vor kurzem, Heimkino

In einem Moment bricht alles auf: Die Fassade, die Biografie verdeckt. Die Souveränität, mit der man die eigene Passion in Worte kleidet. Das abgeklärte Auftreten, wenn man sich selbt - natürlich grinsend, was sonst - als "nicht weniger geisteskrank als jeder andere Künstler" beschreibt, darum wohlwissend, dass sowas nur ein Dandy von sich behaupten kann (und somit Distanz zur vermeintlichen Offenheit schon wieder aufgebaut wurde). Die Gedankenentwürfe, die freilich immer nur in der Sinnlosigkeit des Tuns ihren Fluchtpunkt finden. Der ganze kecke Witz, den er - Reinhold Messner - an jeder Stelle anbringt, alles, wirklch alles bricht in sich zusammen. In einer einzigen Sekunde, ja kürzer sogar noch: Eine Zeitbemessung in Frames wäre hier am sinnvollsten.

Beide sitzen im Zelt, Herzog und Messner, Verwandte im Geiste und im Blick auf die Welt. Romantiker, Metaphysiker, dem Größenwahn ins Auge Blickende. Die nächsten Tage geht's nach oben, man ist auf Zwischenhalt: Mit einem Schweizer wagt es Messner zwei 8000er in einem Marsch zu überschreiten - das war nie dagewesen. Herzog bohrt, wie nur er zu bohren versteht, in einer Situation, in der jedes Bohren fast schon körperlicher Gewalt, wenn nicht versuchtem Mord entspricht: Wie er den Tod des Bruders vor über 10 Jahren bei einer gemeinsamen Besteigung verwunden habe, er, der Überlebende, wenn auch nur, das beeilt sich Messner anzufügen, knapp. Messner konsterniert. Die harte, souveräne Stimme zittert. Das rumort in dem Mann, ganz klar. Doch die Antwort bleibt artikuliert, bemüht, er, der Bruder, sei noch immer neben ihm, ganz nahe oft, denn wer sich auf Ebene der Intuition, des Instinkts nahe kommt, der ist nie getrennt. Wie er, Messner, denn seiner Mutter vor das Angesicht getreten wäre. Ein Riß. Ein Riß durch diesen Menschen, durch den Film, der zuvor von distanziertem Optimismus, von harten Worten, vielen Gedankenreisen geprägt war, von Überlegungen pragmatischer und philosophischer Art, von traumwandlerischen Bildern, wie sie in einem Dokumentarfilm eigentlich doch fehl am Platze wären. Ein Riß, der durch Mark und Bein geht, körperlich schmerzt, das Zusehen fast unerträglich gestaltet: Messner bricht in Tränen aus, wie ich noch nie einen Menschen in Tränen habe ausbrechen sehen. Ein existenzeller Schmerz, der sich hier Ausdruck verschafft (der Schmerz, nicht der Mensch, der ist nur das Medium), der binnen weniger Sekunden auf den Zuschauer übertragen ist (oder sagen wir: eine Ahnung davon). Messner: weint. Die Kamera: beobachtet gnadenlos.

Es gibt kaum ein unbehaglicheres Bild als dieses, kaum ein wirkungsvolleres. Hier dreht sich der zuweilen fiktionalisiert, inszeniert erscheinende Dokumentarfilm auf den Kopf, zelebriert eine Authentizität, die schwindlig macht. Der Schlüssel- und Angelpunkt in diesem Film, in dem alles - Messner, der Berg, das Leben, nicht zuletzt Herzogs ganze Filmograhie - zu kulminieren scheint. Das romantisch Verklärende drum herum hat einen wahren inneren Kern, sein Name ist Existenz, sein Symptom der Schmerz. Unendlicher Schmerz. Der Rest drumrum nur Trost, sinnlos obendrein.

Gasherbrum - Der leuchtende Berg ist nur auf ersten Blick eine Dokumentation über eine wahnwitzige Bergbesteigung (die, immerhin, erfolgreich zuende geht, wenn auch gerade so - das Scheitern, das längst schon als Herzogs Motiv gilt, hat sich schon weit vorher vollzogen, mithin in der Geburt). Sie sagt etwas tiefgründiges über das Leben aus, etwas Wahres, das nur in der Sinnlosigkeit einer Bergbesteigung Ausdruck finden kann. Vielleicht Herzogs bester Film.

Hinweis: Als Bonusfilm auf der dieser Tage erscheinenden DVD von Herz aus Glas (D 1975), die schon alleine deshalb (aber nicht nur) zu empfehlen ist.

imdb


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