Dienstag, 13. März 2007

Schon die ersten, sagen wir, zehn Minuten verweisen einen Gutteil des Science-Fiction-Kinos der letzten Jahre in seine Schranken. Children of Men folgt der Tugend jener besseren phantastischen Literatur - von J.B. Ballard beispielsweise, oder Philip K. Dick -, die sich nicht im ziselierten Ausmalen und seitenweise blumigen Sichtbarmachen übt, sondern in wenigen Anmerkungen, Nebensätzen, quasi en passant, eine ganze Welt mit ganz eigenen Implikationen entstehen lässt. Der Spezialeffekt hier nicht als Augestelltes, das in erster Linie auf Rechnerpower und money is time verweist, sondern ganz im Sinne der Etablierung dieser Welt arbeitet. Diese wiederum ist eine, in der seit 18 Jahren keine Menschen mehr geboren wurden. Im London der ausgehenden 2030er Jahre führt dies zusehends zum Chaos zwischen Lethargie und terroristischen Anschlägen. Unterdessen stehen an aller Ecke die Menschenkäfige bereit: Wie wir bald lernen, sind seit einigen Jahren sämtliche Ausländer als illegale Flüchtlinge eingestuft und werden, wie einer sagt, "wie Küchenschaben" gejagt.

Die Welt hier ist dunkel und trostlos, doch nicht im pathetischen Sinne, weit also entfernt von den Dystopiebehauptungen des in dieser Hinsicht so kläglich gescheiterten V wie Vendetta. Sie ist trostlos, gerade weil die Menschen sich in ihr mit einer Präsenz des Alltäglichen und des Trotts bewegen, die vor der Leidensfähigkeit des Menschen fürchten lässt.

Theo, einstiger Politaktivist, nun im Büroleben gestrandet, gespielt von Clive Owen, der hier die beste Performance seines Lebens vorlegt, Theo also schlafwandelt beinahe schon durch diese Welt. Wie alles andere in diesem Film ist auch er von einer Tiefe der Zeit geprägt, die die Welt von Children of Men fest im Glaubhaften verankert: Alles, hat es den Anschein, ist hier so, und dies seit langem. Unversehens gerät Theo in die Auseinandersetzungen verschiedener Untergrundorganisationen, die sich um eine junge Afrikanerin drehen, die, wie sie Theo bald offenbart, das erste Kind der Menschheit seit Jahren in sich trägt. Theo, der vermutlich nicht ganz ohne Grund so heißt, fällt wider Willen die Aufgabe zu, die werdende Mutter zu schützen.

Cuarón durchdringt diese Welt mit seiner Kamera eher, als dass er sie mit ihrer Hilfe konstruiert. Auffallend häufig zieht er sie nach hinten, lässt sie also rückwärts fahren, was bis heute im Erzählkino eine eher ungewöhnliche Art des Filmens darstellt. Entsprechend ausgefeilt ist seine mise-en-scène. Dies nicht als bewusstes Statement zum Status Quo der Filminszenierung zu lesen, fällt schwer: Cuarón lässt selten schneiden, dafür ist seine Kamera ungeheur agil im Feld; den actionreichsten Moment gegen Ende fängt er schließlich in einer so wenig heischenden wie dennoch atemberaubenden Plansequenz ein. Was ein Michael Bay anhand geschätzter 180 Schnitte aufgelöst hätte, mittels Bergen von footage, die am Ende montiert werden, ist bei Curaón eine einzige, schier endlose Kamerabewegung, die dem Raum zwar Kontinuität verleiht, aber dennoch keine Weiträumigkeit, sondern, ganz im Gegenteil, eine beengende Trostlosigkeit etabliert. Diese, bisweilen fast - im allerdings guten Sinne - gemächliche, Sorgfalt in der Inszenierung stellt unter dem Vorzeichen heutigen Filmeschaffens eine kleine Oase dar; unweigerlich fühlt man sich an Glanzmomente der Filmgeschichte aus den 70er Jahren erinnert, als eine lange gute Einstellung mehr zählte als montierte Hektik.

Children of Men begeistert weniger auf Fanboy-Ebene, eher spricht aus ihm die souveräne Geste eines Regisseurs, der sich auf allen Gebieten absolut sicher ist. Der Film zeichnet ein düsteres und melancholisches Bild der Zukunft, die Ernsthaftigkeit des in ihm eingebetteten Kommentars ist jederzeit abzuspüren. Es ist spannend zu beobachten, wie in jüngster Zeit - etwa auch in Linklaters A Scanner Darkly - klassisch phantastische Stoffe jüngst wieder auf ihr eigentliches Potenzial hin abgeklopft und in dessen Sinne eingesetzt werden. Schön, dass es wieder ernster zugehen darf; für mich zählt Children of Men jedenfalls, nach nun nachgeholter Sichtung, zu den besten Kinohighlights des vergangenen Jahres.

» imdb ~ filmz.de



° ° °




Samstag, 10. März 2007
09.03.2007, b-ware!LadenKino

Die U-Bahn kommt in Gang, über das Bild rollen sich unzählige Fahndungsfotos wie ein Fetisch: Gesucht wird Matsu, genannt "Sasori", der Skorpion, gespielt von Meiko Kaji. der unangefochtenen Königin des japanischen Exploitationfilms. Ein Chanson hebt an: Das Rachelied einer Frau. Schon der Vorspann ist reinste, rauhe Poesie, wie man sie nur im Exploitationfilm finden kann; die existenzialistische Schönheit des Verbrechens in einer schmutzigen Welt.

