05.12.2004, Kino Arsenal

Vorauszuschicken ist, dass ich nur die ersten 4 Gesänge gesehen habe. Dann bin ich - nicht wegen des Films, sondern ganz generell, wegen der Zeit - gegangen. Nicht, dass ich mich gelangweilt hätte oder mich Fritz Langs Epos für das deutsche Volk, das immerhin im Ruf steht, ein eher anstrengendes Werk zu sein, ermüdet hätte. Ganz im Gegenteil: Die besonderen Umstände der Vorführung - in der Tat also stumm, keine Musik, keine eingespielte Begleitung, vollkommene Stille im Saal, von gelegentlichem Husten und verlegenem Herumrutschen auf den Sesseln abgesehen, geradezu meditativ also - bedingen in Verbindung mit den ruhigen, aber nicht ereignislosen Bildern eine tiefe Konzentration, die nicht dem Versinken entspricht, sondern die Sinne wach und frisch hält, dabei die Gedanken zwar stets auch kreisen lässt, auch und gerne vom Film weg, diesen wiederum aber auch nie ganz außer Acht lassend (wohingegen man sich bei gerade nicht sonderlich beeindruckenden Filmen - dann eben auch bunt, laut, oft entsprechend nerviger - ertappen kann, seit Minuten an alles andere, aber nicht an diesen Film gedacht zu haben).

Die Nibelungen markiert die Crux aller Ausstattungsfilme, die aus ihrem Pomp vornehmlichen Reiz entwickeln wollen: Der Übergang zu den "Bildern einer Ausstellung" ist schnell vollzogen und Langs Werk tänzelt oft gefährlich schwankend auf dieser feinen Grenze. Jedes Bild (und Bilder im klassischen Sinne sind es meist, die man zu sehen bekommt, und weniger ein Film im klassischen Sinne) erzählt vom Aufwand, der geleistet wurde und vom Willen, in den Bann zu ziehen. (und bleibt dabei doch, letzten Endes, 10 Jahre hinter der Filmgeschichte zurück, wenn ich mich an Cabiria (Italien 1914) erinnere).

Kamera und Montage tun ihr übriges und fallen ganz hinter die Errungenschaften der Filmgeschichte zurück. Erstere bleibt unbewegt und verharrt in beständiger, einmal gefundener Distanz zum Dargestellten. Zweiterer überrascht den Zuschauer nicht mit Extravaganzen, allenfalls ein Schnitt in die Tiefe des Bildes, um ein Detail - heilige Erde etwa - hervorzuheben, scheint diesem Film akzeptabel. Ihr Einsatz bezweckt selten, ja kaum Dramatisierung, allenfalls Präsentation. Man soll blicken: Das Erhabene, das geschieht, und eben nicht auf von der großen Erzählung, vom Pathos ablenkende Tricksereien achten. Denn es geht, dies macht der Vorspann nur zuletzt noch deutlich, um Fragen der Nation: "Dem Deutschen Volke zu Eigen", mahnt eine Tafel zu Beginn in Gravurschrift. Und wo die zu spät gewordene Nation - was sie der Welt bis heute nicht verzeiht - Nabelschau betreibt, vor allem aber sich selbst schweißt, ist das sinnlich Ästhetische der großen Geste zumindest auf unmittelbarer Ebene - denn, so fiel mir auf, die Ausleuchtung verhilft dann auch dem zweiten Blick zu seinem Recht - hintangestellt. Ein Irrweg natürlich, denn Die Nibelungen ist, allein auf dieser Ebene betrachtet, zunächst auch ein für die Verhältnisse seiner Zeit künstlich schwerfälliger, oft geradewegs plumper Film, zumal im Vergleich etwa zum zeitgleich entstandenen Der Letzte Mann von Murnau, der vor formellem Witz schlicht sprüht.

Dennoch: Fritz Langs Epos ist filmisch ambivalent. Er mag sich bildkompositorisch an der Statik der Malerei orientieren (was sich immerhin auch so deuten ließe, dass es ihm um das Bild und das Ikon, um den Mythos allenthalben, nicht um echte Geschehnisse zu tun ist), die Kulissenhaftigkeit des komplett im Atelier entstandenen Films mag ans Theater gemahnen. Und dennoch formuliert sich ein eigenes Filmverständnis aus, das den Film in der Nähe der Kamera zu den Geschehnissen vor ihr seine Differenzqualität zu anderen Künsten finden lässt. Es sind Details, die ungeheuren Falten in den Gesichtern der Hunnen, jeder Zopf und jeder Halm Stroh in den Lehmwänden, die den Film hier als solchen ausmachen. Diese Nähe, diese Lust an bald fraktal wirkenden Falten, Winkeln, Spalten, die fast jedes Bild bestimmen (und, natürlich, im gespenstisch ebenmäßigen Gesicht Kriemhilds einen Gegenentwurf finden). Es ist das sich im Bereich der Nuance (aber nicht im Understatement) situierende Spiel der Kriemhild, das, in dieser Nähe zur Kamera, dem Film den Status als solchen dennoch verleiht.

Ein zumindest interessanter Film. Ein gewiss aufgeblasenes, künstlich in die Länge gezogenes Epos. Und darin auch sicher gescheitert. Dies mag bezeichnend sein. Ihm dabei jedoch zuzusehen, das ist aufschlußreich und als Kinoerfahrung von Gewinn. Ambivalenz im Kino, wichtiger als jede Konsenserfahrung.

web:
imdb | mrqe | goethe-institut | deutsches filminstitut | transit film | tv-termine: fritz lang | jump-cut.de: fritz lang

filmtagebuch:
Weitere Filmerlebnisse im Rahmen der "Magical History Tour in 365 Filmen" des Kino Arsenals.


