Wettbewerb: Final Cut (USA 2003, Omar Naim)
Ein Film mit einer spannenden Prämisse und einer enttäuschenden Umsetzung. Robin Williams spielt den introvertierten Cutter mit bemerkenswerter Eindimensionalität, Mira Sorvino wird im dramaturgisch günstigen Moment wie ein hübsch anzusehendes Artefakt aus dem Hut gezaubert. Der Score verkleistert in beispiellos unerträglicher Weise die wenigen gedanklichen Freiräume, die der Plot dem Zuschauer läßt und auch filmhandwerklich ist speziell das Finale überraschend ungelenk inszeniert. Zwei Stunden vertane Lebenszeit.

Retrospektive: Sisters (USA 1972/73, Brian de Palma)
De Palmas verstörendster Film, vielleicht. Fühlt sich spätestens in der Hypnosesequenz wie ein früher Cronenberg an. Die erste Hälfte des Films ist jedoch de Palma pur, steckt voller Querverweise auf diverse Hitchcock Klassiker und greift exzessiv auf drastische filmische Mittel wie etwa die Split-Screen Technik zurück. Mit offensichtlicher Freude spielt de Palma mit gängigen Thrillerkonventionen, werden zusehends allgemeingültige Genreregeln unterlaufen und der Blick des Zuschauers in beispielhafter Weise zersetzt. Am Ende steht die völlige Orientierungslosigkeit des Betrachters und eine geniale letzte Einstellung, die mit diebischer Freude die ins leere gelaufenen Erwartungshaltungen des Zuschauers kommentiert.

Retrospektive: The Parallax View (USA 1973/74, Alan J. Pakula)
Ein Film, nicht ohne dramaturgische Schwächen, zwischendurch, der jedoch durch sein konsequent umgesetztes visuelles Konzept als Meisterwerk zu bezeichnen ist. Die finale Plansequenz ist in ihrem Erfindungsreichtum atemberaubend. Gordon Willis reizt das verwendete Filmmaterial in faszinierender Low-Key Ästhetik aus, die Bilder legen sich wie Tableaus über ihre Figuren. Interessant auch Pakulas Inszenierungsstil in den dialoglastigen Szenen, speziell in den Zweier-Konstellationen. Es gibt kaum Coverage, die Kamera folgt selten dem Schuß-Gegenschuß-Prinzip. Dahinter steckt ein ungeheures Zutrauen in die Schaupieler und es wird einem schmerzhaft bewußt, wie berechenbar das gegenwärtige Hollywoodkino in seinem fehlenden Selbstvertrauen ist.

Retrospektive: The Deer Hunter (USA ?, Michael Cimino)
Bemerkenswert: der Grad an veränderter Wahrnehmung auf der großen Leinwand. Bereits in den ersten Totalen des kleinen Industriestädtchens in der Nähe von Pittsburgh werden mögliche Zweifel an dem Sinn einer erneuten Sichtung des Films im Rahmen der Retro gründlich zerstreut. Es folgen drei unvergessliche Stunden. Michael Ciminos von mir im Fernsehen immer als zu lang empfundener Film, entwickelt eine erstaunliche Sogkraft. Die latent homosexuelle Beziehung zwischen Michael und Nick bildet das dramaturgische Fundament, ihre Dreiecksbeziehung mit Meryl Streep hält den Film zusammen. Die Vietman Sequenzen sind kürzer als erinnert und die letzte Szene, wenn die alten Freunde gemeinsam „God bless America“ intonieren, sagt mehr über die amerikanische Seele aus als viele kluge Abhandlungen.

Thomas Reuthebuch


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