Samstag, 12. Februar 2005
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Die Hintergründe der Ausladung von Heights aus dem Wettbewerb - an dessen Platz ist nun die Kertesz-Verfilmung Fateless zu sehen - sind einer Meldung des Tagesspiegels zufolge aufgeklärt. Wie bereits gemutmaßt, soll Kosslick den Film vor allem aufgrund der Absage von Glenn Close, auf dem Festival zu erscheinen, aus dem Programm genommen haben. Der Tagesspiegel zitiert aus einem Brief der Produktionsfirma, die die Ausladung als "außerordentlich enttäuschend“ bezeichnet: „Nun wird klar, dass eine Einladung zur Berlinale keine so hohe Ehre bedeutet, wie wir vermutet hatten.“


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Im Vorspann zu Yukinojos Rache, dem wunderbaren japanischen Film in der Retrospektive, wird hingewiesen, dass es sich um des Hauptdarstellers 300. Spielfilm handele. Er spielt im übrigen eine Doppelrolle, und das in diesem steten Spiel aus Schein und Spiel so perfekt, dass erst ein letzter Gag kurz vor der Ende des Films, in dem exakt dies implizit zur Sprache gebracht wird, mir dies bewusst machte. Schon in den 30er Jahren hatte er diese im übrigen gespielt: Der Film ist ein Remake. Um aber auf die 300 zurückzukommen: Richtig bitter ist, dass selbst die imdb von diesen gerade mal nur 61 kennt. Ein Jammer.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Mathilde gefällt der Gedanke, dass eine Bewegung durch den Raum den Raum selbst verändert. Wer mit der Hand durch ihn streicht, hinterlässt eine Narbe, eine Spur. Wir sehen das in einer Detailaufnahme, ganz grobkörnig das Bild, Super8. Ihre Hand, immer nur ihre Hand, wie sie durch's Bild streicht. Sie markiert, vernarbt das Filmmaterial in der Kamera. Die offenkundig im groben Korn ausgestellte Medialität des Bildes scheint auch davon zu handeln, wie Gegenstand und (Dokumentar-)Film zusammenhängen, aber eben auch Tanz und Kunstschaffungsprozess.



Ich bin nun kein Mensch, der sich je viel mit Tanz beschäftigt hätte. Nicht aus überheblicher Ignoranz, es hat sich nur nie ergeben. Ganz von dieser Warte aus betrachtet ist es dem Film nur zu Gute zu sprechen, dass er nun mich, den Laien, voll beeindruckt hat mit seiner Schilderung davon, wie aus einem literarischen Text ein moderner Performancetanz wird, der ganze künstlerische Prozess - und der ist nun nie, wie man vielleicht meinen könnte, edelfedernabgehoben, sondern, im Gegenteil, schweißtreibende physische und intellektuelle Arbeit. Dabei geht es nie darum, eine Geschichte zu erzählen oder gar einfach nur verzückt vor den Darbietungen der Tänzer zu erstarren. Dafür ist schon deren Ausdruck viel zu expressiv, arhythmisch angelegt. Der Film geht ins Detail, beobachtet Nuancen des Körpers, setzt sie ins Bild. Ist oft distanziert, lässt geschehen, wirft den Blick auf Beiläufiges, simuliert dabei aber auch nie den Zuschauer der fertigen Veranstaltung im Saal (selbst bei der Generalprobe nicht, da ist die Kamera erhöht).

Wir sehen, wie Mathilde, die Choreografin, sich warm macht, sich lockert. In der Musik von PJ Harvey geht sie ganz auf, ohne dass damit Reformhauskundenverzückung gemeint wäre. Die Kamera gleitet mehrmals über ihren Körper, zerlegt gewissermaßen die "Performance" in kleine Glieder, die dem üblichen Zuschauer verborgen bleiben müssen. Bis, in der Tat, noch in den kleinsten Zeh ist sie konzentriert, ganz Körper, der ihrige. Ihr ist es, wie dem Film, ernst mit der Kunst. Bloße Selbstverwirklichung und laissez-faire ist ihr Ding nicht. Sie fordert ihre Tänzer und Tänzerinnen, kritisiert sie, vor allem aber sich selbst auch unentwegt. Begeistert sind dann die fast lautlos eingeflüsterten Kommentare aus dem Off, wenn etwas klappt oder eine Ebene des Ausdrucks erreicht wird, die dem Laienblick, also meinem, verschlossen bleiben müssen.

