Die große Überraschung gleich zu Beginn: Nachdem man aufgrund der Berichterstattung in den letzten Monaten eigentlich ein naturalistisches Werk mit Schmutz, Physis und der altbekannten Liebe später Genrefilme zur organischen Textur erwartet hatte, erweist sich Mel Gibsons im Vorfeld heiß diskutierte Adaption von Jesu Leidensgeschichte bereits in den ersten Bildern als überstilisierte Angelegenheit. Der Garten Gethsemane, wo der Film seinen Anfang nimmt, erscheint, von einem malerischen Mond und bedrohlichen Wolken seltsam illuminiert, als ein filmischer Ort jenseits authentischer Dokumentationsweisen. Nicht viel Wunder nimmt es da, dass auch schon wenige Momente später Luzifer, der in dieser Inkarnation auch einem Fantasyfilm entnommen sein könnte, den um sein Leben betenden Jesus in Versuchung führen will. Ein wirklicher Bruch entstünde wohl nicht, denkt man sich insgeheim, liefen jetzt ein paar Hobbits durchs Bild. Jesus sieht Aragorn ja auch wirklich zu ähnlich und der Unterschied zwischen Elbisch und Aramäisch ist für den weder der einen noch der anderen Sprache Mächtigen zunächst auch nicht auszumachen.

Diese Stilisierung zieht sich weiter durch den Film, der somit als offenbar höchst unschlüssig erscheint, was er denn nun eigentlich ist. Die linguistische Recherche, um den Schauspielern den Sprachklang längst vergangener Jahrhunderte in den Mund zu legen, sowie die akribische Detailversessenheit in der Schilderung der Folterungen und physischen Qualen brechen sich zum Teil höchst unelegant mit der steten filmischen Glorifizierung einzelner Mosaiksteinchen und Episödchen der hinlänglich bekannten Passionsgeschichte mittels visuell und auditiv eigentlich nur naheliegenden, eben kaum reflektiert ausgewählten Stilmitteln: Peitschen schwingen in Zeitlupe nieder, stürzt Jesus auf dem Weg nach Golgatha scheinen entsprechende Momente in den Kampfsequenzen der Rocky-Filme Pate gestanden zu haben, erinnert sich Jesus an das letzte Abendmahl, so scheint dies, zumindest was die Ausleuchtung betrifft, in einer Malerei von Rembrandt stattgefunden zu haben, während Streicher uninspirierte Ethnorhythmen umschmeicheln. Kurzum: Dieser Film ist durch und durch Hollywood der schlimmsten Sorte, trotz allen Blutes und der zahlreichen physischen Härten, denen er, der Vorlage bald schon schmerzhaft nibelungentreu ergeben, seinen Protagonisten aussetzt.

In all seinen Posen und Beschwörungen bleibt der Film dabei oft schon erschreckend leer. Er will überwältigen, er will atemberaubend sein, "Ecce homo" schreit er den Zuschauer an, wenn er seine Kamera immer und immer wieder auf die Versehrungen Christi lenkt, das Blut dickflüssig und literweise von seinem Körper tropfen lässt, kommt dabei aber selten über die Faszinationskraft läppischer Touristenpostkarten aus Rom hinaus. Im Gegenteil könnte man - gelinde gesagt amüsiert - auch feststellen, dass Gibson in seiner naiven Ergebenheit der heiligen Mission einen Bärendienst erwiesen hat. Da es dem Film an epischer Tiefe ähnlich mangelt wie dem gekreuzigten Heiland an Wasser, wirken, zumal für den skeptischen Geist, nicht wenige große Gesten in ihrer inszenatorischen naiven Unbeholfenheit auf theatralische Art und Weise unfreiwillig komisch: Kommt Jesus auf seinem Marsch dorthin Golgatha ins Blickfeld, erinnert er sich unweigerlich an die Bergpredigt. Wäscht sich der bemerkenswert nobel gezeichnete Pilatus die Hände in Unschuld, denkt der schon sichtlich Geschundene ans Händewaschen während des Abendmahls. Wird er quasi von der hysterisierten Masse zum Tode verurteilt, flattert eine Taube über den Platz - in Zeitlupe versteht sich. Das alles wirkt rein dramaturgisch, aber auch in seiner stets bloß behaupteten Bildkraft mitunter so plump zusammengeschustert wie in einem TV-Film eines wenig engagierten Filmschulstudenten aus dem zweiten Semester und lässt bisweilen Zweifel an Gibsons Fähigkeiten aufkommen.

