Thema: Berlinale 2005
Zwei Filme gestern nur, beide von Im Kwon-Taek, dem Altmeister aus Korea, der derzeit an seinem 100. Film arbeitet und im Rahmen der Berlinale mit einer sektionsübergreifenden Werkschau (und einer Goldenen Kamera) gewürdigt wird. Sie waren meine ersten Kwon-Taek-Filme und ich bin froh, dass ich sie im einigermaßen entspannten Umfeld von nur zwei Sichtungen am Tag sehen konnte.
Chukje, der erste der beiden, 1996 gedreht, nimmt den Tod einer Großmutter zum Anlass, die traditionellen Beerdigungsrituale Koreas genau vorzustellen. Daran knüpft er zahlreiche kleine Familiengeschichten und -charaktere an. Formal beinahe schon klassisch, wenn nicht fast schon "unsichtbar" inszeniert, ist der Film dennoch alles andere als altbackenes Kino. In der Darstellung der einzelnen, über mehrere Tage hinweg vollzogenen Rituale - die einzigen Szenen, die mit nicht-diegetischer Musik unterlegt sind - entwickelt der Film bisweilen dokumentarischen Charakter. Das geht soweit, dass dem westlichen Publikum in erklärenden Untertiteln die einzelnen Rituale, die im Bild nur präsentiert, aber nicht erläutert werden, nahegebracht werden. Dann aber wiederum ist der Film alles andere als ein Dokumentarfilm, auch wenn - was zuweilen irritiert, aber sehr positiv - man nie das Gefühl hat, Erzählkino beizuwohnen. Viele Menschen finden sich zur Beerdigung ein, Familiengeschichten breiten sich aus (ohne, dass es nostalgisch zugänge, eher ist alles einer gewissen Tradition des Realismus unterworfen), in denen die Großmutter immer auch dazuzählt, aber oft auch nur zum Detail am Rande gerät. Es ergibt sich ein "Patchwork", das mit unserem Begriff dessen nichts gemein hat. Eher scheint es um Zusammensetzungen zu gehen: Wie die einzelnen Rituale der Zeremonie, was die Untertitel erläutern, aus verschiedenen Traditionen zusammengesetzt sind (zum Teil sogar widersprüchlich), erscheint auch die Großmutter, ja die Familie aus widersprüchlichen Elementen zusammengesetzt. Gestützt wird der Eindruck auch durch die verschiedenen Erzähler, die der Film aufweist, am spannendsten darunter vielleicht die kleine Tochter des ältesten Sohnes, für deren Überlegungen über die Großmutter der Film eine eigens gestaltete Sphäre - eine kulissenhafte Kinderbuchwelt (was passt: ihr Vater ist Schriftsteller, am Ende wird er ein Kinderbuch geschrieben haben) - reserviert. Ein faszinierender Film, der vielleicht mein Favorit dieses Festivals werden könnte.
