Mittwoch, 16. Februar 2005
Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Eigentlich wollte ich in diesem Saal die für diese Uhrzeit terminierte Pressevorführung von Violent Days aus dem Forum anschauen. Normalerweise haben die einzelnen Sektionen auch ihre eigenen Pressesäle, so dass man da eigentlich blind zum Termin reinlaufen kann. Blöderweise - und angeblich war es ausgeschildert - hatte man nun aber gerade diesen Programmslot an diesem Tag mit dem Panorama getauscht. Und ich staunte nicht schlecht, als ich zum Beginn eines semi-dokumentarischen Spielfilms über französische Rockabillies einen sehr zeitgenössischen Elton John erblicke, der mich mit rethorischem Geschick von den Qualitäten dieses "Guy" überzeugen will. Wenige Sekunden später besteht kein Zweifel mehr: Ich sitze in George Michael - A Different Story, wo ich eigentlich nie hinwollte. Geschichten, die die Festivalübermüdung schrieb.

Zu meinem Glück sitze ich auch noch auf so einem "Cineastenplatz", der schnelle Flucht nahezu verunmöglicht. Vielleicht hatte ich mich aber auch nicht im Saal, sondern im Tag geirrt? Verzweifelt ging ich mein vom vielen Filmekucken schon leicht angematsches Hirn durch - kein Ergebnis, Verwirrung komplett. Ich fügte mich schließlich meinem Schicksal und sah es als Überraschungsei. Vielleicht ist die Doku ja doch super?

Ist sie natürlich nicht. Verkürzt gesagt könnte man sagen: George Michael bekam ein mediales Präsent auf den Bauch gepinselt. Immer ist er der Checker. Das Genie. Der Saloppe, Schlagkräftige, der selbst noch Peinlichkeiten mit leichtem Wisch vom Tisch streicht. Und wenn er mal, wie in der ersten Hälfte der 90er geschehen, ein schicksalschlägebedingtes Tief durchmacht, dann steht zumindest am Ende ein den aufrechten Gang wieder erlernt habender George Michael auf dem Parkett, der dem Schicksal noch mal ein Schnippchen geschlagen hat.

Zu Beginn macht das Spaß. Denn da geht es um Wham! und um die 80er. Und die (beide) waren ein Archiv von Geschmacklosigkeiten und peinlichen Frisuren, die hier, immerhin mit süffisant selbstironischem Gestus, der Reihe nach präsentiert werden. Und es macht ja auch Spaß, Erfolgsstories zuzuhören. Aber das reibt sich schnell ab, dann geht's nur noch beinhart nach selbstbeweihräuchernder Manier zu. Das mag gerade bei Michael, der im letzten Jahrzehnt auch immer eine Reibefläche für die yellow press war, vielleicht sogar Not tun, um bestimmte Bilder zurechtzurücken. Für denjenigen aber, der, wie man so schön sagt, couldn't care less, wird's bald zur Qual, zumal, wenn sie unfreiwillig aufgebürdet wird.

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Der Film läuft im Wettbewerb.

Wes Andersons Filme sind meist Ansammlungen von Skurrilitäten und Verschrobenheiten. Kleine Wundertüten, deren Inhalt breit ausgestreut wird und in denen es für jeden was zu finden gibt, das er sich rauspicken kann. Filme von Wes Anderson gehören zu jener Sorte, nach denen man sich austauschen kann: "Am besten gefiel mir ..." - und jeder sagt was anderes. Vielleicht ist das Bild von der Wundertüte aber auch falsch: Dieses suggeriert Beliebigkeit. Ein Andersonfilm aber wirkt zumindest immer so, als sei alles mit gutem Grund an seinem Platz.

In Royal Tenenbaums war das nicht ohne Charme. In der Tat fügten sich die vielen einzelnen Elemente - vom Ensemble, über die Ausstattung, die Farben, der Soundtrack, die alles durchziehende Wehmut - zu einem großen Bild zusammen, zu einer großen Sonntagnachmittagwelt, in der ewiger Herbst herrscht und der nächste, weiträumige Park gleich um die Ecke liegt. Rushmore, den ich erst danach gesehen habe, war von ähnlicher Mixtur, ihm fehlte aber das letzte Stück Esprit. Eher langweilte er ein wenig mit seinem ausgestellten sophisticated Gestus.

