07.12.2004, Kino Arsenal

Zum Inhalt: Ein Chemieprofessor hat, nachdem sich der Vetter seiner Frau zu Besuch angemeldet hat, einen konfusen Traum, der in dem Versuch kulminiert, seine Frau mit einem Dolch zu erstechen. Am nächsten Tag ist er von einer ihm unerklärlichen Furcht besessen, Messer zu berühren. Als er schließlich, mit seiner Frau alleine, dem Zwang, jenen Mord tatsächlich zu begehen, beinahe nachgibt, flieht er aus der Wohnung zu seiner Mutter, die ihm dringend rät, einen Psychoanalytiker aufzusuchen. Er folgt ihrem Rat. Der Arzt hilft ihm in mehreren Sitzungen, sich an einzelheiten des Traumes zu erinnern, ihn zu deuten, die Ursachen zu erkennen und schließlich die Phobie zu überwinden. (Quelle: tonfinder.de)



Gewissermaßen: Ein Lehrfilm. Entstanden in einer Zeit, in der die raunenden Dunkeleien der psychoanalytischen Gründertexte sich bereits für das (unheimliche) Unterhaltungskino anboten, in der die Psychoanalyse selbst aber, so zumindest mein Eindruck, noch nicht ganz so akzeptiert gewesen ist und ihre Theoreme (oft fälschlicherweise, natürlich) in den Diskursen anonym geworden sind. Freud selbst war im Vorfeld der Produktion angesprochen worden, hatte sich als Berater allerdings nicht zur Verfügung gestellt. Diese Aversion gegen den Film (der, im übrigen, seinen Auftritt auf dem Parkett der Geschichte des Menschen fast zeitgleich mit Freud unternahm, am Endpunkt des 19. Jahrhunderts, dessen mit vorrangiges Projekt wohl die Schaffung von (und der Wille zu) Transparenz ist) war dabei ganz grundsätzlicher Natur. So kann es hier im Zitat nachlesen, dass Freud die Abstraktionen der Psychoanalyse als im Film nicht darstellbar charakterisierte. Freudschüler kam dann in Folge die Aufgabe der beratenden Mitarbeit zu.

Freuds skeptische Haltung mag sich zumindest an diesem fertigen Film als berechtigt erweisen. Denn der Lehrfilm, eigentlich schon: Werbefilm, wirkt heutzutage (und vermutlich aber schon: damals) sehr reduziert, wenn nicht gar reduzierend, zurechtkonstruiert und somit rein inhaltlich geradewegs grobschlächtig. Wie so oft verkehrt der angestaubte Lehr- und Werbefilm mit den Jahren somit seinen Effekt und stellt, selbstverständlich nicht intendiert, damit Schwächen und Unschärfen der Psychoanalyse regelrecht bloß, sehr zur Erheitung im Kinosaal im übrigen. Und mit dem Auftritt des Psychoanalytikers im Film verrät der Film seinen Gegenstand schon fast (ob hier wohl ein Augenzwinkern über die Dekaden hinweg bemerkbar wird? Wohl kaum, der Gedanke aber - Film als Flaschenpost nicht über Weltmeere, sondern über Jahrzehnte hinweg - gefällt mir just in diesem Moment so gut, dass ich das hier hinschreiben muss): Er, der dem Neurotiker den im Wirtshaus verlorenen Schlüssel nachträgt, und wie eine zwielichtige Gestalt aus dem Schatten tritt, dabei die Worte "Es hat sicher einen Grund, dass sie nicht gerne nach Hause kommen wollen" spricht, er also ist es, der dem Neurotiker und seinem Film das Unheimliche anträgt, den Neurotiker schlußendlich in die Verwirrung treibt (um dann, später, demütig beim Psychoanalytiker vorzusprechen, der ihn auch prompt überrascht begrüßt, er hätte ihn ja so früh bei sich nun nicht erwartet. Theodor Reik, dessen Texte zur Psychoanalyse ich (bislang, bei noch geringer Übersicht) sehr schätze, bezeichnete die Psychoanalyse schlußendlich auch als Überreste der Magie in der Neuzeit. Geheimnisse einer Seele tritt dazu in Korrespondenz, indem er den Psychoanalyse in der Tat als eine Art Schamanen inszeniert, als einen zunächst unheimlichen Eremiten, der über Geheimwissen verfügt und offenbar auch nicht an die Grenzen der Physik gebunden ist.