Am Ende steht ein Auszug aus der fertigen Performance. Mathilde versinkt in sich, das Bild spaltet sich in Split Screens. Ambient auf der Tonspur, Mathildes Performance nimmt gefangen, ganz und gar. Der stumme, minimalistische Abspann reißt aus der Versunkenheit, die Leinwand ist zwar schwarz, doch die Wirkung so grell wie Tageslicht. Ahnungen von einer Leidenschaft, ein beeindruckender Film.

info-sheet


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Der Film läuft in der Retrospektive.

"Words can't describe the mysteries of Art!"
(aus den Untertiteln)

Perfekt ist ein Kunstwerk, wenn man von ihm nichts mehr entfernen kann. So in etwa soll der japanische Begriff von Perfektion aussehen. Reduktion bis zum Abstrakten, Minimalismus. In Yukinojos Rache - neben all den gewiss schönen, aber eben auch weitgehend sattsam bekannten Filmen der diesjährigen Retrospektive sicherlich eine der schönsten und lohnenswerten Entdeckungen dieser Sektion - kann man dieser Methode in Formvollendung zusehen: Eine schwarze Leinwand bedeutet Nacht, kaum, dass man die Personen sähe (sie sind oft nur an bestimmten Stellen be-, nicht ausgeleuchtet), kommt es zum Kampf, so reichen lichtreflektierende Streifen, die über die Leinwand sausen, um die Auseinandersetzungen mit dem Schwert zu referenzieren. Es bildet sich eine Logik des Erzählens, die nicht den geschlossenen diegetischen Raum sucht, diese an sich verlogene Simulation der Alltagserfahrung. Es ist eine Logik des Schauens und Präsentierens, eine, die die Leinwand nicht als unsichtbare Wand begreift, sondern vielmehr durch sie ganz auf den Zuschauer abgerichtet ist. Eine offene Form, an die anzuknüpfen ist. Kurz überlege ich, ob diese spezifische Form des populären Films (denn "Genre" ist Yukinojos Rache durchaus), wie sie sich in Japan herausgebildet hat, vielleicht wirklich auch mit der spezifischen Kinotradition Japans zu tun hat, mit den Benshi nämlich, den Kommentatoren, den ersten japanischen Kinostars, die die frühen Filme einst Jahre, Jahrzehnte lang erklärend kommentierten. Im nach außen hin sehr verschlossenen Kinoland Japans könnte sich hier eine spezifisch offene Form des Bildes entwickelt haben, deren Echo in diesem Film vielleicht ja wirklich zu spüren ist. Dies im Kino zu erleben ist schlicht sagenhaft.



Dabei ist diese theoretische Gymnastik an sich gar keine solche, denn der Film eröffnet schon mit einem formalen Paukenschlag im besten Sinne, der genau dieses Verhältnis von Diegese zum Bild zum Zuschauer zur Erzählung auf vorderster Ebene behandelt. Wir sehen eine Kabuki-Vorstellung; der abstrakte Tanz in einer künstlich-flachen Schneelandschaft einer von der männlichen Hauptfigur, Yukinojo, dargestellten Frau rührt eine Frau im Publikum so sehr, dass sie sich ans Herz fasst (und sich in den Schauspieler tödlich verliebt). Wir bewegen uns auf die Bühne, hin zu dem Schauspieler und mir einem Male ist die Bühne eine Landschaft, von einem Publikum nichts mehr zu sehen, nur kurz reißt der Blick in den Schnee zum Saal hin auf: Drei Männer aus dem Publikum sind eingeblendet. Yukinojo erkennt sie als vormalige Peiniger seiner Familie, die das Leben seiner Elten und also sein eigenes schwer beschädigt hatten. Ein Wechselspiel der Erzählformen, das diese sich durchdringen, überlappen lässt; gleichzeitig bestimmt der Film mit erfrischender Bestimmtheit in kürzester Zeit den Rahmen seiner Handlung und impliziert schon den weiteren Verlauf. Auch hier höchst effektiver Minimalismus, der sich nicht lange mit langwierigen Expositionen herumzuschlagen gedenkt. Und nie wird im weiteren Verlauf mit letzter Sicherheit beweisbar, ob wir uns im Theater, im Film oder in einem vom Theater evozierten Bilderraum befinden. Immer wieder fällt das eine ins andere und zu sich zurück.