The Life Aquatic With Steve Zissou, vom deutschen Verleih offenbar im Zustand geistiger Umnachtung weit weniger spektakulär Die Tiefseetaucher benannt, ist nun, auch wenn sich das unpassend anhört, ein Pendler zwischen beiden Filmen. Es gibt Momente in ihm, für die ist er nur zu küssen: Eine Geiselbefreiungsaktion etwa, auf einer karibischen Insel, die Kulisse bietet ein verlassenes Hotel. Das Team Zissou, angeführt von Steve Zissou (Bill Murray), der an Cousteau angelehnt ist, holt einen der Ihren aus den Klauen der Piraten, welche Ihnen zuvor, auf offener See, Hab und Gut entwendet hatten. Hier sprüht der inszenatorische Witz über, alles ist billig und schlecht gemacht, aber mir einer derartigen Liebe, die das öde "so bad they're good"-Spielchen locker überwindet. Es spielt hinein der Charme alter Serien aus den 70er Jahren und deren Unbeholfenheit. Südseeabenteuerräuberpistolen! Die Lust am billig Sensationellen, an abgeschmacktem Kinorabaukentum. Das alles aber nicht im schwitzigen Nerd-Gestus zusammengesteckt, sondern liebevoll in den eigenen Kosmos eingepflegt. Andere Szenen, Bilder ließen sich anführen.

Denen stehen Szenen gegenüber, die nie so recht zünden wollen. Sie verlassen sich darauf, in einem Film von Wes Anderson aufzutauchen, als wäre allein dadurch schon eine Klammer gegeben, die ihrem Dazwischen Charisma verleiht. Aber nicht selten sind das, sprechen wir's ruhig aus, öde Zwischenmomente, in denen man regelrecht hippelig wird, weil man auf das nächste Bonbon wartet. Da hilft auch Bill Murrays, wie in letzter Zeit üblich, Understatement-Spiel mit dem eigenen Verfall nicht viel. Auch Willem Dafoes Akzent - er spielt einen Deutschen, Klaus - ist zwar bezaubernd, schwirrt als Detail aber nur vor sich hin.

Dies wäre vielleicht noch zu verkraften, gäbe es in dem Film nicht Momente, in denen man am liebsten verweilen würde, die einen anderen, ungemein besseren, aufregenderen Film in Aussicht stellen. Zum Beispiel der Beginn: Auf einem Filmfestival (deutlich als Persiflage angelegt) wird Zissous neuester Titel in einer langen Reihe von spekulativ gehaltenen, Populärwissenschaft und Südseeabenteuerkolportage kreuzenden Dokumentarfilmen präsentiert. Das Ergebnis, in zerschlissenem, von der materialbedingten Farbgebung her äußerst anheimelnden Bildern dargeboten (und natürlich: im klassischen 4:3, die Ränder des Scopebildes werden für diese Weile von roten Vorhängen verdeckt), überzeugt nur wenig: Der Filmemacher hat seinen Zenit deutlich überschritten, es wirkt hektisch, zerfahren, kurzum: katastrophal. Für einen kurzen Moment lang bietet der Film die Aussicht, in genau diesem Film-im-Film zu spielen. Das wäre nicht nur wegen den roten Vorhängen Klasse, auch der Mut, sich voll und ganz dieser "alten Farbe" und diesem Inszenierungsstil auszuliefern wäre nur zu würdigen gewesen. Ein schöner Traum, der bald aber endet: Der Film katapultiert sich schnell zurück auf sichereres Gebiet. Oder aber eine bezaubernde Studioaufnahme vom Innern des Schiffskörpers, in dem wir die meiste Zeit des restlichen Films verbringen werden, wenn Zissou sich auf die Jagd nach dem Jaguarhai macht, den er in den Tiefen des Ozeans wähnt. In einer einzigen großen Kamerafahrt sehen wir die einzelnen Stockwerke und Zellen eines eher an eine Theaterkulisse erinnernden, pittoresk gestalteten Schiffsbauchs. Der Gedanke, dass der restliche Film vielleicht sogar wirklich in genau dieser künstlichen Kulisse, in diesem Traum eines Abenteuerromane verschlingenden Jungen, spielen würde, ist für einen Moment lang atemberaubend. Allein der Schnitt auf's Deck könnte einen vielleicht auf ein echtes Boot tragen (in der Tat folgt ein solcher Schnitt auch sogleich), um das allgegenwärtige Meer in die Erinnerung zu holen (und es wäre auch dies in der Tat eine Hommage an alte TV-Kultur, als das Innen und Außen eines Gebäudes deutlich unterschiedlichen Inszenierungsorten angehörten). Doch auch hier wird das Potential zugunsten eines kleinen Zungenschlags verschenkt: Dieses aufwändig gestaltete Gerüst dient nur an einer einzigen weiteren Stelle für eine, zugegeben, sehr schöne Kamerafahrt in der "unsichtbaren Wand", die einen Dialog zwischen Zissou und Ned, wahrscheinlich seinem Sohn, verfolgt.

