Thema: Berlinale 2004
06. Februar 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Der Titel ist natürlich ein höhnischer Witz: Keineswegs wird hier ein Manifest ausgerufen, eher schon wird gekuckt, wie denn der Kapitalismus so funktioniert. Dazu zerlegt man ihn am besten in Einzelteile und nimmt die Position des äußeren Beobachters ein, zerlegt den Text, den auch dieses System darstellt, in Absätze, Sätze, Buchstaben. Obwohl Erzählung ein eigentlich noch besserer Begriff ist: Wie jede Ideologie verabsolutiert sich auch der Kapitalismus als große Erzählung mit unangreifbarer Konsistenz.
Um den Kapitalismus und was er mit Menschen macht filmisch zu ergründen, wäre eine Erzählung schon der erste fatale Fehlschritt, deswegen spielt sich Capitalist Manifesto vor allem, ganz nach den filmhistorischen Vorbildern, in der Montage und mise-en-scène ab. Zu Beginn ein kurzes Gespräch auf der Straße: Ein Junge wird von einer Frau angesprochen, bei ihr, bzw. ihrer Tochter, könne er ganz billig, bester Service, satisfaction guaranteed. Das Geschäft kommt zustande, man betritt das nächste Haus, zum Appartement, darin die Dienstleisterin. Als er das Zimmer betritt, ist es noch dunkel, also auch die Leinwand, dann macht er Licht - grell, für einen Moment -, die Kamera schwenkt und der Raum, das Erzählkino ist gebrochen: Eine Kartenrunde dreier Männer vor ihm, seine Vorgesetzten, wie sich herausstellt. Der Junge, er verkauft für die Kartenspieler Pornos auf der Straße, ist nicht verwundert, hat offenbar - und dann doch ein Schnitt - nie ein anderes Zimmer als das der Vorgesetzten betreten (wollen).
Dieser Bruch ist die Grundlage des folgenden, sehr klugen Films, der verabsolutierte Wahrheiten aufbricht und eine Perspektive ermöglicht, in der das eigentlich vertraute, alltägliche Bild - beispielsweise ein Laden von außen, eine Person tritt ein, etwas Geplänkel - seines mythischen Überbaus befreit und, nicht selten ohne Erfolg, der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Geld ist zudem kein Geld, man verteilt nur noch Rechnungen, trägt ominöse Plastiksparschweine mit sich, die ebenso getauscht werden, als wären sie Geld, feiert ein Fußballspiel im Fernsehen ab, der eigentlich doch kein Bild zeigt. Dazu bedienen sich die beiden Regisseure, die auch für den Schnitt verantwortlich zeichnen, des Mittels der Collage, der Gegenüberstellung, des konstruktiven wie analytischen Schnitts. Alltägliche Sätze - "Was kostet das?" - werden dem Kontext entrissen, Gespräche werden gestückelt, deren Elemente innerhalb von Raum und Zeit neu geordnet, sie selbst somit als inszeniert und auswendig aufgesagt denunziert.
Alles scheint sich zu wiederholen - endlos oft wird in das Zimmer der Prostituierten, der Vorgesetzten eingetreten -, doch immer gibt es auch leichte Abwandlungen, Verschiebungen ins Groteske. Dies dient nicht nur der Kenntlichmachung der Ritualisierung des Alltags, die im zunehmenden Verlauf mehr und mehr verstört, es imitiert auch die Stoßrichtung des Kapitalismus, der sich immer schneller, größer, besser (und somit eben also: grotesker) neu erfinden muss und sich dabei - das letzte der drei Kapitel titelt "Crisis" - notwendig selbst, in Folge steter Akkumulationen, zersetzt.
Ein trotz aller Sperrigkeiten ungemein spannender Film mit hohem Erkenntniswert. Umso bedauerlicher ist es da, dass die Klugheit der besten Momente durch den Abspann etwas konterkariert wird: "Thanks to Marx & Engels" steht da und "No thanks to Capitalism - I hate Capitalists!", während eine verzerrte E-Gitarre eine eigenwillige Interpretation der "Internationale" zum Besten gibt. Auch im Publikumsgespräch nach der Vorführung geben sich die beiden jungen Regisseure als Schlagwort-Kommunisten von altem Schrot und Korn zu erkennen. Dass der Kapitalismus der Weisheit letzter Schluss nicht ist, mag zwar Konsens sein, doch rechtfertigt dies noch nicht die Rückkehr in alte Reflexe und Rhetorik. Manchmal sollte man einen Film eben doch vor dem Abspann verlassen, um ihn als rundum gelungenen in Erinnerung behalten zu können.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im "Internationalen Forum des jungen Films".
