So, was Christian kann, kann ich auch. Im folgenden meine "Filmprotokolle" als abschließende Arbeitsleistungen für die Einführung in die Filmgeschichte am filmwissenschaftlichen Seminar der FU Berlin (gefordert waren keine Sequenzanalysen, sondern kleine analytische Beobachtungen im Rahmen der Magical History Tour des Kino Arsenals). Der Text zu Tartüff ist ja schon online, im folgenden der Rest:

Cabiria
CABIRIA ist als früher Gehversuch in der Form des abendfüllenden Spielfilms vor allem aufgrund seiner Wagnisse bemerkenswert, den hermetisch abgeschlossenen wirkenden Raum einer üblich statischen Ansicht über sachte Kamerabewegungen und -fahrten zu öffnen und ihn so als einen authentischen zu kennzeichnen, aus dessen Mitte heraus man sich theoretisch zu allen Seiten hin bewegen könnte. Vom Schaukastenprinzip, in dem die Perspektive auf das Geschehen mit der Anordnung der Apparatur in eins zu fallen scheint, wird sich auf diese Weise bereits sachte zu emanzipieren versucht. Effektiv ergibt dies bereits den ersten Eindruck einer filmischen Welt, in der die beobachtende Position der Kamera Bestandteil derselben ist, im Gegensatz zu einer abgefilmt erscheinenden Welt, die an einem äußeren Punkt von der Kamera eingefangen wird. Gleiches gilt für die ersten Unternehmungen, das zum Ende hin dramatische Geschehen durch changierende Ortswechsel über die Montage zusätzlich mit Spannung anzureichern. Diese ersten Experimente mit der Parallelmontage lassen bereits ein frühes Gespür dafür erahnen, dass die Wirkung von Film nicht allein vom Gegenstand, sondern zum großen Teil auch von der Form seiner medialen Vermittlung abhängig ist, und dass der Zuschauer in der Lage ist, Geschehnisse an disparaten Orte der Filmerzählung miteinander in Bezug zu setzen und sie zu einer Gleichzeitigkeit zu synthetisieren.
Dieses Bewusstsein um die Formen der Darbietung und deren Wirkungskraft lässt sich auch in der Bedachtsamkeit erkennen, mit der zahlreiche der sensationalistischen Szenen ausgeleuchtet sind: Die Vulkanszene zu Beginn, die lustvoll ausgereizten Gräueltaten der Opferszenen sowie der Einsatz der von Archimedes ersonnenen Lichtspiegel in einer Schlacht sind allesamt mit dem Wissen um die dramaturgische, vor allem aber atmosphärische Wirkung eines gezielten Einsatzes von Licht und Schatten inszeniert, der die Schattendramaturgie des so genannten „expressionistischen Films“ der kommenden Jahre bereits zu antizipieren scheint, bzw. erzielen diese Momente erst durch ihre zusätzliche filmische Aufbereitung jenseits bloßen Abfilmens ihre Effizienz. Strukturell werden sie in eine Abfolge von Spektakeln eingebunden, die von der Kontingenz der späteren Spielfilmform noch abweicht: Der Film bewegt sich von einer sensationalistischen Episode zur anderen, die, jede für sich genommen, womöglich auch jenseits des narrativen Korsetts noch funktionieren könnten.


Der Student von Prag
DER STUDENT VON PRAG entfaltet sich in statischen Einstellungen als eine Abfolge von Ansichten, in denen sich der Zuschauer leicht orientieren und den Erzählraum entsprechend gut erfassen kann. Das auf diese Weise beinahe Tableauartige der Bilder wird jedoch durch die Tiefe des Raumes gebrochen, die vor allem mittels der achsendynamischen Bewegungen der Figuren hergestellt wird: Auffallend häufig schreiten Personen aus dem Hinter- in den Vordergrund, bzw. verlassen das Bild auf der Achse nach hinten. Der rechte und linke Rand des Bildrahmens wird indes kaum für Auf- und Abtritte genutzt, der Spielraum vor der Kamera ähnelt gewissermaßen einem flachliegenden „T“.
Dies scheint mit der Situation in Balduins Studentenzimmer in Verbindung zu stehen. Hier findet sich der Spiegel, aus dem sein Doppelgänger nach dem abgeschlossenen Seelenhandel hervortreten wird und somit den planen Spiegel um einen realen Raum nach hinten erweitert (in der Tat sieht man recht deutlich, dass der Spiegel für den Trickeffekt entfernt wurde und sich ein wirklicher „Spiegelraum“ hinter seiner Stelle verbirgt): Das Unheimliche tritt aus der zuvor planen Fläche mit nur simuliertem Hinterraum hervor, der dadurch die Möglichkeit zur Authentizität erhält. Vor allem auch in Verbindung mit der sichtlich von der Romantik beeinflussten Vorrede auf einem Insert zu Beginn des Films, in dem geschildert wird, wie dereinst die Figuren aus dem Skript Galeens bei der Konzipierung der Geschichte „hervortraten“, ergibt sich durch die eingangs beschriebene Raumgestaltung die Effizienz des Grusels dieses Films: Dass Spiegel und Leinwand durchlässige Membrane sein könnten, dass die Gestalten aus ihnen heraus/herunter steigen könnten und dass sich im planen Bild in Wirklichkeit ein Raum mit Tiefe erstrecken könnte.