All dies ist sehr schade, denn eigentlich will man diesen Film ja wirklich lieben. Er macht es einem nur sehr, sehr schwer. Und an vielen Stellen ist es gar unmöglich.


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Der Film läuft im Wettbewerb.

Endlich! Endlich gibt es im Wettbewerb einen Film zu sehen, der knistert und begeistert, der Wagnisse eingeht und gewinnt. Sperrig, einfallsreich, von erstaunlicher Frische. Höchst unterhaltsam, tragikomisch, oft bis zum absoluten Stillstand gehend, nahezu kein Dialog, dann wird er immer wieder zum Musical, urbane Tristesse, groteske Pornografie, cinephiles Kino. The Wayward Cloud von Tsai Ming-Liang ist all das und darin ungemein aufregend.

Aufgegriffen werden die Fäden, die in What Time is it there? gesponnen wurden. Das Paar aus diesem Film trifft sich hier wieder, sehr zufällig, in einem Park. Er schläft dort auf einer Windschaukel, neben ihm steht eine Flasche Wasser. Sie hat gerade eine Melone aus dem Wasser gefischt, die ihr von nun an heilig ist. Das ist wichtig, denn im Lande herrscht eine groteske Situation: Es herrscht Dürre und infolge Wassernot (es wird gebunkert, in Flaschen in Badewannen), dafür aber gibt's der Wassermelonen so grotesk überviele, dass die Leute schon nicht mehr wissen, wohin. Zu Beginn etwa, eines der ersten Bilder (und "Bilder" sind das bei Tsai Ming-Liang meist in der Tat: die Kamera fast immer statisch, lange, distanzierte Einstellung) zeigt ein junges Mädchen auf dem Rücken liegend, Unterleib nackt, Beine gespreizt; ihre Scham verdeckt eine riesige halbe Wassermelone, die im folgenden geleckt und gefingert bis zum Exzess wird; wir befinden uns auf einem Pornodreh. Er ist nicht mehr Uhrenverkäufer (der erste Satz von, vermutlich, nicht mehr als fünfen, die zwischen den beiden über die volle Länge hinweg gewechselt werden: "Verkaufst Du noch Uhren?" - er schüttelt stumm den Kopf), sondern Pornodarsteller. Ihr kann er das nicht sagen, offenbar. Er vögelt wie ein tollwütiger Hengst, zwischen ihren Beinen, zwischen beiden die Überreste der Melone. Duschen danach geht aber nicht, da Wassernot. Dafür gibt es andauernd und zu jeder Zeit Melonensaft zu trinken. Sie reicht ihm aus der Küche das Glas, er schüttet es aus dem Fenster, mit Unschuldsmiene gibt er es geleert zurück. Sie schüttet ihm neu ein. Melonen, die im Wasser schwimmen, einfach so. Irgendwer hatte die Schnauze offenbar voll von dem Zeug.

Lakonisch und beinahe schon jedwede Erzählung negierend entblättert sich der Film. Es sind kleine Ansichten, wie gesagt, deren oft implizit grotesker Inhalt zu dieser Inszenierung geradewegs quer steht. Der Effekt ist herausragend, da Tsai Ming-Liang gleichzeitig auch ein Meister der Ökonomie ist und keine Einstellung ohne Hintersinn oder Zweck entsteht. Die Folge ist ein Etappenfilm, so ein bisschen wie ein Countdown. Und noch ein Bild - was geschieht nun hier? - nächstes Bild - was geschieht nun jetzt? Unmöglichkeiten, Unwahrscheinlichkeiten werden eingebaut - doch es funktioniert, tadellos. Hat man sich an dieses Konzept gewöhnt, ist man süchtig nach dem nächsten Bild, nach dem nächsten Einfall. Vaudeville ist das aber dennoch nicht: Sensationalistisch ist Tsai Ming-Liang, auch in den Sexszenen, die im Vorfeld als härter apostrophiert wurden, als sie eigentlich sind, nicht.

