Thema: Berlinale 2006
19. Februar 06 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Eine Reise durch die Türkei, von Istanbul im Westen bis zum Berg Ararat im Osten, von der westlich orientierten Metropole hinein in die Geschichte des Landes, am Konflikt mit den Kurden vorbei bis hin zu den Stätten des Genozids an den Armeniern. Arslans Kamera fängt die Stationen dieser Reise in langen, meist unbewegten Einstellungen ein, der Ton besteht ganz aus Atmo, immer wieder der Blick durch die Frontscheibe des Wagens auf die Straße, auf Berge, Landschaften, wie Kapitelstrukturierungen, weiter durch das Land. Kaum Kommentare. Sparsam, ja fast spärlich spricht Arslan im Voiceover. Meist handelt es sich um knappe, topografische Hinweise - wo befinden wir uns, was fand hier statt, hier wuchs er als Knabe auf. Dann wieder viele Minuten lang kein Wort, nur Bilder und Eindrücke: Menschen bei der Arbeit an Nähmaschinen, Kinder, die auf öffentlichen Plätzen spielen, eine Grenzpatrouille, ein Jugendlicher mit Slayer-T-Shirt, der, so stellt es sich in der nächsten Einstellung heraus, in der Tat als Metzger arbeitet (ein seltsamer, aber sympathischer Humor schimmert gelegentlich durch die Bilder).
Man hätte den Informationsgehalt sicher auch als Texteinblendungen realisieren können, doch widerspräche dies der Logik des Films, die sich ganz vom Bildeindruck, von der Seh- und Schauerfahrung her denkt; nicht zuletzt ist Arslan die unbedingte Instanz dieses sehr subjektiven Films, der seinen distanzierten Titel nicht umsonst trägt: 20 Jahre ist Arslan, der als Halbtürke zwar in Deutschland geboren, aber in Ankara aufgewachsen ist, nicht mehr in der Türkei gewesen. Aus lapidarem Grund, wie er im Gespräch nach dem Film erläutert: Er hätte bis vor kurzem dort noch zum Militärdienst verpflichtet werden dürfen. Der Blick also ist in Aus der Ferne in der Tat einer, der Nähe nicht sucht, sie aber auch nicht verneint. Seine eigenen Bilder aus der Kindheit habe er, so Arslan, nicht wiederfinden können; immer spricht das Bild auch von dem, der ihn wirft, von Arslan und seiner Kamera und damit auch von uns, deren Blick streng durch diese Instanz strukturiert wird.
Die Türkei im Bild ist immer schon vorcodiert; der Panoramablick auf Istanbul etwa, wie man ihn aus Fatih Akins Gegen die Wand kennt und mit dem Arslan seinen Film auch in der Tat beginnen lässt, eine Moschee, die weiße Mondsichel auf rotem Grund, für den östlichen Teil des Landes gibt es den Hirten als rustikales Symbol. Doch die Türkei - und hier ist Arslans Film im Rahmen einer Berlinale, die so verzweifelt dem Politischen hinterher hechelt, dabei aber fast ausschließlich gefällige Folklore zeitigt, die es dem privilegierten Festivalpublikum ermöglicht, von der eigenen Moralität überzeugt beruhigt nach Hause zu gehen, in diesem Zusammenhang also ist Arslans Film im besten Sinne politisch, da das Politische nicht als aussagekräftiger Gegenstand, sondern als Aspekt einer filmästhetischen Erfahrung gedacht wird - die Türkei also ist mehr als diese Handvoll Bilder, ist in sich so komplex wie jede andere Kultur und Gesellschaft: Arslan lässt uns dem nachspüren, in Form eines essayartigen Reiseberichts, der einem gerade eben (und gottlob) nicht Land und Leute nahebringen will, sondern der beobachtet, Bildvorstellungen aufsprengt und einen permanenten Reflexionsprozess in Gang setzt. Arslans Film mag schlicht sein, sicher minimal, doch in jedem Moment bleibt er im höchsten Maße spannend und beeindruckend.
Wie sehr Arslan vom Bild und dessen Status seiner Filmizität ausgeht, zeigt sich in dessen Strukturierung und Komposition. Nie sind das zufällige Bilder, die sich kommentarlos aneinanderreihen, nie steht die Kamera einfach nur da und fängt ein und zeigt uns unbekümmert das Resultat. Immer ist da ästhetischer Mehrwert, der sich aus der Position der Kamera ergibt, kaum ein Bild, das nicht komponiert (aber eben auch nicht überästhetisiert oder gar stilisiert) wirkt, fast immer geschieht etwas im Bild, was die Einstellungsdauer bestimmt: Sei es ein Hund, der plötzlich in den Bildkader tritt und die Einstellung mit seinem Verlassen daraus beendet, ein Stück Stoff, das abschließend vom Wind ins Bild geweht wird und zum Liegen kommt, das der Montage den nächsten Schnitt diktiert. Anhand solcher oft überraschenden, wenn nicht verblüffenden Details, die plötzlich Bewegung ins Bild bringen und es bestimmen, unterstreicht Arslan zum einen die Gemachtheit des Films, zum anderen schreibt er sich selbst subtil in das ästhetische Ergebnis ein: Wir spüren, dass das Bild nicht für sich spricht und Repräsentationskraft atmet, man bemerkt, dass die Einstellungen weit, wenn nicht wesentlich länger gedauert haben mögen, dass aber der Ausschnitt daraus, den wir schließlich sehen, gezielt und mit Bedacht ausgewählt wurde. Es soll hier keine neuen Symbolbilder geben.