Weiterhin interessant ist ein kleines Detail, das mit etwas Lust als subversive Rebellion des Films (nicht unbedingt seines Machers) gesehen werden könnte: Der idyllisierende Prolog, der den Neurotiker als geheilt, als geretten Ehemann schon fast campy vor Heimatfilmkulisse mit Berghütte, Angelerfolg und Familienglück inszeniert, lässt den Geheilten aus lauter Freude über den Anblick seiner Frau nebst Nachwuchs, von ihm unbemerkt, die soeben gefangenen Fische wieder in den Fluß fallen lassen. Ein Missgeschick, das, zuvor, als ein unbewusstes Agieren gegen eine an sich unerfreuliche Situation zu interpretieren gewesen wäre. Ist der Mann also gar nicht geheilt? Ist ein Missgeschickt manchmal auch gar nicht inszeniert? Ist diese Unschärfe des Films dessen eigenes Missgeschick, das von seinem Unbehagen gegen seine eigene Position kündet? Wie auch immer die Antwort ist: Der achtlos ins Wasser platschende Fang bleibt im Film ein Fremdkörper, ein kleiner Reibepunkt.



Ist Geheimnisse einer Seele deshalb ein schlechter Film? Nun keineswegs! Der Film fungiert als naher Verwandter zum Horrorfilm und arbeitet dessen Nähe zur Psychoanalyse als textuellem Steinbruch schön heraus: Jeder, der sich mit dem Horrorfilm näher beschäftigt, wird aus dem Pabstfilm seinen Gewinn ziehen. Deutlich wird dies vor allem an den wahnwitzigen und sehenswerten Traumsequenzen, die drei Jahre vor Un Chien Andalou diesen schon erahnen lassen ("vorwegnehmen" wäre ein zu starkes Wort und auch nicht recht passend). Über mehrere Minuten hinweg bilden diese eine phantasmagorische Insel innerhalb des Filmes, auf die später, in der analytischen Situation, immer wieder zurückgegriffen werden wird. Ein ästhetisches Erlebnis von ganz eigener Qualität, ungemein bildgewaltig und formal hervorragend inszeniert. Es ist diese formale Güte, die, mehr noch als bei dem dahingehend auch nicht uninteressanten Die freudlose Gasse, diesen Pabstfilm, zumal im Kino, jenseits des Dokumentcharakters als Kommentar zur Psychoanalyse zu einem sehenswerten Erlebnis macht. War auch schon die Gasse immer wieder von kleinen Momenten durchbrochen, wo Pabst ganz dem Film als solchen zum Recht verhalf, bäumen sich solche Momente in Geheimnisse regelrecht gegen den narrativen Fluß auf. Eine nicht verwirklichte, sich dem Plot nicht fügen wollende Tradition des Kinos spricht hier durch den Film, die uns vermutlich Bilder und Ereignisse auf Zelluloid geschenkt hätte, von denen man, in der Tat, nur träumen kann.

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° ° °




kommentare dazu:



thgroh, Sonntag, 12. Dezember 2004, 19:49
Historische Quellen zum Film
"Nicht nur ein geschickter, sondern ein bleibender Film, dieses psychoanalytische Kammerspiel. Ein Kulturfilm, der ohne weiteres, ohne Begrenzung zum Spielfilm wird. Das ist sicher ein Verdienst des Regisseurs G. W. Pabst, der schon in zwei ausgezeichneten Filmen (DER SCHATZ, DIE FREUDLOSE GASSE) künstlerische Fähigkeiten bewiesen hat. Es wird unter der wissenschaftlichen Mitarbeit des verstorbenen Dr. Abraham und von Dr. Sachs ein Krankheitsfall in seinen Einzelheiten entwickelt. Genesis, Höhepunkt, Abklang eines seelischen Leidens werden dargestellt. Die Heilung aber bleibt nicht klar definiert, weil sie nicht bildlich übertragen werden kann. Ganz anders aber ist das bei der Darstellung (und Wiederholung) des Traums, einem Hauptteil des Films. Der ist nicht nur technisch ausgezeichnet gemacht, sondern auch in der Komposition phantastisch, spannend und echt. Die Deutung, und das ist das Entscheidende, erfolgt filmisch, die Deutung ergibt sich aus den Vorgängen. Die Bilder dieses Traumes sind bannend, sind überzeugend, sind natürlich. "

(Rolf Nürnberger, in: Neue Berliner Zeitung, 25.3.1926)

"Die verhaltene Erregung des Ganzen, die der Regisseur G. W. Pabst vortrefflich meistert, die grandiose Eindringlichkeit des hier unersetzlichen Schauspielers Werner Krauß und die schlechthin herrliche, einfallsreiche Photographie machen ein großes Kunstwerk aus Traum, Manie, Not und Erlösung - ein großes Kunstwerk aus einer psychiatrischen Krankengeschichte. Unglücklicherweise hat sich aber ein Mitarbeiter eingemischt, der bei diesem Film in letzter Minute noch vieles verdorben hat: die Filmzensur. Nun steht und fällt die Freudsche Lehre mit der Bedeutung ihrer Sexualtheorien. Und die Freudsche Lehre darf in Büchern verbreitet, in Vorträgen erläutert und sogar in Witzen verkomischt werden: Aber über den Film hat die Zensur Gott sei Dank noch genug Gewalt, um zu verhindern, daß mit seiner Hilfe eine Theorie allgemein verbreitet wird, die allerdings das ganze Dasein einer Zensur als höchst traurigen Verdrängungsvorgang erläutern würde."