Von der Poesie der Filmlayer und Vorspannmusik wechselt der Schnitt hart zur blanken Realität: Matsu im Innern der U-Bahn. Im zweiten Teil war sie den Häschern des Strafvollzugs entkommen, nun versucht die gesuchte Ausbrecherin unterzutauchen. Es gelingt nicht, ein Polizist in zivil versucht sie zu überwältigen, indes ohne Erfolg: Sie steht draußen, vor der U-Bahntür, die sich schließt, er noch im Innern, beide mit einer Handschelle aneinander gekettet. Mit großem Schwung zieht sie das Messer - zwei, drei Hiebe später ist der Polizist entarmt und Matsu gelingt die Flucht: Mit einer Handschelle am Handgelenk und mit einem abgeschnittenen Arm im zweiten Ring. Der gerade erst begonnene Film hat hier bereits seinen ersten Höhepunkt.

Die Gewalt ist grell, doch wirkt sie nie der Gewalt alleine wegen aufgegeilt. Es liegt keine Herrlichkeit in ihr; sie wirkt gehetzt, reflexartig, wie ein letztes Mittel in einer übermächtig gewordenen Welt, die einen zu verschlingen droht. Im Falle von Sasori 3 ist dies wörtlich zu verstehen: Matsu flüchtet in die graue Unterwelt verelendeter Prostituierter und muss schließlich in die abgedrängte no go area der Gesellschaft schlechthin flüchten: In die Kanalisation, wo sie Wasserfluten und Feuersbrunst gleichermaßen zu widerstehen hat.

Der erste Sasori-Film war ein von der Muse höchst inspiriertes Meisterwerk des Exploitationfilms, das zwischen Sleaze und dem Autorenfilm entlehnten ästhetischen Manövern changierend den Clash höchst unterschiedlicher Film- und Bildmodi zelebrierte; von solchen Ambitionen ist nun der dritte Teil zwar leider weit entfernt. Doch baut Shunya Ito auch in diesen regelmäßig melancholisch-poetische Zwischentöne ein, etwa in jenen Momenten, in denen die Prostituierte, bei der Matsu untergekommen ist und für deren Sache sie fortan kämpft, Matsu in der Kanalisation sucht: Zu diesem Zweck beugt sie sich über die zahlreichen Kanaldeckel ihrer Stadt, ruft wehmütig "Sasori" in die Tiefe darunter und wirft brennende Streichhölzer als visuelles Signal hinterher. Die Perspektive wechselt in die Kanalisation, von wo aus man den tief gestaffelten Raum sieht - und die brennenden Streichhölzer, die von oben herab fallen und die nach und nach näher an die Kamera kommen, begleitet vom Rufen der Frau, die ihre Weg- und Kampfgefährtin sucht.

Wenn Sasori 1 also Künstlichkeit suchte, sucht der dritte Teil nun die rauhe Poesie im Faktischen. Matsu ist in der konkreten Welt angekommen, wo sie erneut dazu gezwungen ist, ihre Skorpionstachel auszufahren. Erneut verleiht ihr Meiko Kaji eine atemberaubende Präsenz. Am Ende scheint sie ihren Frieden gefunden zu haben, indem sie sich als Person ganz auslöscht: "Aufenthalt unbekannt", endet das letzte Schriftinsert. Der vierte Teil lugt schon um die Ecke.

Eine DVD ist von Rapid Eye Movies angekündigt.

» imdb



° ° °




Freitag, 9. März 2007
Trailer:

Auch eine Ausnahmeerscheinung wie Tim Burtons wundervoller The Corpse Bride (2005) kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass die großen Zeiten des Puppen-Animationsfilms so gut wie vorbei sind. Im wesentlichen fristet er ein Dasein als Abschlussfilm an Filmhochschulen und findet allenfalls noch als gelegentlich dazwischen geschobener Kurzfilm im Nachtprogramm der öffentlich-rechtlichen Programme statt. Wiewohl dieser besonderen Filmkonzeption bis heute eine nahezu magisch-auratische Traumqualität eignet – zumal dann, wenn sich über das Material eine Art phantastischer Animismus legt, der im Unfertigen, nicht ganz Perfekten begründet liegt (das „bewegte Rauschen“ in Puppenkleidern etwa) -, scheint sie dem Gegenwartskino kaum mehr Option zu sein. Bezeichnend mag eine Stelle in Michel Gondrys nicht minder wundervollem The Science of Sleep (2006) sein – ein Film, der auch ein wenig vom Verlust des Kinos seiner Fähigkeit handelt, zum Greifen naheliegende Traum- und Wunschbilder zu zeichnen –, in der sich sich die beiden Träumer Stéphane und Stéphanie voller Tatendrang ins grobe Material stürzen und auf die Idee kommen, mit Klorollen und Zellophan in der eigenen Wohnung einen Animationsfilm zu drehen, der der russischen Tradition nachempfunden ist. Und schlechterdings in dieser Form im Kino wohl keine Repräsentation mehr erfahren könnte.

Umso erfreulicher sind deshalb bezaubernde Filme wie Blood Tea and Red Strings, die vollkommen unerwartet am Rande der allgemeinen Filmproduktion auftreten, in ihrer Anverwandlung des Materials leidenschaftlich anachronistisch sind und sich in einer Filmwelt, in der es für solche kleinen Filmwunder eigentlich keinen Platz mehr gibt, zu behaupten vermögen.