weitere Informationen ~ peripher film
Man hätte den Informationsgehalt sicher auch als Texteinblendungen realisieren können, doch widerspräche dies der Logik des Films, die sich ganz vom Bildeindruck, von der Seh- und Schauerfahrung her denkt; nicht zuletzt ist Arslan die unbedingte Instanz dieses sehr subjektiven Films, der seinen distanzierten Titel nicht umsonst trägt: 20 Jahre ist Arslan, der als Halbtürke zwar in Deutschland geboren, aber in Ankara aufgewachsen ist, nicht mehr in der Türkei gewesen. Aus lapidarem Grund, wie er im Gespräch nach dem Film erläutert: Er hätte bis vor kurzem dort noch zum Militärdienst verpflichtet werden dürfen. Der Blick also ist in Aus der Ferne in der Tat einer, der Nähe nicht sucht, sie aber auch nicht verneint. Seine eigenen Bilder aus der Kindheit habe er, so Arslan, nicht wiederfinden können; immer spricht das Bild auch von dem, der ihn wirft, von Arslan und seiner Kamera und damit auch von uns, deren Blick streng durch diese Instanz strukturiert wird.
Die Türkei im Bild ist immer schon vorcodiert; der Panoramablick auf Istanbul etwa, wie man ihn aus Fatih Akins Gegen die Wand kennt und mit dem Arslan seinen Film auch in der Tat beginnen lässt, eine Moschee, die weiße Mondsichel auf rotem Grund, für den östlichen Teil des Landes gibt es den Hirten als rustikales Symbol. Doch die Türkei - und hier ist Arslans Film im Rahmen einer Berlinale, die so verzweifelt dem Politischen hinterher hechelt, dabei aber fast ausschließlich gefällige Folklore zeitigt, die es dem privilegierten Festivalpublikum ermöglicht, von der eigenen Moralität überzeugt beruhigt nach Hause zu gehen, in diesem Zusammenhang also ist Arslans Film im besten Sinne politisch, da das Politische nicht als aussagekräftiger Gegenstand, sondern als Aspekt einer filmästhetischen Erfahrung gedacht wird - die Türkei also ist mehr als diese Handvoll Bilder, ist in sich so komplex wie jede andere Kultur und Gesellschaft: Arslan lässt uns dem nachspüren, in Form eines essayartigen Reiseberichts, der einem gerade eben (und gottlob) nicht Land und Leute nahebringen will, sondern der beobachtet, Bildvorstellungen aufsprengt und einen permanenten Reflexionsprozess in Gang setzt. Arslans Film mag schlicht sein, sicher minimal, doch in jedem Moment bleibt er im höchsten Maße spannend und beeindruckend.
Wie sehr Arslan vom Bild und dessen Status seiner Filmizität ausgeht, zeigt sich in dessen Strukturierung und Komposition. Nie sind das zufällige Bilder, die sich kommentarlos aneinanderreihen, nie steht die Kamera einfach nur da und fängt ein und zeigt uns unbekümmert das Resultat. Immer ist da ästhetischer Mehrwert, der sich aus der Position der Kamera ergibt, kaum ein Bild, das nicht komponiert (aber eben auch nicht überästhetisiert oder gar stilisiert) wirkt, fast immer geschieht etwas im Bild, was die Einstellungsdauer bestimmt: Sei es ein Hund, der plötzlich in den Bildkader tritt und die Einstellung mit seinem Verlassen daraus beendet, ein Stück Stoff, das abschließend vom Wind ins Bild geweht wird und zum Liegen kommt, das der Montage den nächsten Schnitt diktiert. Anhand solcher oft überraschenden, wenn nicht verblüffenden Details, die plötzlich Bewegung ins Bild bringen und es bestimmen, unterstreicht Arslan zum einen die Gemachtheit des Films, zum anderen schreibt er sich selbst subtil in das ästhetische Ergebnis ein: Wir spüren, dass das Bild nicht für sich spricht und Repräsentationskraft atmet, man bemerkt, dass die Einstellungen weit, wenn nicht wesentlich länger gedauert haben mögen, dass aber der Ausschnitt daraus, den wir schließlich sehen, gezielt und mit Bedacht ausgewählt wurde. Es soll hier keine neuen Symbolbilder geben.
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