Und dann immer wieder, so dass man förmlich aus den Wolken fällt: Musicalsquenzen. Alte chinesische Schlager werden eingespielt, die Protagonisten tanzen durch mal mehr, mal weniger albern gestaltete Insertwelten und hechten dabei der, entsprechend kaum gegebenen, Lippensynchronität hinterher. Dies wiederum steht nun wiederum den "eigentlichen" Bildern konträr gegenüber, auch wenn die Songsequenzen die Narration deutlich stützen. Der Kontrast ist hart: Großstadttristesse, bis ans Äußerste ausgereizte Lakonie und Einsilbigkeit auf der einen Seite, bunte Sing- und Tanzwelt auf der anderen. Doch in der Logik dieses Films macht das, auf einzigartige Weise, Sinn. Man lächelt und staunt und ist begeistert, über alles und jedes. Über seinen Witz, seinen Wagemut, seine Groteske. Ein Film, so sympathisch zwischen allen Stühlen, das er im diesjährigen Wettbewerb schon fast schmerzlich deplatziert wirkt. Allein wegen des Umfelds, versteht sich.


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Der Film läuft in der Sektion Perspektive deutsches Kino

Ich muss vorausschicken, dass ich in die Vorführung geplatzt bin, als bereits der Vorspann lief. Ich weiss also nicht ob es einen Prolog gab, der den Figuren, der Geschichte einen anderen Dreh verpasst hat. Ich befürchte, selbst wenn, es hätte nichts verändert. Die erste Szene zeigt Karl, gespielt von Christoph Bach, der schon in „Detroit“ eine schwierige Rolle zu verkörpern hatte. Er läßt sich per Anhalter von einem Mann mitnehmen, der ihn kurz darauf in einem Waldstück zum Oralsex überreden will, natürlich für Geld. Karl willigt zögernd auf das Angebot ein, um den Mann schließlich zusammenzuschlagen und ihm sein unmoralisches Verhalten vorzuwerfen. Später wird man erfahren, dass der Mann seine Frau schlägt. Das beschreibt bereits die Haltung des Films zu käuflichem Sex, eigentlich Sex im allgemeinen.

Karl lernt im Zug eine Frau kennen, Doris, gespielt von Jule Böwe, die vielleicht manch einer aus der Schaubühne kennt. Karl klaut ihr Tagebuch, sie klaut im Gegenzug den Inhalt einer Schatulle aus seiner Tasche. Beide verhalten sich unmoralisch. Es geht also um Moral. In Leipzig steigt sie aus, er folgt ihr. Sie treffen sich in einer Karaoke Bar, in der Doris als Kellnerin jobbt. Bereits vorher wurde erzählt, das sie mit einem älteren Herren, einem gewissen Brockmann, der Überwachungskameras, unter anderem in einem Puff, installiert, eine Freundschaft pflegt. Brockmann ist Voyeur und geilt sich an Doris privaten Videobotschaften auf, später masturbiert sie vor ihm. Karl wird in der Bar als smarter Charmeur vorgeführt, tatsächlich ist er das Gegenteil. Auch das erzählt viel über den Film.

Die Form der Annäherung zwischen Karl und Doris passt ins Bild. Sie geschieht über eine Wette. Karl muss ein Mädchen verführen. Genau das tut er, landet mit ihr im Bett. Sie spielt ihm einen Orgasmus vor, das erzählt ihm die kleine Schwester des Mädchens als er sich davonstehlen will. Er weiß das natürlich genauso wie der Zuschauer, etwas anderes ist in diesem Film nicht vorstellbar. Brockmann wird sterben, Doris sich von einem erbärmlichen Möchtegernaufreißer in der vielleicht gelungensten Szene ficken lassen und Karl am Ende wieder neben Doris im Zug sitzen, als wäre nichts passiert.

Der Film ist nicht uninteressant. Regisseur Florian Schwarz (sein Spielfilmdebüt) hat ein Gespür für Atmosphäre. Die lange Nacht in Leipzig, in der sich die Protagonisten verirren, aus der sie tot oder lebendig hervorgehen, neugeboren kann man nun wirklich nicht sagen, ist das passende strukturelle Mittel, um die Geschichten dramaturgisch aufzuladen. Aber, und das wiegt schwerer als alles andere, die Haltung, die der Film zu seiner Thematik entwickelt, bedient eine irrige, ja irgendwie sogar romantisierende Vorstellung von Erwachsenwerden, die mir ganz persönlich unangenehm ist.