Blood Tea and Red String ist ganz und gar Herzenssache. Man kann nicht anders als jede Einstellung zu genießen, sich in die Details zu verlieren und jede Bewegung, die da stattfindet, als stilles Ereignis zu bewundern. Für ihn verantwortlich zeichnet die us-amerikanische Künstlerin Christiane Cegavske, die nicht weniger als 13 Jahre ihres Lebens in diesen knapp 70 Minuten dauernden Spielfilm investiert hat. In mühe- wie liebevoller Kleinarbeit hat sie sich eine märchenhafte und doch bizarre Geschichte ausgedacht, sämtliche Puppen gestaltet und genäht, alle Kulissen gebastelt und den Film schließlich auf wunderbar körnigem 16mm-Material Frame für Frame selbst gedreht. Er kommt vollkommen ohne Dialog aus und wurde von Mark Growden mit stimmungsvoller, ebenfalls leicht ins Bizarre spielender Musik unterlegt, die einen kongenial in die merkwürdige Welt dieses entspannt plätschernden Films zieht. All diese Liebe zum Detail, zum Material und seiner Sinnlichkeit lässt eigentlich – auch wenn sich die jeweiligen Filme stark voneinander unterscheiden – kaum einen anderen Vergleich zu, als den mit Wenzel Storchs gleichermaßen liebevoll gestalteten Film Die Reise ins Glück.

Die Geschichte von Blood Tea... ist nur schwer wiederzugeben, sie sucht das mythologisch-enthobene und märchenhaft-verfremdete. Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen zwei Gruppen, auf der einen Seite aristokratisch gekleidete, weiße Albino-Ratten, auf der anderen merkwürdige Wesen, die aussehen wie braune Ratten auf zwei Beinen mit Vogelschnäbeln und Schweineohren (die offizielle Synopse nennt sie lediglich „the Creatures who dwell under the Oak“). Die letztgenannten leben ein einfaches Landleben im Innern einer alten Eiche und erhalten eines Tages von den Albino-Ratten den Auftrag, nach Vorbild eines Gemäldes eine Puppenfrau zu erschaffen. Das Werk gelingt in Perfektion, so dass sich der Erbauer selbst in die (allerdings unbelebte) Puppe verliebt und sie deshalb nicht mehr hergeben mag. Daraufhin entführen die weißen Ratten die Puppe, die so gekränkten Schnabelwesen begeben sich ihrerseits auf eine Reise quer durch ein seltsam-schönes Märchenland, um die Puppe zurückzuholen. Sie begegnen einem Frosch, offenbar ein einsiedelnder Schamane, und einer Spinne mit Menschenkopf, die in ihrem blutroten Netz an ganz eigenen Interessen strickt. Unterdessen verfällt auch der Anführer der weißen Ratten der melancholischen Liebe zu dem weiblichen Puppenwesen...

Doch Blood Tea... ist weit mehr als seine bloße Story: Es sind die Details, die zählen und die maßgeblich zum Gelingen seines Projekts, eine wunderbare Welt zu etablieren, beitragen. So bewegen sich die Albino-Ratten beispielsweise in einer knallig-roten Kutsche durch's Land, die unter schwerem Geächze von einer Schildkröte gezogen wird; in ihrer Behausung lebt weiterhin ein Rabe, der anstelle seines Kopfes einen nackten, menschlichen Totenschädel trägt. Hier haben wir Sonnenblumen mit lachenden Gesichtern in den Blüten, dort hingegen bilden kleine Totenköpfe das Blumenantlitz; eine wunderbare Begegnung ist die mit dem dicken, in sich ruhenden Schamanenfrosch, die seltsam neben der eigentlichen Handlung steht. Im Verbund mit der mal krächzenden, mal ziselierten musikalischen Untermalung eröffnet Blood Tea... ein Tor zu einer anderen, traumhaften Welt, die ganz ihrer eigenen Logik gehorcht und alleine schon in ihrem Dasein bewundert werden kann. Auch wenn Blood Tea... Bilder entwickelt, die an bizarrste Momente aus den Grimm'schen Märchen (die freilich nur in der Originalfassung zu finden sind und nicht in den bereinigten Kinderbuch-Versionen) oder sogar an E.T.A. Hoffmanns Sandmann erinnern, eignet dem Film eine nahezu meditative Friedfertigkeit und Schönheit, die sich gleichermaßen aus jüngerem Gothic chic, wie aus den Bildern von Frida Kahlo und den Geschichten von Edgar Allan Poe speist (die, unter anderem, denn auch als Haupteinflüße genannt werden).

Doch auch wenn Blood Tea... mit seiner wundervollen Materialästhetik an alte Kinderfilme aus osteuropäischen Ländern erinnert, ist er selbst weit davon entfernt ein Kinderfilm zu sein; ganz im Gegenteil entspinnt er einen quasi-mythologischen Motivkomplex, in dem es immer wieder auch um Einverleibung und Ummantelungen geht. Hinter der niedlich-pittoresken Kindlichkeit seiner Erscheinung versteckt sich deshalb mithin ein ganz eigener Sinneszusammenhang, der, so ahnt man immer wieder, auch viel mit weiblicher Sexualität zu tun hat. Auffällig häufig handelt Blood Tea... vom Verzehr von Speisen, immer wieder wird die Puppe als Objekt der Begierde (die obendrein noch äußerlich der Regisseurin nachempfunden scheint) eingenäht oder selbst als Behältnis – unter anderem für ein Ei, aus dem ein merkwürdiges Wesen schlüpfen wird – gebraucht. Immer wieder geht es um Transformationen von Material, um Verblühen und Entstehen, um Einverleibung und Entschlüpfung – um einen steten Stoffwechsel also, vielleicht ganz ähnlich wie auch ein Animationsfilm als quasi-rituelle Technik aus gröbstem Zwirn und Textil eine animistische Zauberwelt entstehen lässt, die weit mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Teile. In dieser Logik der Stofflichkeit formuliert Blood Tea... ein faszinierendes Rätsel, das nicht unbedingt gelöst werden muss, um genossen zu werden. Es reicht schon, dem Bizarren und Morbiden in dieser unvergleichlichen Schönheit, die sich gerade auch aus der teils ruckligen Animation und dem groben 16mm-Material speist, nachzuspüren.

