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"Platon - Diese Stadt verlässt Du nur im Sarg!"

Gemäß der platonischen Philosophie kann ein Bild immer nur eikon (Abbild) eines a priori bestehenden Urbildes, einer idéa (Idee) sein. Der Idee kommt dabei – vereinfacht ontologisch gesprochen – die Rolle eines strukturierendes Ordnungsprinzip zu, das sich der sinnlichen Wahrnehmung des Menschen entzieht. Ein Verhältnis, das klar zuungunsten der Bilder ausfällt. Lässt sich die Welt der Ideen durch das Konzept der Anamnesis, also der Widererinnerung an in der Seele verborgene Wahrheiten erreichen, sind Bilder nur bloßer Schein. Nackte Oberfläche.

Der Italowestern hat immer schon von einer eindrucksvollen Bildsprache gelebt. Ein Umstand, der seinen wortkargen, in der Vergangenheit verhafteten Protagonisten geschuldet ist. Diese sind durch traumatische Ereignisse in einem "früheren Leben" ihrer Sprache beraubt worden. In Sergio Corbuccis Genreklassiker Leichen pflastern seinen Weg ist dieses eigentlich psychisch bedingte Unvermögen durch eine tatsächliche Verletzung der Stimmbänder (die bezeichnenderweise im Kindesalter erfolgte) in den Körper des Protagonisten eingeschrieben. Diese exemplarische Unfähigkeit einen kommunikativen Nexus zur Gegenwart zu schließen wird durch symbolträchtige Handlungen sublimiert, die selbst einen banalen Vorgang wie das Anzünden eines Streichholzes durch eine lakonisch-eindrucksvolle Geste in den Rang des Sakralen erheben können. Ein weiteres, wenn nicht sogar das wichtigste Strukturmerkmal des Genres ist das Duell. Zu Beginn von Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod wird erhebliche Zeit darauf verwendet eine Gang von Revolverhelden beim Warten auf den großen Moment zu zeigen, ein Portrait ihrer Anspannung zu zeichnen. Rollen, die eigentlich mit Clint Eastwood, Lee van Cleef und Eli Wallach besetzt werden sollte, was aber letztlich durch terminliche Probleme nicht zustande kam. Dann, der Fremde steigt aus, kurzes Zögern, und plötzlich geht alles ganz schnell. Tote liegen im Staub. Nun ist Leones Film ja gemeinhin als Genre-Abgesang bekannt. Der Italowestern, so sagt man, käme in ihm zu seinem Ende. Und in der Tat, besagt Szene spricht, neben einigen anderen mehr, in dieser Hinsicht eine recht deutliche Sprache. Auch und gerade, wenn man sich die ursprüngliche Besetzung vor Augen hält. Problem ist, dass der Film dabei nur auf der Ebene des Symbolischen, des Bildhaften verbleibt. Anders verhält es sich in Enzo Castellaris Film:

In einer der eindrucksvollsten Szenen sehen wir vier aufgerichtete Finger einer Hand, präziser: der Hand Keomas, die - aus der Subjektiven gefilmt - mit jedem einzelnen Anwinkeln den Blick auf eines seiner zukünftigen Opfer freigeben. Anschließend wird mit Blei abgeräumt. Vier Finger, vier Opfer. Der Bogen zu Platon ist geschlossen. Hinter dem Bildsymbol (Finger = Gegenspieler) wird die Idee (der Archetypus des Gegenspielers) sichtbar. Kurzes Anvisieren und beides wird gemeinsam zum Teufel gejagt. Symbolisch und real, im Bildkader komprimiert. Castellari bringt Leones unfinished buisness zu einem wirklichen Ende. Entsprechend düster ist der Grundtenor: Angenehm unironisch verdichtet Castellari einen enormen Zitatenfundus zu einem Filmkörper von unerhörter Gravität. Ein Ansatz, der Strenge erfordert. Und so nimmt es auch nicht weiter Wunder, dass der Film konsequent von einer Matrix mythischer Narrative strukturiert wird, die, und das ist das wichtigste Charakteristikum des Films, durch ein verwegenes Ausreizen des Scopeformats eindrucksvoll mit der reinen Bildebene synchronisiert werden. Um dieses austarierte Verhältnis zu stabilisieren, ist der Film von einer hermetisch-phantasmatischen Membran geklammert, in der auch das Raum-Zeit-Gefüge außer Kraft gesetzt ist. So gibt es diverse Szenen, in denen der Held ohne jeden Schnitt durch die Vergangenheit schreitet. Auch die von Sam Peckinpah entlehnten, in verschiedenen Geschwindigkeiten ablaufenden Zeitlupenaufnahmen scheinen einen einzigen Vorgang (Mann wird erschossen und stürzt) durch geschickt eingesetzte Gegenschnitte zeitlich zu fragmentieren.

Den Tod des Italowestern, man sieht in ungern. Castellari weiß das und enthält sich bei aller Dekonstruktionsarbeit einer klaren Aussage. Auch die Affinität des Films gegenüber christlicher Ornamentik erscheint im Nachhinein in einem anderen Licht. Dass diese kinematografische Passionsgeschichte in einer Schlüsselszene die paradoxalen Dialektik des Kreuzestodes bebildert ist so konsequent wie nachvollziehbar. In ihr findet der Film endgültig zu sich selbst.

Ein Meisterwerk.

imdb


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