Was sich, in Worte gefasst, nach grüblerischer Reflektion anhört, ist in Wirklichkeit ein leichtes Spiel mit den Erzählformen und Möglichkeiten des Films von beeindruckender Eleganz, das sich gekonnten Schrittes von Liebreiz zu Liebreiz bewegt. Eine Abfolge wunderbarer Bilder, Räume, Kameraeinstellungen, wo mit Charme und Klugheit um die Gunst des Zuschauers gebuhlt wird. Dazu ist jedes Mittel Recht und wenn es sich an sich mit anderen beißt, so überzeugt es im einzelnen doch: Barjazz der 1960er Jahre unterlegt manche Bilder (der Film spielt in den 1830ern ...), die besonders schön gestalteten Liebesszenen umschmeichelt Musik, die von Ferne an us-amerikanische Melodramen aus der Filmenstehungszeit erinnert. Gerade diese Leichtigkeit, diese Freude an der Perfektion der Schönheit ist es schließlich, die, neben all der Klugheit der Inszenierung, dieses Filmerlebnis zu einem genussreichen sondergleichen machte.

imdb


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Vorab, um möglicher Verwirrung entgegenzuwirken: „Kammerflimmern“ läuft bereits seit dem 3.2. in deutschen Kinos. Er ist dennoch Bestandteil der Berlinale, wenn auch „nur“ in der Programmschiene „German Cinema“, die vor allem für ausländische Festivalgäste gedacht ist, die sich einen Überblick über die hiesige Filmproduktion verschaffen wollen.

Etwas unschlüssig im Cinemax umherstolpernd hat mich Hendrik Hölzemanns Film (der 26-jährige führte Regie und schrieb das Drehbuch) vollkommen unvorbereitet getroffen. Mit dem schlimmsten rechnend - immerhin hat Hendrik das Buch zu Benjamin Quabecks quälendem „Nichts bereuen“ zu verantworten und sein Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer einer der unsympathischsten Filmfiguren der Nachkriegszeit in BvSB`s „Soloalbum“ zu fragwürdigem „Glanz“ verholfen – aber ich nehme alles zurück. Hendrik Hölzemann ist ein beinahe schon sensationell zu nennendes Debüt gelungen und als unverbesserlich skeptischer Nachzügler muss auch ich eingestehen: Matthias Schweighöfer ist vielleicht neben Tom Schilling, ganz großartig zuletzt in Egoshooter, der im Moment aufregendste deutsche Filmschauspieler überhaupt.

Wir sehen ein verliebtes Paar, dass in einem Wagen durch eine menschenleere Landschaft braust, auf dem Rücksitz ihr siebenjähriger Sohn. Die Idylle ist vollkommen, wie in einem Traum und plötzlich im nächsten Moment – ein lauter Knall – und alles ist vorbei. Die Kamera zeigt den Jungen, von unten angeschnitten, gegen den Himmel, im Hintergrund das Autowrack mit den tödlich verunglückten Eltern. Er rollt auf seinem Skateboard die schmale Straße entlang, nimmt noch einmal Schwung und knallt mit dem Kopf gegen die Wand eines Bushaltestellenhäuschens. In der nächsten Einstellung wacht Crash (Matthias Schweighöfer) schweißüberströmt in seinem Bett auf.

Crash ist Rettungssanitäter. Mit seinem Partner (Axel Prahl) fährt er durch Köln. Sie werden immer dann gerufen wenn alles schon passiert ist, wenn die aufmüpfige Frau von ihrem Mann vertrimmt wurde, der Penner halbtot in der Gosse liegt, der Familienvater einen Schlaganfall erlitten hat. Crash kommt mit dem Elend nicht klar, hat keine Abwehrmechanismen entwickelt, wie etwa sein zynischer Partner oder der sadistische Kollege. Er will Gutes tun und sucht eigentlich die Erlösung vom Schmerz der Erinnerung. Parallel wird die Geschichte der hochschwangeren November erzählt (Jessica Schwarz). Ihr Freund ist ein Junkie, die Venen zerstochen und porös. Sie liebt ihn, aber er dankt es ihr nicht.

