Angekündigt als "trister Überraschungsfilm" entpuppt sich Alexander Maxwells Mysterien der Pornographie als hypnotisch-relaxte Voyeurmeditation in grobkörnigem Schwarzweiß: Ein "Wissenschaftler" namens Albert Jenkins, der aussieht wie eine Mischung aus Martin Scorsese im Vollbartmodus und Charles Manson, führt sein neugieriges Publikum in die Schattenwelt der "Untergrundzeitungen" ein, in denen so verheißungsvolle wie anspielungsreiche Kleinanzeigen laszive Sensationen und geheimnisvollen Nervenkitzel versprechen - und all diese erotischen Abenteuer liegen zum Greifen nahe, sofern man über die dafür nötigen Finanzmittel verfügt, wie Jenkins immer wieder mit wissendem Grinsen Richtung Kamera versichert. Verspricht der deutsche, raunende Verleihtitel noch ein romantisch verbrämtes Zauberland, spricht der amerikanische Originaltitel auf hemdsärmelig geschäftige Weise Tacheles: It's All For Sale - als befände man sich im Paradies für Gebrauchtwageninteressenten.

Von pädagogischen Projekten wie den etwa im selben Zeitraum entstandenen Kolle-Filmen, die auf zwar anrührend naive, aber doch aufrichtige Weise von der Sorge um ein emanzipiertes Sexleben ihres Publikums getragen sind, ist Mysterien der Pornographie beträchtlich entfernt: Der Film bedient auf allen Ebenen die Haltung eines Voyeurs. Primärer historischer Adressat dürfte wohl wirklich eher der in seinem erotischen Begehren tendenziell sanft verklemmte Mitbürger gewesen sein, der zwar niemals auf eine dieser Kleinanzeigen reagieren würde, aber eigentlich schon mal gerne einen sicheren Blick in die Welt der sexuellen Libertinage werfen möchte. In Albert Jenkins hat er für dieses Anliegen einen verständnisvollen Bündnispartner: Neben der reißerischen Präsentation des publizistischen Quellmaterials fokussiert er vor allem auf die schön säuberliche Präsentation des eigenen "Medienapparats", wie es also ihm, Jenkins, gelingen kann, die im folgenden, vorgeblich im Selbstversuch erstellten Aufnahmen zu erstellen: Man erfährt, wo das Tonbandgerät versteckt war, und ahnt, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind, eine beträchtliche Kamera in einer Aktentasche so zu drappieren, dass sie von außen nicht auffällt, aber dennoch maximale Einsicht in das muntere Treiben besteht. Was einerseits die folgenden Aufnahmen - Jenkins beim Gruppensex, Jenkins beim Nacktfoto-Termin, Jenkins im Nudistencamp, Jenkins bei der Privatmassage, Jenkins beim Dildo-Einkauf, Jenkins bei der Voodoo-Audienz, etc. - authentifiziert, schafft dem unsicheren Voyeur zugleich eine rückversicherte Basis der Anschauung: Keine Sorge, wir werden alles sehen - auch wenn Jenkins, väterlicher Freund, der er ist, darauf hinweist, dass er beim Gruppensex "natürlich einige Szenen herausschneiden" musste - und uns wird nichts passieren. Puh.



Die eigentlichen Attraktionen dann: Meditation im Stillstand. Tatsächlich großartig von melancholischer Gitarrenmusik unterlegt, die man heute als American Primitivism auch einem an Singer/Songwritertum geschultem Indie-Expertenpublikum vorlegen könnte. Gerade diese Tiefenentspanntheit - okay, manchmal gibt es auch blöde Witzeleien, wenn Jenkins etwa an einen schwulen Masseur gerät - verleiht dem Film einen fast sehnsüchtigen Resonanzraum nach jener Form von Freiheit, der sich verzwicktes Spießbürgertum kaum aussetzen würde.



Bizarr geraten sind jene Momente, in denen uns Jenkins - eigener Auskunft nach "Verhaltensforscher" - via Kleinanzeige erworbene Nudistenfilmchen zeigt. Er bedient den Projektor, setzt den Film in Gang und der Film-im-Film übernimmt rahmenlos die eigentliche Form. Zwischendrin immer wieder: Inserts von Jenkins' Gesicht in Großaufnahme - düster dräuend, lüstern dreinblickend. Eine Erinnerung an den eigentlichen Ort des Films einerseits, andererseits wächst Jenkins in diesen kurzen Inserts aber selbst zu so etwas wie einem dunklen Hohepriester einer düsteren erotischen Fantasie heran. Spooky.

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