Der Golem, wie er in die Welt kam
Entfaltete DER STUDENT VON PRAG seine Geschichte noch sehr linear und über recht distanziert eingefangene „Bildkapitel“, wagt DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM deutliche Schritte in die diegetische Welt hinein. Die Kamera tritt auch jenseits von Detailaufnahmen von Gesichtsausdrücken in das etablierte Gefüge und konstruiert es zuweilen durch dramatisierende Einstellungswinkel innerhalb bereits etablierter Orte. So wird etwa das Geschehen auf der Zinne, als der Golem den Junker in den Tod stürzt, teilweise schon in kleine Bildeindrücke parzelliert (etwa als der Golem aus dem Treppenhaus auf die Zinne tritt), die dann allerdings wieder in eine Totale münden (wenn der Junker zu Tode kommt). Die Leiche selbst wird dann aus einer point-of-view-ähnlichen Perspektive von der Zinne aus in ein den Vorgang abschließendes, dramatisiertes Bild gefasst. In der ersten Belebungsszene wird ein ähnliches Point-of-View-Verfahren angewandt, wenn der im Detail aufgenommene Golem erst zum Rabbi und dann zu dessen Diener blickt: Die Augenbewegungen werden in der Montage mit den jeweiligen Ansichten gekoppelt und dadurch in einen assoziativen Zusammenhang gestellt, gleichzeitig wird dabei die Kamera der Funktion einer „vierten unsichtbaren Wand“ enthoben.
Auffällig ist auch die narrative Struktur: Schon im ersten Kapitel, wenn Rabbi Löw sich daran macht, dem klumpen Ton die Form Paul Wegeners zu geben, zeigt sich eine Art Parallelisierung des Filmgeschehens: Die Tätigkeit endet noch nicht mit dem Schnitt. Nach diesem wechselt das Geschehen zu der sich anbahnenden Affäre zwischen Miriam und dem Junker, die das spätere Furiosum des Golems mit bedingen wird. Auch hier endet das Geschehen nicht mit dem Schnitt, sondern führt zurück zum Rabbi, der noch immer am Lehm zugange ist, um dann wieder zu der intimen Szene zwischen den beiden zurückzukehren. Beide sind für die Dramatik der Geschichte ungemein wichtige Fäden, die hier bereits frühzeitig zueinander in Bezug genommen werden, auch wenn das eine mit dem anderen an sich zunächst noch nichts zu tun hat. Über diese Kreuzung erfahren beide Ereignisse eine sich gegenseitig stützende Dramatisierung und werden durch diese Struktur mit Relevanz für das allgemeine Geschehen aufgeladen. Diese Kontextualisierung lässt den Zuschauer bereits erahnen, welchen Lauf die Geschichte nehmen wird und dass beide losen Fäden im weiteren Verlauf zueinander finden werden.

Der letzte Mann
DER LETZTE MANN wirkt in mancher Hinsicht wie ein „stummer Tonfilm“: Er simuliert gewissermaßen Ton über seine visuelle Komponente und erreicht darin eine Meisterschaft, die es ihm erlaubt, seine Erzählung ganz ohne Zwischentitel zu entfalten (von einem Epilog gegen Ende abgesehen). Dies ist vor allem das Verdienst der Kameraarbeit, die sich in den eindrucksvollsten Momenten vollends vom Abfilmen von Äußerlichkeit emanzipiert und das Geschehen vor allem auch ästhetisch vermittelt: Wenn sie im prächtigen Beginn in einer zielstrebigen Fahrt die turbulente Hotellobby durchmisst, fängt sie vor allem auch die auditive Betriebsamkeit und das solchen Plätzen übliche Geschnatter ein. Wenn eine Nachricht über die Hinterhöfe der Großstadt mündlich weitergegeben wird, übersteigt sie gar die physischen Möglichkeiten eines etwaigen Beobachters der Szenerie und folgt den Tonwellen selbst, indem sie der Strecke vom Mund der Botin hin zum Ohr der alten Frau am Fenster nachspürt. Um die Trunkenheit des Protagonisten darzustellen, subjektiviert sie das Geschehen schließlich vollends: Mit Linsenverfremdungen und einem handkameraartig verwackeltem Bild gibt die Kamera das instabil gewordene Verhältnis von Innen- zur Außenwelt des Betrunkenen ästhetisch wieder: Fast meint man das Lallen der Person schon hören zu können. Die so „entfesselte Kamera“ etabliert einen ästhetisch wie dramaturgisch ungemein wirkungsvollen Erzählraum, in dem die Kamera nicht mehr als distanzierter Beobachter erscheint, sondern ganz zu seiner dramatisierenden Instanz geworden ist.


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