Wangshibri, der älteste Film des Regisseurs, der auf dem Festival zu sehen ist, fühlt sich da ganz anders an, auch wenn an einer Stelle, wenn in einer Erinnerung an den Rand einer Beerdigung geblickt wird, sich eine Art "Wurmloch" im Werk des Regisseurs auftut, über das beide Filme für wenige Augenblicke miteinander, über die Zeit hinweg, verbunden scheinen. Wangshibri, von 1976, steht noch deutlich den Genrefilmen des Regisseurs nahe (wie man hört, hat Im Kwon-Taek seine Arbeit mit zahlreichen Actionfilmen begonnen, von denen er sich heute - leider - distanziert), was sich vor allem in der formalen Gestaltung niederschlägt: Wäre das kein wehmütiges Melodram, das - große Kunst - am Ende in ein etwas peinliches weepy movie umzuschlagen droht, dann aber, irritierend, in großes Gelächter auf der Leinwand mündet, könnte man, rein von der Inszenierung her gesehen, auch auf einen typischen Action/Gangsterfilm der 70er schließen. Es wird viel mit Zooms gearbeitet, die Dynamik des Scopebildes wird für spannungsreiche Kompositionen genutzt, alles ist angefüllt mit einem 70s chic, der mein Herz - ich bin Videokind der frühen 80er - schnell hoch schlagen lässt. Gelegentlich gibt es sogar einen recht funky score, mit typischen 70er-Instrumenten eingespielt, Rückblenden werden mit speziellen Farbfiltern, die nur in dieser Dekade wirklich gut aussahen, bewerkstelligt und in manchen Hotelzimmerszenen bestimmt ein dezent von der Seite hereinstrahlendes Rot die Konturen der Gesichter (diegetisch bedingt durch die Neonröhrenschrift vor dem Fenster - "Hotel" -, die in der ersten Szene in diesem Zimmer dezent am Rande glaubhaft eingeführt wird). Und in der Tat scheint die melancholische Hauptfigur, die nach 14 Jahren Exil in ihre Heimatstadt zurückkehrt, in der Zwischenzeit als Gangster zu einigem Wohlstand gekommen. Es geht im wesentlichen um seine unglücklich geendete Liebe zu einem jungen Mädchen: Er musste seinerzeit die Stadt verlassen, um einem innerfamiliären Rechtsstreit um eine große Erbschaft aus dem Weg zu gehen. Bald trifft er die - nun verheiratete - Frau wieder, doch als bekannt wird, dass sein Geldbeutel prall gefüllt ist, beginnt sie ihn in betrügerischer Absicht zu umschmeicheln. Parallel erzählt sich die Geschichte einer Prostituierten mit dem goldenen Herzen, die dem Zurückgekehrten liebevoll verfällt.
Wangshibri (d.i. der Name der Stadt, in die zurückgekehrt wird) ist eine elegant inszenierte Literaturverfilmung, wie sie dem Vernehmen nach für das koreanische Kino der 70er typisch ist. Es spricht eine hohe Meisterschaft aus diesen Bildern, was Inszenierung, Optik und Effizienz betrifft. Schon allein deshalb eine wahre Freude, diesem sich entspannt entfaltendem Film zuzusehen, den eine tiefe Wehmut durchzieht, die sich aber nie grüblerische Schwerfälligkeit übersetzt. Eher umschmeichelt ihn die Tristesse eines schneeüberdeckten Morgens und in der Tat spielen die schönsten Szenen des Films im Schnee. Ich war festivalbedingt zwar nicht für jedes Detail aufnahmefähig, aber ganz generell kann ich festhalten, einen ungemein schönen Film gesehen zu haben. Vor allem das Gespür für das kameratechnisch verfremdete "Genrebild" (wie ich es mal salopp nennen will) hat mich hier gepackt und es wäre wohl wirklich mal interessant, die früheren Arbeiten des Regisseurs zu Gesicht zu bekommen: Hier sind, da bin ich mir nun sicher, unter Garantie Schätze des kommerziellen Kinos zu heben.
