Thema: Berlinale 2006
Bollywood ist Kino des Exzesses, im Sinne eines allgemeinen "Zuviels" und vor allem der Freude daran in einem abgekarteten Spiel. Alles ist way too much, und deshalb auch so großartig: Die Choreografien feiern schon ein überbordendes Fest, wo doch eigentlich nur ein kleines Mosaiksteinchen der Handlung hinzugefügt wurde; die Farben bringen den Bildkader regelrecht zum Bersten, der Schmuck ist nurmehr hilarious, die Gefühle so täuschend unecht, dass es eine wahre Pracht ist, wider besseren Wissens in sie hineinzutauchen, mit einem Köpfer vom Zehnmeterbrett. Die Stories sind bigger than life, die Tragik sowieso. Bollywood ist dabei kein Trash, auch wenn in westlichen Kinos dazu gerne an den falschen Stellen gelacht oder, schlimmer noch, abwehrend Köpfe geschüttelt werden. Bollywood meint Exzess, Kino-Exzess.
Was nun also ist - so darf man nach der Sichtung von Parineeta, mit dem das Internationale Forum dieses Jahr eröffnet wird, mit Recht fragen - ein Bollywood-Film eigentlich wert, der dem Exzess geradewegs zu misstrauen scheint und ihn mit aller Konsequenz aus seinen Bildern, seiner Story treibt? Nicht viel, wird man sich eingestehen müssen.
Die Geschichte entspricht einer gängigen Blaupause, was nicht viel Wunder nimmt, basiert sie doch auf einem Roman, der, wie man von den Produzenten im anschließenden Q&A erfährt, in Indien nicht nur ungemein populär, sondern auch die Vorlage unzähliger Bollywood-Filme ist. Es geht also um Liebe zwischen, zunächst, Nachbarskindern, später: Erwachsenen, über die Gartengrenze und die Klassen hinweg. Natürlich will sein Vater, ein eiskalter Businessman, den ihrigen, ein geradewegs kuschlig-liebenswürdiger Patriarch, übertrumpfen: Dieser leiht jenem einen enormen Batzen Geld, wohlwissend, dass er es nicht zurückzahlen wird können, und spekuliert damit auf dessen Grund und Boden, wo ein Hotel entstehen soll. Nicht berücksichtigt im Plan wird ein Freund der auszubootenden Familie, der in Großbritannien dick im Geschäft und gerade zu Besuch ist; leichter Hand sind die Schulden getilt, was nicht ohne Folgen für die Liebesgeschichte seit Kindestagen der beiden Hauptfiguren bleibt: Er wittert ihren Aufkauf, wähnt Prostiution, was folgt entspricht den Gesetzen des Melodrams: Zuviel Stolz im Spiel, aneinander vorbei geredet wird obendrein, Missverständnisse allenthalben, das Glück zerbricht. Am Tage seiner Hochzeit - zu heiraten ist eine unerträglich nervige upper-class bitch - hebt sich der Schleier vom intriganten Spiel des Vaters ...