Wenn es wirklich um Leben, Liebe und den Tod geht, wie Florian Schwarz im Festivalkatalog beteuert, sind die bemühten Bilder zu kurz gegriffen. Sie dienen sich regelrecht dem gewünschten Zielpublikum an, und der Film läßt schon allein durch die Auswahl der Musik keinen Zweifel um wen es sich dabei handelt. Ich muss es leider auch so deutlich sagen: keine der Figuren hat in meinen Augen die geringste Sympathie erfahren, Karl, der Held wenn man so will, am allerwenigsten.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Im Kern erzählt der Film eine Verunsicherung. Andreas Dresen beschreibt in einem Interview, wie er bei einem Urlaub in Griechenland nachts wach wurde und plötzlich ein fremder Mann im Raum stand, wie er aufgesprungen ist, ihm nackt und schreiend begegnet ist. Diese Erfahrung findet sehr direkt und kaum verfälscht Eingang in den Film. Das ist jetzt kein Witz, aber mir ist tatsächlich vor etlichen Jahren etwas ganz ähnliches passiert. Auch in Griechenland, in Patras um genau zu sein. Da stand mein Zimmernachbar plötzlich im Raum, ein dubioser, vierschrötiger Sizilianer, wer weiß wie lange schon. Es war letztlich alles ganz harmlos, ich hab ihn verscheucht, aber der Interrailtrip sollte seine Unbeschwertheit verloren haben.

In „Willenbrock“ nun ist dieser Moment Auslöser für eine Entwicklung, die vom ersten Bild an antizipierbar ist. Für mich steht der Verlust von Unschuld im Mittelpunkt. Egal wie man sich der Figur Willenbrock nähert, in ihrem Universum ist das Leben in Ordnung. Zunächst, es ist einer der wenigen Filme auf dem Festival bislang, die mich bewegt haben. Es gibt auch und gerade auf der visuellen Ebene bemerkenswerte Momente. ich weiß gar nicht ob ich das sagen soll, aber das ich hatte ich Andreas Dresen, dessen vorherige Filme ich zwar auch immer gerne sah, nicht zugetraut.

Ganz zu Beginn, wenn Willenbrocks Wagen, aus der Vogelperspektive, sich schnurgerade zwischen den Fahrbahnstreifen vorwärtsbewegt. Später, wenn er aus dem Fenster seines Hauses blickt, auf die verschneite Wohnlandschaft, in der sich die Nachbarn wie in einem Stilleben schneeschippenderweise aus dem Bild schaufeln, das alles ist ganz großartig. Dass Dresen sich gut darauf versteht Beziehungskrisen zu inszenieren war eh bekannt. Allerdings gibt es in diesem Film Dialogszenen, die merkwürdig gestelzt wirken. Immer dann, wenn die Geschichte überdeutlich in Bezug gesetzt wird zu einem gesellschaftlichen Zustand, mit einem Wort: auf die nicht wegzudiskutierende Schieflage zwischen Ost und West, immer dann verliert der Film an Intensität.

Ich bin mir nicht sicher, ob das notwendig gewesen wäre. Die Randlage Ostdeutschlands ist in den Figuren ja bereits ausreichend beschrieben. Insofern finde ich schon dass es eine Ostgeschichte ist auch wenn das Axel Prahl vehement bestreitet. Man hätte dem Betrachter vielleicht mehr Vertrauen entgegenbringen können, das aufzuschlüsseln. Die Russenmafia, der hilflose Polizeibeamte, das verkommt ein wenig zu Drehbuchakrobatik.


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Der Film läuft im Wettbewerb

Man kommt den Filmen des Texaners Wes Anderson mit einer Plotbeschreibung nicht bei. Eher schon macht es Sinn exemplarisch eine Szene herauszugreifen und daran die Wirkungsweise des Films zu beschreiben. Ein Wes Anderson Film ist bereits nach einer Einstellung als solcher zu erkennen, unzweifelhaft, und wenn man so will ist das auch ein Verdienst. Das Problem, dass ich mit seinen Filmen bislang hatte, tritt in „Die Tiefseetaucher“ überdeutlich zu Tage. Es sind Fingerübungen, die ins Nichts laufen und schlimmer: die eine Leere in sich tragen, dir mir die Lust am Sehen nehmen. Ich fühle mich hinterher wie ausgekotzt.

Also eine Szene: Bill Murray als alberner Cousteau-Verschnitt Steve Zissou zeigt dem Zuschauer sein Boot. Die Kamera bewegt sich von Kabine zu Kabine, wie durch ein überdimensionales Puppenhaus. Der Detailreichtum, den viele in „The Royal Tenebaums“ enthusiastisch gefeiert haben ist auch hier in geradezu verschwenderischer Weise präsent. Man sieht die Crewmitglieder bei der Arbeit. Nach einer Minute ist alles vorbei. Die Sets werden nie wieder gebraucht. Das ist in seiner Verspieltheit nicht ohne Reiz aber es führt zu nichts. Es ist, als würde jemand in handwerklicher Perfektion aus Millionen von Zahnstochern ein Segelschiff zusammenbasteln, es hinterher bei einer Zahnstocherschiffausstellung stolz ausstellen um es vor den Bewunderern grinsend zu zertrümmern.