Es kommt wie es kommen muss. Sein Tod bringt sie und Crash zusammen. Das Drehbuch hat unbestreitbar Schwächen. Die Geschichte ist in vielerlei Hinsicht vorhersehbar, hat hin und wieder Fernsehspielniveau. Aber wie Hölzemann den Zustand seiner Hauptfigur dem Publikum näherbringt, das ist beachtlich. Er bedient sich der Rückblende, jedoch nicht im konventionellen Sinn. Schritt für Schritt, während wir Crash kennenlernen und er sich selbst über die Annäherung an November entdeckt, werden seine Alpträume konkreter. Diese Technik verhilft dem Film zu seiner mystischen Qualität.

Ganz toll Axel Prahl, der durch seine Physis den Film erdet, mutig Jessica Schwartz, die manchmal vielleicht zu viel will, ich weiß es nicht so recht. Bibiane Beglau in der Rolle der abgebrühten Notärztin hat mir gut gefallen genauso wie auch Florian Lukas in einer nicht ganz so dankbaren Nebenrolle. Nicht alles gelingt. Immer wieder überspannt Hölzemann meiner Ansicht nach den Bogen. Zu deutlich tritt die Funktionsweise des Buchs auf den Plan, über wiederkehrende, identitätsstiftende Elemente, als wollte man auf Nummer sicher gehen. Zu offenherzig die Inszenierung, wenn Crash und November beim Sex gezeigt werden etwa und zu deutlich das Bemühen sich amerikanischer Vorbilder anzudienen, in Kleinigkeiten, in der Art und Weise wie die Schauspieler geführt werden, noch eine Geste hier und dort ein Wort zuviel. Das alles hätte der Film gar nicht nötig gehabt. Aber Hendrik Hölzemann will aufs Ganze gehen und ich hab die ein oder andere Träne verdrückt. Hoffentlich darf ers bald wieder versuchen.


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Das Bild eines menschlichen Crash Test Dummies steht für Regisseur/Autor Jörg Kalt für die Beschleunigung und das abrupte Abbremsen. Diese Allegorie will er übertragen wissen auf seine beiden Hauptfiguren, ein rumänisches Pärchen, dass nach Wien kommt um ein geklautes Auto nach Bukarest zu überführen. Wie der Dummy kommen sie mit hoher Beschleunigungsenergie im Westen an, werden abrupt abgebremst und geben ihre Energie an Personen weiter auf die sie treffen, einen trotteligen Kaufhausdetektiv, der es sich bevorzugt auf seiner aufblasbaren Ekelcouch besorgt und eine nymphomane, tschuldigung... lebenslustige Reisefachfrau, die gerne was erlebt.



Nicht nur, dass dieser Überbau schon beim Nacherzählen bemüht wirkt, ich wäre beim Betrachten des Films nicht im Traum auf diese Assoziation gekommen. Tatsächlich scheint mir „Crash Test Dummies“ der Film geworden zu sein, den Jörg Kalt, nach eigenem Bekunden unter allen Umständen vermeiden wollte: ein typisch österreichischer Film mit ausgeprägtem Schenkelklopfhumor. Was daran nun typisch österreichisch ist, wage ich nicht zu beurteilen, ganz im Gegenteil kann ich mich durchaus an spannende Produktionen aus der Alpenrepublik entsinnen, allerdings drängen sich Parallelen zu den Filmen unter Beteiligung des Starkomikers Josef Hader auf. In sofern ist meine zunehmende und am Ende ausdrücklich zu betonende, uneingeschränkte Abneigung gegen die skurillen Einfälle und die entlarvende Inszenierung des Regisseurs nicht ganz fair. Auch mit dem verschrobenen Humor Haders kann ich wenig bis gar nichts anfangen („Indien“ hab ich leider nicht gesehen, vermute jedoch nichts Gutes).

Wie gesagt, die rumänische Hauptfigur wirkt wie ein Stand-in Double Haders, mit dem ganzen linkischen Charme, dem lakonischen Herumstehen und dumm gucken und so weiter. In „Crash Test Dummies“ verhelfen grenzdebile Gespräche zum Fick, der sich ähnlich erotisch anläßt wie abgestandenes Bier; penetrantes Starren provoziert romantische Gefühle und ein Toupee muss herhalten für einen Running Gag, der sich müde durch die Bilder schiebt. Allerdings, es sei nicht unerwähnt: in der Pressevorführung waren etliche Besucher dem Lachkrampf nahe, soweit man sich das bei Filmjournalisten vorstellen kann.