In den USA ist Blood Tea... schon auf zahlreichen Festivals für den Phantastischen Film zu sehen gewesen und verdientermaßen häufig prämiert worden. Die dortige Kritik ist sich einig, dass hier ein neuer Kult- und Mitternachtsfilm geboren wurde, der Vergleiche mit klangvollen Namen nicht zu scheuen braucht. Doch auch von solchen Meriten abgesehen, ist Blood Tea and Red Strings ein hervorstechender, ganz und gar außergewöhnlicher Film, der wie zuletzt kaum ein zweiter auch vom kreativen Akt selbst und der Liebe des Künstlers zur Materialität seines Werkes handelt. Ihn an dieser Stelle wärmstens zu empfehlen ist mir deshalb die größte Freude. Dass er auch hierzulande sein Publikum findet und dieser Text daran einen kleinen Anteil hat, bleibt mir abschließend zu hoffen.

» imdb ~ offizielle website ~ christianecegavske.com ~ kid37
» christiane cegavske auf myspace.com ~ youtube.com



° ° °




Gwoemul - The Host (Joon-ho Bong, Südkorea 2006)

Die Cahiers Du Cinema feierten das koreanische Monster-Spektakel zum Platz 3 ihrer Jahresabschlussliste hoch. Das alleine sollte schon aufmerken lassen; und in der Tat lohnt The Host durchaus: Das Monster ist eines der tollsten im Kino der letzten Jahre; die Story fokussiert sich exakt und präzise auf das familiäre Drama innerhalb der Monster-Revue; alles wurde mit Sorgfalt erstellt. Kurz: Ein Kino der Attraktionen, das den Zuschauer nicht beleidigt, sich seines Genres und dessen Geschichte bewusst ist und sich zu jedem Zeitpunkt dazu verhält. Fernerhin schimmert immer wieder die Ahnung einer sozialen und kulturellen Realität Südkoreas durch.

Ab Ende März auch in Deutschland im Kino! [imdb]

Razorback (Russell Mulcahy, Australien 1984)

Stark stilisierter Tierhorror vom späteren Regisseur von Highlander, der zumindest als einer der kulturhistorisch relevanteren Filme der 80er Jahre anzusehen ist (mal davon ab, dass ich ihn als Abenteuerfilm eigentlich höchst gelungen finde). Razorback entwickelt in dieser Hinsicht zwar allenfalls sehr überschaubare Qualitäten, ist aber als Moby-Dick-Variation (stilecht mit hinkender Vaterfigur) in der Steppe Australiens, wo der Riesenwal zum Riesenwildschwein wird, nicht ohne Reiz und von seinen Zeitgenossen der Piranha- und Alligatoren-Manufaktur aus den unteren Videothekenregalen weit zu scheiden. Vor Augen muss man sich halten, dass ein solcher Wille zur ästhetischen und formalen Entrückung in den frühen 80er Jahren - zumindest im Kontext des Genrefilms - noch eine frische und neue Strategie gewesen ist. Nicht meisterlich, aber spannend anzusehen, weniger gruselig, eher ästhetisch interessant und neben Joe Dantes The Howling sicher einer der interessantesten Tierhorror-Filme seiner Dekade. [imdb]

Flags of our Fathers (Clint Eastwood, USA 2006)

Im Verbund mit dem Zwillingsfilm Letters from Iwo Jima der eindeutig bessere Film und dies in jeder Hinsicht: Narrativ und ästhetisch hochkonzentriert, sorgfältige Figurenzeichnung, der aufrichtige Eastwood-Humanismus, der sich nicht hinter diplomatischer Geste verstecken muss. Auch in seiner Aussage zu Fotografie, Ikon und Geschichte der wesentlich interessantere, meiner Meinung nach auch klügere Film. [imdb]

A Scanner Darkly (Richard Linklater, USA 2006)

Philip K. Dick halte ich für einen der wichtigsten US-Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Rein literarisch mag Pynchon der bessere der beiden sein, aber weit weg voneinander sind beide eigentlich nicht. Und ich mag Richard Linklater. Von daher nimmt es kaum Wunder, dass mir A Scanner Darkly rundum gefallen hat. Was ich aber richtig toll fand, war, dass hier die bildästhetische Gestaltung - der Film wurde mit realen Schauspielern an (mehr oder weniger) realen Sets gedreht und im Anschluss vom Computer komplett "übermalt" - vor dem Hintergrund der Erzählung auf ganz und gar wunderbare Weise Sinn macht, also wirklich ganz weit weg von rein prätentiösem Technikmumpitz ist: Was lässt sich vom Menschen erkennen, wissen? Was liegt hinter der äußeren Fassade? Welche layer sind über dem Menschen angebracht? Gerade im Zusammenhang mit dem "Jedermann-Anzug" ergibt sich auf diese Weise ein ideales Bündnis aus Form und Inhalt.