Chukje, der erste der beiden, 1996 gedreht, nimmt den Tod einer Großmutter zum Anlass, die traditionellen Beerdigungsrituale Koreas genau vorzustellen. Daran knüpft er zahlreiche kleine Familiengeschichten und -charaktere an. Formal beinahe schon klassisch, wenn nicht fast schon "unsichtbar" inszeniert, ist der Film dennoch alles andere als altbackenes Kino. In der Darstellung der einzelnen, über mehrere Tage hinweg vollzogenen Rituale - die einzigen Szenen, die mit nicht-diegetischer Musik unterlegt sind - entwickelt der Film bisweilen dokumentarischen Charakter. Das geht soweit, dass dem westlichen Publikum in erklärenden Untertiteln die einzelnen Rituale, die im Bild nur präsentiert, aber nicht erläutert werden, nahegebracht werden. Dann aber wiederum ist der Film alles andere als ein Dokumentarfilm, auch wenn - was zuweilen irritiert, aber sehr positiv - man nie das Gefühl hat, Erzählkino beizuwohnen. Viele Menschen finden sich zur Beerdigung ein, Familiengeschichten breiten sich aus (ohne, dass es nostalgisch zugänge, eher ist alles einer gewissen Tradition des Realismus unterworfen), in denen die Großmutter immer auch dazuzählt, aber oft auch nur zum Detail am Rande gerät. Es ergibt sich ein "Patchwork", das mit unserem Begriff dessen nichts gemein hat. Eher scheint es um Zusammensetzungen zu gehen: Wie die einzelnen Rituale der Zeremonie, was die Untertitel erläutern, aus verschiedenen Traditionen zusammengesetzt sind (zum Teil sogar widersprüchlich), erscheint auch die Großmutter, ja die Familie aus widersprüchlichen Elementen zusammengesetzt. Gestützt wird der Eindruck auch durch die verschiedenen Erzähler, die der Film aufweist, am spannendsten darunter vielleicht die kleine Tochter des ältesten Sohnes, für deren Überlegungen über die Großmutter der Film eine eigens gestaltete Sphäre - eine kulissenhafte Kinderbuchwelt (was passt: ihr Vater ist Schriftsteller, am Ende wird er ein Kinderbuch geschrieben haben) - reserviert. Ein faszinierender Film, der vielleicht mein Favorit dieses Festivals werden könnte.
Wangshibri, der älteste Film des Regisseurs, der auf dem Festival zu sehen ist, fühlt sich da ganz anders an, auch wenn an einer Stelle, wenn in einer Erinnerung an den Rand einer Beerdigung geblickt wird, sich eine Art "Wurmloch" im Werk des Regisseurs auftut, über das beide Filme für wenige Augenblicke miteinander, über die Zeit hinweg, verbunden scheinen. Wangshibri, von 1976, steht noch deutlich den Genrefilmen des Regisseurs nahe (wie man hört, hat Im Kwon-Taek seine Arbeit mit zahlreichen Actionfilmen begonnen, von denen er sich heute - leider - distanziert), was sich vor allem in der formalen Gestaltung niederschlägt: Wäre das kein wehmütiges Melodram, das - große Kunst - am Ende in ein etwas peinliches weepy movie umzuschlagen droht, dann aber, irritierend, in großes Gelächter auf der Leinwand mündet, könnte man, rein von der Inszenierung her gesehen, auch auf einen typischen Action/Gangsterfilm der 70er schließen. Es wird viel mit Zooms gearbeitet, die Dynamik des Scopebildes wird für spannungsreiche Kompositionen genutzt, alles ist angefüllt mit einem 70s chic, der mein Herz - ich bin Videokind der frühen 80er - schnell hoch schlagen lässt. Gelegentlich gibt es sogar einen recht funky score, mit typischen 70er-Instrumenten eingespielt, Rückblenden werden mit speziellen Farbfiltern, die nur in dieser Dekade wirklich gut aussahen, bewerkstelligt und in manchen Hotelzimmerszenen bestimmt ein dezent von der Seite hereinstrahlendes Rot die Konturen der Gesichter (diegetisch bedingt durch die Neonröhrenschrift vor dem Fenster - "Hotel" -, die in der ersten Szene in diesem Zimmer dezent am Rande glaubhaft eingeführt wird). Und in der Tat scheint die melancholische Hauptfigur, die nach 14 Jahren Exil in ihre Heimatstadt zurückkehrt, in der Zwischenzeit als Gangster zu einigem Wohlstand gekommen. Es geht im wesentlichen um seine unglücklich geendete Liebe zu einem jungen Mädchen: Er musste seinerzeit die Stadt verlassen, um einem innerfamiliären Rechtsstreit um eine große Erbschaft aus dem Weg zu gehen. Bald trifft er die - nun verheiratete - Frau wieder, doch als bekannt wird, dass sein Geldbeutel prall gefüllt ist, beginnt sie ihn in betrügerischer Absicht zu umschmeicheln. Parallel erzählt sich die Geschichte einer Prostituierten mit dem goldenen Herzen, die dem Zurückgekehrten liebevoll verfällt.
