Man hat sich noch nicht an Marseilles' Postkartenidylle sattgesehen, da gibt es auch schon den ersten Toten: Tiefrot spritzt ihm das eigene Blut ins Gesicht. Wie beiläufig - deswegen nur noch zynischer - bedient sich noch sein Mörder im Vorbeigehen an der Stange Weißbrot unter dem Arm des Erschossenen. Harter Schnitt auf die Straßen Brooklyns: Ein Weihnachtsmann an der Straßenecke, kleine Kinder rundherum, auch diese urbane Idylle ist nur von kurzer Dauer: Santa Clause ist eigentlich Detective "Popeye" Doyle (Gene Hackman), sein Kollege "Cloudy" Russo (Roy Scheider) nimmt gerade, nur wenige Schritte entfernt, im Alleingang eine Kneipe von Afro-Americans hoch, eine blutige Verfolgungsjagd ist die Folge. Doyle dreht durch, schlägt wie irr - noch immer in seiner Verkleidung, auch hier der Zynismus einer Brechung der Gewalt mit dem Grotesken - den jungen Schwarzen brutal zusammen, Tritte, Schreie, wüste Bedrohungen. Bei aller Desorientierung, die man als Zuschauer in diesen ersten Minuten durchlebt, ist das zynische Motto des Films bereits überdeutlich zu erkennen: Keine Gefangenen!

Die Spirale windet sich weiter: In Brooklyn geraten Doyle und Russo eher schon zufällig auf die Spur eines geplanten, internationalen Drogengeschäfts, in Marseille bereiten sich ein paar französische Bourgeois auf eine Reise vor, Ziel: New York. Dort umkreist man sich weiter: Ist man als unorthodoxer Ermittler zunächst der Jäger, ist man im nächsten Moment schon selbst Gejagter. Am Ende schließlich steht - nach allerlei Widrigkeiten und Rückschlägen, dann wenn die Schlinge sich zugezogen hat, wenn beide Linien in dieser Spirale der räumlichen Disparitäten und Beziehungen am Fixpunkt angekommen, untrennbar miteinander verschmolzen sind - ein existenzialistischer Showdown, wie ihn wohl wirklich nur der zornigste unter den "angry young men" des New American Cinemas der 70er Jahre, namentlich William Friedkin, inszenieren konnte: Verwirrend, verstörend, zutiefst verbittert.

Friedkin zeichnet ein Bild der Auflösungserscheinungen innerhalb der Moderne: Alte Gewißheiten gibt es nicht mehr. Nicht etwa, wie ehedem, kriminologische Gewitztheiten und Kombinationsgeschick sind es, die die Handlung vorantreiben, allein Doyles aggressive Versessenheit und manischer Jagdtrieb sorgen für ein Vorankommen. Der nur widerstrebend von Oben bewilligte Sondereinsatz offenbart sich obendrein als Kakophonie des Scheiterns: Beschattungen werden nur unachtsam durchgeführt, man verliert den zu verfolgenden Wagen im New Yorker Straßendschungel, Doyle selbst lässt sich von dem Franzosen Charnier (Fernando Rey) in der New Yorker Metro als trottelig und tappsig vorführen.