Im übrigen glaube ich, dass im Bereich des "kleinen, aber wohlüberlegten Films" derzeit kaum ein US-Regisseur so brilliert wie eben Linklater. [imdb]

Scum (Alan Clarke, Großbritannien 1979)

In einer stockkonservativen, proto-rassistischen Jugendbesserungsanstalt angesiedeltes Drama mit einigen fiesen Spitzen. Natürlich lag das Thema damals auch einigermaßen in der Luft, zumal in Großbritannien (Punks, Rocker, Skins, etc. pp.). Auf Grund seiner recht lakonischen und eben doch vor allem an Härten interessierten Erzählhaltung vielleicht nicht gerade der beste Film zum Thema, aber sicherlich ein aufrichtig zorniger und zu keinem Kompromis bereiter Film. Und zornige, kompromislose Filme, muss ich sagen, mag ich sehr gerne, von sowas mehr täte allen mal wieder ordentlich gut. [imdb]



° ° °




Dienstag, 23. Januar 2007
21.01.2007, Heimkino; zum Inhalt.

Über Angela Schanelecs Marseille bin ich mir noch im Unklaren. Teilt man den Film in drei Teile, dann haben wir Marselle, dann Berlin, und schließlich nochmals, wenn auch viel kürzer, Marseille. Teil zwei und drei beginnen mit einer fast schockartigen Montage, die gerade nicht verbindet, sondern Lücken aufklaffen lässt, die schlagartig ins Bewusstein gerückt werden. Überhaupt, es fehlt in Marseille weit mehr, als da ist (in dieser Geste, würde ich jetzt schnell sagen, ist wohl auch sein filmpolitisches Projekt zu verstehen; wenn in klassischeren Konzeptionen von Film eine Welt überhaupt erst durch das Kameraauge etabliert und strukturier wird, geht hier gerade Welt durch Kamerazuschnitt verloren, weil die Kamera /inmitten/ des Vorgefundenen, und nicht durch sie Etablierten steht). Wenn Sophie, die Figur, um die es in der Hauptsache geht, im ersten Drittel durch Marseille schlendert, eine ihr fremde Stadt, in die sie aus Berlin gefahren ist, aus Gründen, die nie /ganz/ ersichtlich werden, und sie dabei die Umgebung ja fast schon ertastet (mit den Augen, mit dem Fotoapparat), dann sehen wir zwar /sie/, aber nicht, /was/ sie sieht. Auffällig häufig, fast immer eigentlich, blickt sie, deutlich zwar beobachtend, aber auch merkwürdig indifferent, in das Off des Bildes, das für uns im Unklaren bleibt. Sie macht Fotos, an einer Stelle wird es ihr untersagt (warum, bleibt ein Geheimnis). Dass wir das nicht sehen, was sie sieht, wird in einem Moment zugespitzt, wenn das Filmbild eine belebte Kreuzung zeigt. Mitten auf dieser Kreuzung: Eine Art Verkehrsinsel, auf der Sophie steht. Gerade so lässt sich auf diese Distanz noch erkennen, dass sie den Fotoapparat hebt - und in unsere Richtung fotografiert. Was ist da, hinter unserem Rücken? Eine Straße vermutlich. Später sagt sie das auch, danach gefragt, was sie fotografiere: Straßen. Straßen, deren Präsenz vor allem durch die Tonspur vermittelt wird, deren Relevanz für den ästhetischen Eindruck in diesem Falle der des Bildes mindestens ebenbürtig ist. Die Tonspur nimmt alles auf, was im Off nicht zu sehen ist, der Ton ist immer und völlig präsent, seinem Gegenstand gegenüber, scheinbar, indifferent. Er bildet einen Mantel, einen Kokon, der die äußere Welt fast schon taktil abtastbar erscheinen lässt. Zugleich ein Rauschen, das einbettet und Distanzen aufbaut: Schockartig fällt dann die deutsche Sprache in den Film, nach etwa einer Dreiviertelstunde. Plötzlich ist alles anders. Auch Sophie klingt, als träte sie in diesem Film überhaupt erst hier zum ersten Male auf.

Aber ich bin mir noch, wie gesagt, im Unklaren. Das erste Drittel ist famos, nichts weniger. Das letzte Drittel - seine Dauer fällt knapp aus - steht dem in nichts nach. Die Sequenz in Berlin aber, der Mittelteil, fällt zäh aus. Dies ist gewollt, ganz sicher. Sophies persönliches Eingebettet-Sein - die Quasi-Syntax ihres sozialen Gefüges -, der Filz an Menschen und Problemen, aus dem sie stammt, der in Marseille abwesend in Permanenz war, wo sie durch eine Welt ging, in deren Mitte sie zwar stand (daher auch die radikale Auflösung der Einstellungen und der Ton: Mitten drin, doch nicht dabei), zu sehr sie aber doch nicht zählt, diese Ummantelung also aus Beziehungen und Alltag zieht den Drang zur Flucht ganz automatisch nach sich (gut: Keine Romantik, kein Pathos, alles bleibt in der Schwebe, zwischen zwei Bildern liegt hier die Welt). Trotzdem gerinnt der Film an diesen Stellen für meine Begriffe über das rein Funktionale solcher Spröde hinaus; Bürgersöhne und -töchter sprechen Bürgersätze ins Leere hinein. Die eine sagt, man bräuchte einen Landarzt, der immer um einen herum ist, der einen kennt; zu überdeutlich wird hier auf die Zerschlagenheit der Beziehungen angespielt, eine Nuance zu stark tritt hier die Tradition des deutschen Kunstfilms auf.

