Thema: Kinokultur
So nennt sich derzeit eine Reihe im Feuilleton der taz. Sehr schön ist Cristina Nords Überlegung von vor kurzem über das, was Filmkritik leisten könnte und sollte. Nicht nur, weil ich Cristina Nords Kritiken ohnehin sehr mag (wobei das Gute darin oft gar nicht so sehr das verdict ist, sondern überhaupt die Geste, die den meisten Kritiken zugrunde legt und die sie hier nun, in diese meta-kritischem Text, expliziert). Ich mag den Beitrag, weil meine Überlegungen ganz ähnlich sind: Filmkritik nicht so sehr als abkanzelnde Rede, sondern vor allem als Hinweis verstanden, mitunter als Brief, als Postkarte. "Ich habe da etwas gesehen, und ich möchte Euch davon erzählen, deswegen spreche ich hier zu Euch und vielleicht vermag ich es sogar, Euer Interesse zu wecken." Filmkritik als Erfahrungsschreiben, mithin als Flaschenpost, die einem von Dingen erzählt, die man selbst noch nicht gesehen hat. Wobei es gar nicht so sehr darum geht, dass man zu den selben Schlüssen kommt, im Falle eines Falles. Das hat mich an Filmkritik noch nie interessiert: Dass mir da einer nach meinem Geschmack schreibt. Ich mag das Undogmatische, das Sich-Alles-Offenhaltende, die Entdeckungslust, die in Cristina Nords Darlegungen steckt. Man lässt sich gerne davon anstecken.
Die große Zeit der Filmkritik im klassischen Sinne mag vorbei sein. Der derzeitige Kinobetrieb hier in Deutschland ist an Langeweile kaum mehr zu übertreffen; eine Filmkritik, die brav der Chronistenpflicht nachkommt, also lediglich bespricht, was einem die Verleiher vor die Füße setzen und alles brav einteilt in Sehens- und Abratenswertes, ist abhängig von Saison und Konjunktur, sie muss deshalb in Agonie enden.
Doch dann gibt es DVD und das Internet, und zumal in Berlin Schatzkammern für alle, die graben und wühlen wollen (die AGB am Halleschen Tor, das Videodrom nicht weit davon entfernt, ein paar andere noch). Die Filmgeschichte öffnet ihre Tore in einem Maße, wie das früher nicht denkbar war, und allenthalben stößt man auf interessante Filme des World Cinema, die nun zum Greifen nahe liegen, selbst wenn sie hierzulande nie erscheinen werden. Filmkritik, gerade wie Cristina Nord sie sich vorstellt, könnte hier ansetzen. Sie könnte, befreit von so vollkommen egalen Parametern, wie "Läuft bald bei uns im Kino" oder "Ist jetzt im DVD-Regal bei Saturn erhältlich", aus den vollen schöpfen, entdecken, begeistern, für ein Stückchen Freiheit vom Gebaren der Einzelinteressen alteingesessener Filmverleiher sorgen. Und sie könnte dann schreiben, was sie gesehen hat, flüchtige, doch herausstechende Details, die im Kino allzu schnell vorüberfließen, herausheben, retten, in Sprache bannen und als Erfahrung vermitteln. Wie wundervoll das wäre, wenn nicht mehr von Unternehmern zu solcher erst gemachte Aktualität die Feder der Kritik führt, sondern allein das Ausmaß der Entdeckung. Free Cinema-Beiträge, nun in UK auf DVD, bei Criterion neu im Hause: Filme der Maysles-Brothers, nicht zu verachten: der neue Film von Takeshi Kitano. Ein Stummfilm von Sjöström ist neu aufgetaucht, auf Last Days im Kino ist immer noch, vermutlich hoffnungslos, zu warten. Undsoweiterundsofort. (Alleine, welche Filme ich mir heute von der AGB, der Amerika Gedenkbibliothek, geholt habe: Elgar von Ken Russell, ein Monster-Schmock von Monte Hellman, Gimme Shelter von den Maysles-Brothers, einen japanischen Geisterfilm aus den 60ern von Nobuo Nakagawa, die rekonstruierte Fassung von Peckinpahs Major Dundee, transgressive Hardcore-Kunstpornos von Richard Kern und ein Fantomas-Schmarrn mit Louis de Funes)
Filmkritik muss das leisten, was gute Magazinbeiträge, schöne Reiseberichte, mit Liebe und Leidenschaft geschriebene Essays in den Sonntagszeitungen vollbringen: Für einen Moment Entführen in eine eigene Welt, für Begeisterung sorgen, die hinreicht, das Neue und Andere entdecken zu wollen, die geschilderten Erfahrungen mit der dann eigenen abzugleichen, gegebenfalls schließlich anderen Erfahrungen Gewicht verleihen. Ein parlare auf dem Forum, im öffentlichen Raum. Die derzeitige Krise des Kinos könnte sich hierfür als beste Gelegenheit erweisen; ich bin gespannt.