Da wären wir beim zweiten Problem. Andersons Filme sind nicht frei von Eitelkeit, um es vorsichtig zu beschreiben. Eine Eitelkeit, die die Filme so weit in den Orbit schießt, dass man als Zuschauer das Gefühl hat immer kleiner zu werden. Dem liegt, wie ich vermute, eine Arrroganz zugrunde die sich auch in der Inszenierung der Schauspieler offenbart. Wenn ich Owen Wilson zusehe wird mir das am schmerzlichsten bewußt. Was soll ich von einem Film halten, der seinen Widerwillen gegen die elementarste Form von Storytelling nicht etwa verbirgt, sich ihrer dennoch bedient, nur um sich unentwegt darüber lustig zu machen? Raus nach 70 Minuten, schon aus reinem Selbstschutz.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Man beginnt sich wieder für Punk zu interessieren. Punk dabei nicht als musikalisches Vehikel gestylter schöner Jungs aus den Staaten, die vor Hallenpublikum auftreten, und auch nicht als Synonym für vor allem das öffentliche Stadtbild prägende Hundebesitzer mit Hang zum penetranten Habitus verstanden. Vielmehr ist jene kurze Phase des elektrisierenden Kitzels gemeint - so grob ab '77, in Deutschland eher zwischen '79 und '82 -, in der an allen Ecken kleine Garagenbands gegründet wurden, wo es weniger um die Musik selbst - die durfte gerne frei in den dilletantischen Raum hineindelirieren -, sondern vor allem um die richtige Attitüde, um spontane Kreativität und Ausbruch ging, um ein Spiel mit den Zeichen und einen eher inszenierten, denn wirklich praktizierten Nihilismus. Vor wenigen Jahren veröffentlichte Jürgen Teipel seinen Interview-Roman "Verschwende Deine Jugend", in dem Protagonisten jener Phase zu Wort kommen und zurückblicken. Vor kurzem folgte dann Rocko Schamonis höchst unterhaltsamer, autobiografischer Roman "Dorfpunks", dessen Titel Programm ist. Die Garde der ersten Punks in Deutschland blickt auf sich zurück, scheint sich historisieren zu wollen.

Verschwende Deine Jugend.doc ist nun vom Konzept her gesehen schlicht, aber auch schlicht genial: An sich ist das eine Diashow - nichts als Fotografien und ein paar alte Flyer, die auf die Leinwand projiziert werden. Auf der Tonspur hören wir die Statements aus den Interviews, die Teipel für sein Buch geführt hat. Zu hören sind dabei, neben allenfalls noch Szenefreunden bekannten Namen, längst im öffentlichen Leben arrivierte Personen wie Blixa Bargeld, Inga Humpe, Diedrich Diederichsen und andere. Dass diese nicht zu talking heads verkommen, ist dabei das große Plus. Denn sie sind, als ganz gegenwärtige Manifestation, nahezu abwesend, selbst noch die Tonbänder, die man hört, sind oft von abenteuerlicher Qualität (oft ist die Atmo im Hintergrund - miteinander gesprochen wurde offensichtlich auf Bürgersteigen, im Café und anderen öffentlichen Orten - lauter als der Interviewte) und unterstreichen dadurch das rohe, das ungeschlachte und wilde der zahllosen Bilder, die aus Privatarchiven zusammengesucht wurden.

Unfilmisch bis zum Ende also eigentlich. Und genau deshalb Punk in bester Tradition. Wie man am Ende im Abspann sieht, wurde der Film mit Macromedia, der Flashsoftware gemacht. Das passt zu dem, was die Leute im Film erzählen: Dass es darum ging, Dinge selbst zu machen, dass jeder Musik (und also auch: Film) machen kann, wenn man die Produktionsmittel sich erstmal angeeignet hatte.