Hingegen, was mit der Kamera geschieht - oder was hier nicht geschieht - ist bei aller Strenge großartig: Ihre Statik ist nicht kalkuliertes Aushängeschild, jeder Einsatz der Formmittel und -technik Ergebnis einer konzentrierten Reflexion. Man sieht das selten so, selten waren unbewegte Einstellungen über Minuten hinweg spannender, weil man immer mit dem Umschnitt rechnet, der dann doch nicht kommt, und jeder Umschnitt, der dann doch kommt, schlagartig Bedeutung generiert.

Doch wie gesagt, der Ton ist es, der diesen Film für mich am spannendsten macht. Man könnte die Augen schließen - und hätte ein fieldrecording, mit aller Sinnlichkeit, die diese akustische Strategie auszeichnet. Was ich mir gewünscht hätte: Kein Berlin dazwischen, ein Mehr der fremden Frau in einer fremden Stadt, nicht unbedingt die Katastrophe am Ende des Films (die aber, natürlich, an diese Stelle passt), zwei Stunden erleben, wie eine neue Umgebung ertastet wird, die Spannung jeder Geste, jedes Moments, im Widerstreit zwischen Zeigen und Nicht-Zeigen-Wollen. Dieser andere Film, der als Potenzial in Marseille liegt, wird hoffentlich noch zu sehen sein.

weiterführende links:
» imdb ~ filmz.de
» movie blog search engine ~ movie magazine search engine
» marseille-notizen der regisseurin

zur erhältlichkeit:
Der Film ist im Rahmen der Revolver Edition der Filmzeitschrift Revolver beim Label Filmgalerie 451 als schlicht konzipierte DVD erschienen. In Berlin ist sie bei den üblichen Anlaufstellen - Videodrom, Filmkunst und in einigen weiteren Videotheken - für einen geringen Preis zu entleihen. In Ausgabe 13 der Zeitschrift findet sich ein ausführliches Interview mit der Regisseurin, das als Quasi-Bonus zur Veröffentlichung zu verstehen ist.


° ° °




Montag, 15. Januar 2007
14.01.2007, Heimkino.



Vier Hunde auf dem Asphalt. Maschinelles Lärmen aus dem Irgendwo. Plötzlich, unvermittelt von oben: Vier mechanische Arme einer, vermute ich, bizarren Maschine, mit der Straßen aufgerissen werden. Die Maschinenarme schlagen zu, heftig. Laut. Die Hunde rennen davon, jaulen. Ein starkes Bild, mit dem der Film beginnt, in ihm liegt eine Form von Archaik und Mythik, die durch das ganz reale, ästhetisch nicht überhöhte Bild gebrochen wird; dass man es nicht direkt versteht, ist wesentlicher Bestandteil seines Gelingens und darüber hinaus programmatisch für den sich diesem Bild anhängenden Film, in dem das Direkte und Beobachtete, das Gefüge der alltäglichen Realität bis zu einer diffusen Kenntlichkeit verfremdet wird. 4 ist der Debütfilm von Ilya Khrjanovsky, der ihn in Zusammenarbeit mit Vladimir Sorokin, einem Provokateur der russischen Gesellschaft, konzipiert hat, und allemal Erfahrung. In ihm überwuchern sich Bildertumore ins Groteske, zugleich ist er, vielleicht, einer der wichtigsten, wohl aussagekräftigsten, zumindest aber bemerkenswertesten Filme aus/über Russland der letzten Jahre.

Dreh- und Angelpunkt ist ein nächtliches Gespräch an einem Tresen einer Bar, in irgend einer größeren russischen Stadt. Drei finden sich ein, der vierte ist der Barkeeper, der im wesentlichen aber mit einnicken beschäftigt ist. Zwei Männer, eine Frau, sie vermutlich Prostituierte, jedenfalls wohl keine, die in Werbung macht, wie sie sagt, der eine vorgeblich in der Administration des russischen Präsidenten beschäftigt, in echt jedoch nur ein mafiöser Gammelfleischhändler, dessen kartografierte Businesswelt bald in sich zusammenbricht, wenn er erstmals von der Existenz kugelrunder Ferkel erfährt, der letzte schließlich Pianostimmer, der allerdings vorgibt, in ein weit in den Stalinismus zurückreichendes Klonprojekt jenseits administrativer Kenntnis von ganz oben verstrickt zu sein, und dabei sehr deutlich in den Raum stellt, dass die einst noch hinter dem Eisernen Vorhang gezüchteten "Doubles" längst schon massenhaft in der Gesellschaft angekommen seien. Die Ziffer 4, sagt jener letzter, sei schließlich diejenige, die mythologisch und kulturell am wenigsten aufgeladen sei: 1, 2, 3, 7 - undsoweiter - alle belegt, aufgeladen, mythologisiert. Die 4 hingegen ist die reine Funktionalität; vier Beine hat der Tisch - und vier Kanten, sagt man sich als Zuschauer, fast jedes Industrieprodukt.

Das Gespräch dauert lang, entzündet sich an Small Talk und ist streng funktional gefilmt. Es führt vom Tresenplausch direkt in die Zone, die schmerzt, in das Unterirdische jeder Gesellschaft, dorthin, wo man das Gespräch beendet, aufsteht und vondannen zieht. In dieser Form bildet es das Auge des Sturms, der sich in den ersten Filmbildern andeutet - und mit dem er - lange, schmerzvoll - enden wird. Weit draußen in der russischen Provinz, in einer Art Kolonie der alten Vetteln, die mit ihren ganz eigenen Psychosen zwischen Stützstrümpfen, gekautem Brot und verwelkten Titten das Leben zur Hölle umformen.