Schließen möchte ich, gänzlich unkommentiert mit dem Zitat eines österreichischen Filmfunktionärs, dessen Name mir entfallen ist: es gibt gute Filme und es gibt schlechte Filme... und dann gibt es österreichische Filme.


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Es gibt eine Szene in diesem wunderschönen Film, in der die wohltuend zurückgenommene Inszenierung für einen kurzen Moment aufgegeben wird, in der der immer ein wenig schlafmützig wirkende Shinnosuke seinen ganzen Schmerz in die Welt hinausbrüllt, das Mobiliar zerlegt und jedwede Kontrolle über sich verliert. Es ist bezeichnend, dass gerade diese Szene mißlingt, dass sie wie ein Fremdkörper in einem ansonsten erstaunlich geschlossenen Film wirkt. Und es ist bemerkenswert, dass sie dennoch vielleicht am besten die Haltung des Films unterstreicht. Als Shinnosuke durchdreht, kommt sein Mitbewohner, Chef und Freund gerade rechtzeitig aus den Bergen zurück um ihn mit einem ungestümen Kuss zu überraschen. Das Leben geht weiter, muss weitergehen, vielmehr: es ist unverzeihlich sich zu verkrümeln, noch dazu wenn man geliebt wird. Es gibt kaum ein Bild, dass man zitieren möchte, keinen Dialogsatz, an den es sich zu erinnern gilt. Es braucht kein Gerüst an dem man sich abzuarbeiten hätte, noch nicht einmal ist eine „ganz bestimmte“ Atmosphäre spürbar, der man hilflos mit sorgfältigst abgewogenen Formulierungen beizukommen bräuchte. Es ist faszinierend mit anzusehen, wie ein Film es fertigbringt, ohne Tricks und doppelten Boden, vollkommen frei von jeglichem Pathos, ja beinahe schon beiläufig seine Geschichte zu erzählen. „Worlds End“ beweist gerade wegen seiner schwebenden Leichtigkeit wahre Größe. Ein bezauberndes Stück Kino, dass uns daran erinnert den Moment zu leben, auch wenn es für viele von uns eine unerfüllte Sehnsucht bleiben mag. Ein erstes Highlight und ich befürchte nach ausführlichem Studium des Programms: es wird derer nicht viele geben. Schnief.


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Freitag, 11. Februar 2005
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Heute also doch das erste teure, aber leckere Eis. Oben von den Arkaden (die Eisdiele am vorderen Ende, Nahe des CinemaxX). Daselbst dieses dann auch schnabuliert und gleichzeitig auf die Ausmaße einer Medienrevolution gestoßen: In den Arkaden steht nämlich auch das Fußvolk des Festivals - die Zahlkunden - um Karten an. Die Länge der Schlangen wurde häufig schon, meist hämisch, im Feuilleton bemerkt. Klar, man selbst steht ja nicht an, man zeigt nur sein Stück Plastik vor (was auch wieder so nicht stimmt, denn die Kollegen verschweigen den Ticket Counter oben im Hyatt...). Früher, als ich selbst noch Karten dort abholte, war das so, dass der übliche Schalter mit langer Wartezeit verbunden war, während man bei dem Kabuff am Rande, wo man die im Internet bestellten Karten abholen kann, eigentlich auch nicht länger anstand als werktags beim Bäcker für Brötchen. Heute aber, und das ließ mich wirklich staunen, ist das geradewegs groteskverdreht und ich fragte mich, ob da die Organisatoren nicht selbst was verpennt haben: Die Schlange für den Internet-Schalter schlägt jede andere, mir je dort unter die Augen gekommene Schlange mit Leichtigkeit: Beinahe schon sehen sich die Leute dazu gezwungen, die Schlange bis vor die Türen der Arkaden zu verlängern. Die üblichen Counter hingegen stellen moderate Wartezeiten in Aussicht: Die Low-Tech-Freaks, die noch brav "Datum-Kino-Uhrzeit" aufsagen, bilden eher kleine Grüppchen denn lange Reptilien. Und natürlich sind die üblichen Schalter noch immer mehrfach besetzt, während das Internethäuschen immer noch, mit gezeigten fatalen Folgen, das Kabuff am Rande ist ...