>> Capitalist Manifesto: Working Men of All Countries, Accumulate! (Korea 2003)
>> Regie/Drehbuch/Schnitt: Kim Gok, Kim Sun
>> Darsteller: div.
Um den Kapitalismus und was er mit Menschen macht filmisch zu ergründen, wäre eine Erzählung schon der erste fatale Fehlschritt, deswegen spielt sich Capitalist Manifesto vor allem, ganz nach den filmhistorischen Vorbildern, in der Montage und mise-en-scène ab. Zu Beginn ein kurzes Gespräch auf der Straße: Ein Junge wird von einer Frau angesprochen, bei ihr, bzw. ihrer Tochter, könne er ganz billig, bester Service, satisfaction guaranteed. Das Geschäft kommt zustande, man betritt das nächste Haus, zum Appartement, darin die Dienstleisterin. Als er das Zimmer betritt, ist es noch dunkel, also auch die Leinwand, dann macht er Licht - grell, für einen Moment -, die Kamera schwenkt und der Raum, das Erzählkino ist gebrochen: Eine Kartenrunde dreier Männer vor ihm, seine Vorgesetzten, wie sich herausstellt. Der Junge, er verkauft für die Kartenspieler Pornos auf der Straße, ist nicht verwundert, hat offenbar - und dann doch ein Schnitt - nie ein anderes Zimmer als das der Vorgesetzten betreten (wollen).
Dieser Bruch ist die Grundlage des folgenden, sehr klugen Films, der verabsolutierte Wahrheiten aufbricht und eine Perspektive ermöglicht, in der das eigentlich vertraute, alltägliche Bild - beispielsweise ein Laden von außen, eine Person tritt ein, etwas Geplänkel - seines mythischen Überbaus befreit und, nicht selten ohne Erfolg, der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Geld ist zudem kein Geld, man verteilt nur noch Rechnungen, trägt ominöse Plastiksparschweine mit sich, die ebenso getauscht werden, als wären sie Geld, feiert ein Fußballspiel im Fernsehen ab, der eigentlich doch kein Bild zeigt. Dazu bedienen sich die beiden Regisseure, die auch für den Schnitt verantwortlich zeichnen, des Mittels der Collage, der Gegenüberstellung, des konstruktiven wie analytischen Schnitts. Alltägliche Sätze - "Was kostet das?" - werden dem Kontext entrissen, Gespräche werden gestückelt, deren Elemente innerhalb von Raum und Zeit neu geordnet, sie selbst somit als inszeniert und auswendig aufgesagt denunziert.
Alles scheint sich zu wiederholen - endlos oft wird in das Zimmer der Prostituierten, der Vorgesetzten eingetreten -, doch immer gibt es auch leichte Abwandlungen, Verschiebungen ins Groteske. Dies dient nicht nur der Kenntlichmachung der Ritualisierung des Alltags, die im zunehmenden Verlauf mehr und mehr verstört, es imitiert auch die Stoßrichtung des Kapitalismus, der sich immer schneller, größer, besser (und somit eben also: grotesker) neu erfinden muss und sich dabei - das letzte der drei Kapitel titelt "Crisis" - notwendig selbst, in Folge steter Akkumulationen, zersetzt.
Ein trotz aller Sperrigkeiten ungemein spannender Film mit hohem Erkenntniswert. Umso bedauerlicher ist es da, dass die Klugheit der besten Momente durch den Abspann etwas konterkariert wird: "Thanks to Marx & Engels" steht da und "No thanks to Capitalism - I hate Capitalists!", während eine verzerrte E-Gitarre eine eigenwillige Interpretation der "Internationale" zum Besten gibt. Auch im Publikumsgespräch nach der Vorführung geben sich die beiden jungen Regisseure als Schlagwort-Kommunisten von altem Schrot und Korn zu erkennen. Dass der Kapitalismus der Weisheit letzter Schluss nicht ist, mag zwar Konsens sein, doch rechtfertigt dies noch nicht die Rückkehr in alte Reflexe und Rhetorik. Manchmal sollte man einen Film eben doch vor dem Abspann verlassen, um ihn als rundum gelungenen in Erinnerung behalten zu können.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im "Internationalen Forum des jungen Films".
>> Capitalist Manifesto: Working Men of All Countries, Accumulate! (Korea 2003)
>> Regie/Drehbuch/Schnitt: Kim Gok, Kim Sun
>> Darsteller: div.
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