Provinz und Stadt, Straße und tiefste Keller (in denen Tierleichen seit den 60er Jahren gehortet werden - es hat hier 28 Grad unter Null, die kann man noch verkaufen!) - in einer Art Schuss-/Gegenschussverfahren (das ist durchaus wörtlich zu nehmen; wo man hier hinblickt: man will den Blick abwenden) faltet 4 eine eigenartige mentale Karte der gegenwärtigen russischen Gesellschaft auf, ohne dabei aber didaktisch, essayistisch oder gar analytisch vorzugehen; man muss ihm dies danken. Khrjanovsky/Sorokin verfolgen eine Strategie der Eskalation, die jedoch nie das bloße Bersten sucht (die Kamera weiß, was sie tut, immer), sondern, sozusagen, nach Methode einer kontrollierten Sprengung vorgeht.

Das Ergebnis ist das Paradox eines surreal flirrenden Realismus: Quasi-instinktiv /weiß/ man, dass dieser Film sich mit höchster Relevanz zum Zustand des gegenwärtig gärenden Russlands verhält, ohne dass man konkret benennen könnte, wie. Wenn, wie Brecht das richtig gesagt hat, die Fotografie einer Fabrik uns noch nichts über den Kapitalismus sagt, dann zieht 4 - weit abseits bloß abgefilmter Begebenheiten - mit geschliffenem Skalpell tief ins Gewebe einer Gesellschaft, die vor den Trümmern der eigenen Geschichte steht und sich deshalb in Permanenz transformiert. Das Umspannende einer derart disparaten Kultur, die sich vielleicht am ehesten mittels des schönen englischen Wortes vast ausdrücken lässt, versucht 4 in den Blick zu kriegen.

Speaking of Geschichte. Tarkowskij war vielleicht derjenige Regisseur, der einen Moment zumindest der russischen Mentalitätsgeschichte unter Umständen am prägnantesten ins Filmbild übersetzt hat. 4 ist übervoll mit zumindest ikonischen Anspielungen auf sein Werk: Vor allem Stalker und Solaris kommen einem immer wieder in den Sinn. Doch im Unterschied zu dem mexikanischen Regisseur Carlos Reygadas, der sich in Japón ganz offenkundig an die Tarkowskij'sche Ästhetik angeschmiegt hat, sucht 4 nicht die cinephile Liebkosung, sondern betont das Moment des Aufbrechens und der Inversion: Wenn der Gammelfleisch-Sohn nach Hause kommt, fällt der psychotische Hygiene-Vater auf die Knie und schmiegt sein Gesicht an des Sohnes Rumpf - eine ikonisch direkte Umkehrung des Schlussbildes aus Tarkowskijs Lem-Adaption. Und die Hunde rennen draußen vor den Türen über vor Nässe glitzernde Straßen, als wäre die Welt überflutet worden wie die Gemäuer in der Zone, während am nebligen Horizont über winterlich vermatschten Seepfützen die Türme der Atomkraftwerke in sich ruhen.

4 entlässt einen mit Rätseln, Andeutungen, nicht zu Ende gedachten Sackgassen und Ekel allenthalben. Er bietet kein hermeneutisch zu entschlüsselndes "Paket" an, vielmehr lässt er Gedanken fließen, ohne ins bloß delirierende Assoziieren zu verfallen. Eine Welt wird etablert, die ganz alltäglich ist und von der Kamera nie überhöht wird, und doch ist sie bizarr und jenseitig. Momente des Dokumentarischen, fast schon Ethnografischen, stehen neben offenkundig Fiktionalem. Doch alles ist aus einem Guss, folgt einer eigenständigen Syntax. 4 ist einer der spannendsten und vielleicht, was die Filmkunst betrifft, wichtigsten Filme der letzten Jahre.

weiterführende Links:
» imdb ~ offizielle website
» movie magazine search engine ~ movie blog search engine

» kinokultura.com ~ jump-cut.de ~ taz ~ senses of cinema ~ rouge

Zur Erhältlichkeit:
Der auf internationalen Festivals ausgezeichnete und von der internationalen Kritik gefeierte Film ist in Deutschland - wen sollte dies auch wundern - weder im Kino gelaufen, noch auf DVD erschienen. Eine englisch untertitelte DVD lässt sich mittels Eigenimport aus Großbritannien beziehen. In Berlin kann der Film in den Programmvideotheken Videodrom (Kreuzberg) und Filmkunst (Friedrichshain) entliehen werden.


° ° °




Samstag, 13. Januar 2007
11.01.2007, Heimkino; zum Inhalt.



The Omen kam am 06.06.2006 ins Kino. Und man spürt es dem Film in jeder seiner lustlosen, uninspirierten Einstellungen ab, dass er genau für diesen Zweck inszeniert wurde: Um an diesem Tag ins Kino zu kommen. Damit reiht er sich in die Riege jener Filme ein, die über ihre Erstverwertung hinaus fast schon erschreckend an Belang verlieren; man erinnere sich an das Schwarzenegger-Vehikel End of Days, das den okkult bedingten Untergang der Welt anlässlich des Milleniumwechsels zum Thema hatte - und wenige Tage vor dem 31.12.1999 ins Kino kam. Ein Film also, der spätestens am 02.01.2000 so veraltet war wie höchstens noch Brötchen der Vorwoche. Hallo, Gimmickfilm.