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Apropos Anstehen, Karten, Journalisten. Manche der letztgenannten sind offenbar gewillt, das Klischee vom narzistischen Publizisten, der "wichtig" gällt und auf den Boden stampt, wenn es nicht nach seinem Willen geht, zu jeder Zeit zu bekräftigen. Tatort CinemaxX gestern Abend, Panoramavorstellung: Die in den Presseunterlagen als "Pressevorführung" ausgewiesene Vorführung von Redentor ist in echt eine öffentliche, in die wir auch hineindürfen. Eigentlich recht logisch ist da, dass die Leute mit gekauften Karten in diesem Falle zunächst Vortritt haben. Schnell bildet sich eine Traube vor dem Saal, Akkreditierte müssen kurz warten, bis die Zahlkunden alle drin sind. Die meisten fügen sich dem ohne Murren. Ein paar besonders Akkreditierte aber lassen sich die Möglichkeit zum Stänkern, zumindest aber zum wild mit dem Plastik Fuchteln nicht entgehen. Sie seien akkreditiert, wird da geblökt, dabei ignorierend, dass der bemerkenswert die Fassung bewahrende CinemaxX-Angestellte zuvor schon meinte, dass Akkreditierte bitte kurz am Rande warten mögen. Mit großen Augen stehen sie nun da, diese Wichtigheimer, fuchteln rum und mimen den dicken Max. Manch einer zieht auch die Liste mit den Pressevorführungen raus und deutet mit dicken Zeigefinger drauf. Sicher, meint der Angestellte, aber es ist eben auch eine öffentliche Veranstaltung. Brüskiert wird sich umgedreht, mit den Augen gerollt, als sei man eine Kuh auf LSD. "Mein Gott", möchte man ihnen zurufen, "Du kannst Dir hier kiloweise Filme for free anschauen und musst nur ein paar, meist ohnehin debile, Zeilen drüber schreiben. Tausende beneiden Dich! Führ Dich doch einfach nicht so auf, bloß weil's mal ein paar Minuten länger dauert!"

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Eine Welt für sich: Der Filmmarkt, unweit des Berlinale-Palastes. Hier herrscht alle schmierige Business-Freundlichkeit der Welt. Jeder ein potentieller Einkäufer, Kunde und Geldbringer. Man muss die Dialoge, den Umgang miteinander dort selbst einmal gehört haben, um's zu glauben.
Trotzdem ist der Filmmarkt gleichzeitig auch so was wie der Traum vielleicht nicht eines jeden, aber doch so manchen Geeks. Kiloweise Promomaterial zu den neuesten, internationalen Produktionen liegt da rum. Manche Filme sind gar ganze Hefte wert und viele nationale Kinematografien stellen ihren letzten Jahrgang in Buchform vor - natürlich zum Mitnehmen, sicher, und ein Lächeln vom Countermäuschen gibt es noch dazu.
Man verfällt in Mitnehmrausch. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, landet im Arm. Der schmerzt bald und man fürchtet, eine etwas armselige Figur zu machen. Ist aber nicht schlimm, weil hier jeder mit mindestens drei bis vier Kilo Promomaterial auf dem Arm durch die Gegend hechelt, dabei immer zur Seite stierend, ob es nicht doch noch ein (in der Regel sehr hübsch gestaltetes) Infoblatt gibt, das noch nicht eingepackt wurde. Hier und dort kann man in Filme reinschauen, auf kleinen DVD-Spielern mit LCD-Bildschirm, bei den Asiaten aber gerne auch mal auf dem großen Plasmaschirm. Das meiste ist noch unveröffentlicht, manches noch gar nicht fertiggestellt. An einem Stand einer Hongkonger Firma war es mir dann auch möglich, einen Blick auf ein PromoReel von Tsui Harks neuestem Film Seven Swords werfen können. Ein Zusammenschnitt "bester Szenen", natürlich sind die Drähte noch zu sehen gewesen, aber generell lässt sich wohl schon vermuten, dass Tsui Hark mit diesem ausstattungstechnisch offenbar sehr aufwändigen Film eine gelungene Rolle rückwärts in seine nostalgischen Wuxia Pian der frühen 90er vollzogen hat, bzw. diese technisch auf den neuesten Stand gebracht hat. Überhaupt sind die Stände der asiatischen Firmen ganz wunderbare kleine Inseln mit vielen bunten Materialien. Sogar Exemplare des besonders schön gestalteten Programmhefts vom Festival in Pusan liegen hier aus. Richtig wohnzimmrig altbacken wirken dagegen die Stände zahlreicher deutscher Anbieter und vor allem der Öffentlich-Rechtlichen. Bei ARD stehen ein paar blaue Stühle und kleine Tischchen rum, darauf: Knabberzeug, Weihnachtsplätzchenartiges. Bombenmarketing!