Wobei der Film rein handwerklich gewiss gelungen ist: Maske, Kulisse und Ausstattung sind sichtlich bemüht, das Beste aus einem Film zu holen, den der Mann auf dem Regiestuhl in seinem missionarischen, entsprechend unreflektiertem Eifer gerade gezielt in den Sand zu setzen droht. Doch das Aufbäumen bleibt vergeblich: Die Passion Christi entpuppt sich allenfalls als leeres Pathoskino, das um die geistige Verfassung allzu glühender Christen bangen lässt. Warum dieser Film nötig war - von Selbstverwirklichungstendenzen seines Autoren abgesehen - kann bestenfalls nur Gegenstand von Spekulationen sein: Der Kniff, Schauspieler in toten Sprachen reden zu lassen, nutzt sich schneller ab als Blut auf sonnerhitzten Pflastersteinen in Jerusalem vertrocknet ist und baut obendrein, wie auch die naturalistischen, im Laufe recht redundanten Folterdarstellungen, einen künstlerischen Widerspruch auf, der dem Film langfristig das Genick bricht. Blieben allein die Qualitäten als sozusagen fiktive Dokumentation antiker Folter- und Hinrichtungsmethoden, dann aber unter dem Gesichtspunkt vor allem visuell-reißerischer Spekulationen (womit sich Gibson in bester 70er Jahre Bahnhofskinotradition wiederfände, in der Hexen in gleichnamigen Filmen bis aufs Blut gequält wurden). Wie auch immer: Dieses Medienecho ist dieser über weite Strecken schlicht unerhebliche Film nicht wert.

Ab 18. März im Constantin Verleih in den Kinos.

Die Passion Christi (The Passion of the Christ, USA 2004)
Regie: Mel Gibson; Drehbuch: Benedict Fitzgerald, Mel Gibson; Kamera: Caleb Deschane; Schnitt:John Wright ; Darsteller: James Caviezel, Claudia Gerini, Maia Morgenstern, Sergio Rubini, Toni Bertorelli,Roberto Bestazzoni, Francesco Cabras, Rosalinda Celentano, u.a.
Verleih: Constantin

imdb | offizielle site | mrqe | filmz.de | angelaufen


° ° °




kommentare dazu:



thgroh, Freitag, 5. März 2004, 16:55
Weil er vieles gut auf den Punkt bringt, sei noch auf diesen Text von Jens Jessen in der Zeit hingewiesen.


thgroh, Mittwoch, 17. März 2004, 13:03
Weit besser noch Daniel Kothenschulte in seiner Kritik aus der heutigen FR - gut gebrüllt, Treffer! Nur Jan Schulz-Ojala meint es im gestrigen Tagesspiegel ein wenig zu gut und vergaloppiert sich heillos in der weiten Prärie der Entrüstung.


rewq, Sonntag, 21. März 2004, 21:04
naja
daß dieser film keiner ist um sich einfach so berieseln zu lassen ist jetzt wohl klar geworden. manchmal ist es halt gut, wenn man sich darüber gedanken macht was der inhalt eines filmes aussagen will, bevor man sich darüber auslässt, wie schlecht der film nicht stilisiert ist, unabhängig davon wie qualitativ wissenschaftlich diese feststellungen auch sein mögen.
dieser film berichtet von einer person, die nach Überlieferung eines sehr berühmten buches grausamen leiden ausgesetzt war und das ist halt mal kein schöner anblick. einer heilsgeschichte geht eben mal eine leidensgeschichte voraus.
übrigens es wäre sehrwohl ein bruch, nämlich zumindest ein inhaltlicher, wenn hier hobbits vor der kamera aufkreuzen würden. außerdem muß ich mich dabei fragen mit welcher einstellung man sich in den kinosaal setzen muß wenn man aufgrund einer dargestellten atmosphäre, was sowieso total subjektiv ist, auf solch eine idee kommt.


tillmann, Montag, 22. März 2004, 01:44
manchmal ist es halt gut, wenn man sich darüber gedanken macht was der inhalt eines filmes aussagen will, bevor man sich darüber auslässt, wie schlecht der film nicht stilisiert ist

das was Filme sagen vermitteln sie aber über stilistische Mittel. Sonst könnte man ja auch gleich lesen... Daher kann man auch kritisieren, dass der Stil des Films an Hobbits denken lässt, da es - wie richtig erkannt - natürlich ein inhaltlicher Bruch ist. Also Inhalt und vermittelnder Stil da nicht ganz stimmig sind.