Und es funktioniert: Ein ungemeiner Sog macht sich bemerkbar, man reist direkt hinein in diese wilde Zeit. Kleine Geschichten entfalten sich, Rivalitäten werden geschildert, aber auch Erfolgsstories (etwa: DAF) werden nachvollzogen. Das soziale Dispositiv der BRD wird, wenn auch durch die eigene Brille (aber gerade die ist in dem Zusammenhang wichtig), skizziert und oft genug (vor allem wenn man selbst als Jugendlicher eine Affinität zu Punk hatte - oder sie bestenfalls noch immer hat) innerlich nachfühlbar gestaltet. Es geht um grüne Sozialpädagogen, um linke Spießer, dann der Kalte Krieg und natürlich und ganz vor allem: die RAF. Deutlich wird die inspirierende Kraft des Dillentantismus, die Punk schon immer ausgezeichnet und vor allem in die Nähe von Traditionen aus der bildenden Kunst - Dadaismus, Surrealismus - gestellt hat. Nachvollziehen kann man das an den Flyern und Plattencovern, die auf die Leinwand gescreent werden, die, in dieser Größe betrachtet, nochmal an Effizienz und Schlagkraft zunehmen und das eigentlich durch sie hindurch arbeitende künstlerische Konzept ungemein deutlich erkennen lassen. Dass Punk ausgerechnet zu Beginn jenes Jahrzehntes, das allgemein als das der Postmoderne und der Künstlichkeit, aber auch als das des finalen Durchbruchs der omnipräsenten Massenmedien, apostrophiert wird, als populäres Phänomen auftrat, ist, wie man anhand dieser Collagen auch als nicht Szeneaffiner ohne weiteres erkennen wird, kein Zufall. Und wenn dann, gelegentlich, alte Klassiker der Undergroundszene, die sich eben nicht nur auf Garagengitarrengeschrammel reduzieren ließ, durch die Kinolautsprecher röhren, wünscht man sich eine solche Kraft in der derzeitigen Musiklandschaft zurück. Nicht zuletzt dies ist deshalb auch gut an der Dokumentation: Dass hier eben nicht alte Männer (und Frauen) in einer father-to-son-Perspektive auf Jugendsünden zurückblicken. Es ergibt sich ein wildes, ungestümes, deshalb mitreißendes Dokument, dem nostalgisches Ohrensesselsentiment vollkommen fehlt.

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Dienstag, 15. Februar 2005
Der Film läuft in der Sektion Panorama

“Deep Throat“ ist ein Mythos, tatsächlich in seiner filmhistorischen Bedeutung vergleichbar mit dem ebenfalls auf dem Festival gezeigten „Heavens Gate“. Wenn man „Inside Deep Throat“ mit der Heavens Gate-Doku „Final Cut“ vergleicht, begreift man, was dem letztgenannten fehlt. Der Film schafft es die ganz persönlichen Tragödien der Beteiligten in Bezug zu setzen, zur soziokulturellen Dimension des Films.

Es würde jetzt zu weit führen jede Spur aufzugreifen, die der Film legt. Die beängstigende Entwicklung der radikalen religiösen Rechten in den Staaten jedoch hat absurderweise spätestens zur Zeit der Aufführung von „Deep Throat“ (1972) ihren Anfang genommen. Es ist spannend zu sehen, wie sich komplexe gesellschaftliche Entwicklungen auf einzelne Ereignisse zurückführen lassen. „Inside Deep Throat“ ist dehalb ein politischer Film, durch und durch, im positiven Sinne. Für mich entscheidend ist dabei der Freiraum für sich selbst vervollständigende Gedanken und Schlussfolgerungen, den mir die Filmemacher zugestehen. Und ich hoffe immer, genau diese Frage steht bei jeder Arbeit auch für die Autoren im Mittelpunkt.

Es gibt Momente, in denen für meinen Geschmack der Rahmen zu eng gesteckt ist, wenn der manipulative Charakter zu deutlich durchschlägt. Wenn man einen Gesprächspartner auch außerhalb der verabredeten Einfassung zeigt, wenn man also konkret beispielsweise das Bild stehen lässt nachdem alles gesagt ist, dann provoziert man die Entgleisung. Unterhaltsam ist das allemal, fair jedoch wohl nicht, man braucht sich nur in den Pamphleten Michael Moores umzuschauen.