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Unvergesslich auch ein Moment im Presseraum, wo internationale Journalisten ihre Texte in die Welt schicken. Nach erfreulicherweise nur wenigen Minuten Anstehen, ergattere ich einen Platz, ungünstigerweise zwar in der "Express Station", wo nur 15 Minuten lang getippt werden darf, aber ich will mich ohnehin kurz fassen. Freudig haue ich in die Tasten und sehe meinen Text allerdings auf Kyrillisch erstrahlen. Nicht, dass der Rechnerplatz das vorher irgendwie preisgegeben hätte ...

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Was den Wettbewerb und also den Großteil der öffentlich(st)en Berichterstattung betrifft, könnte dies, so dachte ich noch letzte Nacht, Kosslicks schlimmste Berlinale werden. Gleichzeitig aber - und das ist gar nicht mal so paradox, wie man vielleicht ja wirklich erstmal glauben möchte - gibt es in den verschiedenen Sektionen in der Tat genug zu entdecken, um sich eine der vielleicht besten und interessantesten Berlinalen der letzten Jahre zusammenzustellen. Wenn dies die Folge eines sich selbst zunehmend für obsolet erklärenden Wettbewerbs ist, soll mir das nur recht sein.

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Das Wetter ist leicht besser, der Trubel hat merklich angezogen. Bei gerade mal zwei Filmen, die ich heute gesichtet habe (dazu später mehr), war es mir eine große Freude, durch die ersten Festivalwogen am Postdamer Platz zu streifen, bald hierhin, bald dorthin zu schauen, Eindrücke sammeln. Wenn man soviele Menschen auf einem Haufen sieht, die mal mit der Leidenschaft des Liebenden, mal mit der Hektik des Berichterstattenden über's Gelände pesen, weiß man einmal mehr, warum dies die schönste Jahreszeit von allen ist. Noch macht die Betriebsamkeit große Freude, warten wir ab, wie es in vier, fünf Tagen aussieht, wenn es zwischen heimischem Bett, PC und Filmvorführungl keinen Zwischenraum mehr gibt ...

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Hallo, Herr Kuhlbrodt aus der taz

Also ihre Kritik zum Shiori-Film, den ich ja auch sehr toll fand, ja also die ist wirklich schön. Ja, ging mir ähnlich beim Rausgehen.


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Der Film eröffnet die Sektion Panorama.

Mitternachtskino, das ist grell, laut, oft virtuos umgesetzt, grundsätzlich immer größenwahnsinnig, prätentiös, nicht immer, ja eigentlich kaum geschmackssicher, kontrovers, fabelhaft, es wirft 1000 Ansprüche für sich auf, von denen nicht mal die Hälfte eingelöst wird. Das macht es sympathisch, es putzt die Rezeptoren durch, provoziert. Im Gegensatz zu den ungefällig gefälligen Wettbewerbsfilmen, die ganz auf Sicherheiten hin ausgewählt zu scheinen, ist ein Mitternachtskinofilm grundsätzlich einer, der seinen Zuschauer anschreit und Positionierung verlangt.