kid37, Montag, 22. März 2004, 02:12
Splatter
Nur am Rande: Den Vergleich zu "Private Ryan", den Kothenschulte macht, vollziehe ich nicht ganz nach. Wieso ist dies (erst) der "zweite große Hollywoodfilm, der die Illusionstechniken des Splatterkinos in einen seriösen Kontext stellt"?
Da fiele mir eher noch Gibsons "Wir waren Helden" ("We were Soldiers"!) ein, der mit teilweise unerträglichem Pathos ein authentisches Ereignis des Vietnamkrieges in blutigsten Szenen nachstellt. (Kugeldurchschläge in Super-SloMo ganz analog zu ähnlichen Sequenzen im Pornofilm)


thgroh, Montag, 22. März 2004, 03:10
Ja, ich denke auch, dass Kothenschultes Blick da etwas begrenzt ist. Vielleicht legt er auch viel Gewicht auf das Wort "seriös", im Sinne von: "künstlerisch und inhaltlich sichtlich ambitioniertes Projekt", was man, auch wenn man das Endergebnis für nicht allzu gelungen einschätzt, sowohl Gibson sein Jesus-Film, als auch Spielbergs Kriegsillustration zugestehen kann, wohingegen We Were Soldiers da wohl eher etwas rausfällt (was ich nicht beurteilen kann => nicht gesehen). Ich wäre da aber auch etwas gnädiger und würde ganz allgemein dem (Budget-)Kino der letzten 10, 15 Jahre eine zunehmende Affinität zum gewaltsam geöffneten Körper im Bild zusprechen. Auch Master & Commander letztes Jahr war da dahingehend ja kien Kind von Traurigkeit.

Andererseits ist aber auch schon die Bezeichnung "Hollywoodfilm" für Passion nicht passend, denke ich: Streng genommen ist das ein Independentfilm, der ja sogar ganz bewusst nicht mit Hollywoodgeld finanziert wurde.

Festhalten lässt sich aber wohl schon, dass das in der Tat eben eine Detailschwäche bei Kothenschulte ist (aber eine recht vernachlässigbare, will ich meinen).

@reqw

Ich gehe nicht davon aus, dass dies ein Berieselungsfilm ist, noch bin ich einer, der sich ausschließlich Filme solchen Schlags wünscht - auch in meiner Kritik ist dahingehend keine Äußerung zu finden.

Aber auch wenn ein Film offensichtlich als "Nicht-Berieselungsfilm" zu erkennen ist, messe ich mir als Zuschauer eine emanzipierte Position zu, die allein deshalb noch nicht zur Erstarrung verdammt ist und sich ausschließlich damit beschäftigen müsste, was denn nun die Intention des Films gewesen sei, um mich darüber selbst in dem Filmerleben zu vergessen. Und die Sache ist eben die, dass Gibson in dem Film viel will, dabei aber stets inkonsequent bleibt, bzw. er sich selbst Steine in den Weg schmeißt, die nur mit einer sehr plumpen Herangehensweise ans inszenatorische Handwerk zu erklären sind - bis auf seine beiden Attraktionen - Aramäisch und naturalistische Darstellung vormoderner Foltermethoden - hat der Film, zumal er sich in einer Reihe von Dutzenden von Bibelfilmen wiederfindet, schlicht nichts zu bieten und mutet zuweilen auch einfach nur plump an. Gibson mag eine Vision verfolgt haben, er mag hier sein ureigenstes Anliegen auf Zelluloid gebannt und große Ziele im Sinn gehabt haben: Das Ergebnis fällt bei mir dennoch äußerst schmal aus und ich billige mir auch durchaus zu, dass dann entsprechend niederzuschreiben. Nicht jeder Nicht-Berieselungsfilm verdient es auch, gefeier zu werden - das ist ein uraltes Mißverständnis vieler Kinogänger, vornehmlich aus dem Arthausbereich.

Und wenn Gibson, wie geschehen, seiner Passionsgeschichte einerseits dokumentarischen Charakter verleiht, sie andererseits aber, bildästhetisch gesprochen, als Fantasyfilm für Arme darbietet, ohne aus diesem Spannungsverhäötnis Gewinn zu schlagen (was ja, etwas Reflexion im kreativen Prouess vorausgesetzt, durchaus möglich ist) dann ist das unausgegoren und in dieser Darbiertung eben auch über weite Strecken schlicht peinlich. Da wurde sehr viel nicht zuende gedacht, bzw. die Möglichkeit des Weiterdenkens offenbar noch nicht mal in Erwägung gezogen und das schlägt in dieser Penetranz schlicht aufs Gemüt. Zudem sind die Gedanken frei und eine Filmkritik ist immer auch Erfahrungsbericht: Wenn ich als Diskursknotenpunkt in der Konfrontation mit diesem kulturellen Artefakt auf solche Gedanken komme, warum sollte ich mich da schämen und nicht etwa Mel Gibson? Von solcher Publikumsehrfurcht halte ich nur sehr wenig, ehrlich gesagt, auch wenn - siehe Teil 1 meiner Antwort - ein Film offenbar nicht bloß visuelles Beiwerk einer massenhaften Popcornverköstigung darstellt.