Die große Zeit der Filmkritik im klassischen Sinne mag vorbei sein. Der derzeitige Kinobetrieb hier in Deutschland ist an Langeweile kaum mehr zu übertreffen; eine Filmkritik, die brav der Chronistenpflicht nachkommt, also lediglich bespricht, was einem die Verleiher vor die Füße setzen und alles brav einteilt in Sehens- und Abratenswertes, ist abhängig von Saison und Konjunktur, sie muss deshalb in Agonie enden.
Doch dann gibt es DVD und das Internet, und zumal in Berlin Schatzkammern für alle, die graben und wühlen wollen (die AGB am Halleschen Tor, das Videodrom nicht weit davon entfernt, ein paar andere noch). Die Filmgeschichte öffnet ihre Tore in einem Maße, wie das früher nicht denkbar war, und allenthalben stößt man auf interessante Filme des World Cinema, die nun zum Greifen nahe liegen, selbst wenn sie hierzulande nie erscheinen werden. Filmkritik, gerade wie Cristina Nord sie sich vorstellt, könnte hier ansetzen. Sie könnte, befreit von so vollkommen egalen Parametern, wie "Läuft bald bei uns im Kino" oder "Ist jetzt im DVD-Regal bei Saturn erhältlich", aus den vollen schöpfen, entdecken, begeistern, für ein Stückchen Freiheit vom Gebaren der Einzelinteressen alteingesessener Filmverleiher sorgen. Und sie könnte dann schreiben, was sie gesehen hat, flüchtige, doch herausstechende Details, die im Kino allzu schnell vorüberfließen, herausheben, retten, in Sprache bannen und als Erfahrung vermitteln. Wie wundervoll das wäre, wenn nicht mehr von Unternehmern zu solcher erst gemachte Aktualität die Feder der Kritik führt, sondern allein das Ausmaß der Entdeckung. Free Cinema-Beiträge, nun in UK auf DVD, bei Criterion neu im Hause: Filme der Maysles-Brothers, nicht zu verachten: der neue Film von Takeshi Kitano. Ein Stummfilm von Sjöström ist neu aufgetaucht, auf Last Days im Kino ist immer noch, vermutlich hoffnungslos, zu warten. Undsoweiterundsofort. (Alleine, welche Filme ich mir heute von der AGB, der Amerika Gedenkbibliothek, geholt habe: Elgar von Ken Russell, ein Monster-Schmock von Monte Hellman, Gimme Shelter von den Maysles-Brothers, einen japanischen Geisterfilm aus den 60ern von Nobuo Nakagawa, die rekonstruierte Fassung von Peckinpahs Major Dundee, transgressive Hardcore-Kunstpornos von Richard Kern und ein Fantomas-Schmarrn mit Louis de Funes)
Filmkritik muss das leisten, was gute Magazinbeiträge, schöne Reiseberichte, mit Liebe und Leidenschaft geschriebene Essays in den Sonntagszeitungen vollbringen: Für einen Moment Entführen in eine eigene Welt, für Begeisterung sorgen, die hinreicht, das Neue und Andere entdecken zu wollen, die geschilderten Erfahrungen mit der dann eigenen abzugleichen, gegebenfalls schließlich anderen Erfahrungen Gewicht verleihen. Ein parlare auf dem Forum, im öffentlichen Raum. Die derzeitige Krise des Kinos könnte sich hierfür als beste Gelegenheit erweisen; ich bin gespannt.
° ° °
kommentare dazu:
stefan hoeltgen,
Dienstag, 25. Juli 2006, 09:20
> "Ich habe da etwas gesehen, und ich möchte Euch davon erzählen, deswegen spreche ich hier zu Euch und vielleicht vermag ich es sogar, Euer Interesse zu wecken."
Mir ist die Wertung von Filmen in Kritiken als Leser ja auch egal, selbst wenn ich sie gern mal als Empfehlung annehme - zumal, wenn ich den Geschmack des Kritikers kenne und (ein)schätze(n kann). Dennoch verreiße ich - wie du ja auch - ab und zu einen Film. Das will mir nicht so recht in dieses Mantra hineinpassen. Aber schlechte Filme müssen verrissen werden. Die Textsorte Filmkritik muss bei aller Sensiblilität für Geschmacksheterogenität neben Expressivität auch deklarativ sein.
Mir ist die Wertung von Filmen in Kritiken als Leser ja auch egal, selbst wenn ich sie gern mal als Empfehlung annehme - zumal, wenn ich den Geschmack des Kritikers kenne und (ein)schätze(n kann). Dennoch verreiße ich - wie du ja auch - ab und zu einen Film. Das will mir nicht so recht in dieses Mantra hineinpassen. Aber schlechte Filme müssen verrissen werden. Die Textsorte Filmkritik muss bei aller Sensiblilität für Geschmacksheterogenität neben Expressivität auch deklarativ sein.
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