(Axel Eggebrecht, in: Die Literarische Welt Nr. 15/ 1926)

"Indes ist es vor allem Pabst gewesen, der sich in einem Film aller jener Errungenschaften bemächtigt hat, die ihm der Expressionismus als Erbe bot. In den GEHEIMNISSEN EINER SEELE sucht er das traditionelle Verfahren zu transponieren. Neben süßlich anmutenden Traumvisionen im Öldruckstil und anderen, in denen ein neutraler weißer Hintergrund wie im »absoluten Film« die Realität mit ihren Beziehungen aufhebt, neben den Simultaneindrücke wiedergebenden Einblendungen, Überblendungen, wie sie französische Avantgardisten verwerten, verwendet Pabst Visionen, die ihm allein der deutsche Expressionismus vermitteln konnte. Er hat hier die Möglichkeit gefunden, Personen und Objekten ein leuchtendes Relief, eine Art von Aura, phosphoreszierende Konturen zu geben, architektonische Perspektiven zu verzerren, ihre Proportionen zu übersteigern und sie so zu den seltsamsten Gebilden umzuformen."

(Lotte Eisner: Die dämonische Leinwand, Kommunales Kino Frankfurt 1975)

Zitiert nach: Bonner Kinemathek

baehr, Montag, 13. Dezember 2004, 00:21
An dieser Stelle kann ich garnicht anders, als auf das wirklich lesenwerte Buch "Pandoras Schätze - Erotikkonzeptionen in den Stummfilmen von G.W.Pabst" von meinem guten Freund Gerald Koll zu verweisen (sollte in jeder guten UB vorhanden sein). Mit vielen Filmanalysen und reichhaltig bebildert. Was Pabst in seiner Zeit sicher einmalig macht, ist seine offen Darstellung der Sexualität in all ihren Facetten - der Film dieser Zeit beschäftigte sich doch mit anderen Themen. Vielleicht Liebe, aber die interessierte Pabst wiederum dann doch eher als Symptom. Dass "Geheimnisse einer Seele" nicht der einzige Film Pabsts ist, der durch den Mann aus Wien geprägt ist, zeigt sich schon an eben dieser gemeinsamen Obsession der beiden. Und Gerald Koll, dessen Filmessays zur frühen Filmgeschichte leider im Nachtprogramm von Arte versickern (pfui!), zeigt noch sehr viel genauer, warum das so ist.


thgroh, Montag, 13. Dezember 2004, 01:44
Lieben Dank für den Hinweis, das ist notiert! (und ich bin mir nicht nur sicher, ich weiß ohne nachgesehen zu haben, dass das Buch in der Bibliothek des Filmhauses am Potsdamer Platz zu finden sein wird.

Ob Pabst in dieser Hinsicht - Sexualität im Film - so einmalig ist, da bin ich mir hingegen nicht ganz sicher. Zumindest was es auf allgemeiner Ebene betrifft. Für einen "angesehenen Regisseur" (seinerzeit, wie, vor allem, heutzutage) mag das ohne weiteres stimmen; auch, was das Kino im Sinne einer öffentlichen Massenveranstaltung betrifft. Andererseits erfreute sich aber der erotische und in der Tat auch pornografische Film zu jener Zeit schon bester Saison, wenn auch (und hier unterscheidet sich das eben vom Kino) in Hinterzimmern, Herrenclubs und anderen, abgeschiedenen Ecken der Großstädte. Dennoch gab es da eine regelrechte Kultur und die Filme (die wenigen, die erhalten sind) sind auch in der Tat recht unterhaltsam anzusehen: Ungemein spielerische, leichte Filme, in denen ganz zum Spaß und jenseits der Artisterie kokett gevögelt wird. (nun gut, Pabst ist davon weit, sehr weit weg - zugegeben)


baehr, Montag, 13. Dezember 2004, 02:09
Ja klar, ich meine natürlich im bürgerlichen-öffentlichen Kontext, im anständigen Lichtspielhaus. In Pabsts Filmen ist Sexualität, Abhängigkeit, Macht gesellschaftliches Thema. Da geht es nicht um Lust an der Betrachtung, im Gegenteil, meistens ist das ja sehr beunruhigend. Und da war er wirklich ganz weit vorne. Ich muss einschränken: Brooks und Rasp, bei denen geht es mir schon um die Lust an der Betrachtung.



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