(zuerst erschienen im Freitag)




Ein Titel, wie es ihn in Filmen heute nicht mehr gibt, für einen jener Filme, wie man sie heute nicht mehr macht – Liebe und Tod im Garten der Götter von 1972. Der Anfang ist anspielungsreich, dunkel schimmernd, verheißungsvoll: Mit einer tastenden, sich ständig umsehenden Kamera, hinein in diesen verwilderten, saftig grün leuchtenden Garten, in dieses Anwesen und seine Geheimnisse, wie das Blut, das ins Waschbecken tropft, die offenbar in den Freitod gegangene Frau, die in der Wanne liegt.

Alteuropäischer Gothic, gedreht im hellsten Tageslicht. Dass abseits gelegene Häuser unglücklich verkarstete Familiengeschichten in sich bergen, ist bekannt. Hier ist es ein Ornithologe, der Haus und Garten mittels eines alten Tonbands mit den Aufzeichnungen einer psychotherapeutischen Sitzung seine Geheimnisse entlockt. Ein Geschwisterpaar verstrickte sich an dem Ort einst in seinem Begehren, bald bildeten sich in beide Richtungen teuflisch manipulierte Beziehungsdreiecke – die Sache endete fatal und lappt schließlich in die Gegenwart des stumm am Tonband sitzenden Vogelforschers.

Ohne Weiteres hätte man aus dem Stoff einen Knobelkrimi mit melancholischen Bürgerkindern machen können. Doch Regisseur Sauro Scavolini führt in die (von der mal gefräßigen, mal zaghaften Kamera seines Bruders Romano eingefangene) Welt eines unmoralischen Begehrens ohne viel Aufhebens. Ein Vergnügen, das zwar vom Genrefilm kommt, die Kunst aber sucht und die Zielvorgaben von beidem nicht erfüllt. Stattdessen tut sich ein interessantes Zwischenreich auf: ein Kifferfilm ohne Joint, ein Geisterfilm voller Tonbandgespenster. Liebe und Tod im Garten der Götter hat einen angenehm dämmerhaften Flow, nicht zuletzt, da mit Erika Blanc und ihren glasig in die Welt blickenden Augen samt wächsernen Gesichtspartien die wohl großartigste Schlafwandlerin des italienischen Kinos in der Rolle der Schwester zu sehen ist.



Anders als in den barocken Opern des Horrordirigenten Dario Argento gibt es hier nicht das Hauruckpathos wider Moral und filmische Zurückhaltung, für das man das Italokino der 60er und 70er Jahre schätzen kann. Stattdessen taumeln die Scavolinis mit fragilem Stilwillen durch einen Film, dessen Kamera im Grunde genommen eine eigene, handelnde Instanz darstellt. Immer wieder lugt sie um Ecken, Kanten, Büsche und Bäume, als nähme sie die Subjektive eines verstohlenen Serienkillers ein, der den Film über aber Distanz zum Geschehen wahrt.

Was sich darin einmal mehr zeigt, ist der formale Reichtum, die Lust des italienischen Kinos im Dunstkreis des Genrefilms an der vielleicht nicht durchdachten, aber unbedingt ins Bild gesetzten Vision: dass man Filme nicht nur im Detail, sondern mit Erfindungsreichtum und viel formaler Freiheit auch auf Ebene der Textur ganz unterschiedlich erzählen kann. Kein Wunder, dass zumindest Kameramann Romano Scavolini aus dem Experimentalfilm kommt.



Im Kino war dem Film kein langes Leben beschert. Kurz nach dem Start verschwand er aus den Sälen, nach Deutschland wurde er niemals exportiert. Womöglich weil er in keine Schublade so recht passen will. Für die Freunde des Giallos, des italienischen Kriminalfilms, zu wenig stilkonform, für den Autorenfilm vielleicht zu prätentiös. In den Netzwerken der Italofans genoss Liebe und Tod im Garten der Götter lange Zeit den Status einer unzugänglichen Legende.

Umso lobenswerter ist das Verdienst engagierter Kleinlabels wie Filmart, solche kühnen und eben auf interessante Weise neben der Spur liegenden Filme aus einer anderen, offeneren Zeit des Kinos in liebevoll aufbereiteten Editionen zugänglich zu machen.

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Bonusmaterial: Beim Filmforum Bremen bespricht Marco Koch den Film (von dort habe ich auch die Screenshots gemopst). Und hier die schöne Traumsequenz aus dem Film:



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