° ° °




kommentare dazu:



christian123, Montag, 6. Dezember 2004, 02:29
Ich sag ja, Stummfilme _ohne_ Musikbegleitung anzugucken, hat auch was für sich.

Irgendwann will ich mir die Nibelungen nochmal im Arsenal angucken. Das sag ich mir jedes Jahr. Und immer wenn sie dann kommen bin ich dann doch zu faul oder zu beschäftigt, mir zweimal 160 Minuten zu gönnen. Nächstes Jahr, gewiss ...

baehr, Dienstag, 7. Dezember 2004, 01:43
Ich erlaube mit zu widersprechen! "Kamera und Montage tun ihr übriges und fallen ganz hinter die Errungenschaften der Filmgeschichte zurück." Das ist nun ein einfacher Trick - wer eine offensive ästhetische Entscheidung triift, die nicht dem letzten Stand der Technik entspricht, muss deswegen nicht "zurück" sein, er bedient sich nur selbstbewusst der künstlerischen Mittel, die er hat. Nur war Lang Architekt - ihm ging es stets um Räume, um Rauminszenierungen, in denen sich Machtverhältnisse abbilden. Daran sehr modern, seiner Zeit voraus, möglicherweise andere auf dumme Ideen bringend. Doch vor allem: Lang ging es (stelle ich mir vor) darum, ein Werk auf die Leinwand zu bringen, das dort, wenn man ehrlich ist, eigentlich nicht viel verloren hat. Die Nibelungen, deren Reiz, ja deren Schauder sich doch vor allem aus der Archaik der Handlung und ihrer Motivation speist: Der grimme Hagen, der sehenden Auges in den Tod geht. Die holde Kriemhild, die zur schrecklichen Kriemhild wird, die hre Brüder und ihr Volk vernichtet. Die Männer, die sterben, aus Gründen, die man heute allenfalls zur Kenntnis nehmen kann, das Blutgesaufe und Kindergetöte. Ehre. Rache. Treue. Schauer. Lang baute etwas, das kein Film ist, aber trotzdem in Kinos aufgeführt werden kann, das etwas von dieser Zeit (die ja schon zur Zeit der Niederschrift nur noch romantisierte Vergangenheit war) tatsächlich in unsere herüberretten kann. Was mit einer "Psychologisierung" des Stoffes (wie gerade geschehen) nie zu leisten wäre. Die soll eben die Geschichte "verstehbar" machen, wo doch gerade das Erfühlbarmachen des Unverstehbaren die Leistung ist. Ein großartiger Film, mit ein paar echten Fehlgriffen, aber ganz großen Momenten. Nebenbei findet sich ein später Abglanz der Nibelungen in "Fury" wieder, wenn Spencer Tracy,, nachem der Mob ihn beinahe gelyncht hätte, als verwandelte, dunkle, hagensche Gestalt zu seinem unversöhnlichen Rachefeldzug aufbricht. Auch hier ist eine Figur Thema, deren Handlungsweise in die heutigen, psychologischen Muster so nicht mehr passt, der aus der Zeit gefallen ist. Nur: Wir sind nun in den USA, er findet zurück.


thgroh, Dienstag, 7. Dezember 2004, 17:49
Ich warte auf den Widerspruch, denn ein Widerspruch ist das alles gar nicht. ;-)

"fällt hinter die Errungenschaften der Filmgeschichte zurück" - klingt zunächst negativ, allerdings nur, wenn man Filmgeschichte als steten, linearen "Bildungsroman" begreift, in der es nur ein Fortschreiben der Technik gibt. Für sich benommen ist das aber zunächst nur eine Feststellung: Fritz Lang dreht einen Film, der - deshalb eben auch "allein auf dieser Ebene betrachtet" - zunächst kamera- und montagetechnisch aus der Zeit von vor 1913 stammen könnte und dies, was ich ja geschrieben habe, vor allem deshalb, weil es um die große Geste, das Pathos, den Mythos geht (wie von Dir ja richtig beschrieben). Deshalb aber spreche ich dem Film noch nicht jedwede Relevanz ab: Ich betrachtete ja eben nur Kamera/Montage (und erlaubte mir auch den Hinweis, dass es eben auch Material für einen zweiten Blick gibt; die Ausleuchtung etwa, die natürlich viel mit dem Raum zu tun hat, der Hinweis auf die Statik der Bilder, die an Malereien erinnern, von da aus ist der Weg zur Architektur ja nicht mehr weit). Und hier treffen wir uns ja wieder: Etwas, was im Kino aufgeführt werden kann, da aber eigentlich gar nicht hingehört, weil es anderes im Schilde führt und deshalb das Kino an sich - an jenen Stellen, an denen, wie geschrieben, auf den Grenzen schwankend getanzt wird - beinahe (aber eben nur: beinahe) zu übergehen droht. Dass dies, weil es im Kino aufgeführt werden kann, im Kino aufgeführt wurde, wiederum andere zu anderem inspiriert haben mag, will ich gar nicht in Abrede stellen: Dies ist das Paradoxe des Kinos, das es sich selbst nicht positivistisch und teleologisch denkt, sondern sich in Irrwegen verstrickt, um daselbst, schlußendlich, ganz zu sich finden zu können.

Wie gesagt: Ich sehe zwar Differenzen in der letztendlichen Bewertung des Films (wobei ich auch hier, wie gesagt, nicht von einem "schlechten Film" ausgehe - Gott bewahre!), aber "an sich" keine großen.



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