Der Kontext ist es wohl, der die Regeln vorgibt. „Inside Deep Throat“ ist für HBO produziert worden, ein Sender, der in den USA mittlerweile praktisch überall ins Premium Cable eingespeist wird, also ein verhältnismäßig großes Publikum erreicht. Unter dem Strich mochte ich „Inside Deep Throat“ aber vor allem wegen der liebevollen Weise, mit der er den Beteiligten begegnet, einer handvoll naiv-skurrilen bis merkwürdigen Protagonisten die vom Lauf der Zeit überrollt wurden. Dabei wollten sie doch nur ein bißchen Spaß haben.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Zur Abwechslung mal ein Film der etwas zu sagen hat. Zunächst größte Vorbehalte meinerseits. Es geht um Utopien, um Aussteigertum, Hippiekram und begrabene Träume. Der Film wählt die Form des klassischen Erzählkinos und muss dabei jede Menge Balast mit sich herumschleppen. Zu Beginn verspricht das Ganze furchtbar zu werden. Daniel Day Lewis und seine Filmtochter leben praktisch allein auf einer vorgelagerten Insel auf dem Gelände einer ehemaligen Kommune im Osten der USA. Zwei Dylan Songs etablieren mit dem Holzhammer die gewünschte Atmosphäre. Lewis, seine Figur natürlich, lebt nicht im Hier und Jetzt. Er belügt sich selbst und hat, nach einer überstandenen Herzattacke, nicht gerade das was man eine gute Zeit nennt.

Die Kamera ist ganz nah dran an ihren Figuren und spätestens nachdem Lewis´ neue Flamme und deren zwei Söhne mit dem U-Haul Anhänger auftauchen beginnt es spannend zu werden. Rebecca Miller, im übrigen Tochter von Arthur Miller und Ehefrau von Daniel Day Lewis, hat einen Schauspielerfilm gedreht und es ist kein Wunder warum sie auf einen hervorragenden Cast zurückgreifen kann. Es gibt wunderbar geskriptete Dialogszenen im Dutzend, eine erstaunlich intelligent austarierte Betrachtung des Themas und ein sensationelles Debüt von Camille Belle in der Rolle der Tochter zu bestaunen. Das Buch begeht nicht den Fehler die soziologische Dimension des Stoffs in den Mittelpunkt zu rücken, sondern erzählt über die latent inzestuös angelegte Beziehung zwischen Vater und Tochter.

Das geschieht immer mit der gebotenen Widersprüchlichkeit, bezieht immer auch die Nebenfiguren organisch in das Geschehen mit ein. Am Ende, wenn Lewis röchelnd auf dem Totenbett liegt, rückt die Kamera beiläufig Melvilles Moby Dick auf dem Nachttisch ins Bild. Der Größenwahn, die Lebenslüge, das Erbärmliche, schlicht alles was Menschlichkeit ausmacht spricht aus jeder Pore dieses Films, der dennoch zwiespältig bleibt. Seine Schwäche ist die deutlich spürbare Haltung der Regisseurin zu ihrem Sujet. Aus ihrer Sicht ist die letzte Szene vermutlich nur konsequent, wenn Rose, die Tochter, in einem Flash Forward das Vermächtnis ihres Vaters zumindest ideell weiterführt und dabei wie die junge Joan Baez aussieht.


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Das Tempo hat sich noch einmal verschärft. Jetzt gilt es ausschließlich zu sehen, zu schreiben und zu schlafen. Erste Auflösungserscheinungen, deshalb von meiner Seite zwei kurze Texte.

German Cinema: Kebab Connection (Anno Saul; Hamburg 2004)

Ein frühes Drehbuch von Fatih Akin, verfilmt von Anno Saul (Grüne Wüste) unter der Flagge von Wüste Film. Ich wollte sehen wie sich Nora Tschirner schlägt, der ich sehr gerne bei der Arbeit zusehe. Krude Komödie, mit viel Drive und etlichen Lachern. Nervig die Verdichtungen, wenns emotional werden soll. Das passiert mit der Regelmäßigkeit eines Schweizer Uhrwerks und bremst den Film gewaltig ein. Am besten wenn die humorige Seite des Culture-Clash Aspekts ausgespielt wird, Griechen und Türken und Deutsche, ihr wisst Bescheid. Alles in allem Junk Food für zwischendurch, souverän inszeniert, den man sich durchaus reinziehen kann. Von Nora Tschirner hätte ich gerne mehr gesehen, wirkt in dieser Geschichte unterfordert. Raus nach 45 Minuten.


Forum: Jiang Hu (Wong Ching Po; Hong Kong 2004)

Werde vermutlich auf das Unverständnis der Hongkong-Kenner stoßen. Für mich ein unerträglicher Pseudocooler Gangsterstreifen. Man braucht viel Zeit um ungelenk die Prämisse zu erzählen. Triadenboss Hung (Andy Lau) will sich aus dem Geschäft zurückziehen. Alle bekannten Zutaten sind da. Die Männerfreundschaft, die Rachegeschichte, eine Prostituierte. Permantes nervtötendes Cantopop-Gedudel auf der Tonspur, in Posen erstarrte Schauspieler. Raus nach 20 Minuten.


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lol