Wangshibri (d.i. der Name der Stadt, in die zurückgekehrt wird) ist eine elegant inszenierte Literaturverfilmung, wie sie dem Vernehmen nach für das koreanische Kino der 70er typisch ist. Es spricht eine hohe Meisterschaft aus diesen Bildern, was Inszenierung, Optik und Effizienz betrifft. Schon allein deshalb eine wahre Freude, diesem sich entspannt entfaltendem Film zuzusehen, den eine tiefe Wehmut durchzieht, die sich aber nie grüblerische Schwerfälligkeit übersetzt. Eher umschmeichelt ihn die Tristesse eines schneeüberdeckten Morgens und in der Tat spielen die schönsten Szenen des Films im Schnee. Ich war festivalbedingt zwar nicht für jedes Detail aufnahmefähig, aber ganz generell kann ich festhalten, einen ungemein schönen Film gesehen zu haben. Vor allem das Gespür für das kameratechnisch verfremdete "Genrebild" (wie ich es mal salopp nennen will) hat mich hier gepackt und es wäre wohl wirklich mal interessant, die früheren Arbeiten des Regisseurs zu Gesicht zu bekommen: Hier sind, da bin ich mir nun sicher, unter Garantie Schätze des kommerziellen Kinos zu heben.
° ° °
kommentare dazu:
thomas.reuthebuch,
Freitag, 18. Februar 2005, 11:52
Wie machst du das nur? Ich bin gestern in meinem zweiten Film des Tages, "Riyuu", weiß Gott kein schlechter, eingeschlafen. Hab nach dem Aufwachen fluchtartig den Potsdamer Platz verlassen. Für mich ist die Luft raus, mir fällt es schwer unvoreingenommen Bilder auf mich einwirken zu lassen, geschweige denn darüber zu schreiben. Ich habe allergrößten Respekt vor deinem Durchhaltevermögen. Wollt ich mal gesagt haben.
thgroh,
Freitag, 18. Februar 2005, 21:13
Danke für das nette Lob. :)
wie ich das mache? ich schaue eigentlich nur noch wenige Filme am Tag und sehe zu, dass mein erster nicht morgens um 9 ist ;-) , dann geht das eigentlich sogar. Und ich gehe dem Trubel ringsum so gut es geht aus dem Weg und versuche, mich auf die für mich wesentlich interessanten Filme zu konzentrieren, von denen ich mir etwas excitement verspreche. Vielversprechendes, aber im Festivalrahmen für mich wohl Tödliches (wie etwa die Benning-Sachen) streiche ich da von vorneherein (schweren Herzens).
Aber vielleicht sieht man sich morgen/übermorgen doch nochmal irgendwo? Oder zumindest mal auf ein "Berlinale-Nachbearbeitungs-Bier"? :)
wie ich das mache? ich schaue eigentlich nur noch wenige Filme am Tag und sehe zu, dass mein erster nicht morgens um 9 ist ;-) , dann geht das eigentlich sogar. Und ich gehe dem Trubel ringsum so gut es geht aus dem Weg und versuche, mich auf die für mich wesentlich interessanten Filme zu konzentrieren, von denen ich mir etwas excitement verspreche. Vielversprechendes, aber im Festivalrahmen für mich wohl Tödliches (wie etwa die Benning-Sachen) streiche ich da von vorneherein (schweren Herzens).
Aber vielleicht sieht man sich morgen/übermorgen doch nochmal irgendwo? Oder zumindest mal auf ein "Berlinale-Nachbearbeitungs-Bier"? :)
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