Parineeta beginnt mit einem Bild im Bild: Nostalgisch vergoldeter Blick auf einen Fluss, auf Calcutta, es ist das Jahr 1962 und ein Dampfer schiebt sich voran, drumherum ein Bilderrahmen, der im Zuge einer Zoomfahrt der Kamera verschwindet und deshalb als merkwürdig sinnlos in Erinnerung bleibt; er verweist allerdings bereits auf das Problem des Films, der die Statik und nostalgische Wehmut eines gerahmten Bildes sucht, von der Bewegung aber nicht lassen will. Das Ergebnis ist ein merkwürdiger Kompromiss, der wie das schlechteste aus zwei Welten wirkt: Ein Gutteil der Musical-Sequenzen ist am Klavier situiert (er ist Komponist) und zeichnet sich gerade dort durch einen Mangel an Bewegung aus, wo andere Bollywood-Filme förmlich übersprühen; statt bonbonartiger Farbenpracht wird alles in jenen entrückt wirkenden goldenen Schimmer eingetaucht, der im Kino üblicherweise Nostalgie markieren sol, was selten genug funktioniert, jeder Lichtstrahl der Ausleuchtung sitzt perfekt und taucht alles ins matt Schimmernde, ordnet dabei jede Bewegung, jede Regung rigoros unter sein Regiment, wo doch eigentlich gerade das Berstende aus dem Bildrahmen heraus eine Tugend aus Bollywood ist; statt funky Rhythms setzt man auf eine merkwürdig verwestliche Musik, keine der Figuren ist grell und überzeichnet, sondern geradewegs auf psychologische Stimmigkeit reduziert; das natürlich arg konstruierte Melodrama verweist nur auf sich selbst, um zu Tränen zu rühren, und gibt sich, auf diese Weise entblößt, eben doch nur als die Schwachstelle, mit nichts weiter sonst, zu erkennen, die man Bollywood-Erzählungen, aus westlicher Perspektive, immer schon ankreiden hätte können.
Oder kurz: Parineeta wirkt wie ein handwerklich qualitativer Hollywoodfilm, dem man ein wenig Bollywood-Features aufgeklebt hat, wobei der Wahnsinn, der diesem Filmzusammenhang glücklicherweise oft anhaftet, geflissentlich vergessen wurde. Parineeta ist slick und glossy, aber schlicht und ergreifend nicht gut; ja, schlimmer noch: wenn es in dem Film tatsächlich in eine Lokalität namens Moulin Rouge geht, wo man eine, in wirklich absolut jeder Hinsicht, erschreckend biedere Choreografie zu sehen bekommt, wünscht man sich den von Bollywood durchaus inspirierten Größenwahn herbei, der Baz Luhrmanns gleichnamigen Film kennzeichnete. In der letzten Sequenz blitzt dieser für ein paar Sekunden auf, als würde es der Film einem noch extra mit auf den Weg geben wollen, dass er einen nach Strich und Faden um den Bolly-Genuss betrogen hat.
imdb ~ weitere Informationen ~ Jump Cut-Kritik
Was nun also ist - so darf man nach der Sichtung von Parineeta, mit dem das Internationale Forum dieses Jahr eröffnet wird, mit Recht fragen - ein Bollywood-Film eigentlich wert, der dem Exzess geradewegs zu misstrauen scheint und ihn mit aller Konsequenz aus seinen Bildern, seiner Story treibt? Nicht viel, wird man sich eingestehen müssen.
Die Geschichte entspricht einer gängigen Blaupause, was nicht viel Wunder nimmt, basiert sie doch auf einem Roman, der, wie man von den Produzenten im anschließenden Q&A erfährt, in Indien nicht nur ungemein populär, sondern auch die Vorlage unzähliger Bollywood-Filme ist. Es geht also um Liebe zwischen, zunächst, Nachbarskindern, später: Erwachsenen, über die Gartengrenze und die Klassen hinweg. Natürlich will sein Vater, ein eiskalter Businessman, den ihrigen, ein geradewegs kuschlig-liebenswürdiger Patriarch, übertrumpfen: Dieser leiht jenem einen enormen Batzen Geld, wohlwissend, dass er es nicht zurückzahlen wird können, und spekuliert damit auf dessen Grund und Boden, wo ein Hotel entstehen soll. Nicht berücksichtigt im Plan wird ein Freund der auszubootenden Familie, der in Großbritannien dick im Geschäft und gerade zu Besuch ist; leichter Hand sind die Schulden getilt, was nicht ohne Folgen für die Liebesgeschichte seit Kindestagen der beiden Hauptfiguren bleibt: Er wittert ihren Aufkauf, wähnt Prostiution, was folgt entspricht den Gesetzen des Melodrams: Zuviel Stolz im Spiel, aneinander vorbei geredet wird obendrein, Missverständnisse allenthalben, das Glück zerbricht. Am Tage seiner Hochzeit - zu heiraten ist eine unerträglich nervige upper-class bitch - hebt sich der Schleier vom intriganten Spiel des Vaters ...
