schon von einigen Filmgeschichtskursen umgeben gewesen sein. Hoffentlich wird's beim "Student von Prag" etwas besser ...


thgroh, Samstag, 6. November 2004, 21:28
Ja, exakt die gleiche Sorge hatte ich auch schon. Zumal, wie aus dem Infoblatt des Arsenals hervorgeht, die Filmrolle extra via das italienische Kulturinstitut Berlin aus der italienischen Kinemathek beschafft wurde: Ich will nicht das Schlimmste hoffen, aber solche "Vorfälle" können solche Beziehungen auch schnell mal - mit entsprechenden Folgen für das Programm - zum Erkalten bringen. Mir kam zum Teil wirklich das Bild von in fremde Städte einfallenden Vandalen vor die Augen, als die Leute da marodierend ins Arsenal "kotzten". Ich könnte mich schon wieder aufregen ...

Prinzipiell halte ich es aber für gut, die Ereignisse im Seminar nochmal zur Sprache zu bringen. Man muss ja nicht Namen oder Gesichter nennen. Aber ich fände es wichtig, im Seminar nochmal klipp und klar zu unterstreichen, dass ein solches Verhalten mal schlicht unter aller Sau ist und lange nicht auf Verständnis oder gar Komplizenschaft stößt.

k-dash, Sonntag, 7. November 2004, 18:01
Man lernt immer was Neues, schade dass es nicht immer was schönes Neues ist. Ich hätte nicht gedacht, dass solches Verhalten bei, einem Teil von euch (den Filmstudis) so herausbrechen könnte.
Neu aber nicht schön.

saraxiv, Dienstag, 11. September 2007, 10:27
wie klein die Welt doch ist
Hi Thomas,
ist ja verrückt, dass ich wenn ich am anderen Ende der Welt "magical history tour arsenal" google, weil ich gestern Murnaus Faust geguckt und mich ans erste Semester erinnert habe, auf deinem Blog lande.

Viele Grüße aus Sydney,

SARA



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