Thema: Berlinale 2004
21. Januar 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren

Doch es bleibt bei solchen vereinzelten Spitzen, in denen Paul Cronins Dokumentation sich selbst zu einem experimentellem Film aufschwingt. Jenseits dessen ist man oral history pur und geradezu klassisch konventionell. Das ist beileibe nichts Schlechtes, im Gegenteil, denn als Filmfreund ist es kaum möglich, von Amos Vogels Biografie und seinen Anekdoten zur Geschichte des legendären Filmclubs Cinema 16, den er 1947 in New York gründete, um endlich all jene Avantgarde- und Experimentalfilme sehen zu können, von denen er soviel gelesen hatte, nicht begeistert zu sein. Cronin folgt Vogel an verschiedene, für dessen Biografie relevante Orte in New York und lässt ihn, wie andere Zeitgenossen und Cinema-16-Kollegen zu Wort kommen. Angereichert durch so seltenes wie faszinierendes Material aus dem Experimentalfilm, entsteht so eine spannende Geschichte einer wegweisenden Film Society, die in ihren Blütezeiten mehrmals täglich ein Kino mit 1600 Plätzen füllen konnte und ohne die der heutige Film vermutlich nicht das wäre, was er heute ist. Dramatisch wird es, wenn Vogel, selbst österreichischer Jude und Flüchtling vor dem Dritten Reich, den Propagandafilm Der ewige Jude (D 1940) zeigen will und die Zensurbehörde den Film kurzerhand (zunächst) beschlagnahmt. Dass er diesen Film dennoch zeigen konnte, dass die Vorführung zu einer der interessantesten in der Geschichte des Filmclubs überhaupt wurde, erzählt Vogel nicht ohne Stolz und man glaubt das diesem alten, wachen Mann ohne weiteres. Schön wird es dann, wenn Hitchcock sich für eine Vorführung anmeldet und statt der in Aussicht gestellten zwei Rollen seines soeben vollendeten The Man, who knew too much (USA 1956) überraschend den gesamten Film im Gepäck hat und diesen auch gerne in voller Länge zeigen möchte - "if you don't mind." Ein leichtes Glitzern ist da in Vogels Augen zu sehen, als er davon berichtet, wie Hitch im folgenden zudem brav jede Frage aus dem Publikum beantwortet. Etwas Neid kommt auf: Das erfüllte Leben, auf das dieser Mensch zurückblicken kann, scheint, trotz aller Tragik der Flucht, unvergleichbar.
So schön und spannend dieser Film auch ist, so unbefriedigend ist er in gewisser Hinsicht auch: Wenn Vogel in seiner New Yorker Wohnung zu erzählen beginnt, wandern die eigenen Augen unweigerlich herum. Wie gerne man doch dieses überfüllte Buchregal im Hintergrund doch jetzt in diesem Moment durchforsten möchte. Und dann da hinten, dieser ominöse Pappkarton, mit der kritzeligen Aufschrift "Videotapes" - welche Schätze verbergen sich wohl darin? Und dann erst das Archiv neben eingangs erwähntem Büro: Aktenschränke, übervolle Kartons, darinnen Notizen noch aus Österreich, Bilder, Tausende von Kinoprogrammen von vor Jahrzehnten. Überall möchte man hineinsehen, forschen, entdecken. Und von den immer wieder eingeschnittenen Ausschnitten experimenteller Filme mal ganz zu schweigen: Faszinierend sehen sie aus, man rebelliert fast dagegen an, wenn der Schnitt uns zurück in die Doku, ins New York der Jetztzeit holt.
Diesen Film im Berliner Kino Arsenal zu sehen, macht Sinn. Ein Cinema 16, wie es dieser Film zeigt, ist das kleine, sympathische Kino am Potsdamer Platz, wo es in seiner Entspanntheit doch eigentlich so gar nicht hinpassen will, zwar beileibe nicht, aber wahrscheinlich eben doch das, was ihm in dieser Stadt noch am ehesten nahe kommt. Immerhin.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen der Sektion "Internationales Forum des jungen Films".
>> Film as a Subversive Art: Amos Vogel and Cinema 16 (UK/USA 2003)
>> Regie: Paul Cronin
>> Mitwirkende: Amos Vogel, Marcia Vogel, u.a.
>> Länge: 56 Min.
imdb
zu den restlichen berlinale-kritiken
° ° °
kommentare dazu:
...bereits 4385 x gelesen