Auch sind die beiden Ermittler keineswegs mehr Vorbilder, keine Sinnbilder mehr für Moral und Ordnung, wie dies, genealogisch gesehen, ihre Filmvorgänger gewesen sein mögen. Nein, eher sind sie selbst schon eigentlich recht zwielichtige Gestalten: Doyle profiliert sich durch latenten Rassismus, erscheint in seinem Jähzorn als unbändig, in seinem Jagdgebären zwangsneurotisch. Eine fast schon qualvoll lange Sequenz, das Ausschlachten eines verdächtigen Wagens, unterstreicht letztgenannten Aspekt besonders. Russo steht dem, wenn auch im Verlauf als etwas gesetzter inszeniert, in nichts nach: Unmöglich, sein Gebahren in seinem Auftritt - als einziger Weißer in einer Kneipe voller Schwarzer schlägt er um sich, erteilt harsche Befehle - vor dem Hintergrund der Entstehungszeit des Films, 1971, nicht als klare Charakterisierung zu verstehen. Obendrein scheint den Beiden die Beschattung der Verdächtigen ein Spiel mit dem Nervenkitzel zu sein, nicht etwa eine Angelegenheit der Moral (unnötig eigentlich auch zu erwähnen, dass das Element der Droge lediglich als McGuffin dient, die Folgen des Heroinkonsums und seine Opfer indes nicht mal erwähnt, geschweige denn gezeigt werden): Während des Telefonabhörens betrinkt man sich mit Dosenbier, ein sich als heiße Spur entpuppendes Gespräch dient zum Anlass für einen ausgelassen Tanz durchs Zimmer. Nein, mit diesen beiden Personen kann man sich als Zuschauer nur schwer identifizieren, als positive Helden gar sind beide nicht zu gebrauchen. Eine für den klassischen Hollywoodfilm obligatorische Hetero-Liebesbeziehung wird als Konnotationsmöglichkeit des "Guten" sogar vollkommen außen vor gelassen: Wer sollte sich auf diese auch einlassen? Einen Helden als solchen gibt es in Friedkins "New York von unten" nicht, wie könnte dieser Moloch einen solchen auch hervorbringen? Auch die "Gegenseite" bietet, wie dies nicht wenige andere Filme ja vorschlagen, kaum bis keine Möglichkeit zur Solidarität, wenngleich sie doch, gegenüber den beiden Polizisten, auffällig als zivilisiert und kultiviert in Szene gesetzt wird. Doch wer steckt hinter diesem Gewand? Opportunisten, skrupellose Killer, Heroinschmuggler und als graue Eminenzen kaltblütige Geschäftewitterer, die sich selbst die Hände nicht schmutzig machen wollen.

Wie kaum ein zweiter ist French Connection auch ein Film des Raums, der Beziehungen zueinander im Raum. Herrschen zu Beginn noch räumliche Disparitäten, die der gesamte Atlantik zu füllen weiß, endet der Film in seiner spiralenförmigen Annäherung der Beziehungspunkte konsequenterweise auf engstem Raume, in einem kleinen Kellergewölbe. Dem stehen zahlreiche Beschattungen in den Straßen von New York voran, das nur wenig mit dem medial aufbereiteten Bild der Glamour-Metropole, wie wir es kennen, zu tun hat. Orientierung ist kaum möglich: Die Straßen erscheinen beliebig verwinkelt, Touristenattraktionen - wie sie etwa in Sydney Pollacks nur wenige Jahre später entstandenem Die 3 Tage des Condor (USA 1975), mit gutem Grund, gehäuft zu sehen sind - geraten nie in den Bildkader. Der Asphalt ist aufgerissen, die ganze Stadt scheint aus Seitengassen zu bestehen, aus Kanälen aufsteigender Dampf erschwert noch zusätzlich das Zurechtfinden. Sich in dieser Stadt zu verirren, das ist eigentlich aufgrund des Straßensystems kaum möglich - jeder Tourist wird dies wohl bestätigen. New York durch Friedkins Augen indes ist verwinkelt, verwirrend, ein Ort ohne Anhaltspunkte, kurzum: Ein Moloch! Lediglich der gelegentlich oberirdische Verlauf der Metro kann zur verlässlichen Orientierungsstütze herangezogen werden: Für Doyle gerinnt die Jagd anhand dieser Stadtunterteilung der Moderne in kleine, aufgereihte Knotenpünktchen zur existenziellen Erfahrung: Eine der großartigsten Szenen des Films, eine der besten Verfolgungsjagden der Filmgeschichte!

Friedkins Film ist bitter, verweigert sich, vor allem in seinem so großartigen wie verstörendem Beschluß, dem Zuschauer: Leicht rezipierbares Erzählkino ist das gewiss nicht. Wie die meisten Filme aus Friedkins Werk handelt auch French Connection von den als dramatisch wahrgenommenen Auflösungserscheinungen an allen Enden der Moderne, vom Verlust der Verbindlichkeiten. Dies hat Friedkin mitunter den Ruf eines reaktionären Krypto-Faschisten eingebracht, das eine oder andere Interview mit dem Regisseur mag dieser Unterstellung sogar Gewicht verleihen. Seine Filme aber, zumindest seine großen Klassiker aus den 70er Jahren, sind nicht selten wahre Meisterwerke eines existenzialistischen, wütenden Kinos. French Connection ist hierfür, mehr noch vielleicht als sein bekannterer Der Exorzist (USA 1973), der beste Beweis.

Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen der Retrospektive.

>> French Connection (USA 1971)
>> Regie: William Friedkin
>> Drehbuch: Ernest Tidyman
>> Darsteller: Gene Hackmann, Roy Scheider, Fernando Rey, Tony Lo Bianco u.a.

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