Parineeta beginnt mit einem Bild im Bild: Nostalgisch vergoldeter Blick auf einen Fluss, auf Calcutta, es ist das Jahr 1962 und ein Dampfer schiebt sich voran, drumherum ein Bilderrahmen, der im Zuge einer Zoomfahrt der Kamera verschwindet und deshalb als merkwürdig sinnlos in Erinnerung bleibt; er verweist allerdings bereits auf das Problem des Films, der die Statik und nostalgische Wehmut eines gerahmten Bildes sucht, von der Bewegung aber nicht lassen will. Das Ergebnis ist ein merkwürdiger Kompromiss, der wie das schlechteste aus zwei Welten wirkt: Ein Gutteil der Musical-Sequenzen ist am Klavier situiert (er ist Komponist) und zeichnet sich gerade dort durch einen Mangel an Bewegung aus, wo andere Bollywood-Filme förmlich übersprühen; statt bonbonartiger Farbenpracht wird alles in jenen entrückt wirkenden goldenen Schimmer eingetaucht, der im Kino üblicherweise Nostalgie markieren sol, was selten genug funktioniert, jeder Lichtstrahl der Ausleuchtung sitzt perfekt und taucht alles ins matt Schimmernde, ordnet dabei jede Bewegung, jede Regung rigoros unter sein Regiment, wo doch eigentlich gerade das Berstende aus dem Bildrahmen heraus eine Tugend aus Bollywood ist; statt funky Rhythms setzt man auf eine merkwürdig verwestliche Musik, keine der Figuren ist grell und überzeichnet, sondern geradewegs auf psychologische Stimmigkeit reduziert; das natürlich arg konstruierte Melodrama verweist nur auf sich selbst, um zu Tränen zu rühren, und gibt sich, auf diese Weise entblößt, eben doch nur als die Schwachstelle, mit nichts weiter sonst, zu erkennen, die man Bollywood-Erzählungen, aus westlicher Perspektive, immer schon ankreiden hätte können.
Oder kurz: Parineeta wirkt wie ein handwerklich qualitativer Hollywoodfilm, dem man ein wenig Bollywood-Features aufgeklebt hat, wobei der Wahnsinn, der diesem Filmzusammenhang glücklicherweise oft anhaftet, geflissentlich vergessen wurde. Parineeta ist slick und glossy, aber schlicht und ergreifend nicht gut; ja, schlimmer noch: wenn es in dem Film tatsächlich in eine Lokalität namens Moulin Rouge geht, wo man eine, in wirklich absolut jeder Hinsicht, erschreckend biedere Choreografie zu sehen bekommt, wünscht man sich den von Bollywood durchaus inspirierten Größenwahn herbei, der Baz Luhrmanns gleichnamigen Film kennzeichnete. In der letzten Sequenz blitzt dieser für ein paar Sekunden auf, als würde es der Film einem noch extra mit auf den Weg geben wollen, dass er einen nach Strich und Faden um den Bolly-Genuss betrogen hat.
imdb ~ weitere Informationen ~ Jump Cut-Kritik
° ° °
kommentare dazu:
christian123,
Sonntag, 12. Februar 2006, 03:12
Ich kenne ja kaum Bollywoodfilme (nur so ein paar Dinger aus den 30ern, ansonsten nur noch zweimal indisches Autorenkino aus den 50ern), insofern hatte ich keinen Vergleich und habe bereits Parineeta als wunderschön exzessiv genossen. Jetzt gesagt zu bekommen, dass das im Verhältnis zum sonstigen Bollywood nur hübsches Qualitätskino ohne den üblichen Wahnsinn und Exzess sei, macht ja richtig geil aufs 'sonstige' Bollywood :-D
...bereits 3514 x gelesen