und das mit "kein schöner anblick": Mit Drastik im Bildkader habe ich keinerlei Problem, im Gegenteil. Ich stehe dazu, mir auch und gerne beizeiten sog. "Gewaltfilme" anzusehen - warum auch nicht? Die Frage ist nur - und Daniel Kothenschulte wirft die ganz zurecht auf -, was mit der Darstellung von Gewalt im Einzelnen,also hier, gewonnen ist. Was steckt dahinter? Welche Erkenntnis soll sich mir vermitteln, warum geht Gibson davon aus, dass man nach Dutzenden von Bibelfilmen nun auch diesen noch sehen müsse? Welchen zusätzlichen Wert evrschafft er dieser Traditionslinie? Die Antwort fällt schmal aus: Viel Blut und Knochen, stilistisch sehr mau dargeboten. Ich weiß nach dem Film: Kreuzigung ist kein Zuckerschlecken gewesen, ganz im Gegenteil. Das wusste ich zwar vorher auch schon und ich weiß auch nicht, welche Erkenntnis mir das bringen soll, dass ich nun 2000 Jahre alte Foltermethoden visualisiert bekomme, wenn derzeit auf dem Globus weit grausamer zu Werke gegangen wird, bzw. in den letzten 100 Jahren wurde. Der Film bekommt dergestalt allenfalls nostalgisches Folterkolorit mit schmalem Aussagewert verpasst, schmal zumal dann, wenn dies alleiniger Sinn und Zweck des Ganzen gewesen wäre (und ich denke ja mal: Gibson ging's auch um anderes) - warum dann aber der ganze religiöse Überbau mit den bereits schon weit vorab klar auszumachenden Problemen und Querellen? Wie man's dreht und wendet also: Ein unausgegorener, allenfalls dubioser Film, der schlichte Geistesleistungen hinter großen Gesten zu kaschieren sucht. Egaler als egal somit (für mich, versteht sich, im Fall Gibson mag das ganz anders aussehen, aber das wäre ja schön doof, wenn der sich nun auch noch Filmkritiken zu seinem Machwerk schreibt).


rewq, Montag, 22. März 2004, 21:21
re
zum einen will ich, falls das so angekommen ist, den film nicht „vergöttern“ bzw. mich ehrfurchtsvoll zum kotau zwingen lassen, zum anderen möchte ich zu der doch langen antwort ( danke!) noch was sagen. es mögen ja all ihre wiederholten feststellungen durchaus bestand haben, jedoch denke ich, dass diese „Jesus-Verfilmung“ wohl in erster linie von den religösen tendenzen seines publikums lebt, was aber nicht bedeutet, dass man das nicht positiv berücksichtigen kann oder muß.
der film will vielleicht ein glaubensgefühl neu ausdrücken, auf ein vergessenes? dogma aufmerksam machen, was in anderen kulturen als kulturerbe gilt. dies fordert gewiss zumindest respekt. das kann man doch, wenn man so will und besonders für unsere gesellschaft als eine neue (wieder)gewonnene erkenntnis ansehen.
Zwar sind z.b.: filmtechnische mängel sicher wichtig aufzuzeigen, jedoch spielen sie hier eine sekundäre rolle und urteilen einseitig. das möchte ich folgenderweise veranschaulichen: ein rap-lied lebt in erster linie von seinem text und dessen aussage. wenn ich als musiktheoretiker nun feststellen muß , dass die dazugehörige harmonische abfolge aufgrund der trivialen akkordfolge vielen aufnahmen anderer künstler in ihrer ähnlichkeit kaum unterscheidet und deshalb nicht sonderlich qualitativ ist, heißt das nicht gleichsam, dass der track völlig „egal“ oder schlecht ist. denn der inkludierte text der hier ebenso hauptaussage wie hauptmotiv des musikers ist, gehört eben zum werk dazu und kann unter umständen und zurecht der hauptgrund für mögliche verkaufsrekorde sein.
demnach dahingewendet nämlich auf die passion (leidensweg bzw. heilsgeschichte jesus), denke ich, ist die ideologische hauptaussage der thematik selbst das, was es sehenswert macht und ein interkulturelles Bewusstsein fördern kann. dass der film eine geschichte verfolgt, deren thematik sich ziemlich genau an der überlieferung eines buches anlehnt, ist nicht selbstverständlich und kann ebenso mit unter ein sehenswertkriterium sein, was aber nichts über den wahrheitscharakter der erzählung aussagt. über diese ideologie sollte der zuschauer vor der aufführung reflektiert haben, hingewiesen werden, interesse oder zumindest so wie ich einen „religionswissenschaftlichen“ respekt haben, um das sehenswerte für sich zu erkennen. folglich meine ich, ist das movie nur demjenigen egaler als egal, der mit dem gedankengut nichts anfangen kann oder will.



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