Der brasilianische Eröffnungsfilms des Panoramas, Redentor, entspricht dem voll. Werbe- und Videoclipregisseur Claudio Torres, der hier sein Debüt abliefert, schätzt seinen Film auch so ein, dass er den Hunger, die Wildheit und die Konsequenz eines Debüts habe und er bedankt sich gleich darauf, nicht mit Eiern und Tomaten beschmissen zu werden. Fragen an ihn gibt es trotzdem keine. Der Film, spätabends und noch dazu mit erheblicher Verspätung in einer kurzfristig anberaumten zweiten Vorführung parallel zur eigentlichen gescreent (und in der Tat wurden hinter den Kulissen die Rollen von Saal zu Saal geschockelt), hat die Leute fertig gemacht. Das Hirn ist voll von grellen Bildern, wahnwitzigen Handlungsverläufen, abgeschmackten bis genialen Ideen - und dass er, Torres, es mit diesem, nun ja, Werk ernst meint, daran besteht kein Zweifel.

Der Film ist wirr, auf Überwältigung hin, inszeniert. An sich aber von einfacher Erzählung, wenngleich sie in viele Detailmomente gegliedert ist, in denen entscheidende Weichen gestellt werden. Célio Rocha, Journalist in unter-mittelmäßigen Lebensverhältnissen, soll über einen Skandal im Baugewerbe berichten. Dahinter steckt sein alter Schulfreunde Otávio Sabóia, der einzige Erbe des bankrotten Bauunternehmers „Dr.“ Sabóia, der sich kurz zuvor das Leben genommen hat. Vor Jahren hatte der Spekulant hunderte Familien, darunter Célios, mit der Aussicht auf schnieke Luxusapartements ins Elend getrieben. Die Folge ist ein ganzes Elendsviertel vor den Toren Rio de Janeiros, bizarrerweise direkt vor dem nahezu fertiggestellten Luxusbau, der jedoch nie bezugsfertig wurde und seit Jahren brach liegt. 15 Jahre später nehmen die Bewohner der Favelas die Sache in die Hand und besetzen, was sie für ihren Besitz halten. Fatalerweise auch die Wohnung, die Célios Vater einst abgestottert hatte, der, wenn auch todkrank, von keinem anderen Wunsch beseelt ist, Rache an der Spekulantenfamilie zu nehmen. Doch der gerissene Otávio nutzt unter allerlei Versprechungen Célio als Lockvogel für weit Schlimmeres. Der Pakt fliegt auf, Otávio bugsiert Célio in den schlimmsten Knast des Landes, wo er eine Erleuchtung hat, Gott sucht und findet, die Insassen befreit und das Volk mit göttlichem Auftrag aufwiegelt. Die Erlösung ist greifbar nahe und Gott auf seiner Seite ...

Redentor beißt in alle Richtungen. Wer das Kino, warum auch immer, vorrangig als politische Anstalt versteht, wird von dieser (manchmal leider auch sich selbst) beißenden Satire am laufenden Meter vor den Kopf gestoßen: Möchte man jubeln über den offen antikapitalistischen Gestus, wird man greinen, wenn die "kommunistische" Erhebung ebenfalls mit menschlich-hässlicher Fratze gezeigt und von Torres zudem noch als - keine Wertung - hanebüchene Religionsstiftung mit offenen Jesus-Parallelen verkauft wird, als Gründung einer religiösen Bewegung, die Halleluja singt, aber auf handfesten monetären Gelüsten beruht. Und dazwischen ist alles wild, oft zu wild, dann wieder delirierend orientierungslos, man erstickt an eigenen Ambitionen.

Torres hätte aus dem Material gut zwei bis drei Filme machen können. Weiß der Geier, warum er alles in einen Film stopfen musste, der zwar nicht immer, aber auffällig oft an seiner Überfülle zu bersten droht. Das Ergebnis stimmt zwiespältig: Ein grotesker Satire-Genrefilm, wie man ihn ohne weiteres auch ins Fantasy Filmfest bugsieren könnte, der über weite Strecken mit seiner hausieren gehender Ungezügeltheit schlicht langweilt, um dann zum Ende hin das Gaspedal wieder voll und im besten Sinne nach unten zu drücken. So ähnlich hatte man das im Panorama schon vor zwei Jahren, als da das Little Match Stick Girl lief, ein - im Gegensatz zu Redentor - vollends und über die Ungenießbarkeit noch hinaus überladenes Knallbonbon aus Korea. Redentor immerhin kriegt gerademal so noch die Kurve und humpelt aufrecht durch's Ziel. Respektapplaus ist ihm sicher. Fragen? Nein, danke - keine.

imdb | festival-infosheet


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lol