Im vorliegenden Fall aber ein Gimmickfilm, der eben außer diesem einen Witz seine Weltpremiere betreffend so gut wie nichts zu bieten hat. Die Kamera steht irgendwo, sie wackelt immer ganz leicht, weil das vermutlich Authentizität suggerieren soll (als ob gerade ein okkulter Horrorthriller von der Authentizität seiner Bilder leben würde!) oder weil es zumindest modisch ist, und die Darsteller chargieren sich mehr schlecht als recht durch abrufbare "Gefühlsgesichter", die so nervig sind, dass man regelrecht froh darüber ist, wenn Frau Stiles endlich der Gravitation zum Opfer fällt und also aus Leben samt Film scheidet. Toll ausgeleuchtet ist zwar jede Falte in den Gesichtern. Nie war Schwärze so konsequent in sie hineingedrungen; allein, es ist egal. Weil dem Film das A und O des okkulten Horrorfilms nicht gelingen will: Das Etablieren von Atmosphäre, die sanfte bis bedrohliche Verschiebung des Raumgefühls - vom Alltag in den horriden Raum.

Dies alles entsteht im Horrorfilm gerade durch den Modus der Inszenierung; weil The Omen aber keine Ahnung hat, und rein gar nichts anderes will, als pünktlich ins Kino zu kommen, und keinen Moment lang noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung einer womöglich vorhandenen Vision (selbst eine gescheiterte wäre ja noch interessant genug) entstehen lässt, ist The Omen - ganz im Gegensatz zur einstigen filmischen Vorlage - ja fast schon als Bravourstück der Klasse "langweiliger Film" anzusehen.

Einzig für den Aspekt des creative killing - hier war schon der ältere Film gewissermaßen ein Meilenstein - ließ man etwas Sorgfalt walten, so dass man zumindest gelegentlich aus dem Schlummerschlaf aufmerkt. Hübsch geraten ist beispielsweise die Abwandlung der legendären "Glasscheibenszene". Drei, vier Inseln ergeben sich auf diese Weise, in denen man den Eindruck gewinnt, dass Mühe aufgewandt wurde; im Großen und Ganzen betrachtet ganz schrecklich vergeudete allerdings.

» imdb ~ angelaufen.de ~ filmz.de

» movie magazine search engine ~ movie blog search engine



° ° °




Freitag, 5. Januar 2007
04.01.2006, CineStar Sony Center.

Im Kino gewesen, indifferent hinausgegangen. Das Schlimmste, was einem Scorsese-Film vielleicht passieren kann, wird wahr: Man verlässt den Saal und zuckt mit den Achseln. Man könnte sich aufregen, man könnte es sein lassen. Schlimmer wird's nur dadurch, dass The Departed nun alles andere als solche Indifferenz zu bezwecken im Schilde führt. Der Soundtrack erzählt davon: Scorsese fürchtet weder Tod noch Lizenzkosten - und so ist der Soundtrack vollgesogen mit Rolling Stones und Pink Floyd, mit wuchtigem Irish-Folk-Punk der neueren Stunde und allem und jedem, was in den 70ern ein Gesicht auf einem Musikmagazin hatte. Das soll knallen, tut es nicht. Was lief da schief?

Eine Antwort fällt schwer. Es mag die Uninspiriertheit sein, die jedem Import-Remake als "Geschmäckle" mit anhaftet, selbst wenn versucht wird, die Vorlage - ein sehr solider Hongkongthriller aus einer Zeit, als auf das Hongkongkino schon nur noch in Ausnahmefällen (sagen wir: Johnny To) zu hoffen war - so irgendwie noch zu bereichern, selbst wenn einem im Grunde doch nichts einfällt. Die Achsensymmetrie aus Infernal Affairs ist nicht genug, es muss zum Ende hin noch ein bisschen mehr Wallung in den Plot, zu seinen Ungunsten allerdings. Der Unterschied schließlich zum Original ist der für das Nicht-Gelingen prägnanteste: Infernal Affairs setzt eine Idee um, spielt sie durch und ist darin so strikt wie konsequent; The Departed formuliert diese Idee nur (schlimmer: formuliert sie nur nach) und stellt sie in den Raum. Ein bisschen Fleisch legt er drauf, den Rest erledigt Ballhaus und der Music Supervisor und beide waren von der Muse nicht unbedingt geküsst.

Ein Film spult sich ab und es ist egal. Selten war ein Scorsese-Film derart mit Brutalitäten vollgestellt. Man beobachtet das zwar und ist doch eher erschreckt von den "Männermännern" im Kinosaal, die jedes Blut-Actionpainting und jedes "Fuckin' fuck" mit einem debilen höhö kommentieren und sich dabei, vermutet man, noch gegenseitig mit den Ellbogen in die Seite stupsen. So unbeholfen ihre Verbrüderung mit dem Film, so orientierungslos wandelt Scorsese durch seinen Stoff, der in Einzelteile zerfällt, für die sich Scorsese bestimmt was gedacht haben mag, doch allein, die Syntax geht nicht auf. Und der Soundtrack deliriert sich ohne Sinn und Verstand von einer Lizenz zur nächsten. Wie vollkommen sinnlos die Songs auch immer eingefadet werden. Am witzigsten überhaupt nur an diesem Film, dass Alec Baldwin hier aussieht wie Sozen-Wowi aus Berlin.

Genauer, treffsicher und lesenswert dazu: Knörers Kritik auf jump-cut.de, bzw. sein Essay für den Perlentaucher.

» imdb ~ angelaufen.de ~ filmz.de

» movie magazine search engine ~ movie blog search engine


° ° °




Freitag, 29. Dezember 2006
Heimkino.

Und die Welt braucht ihn doch, Superman. So jedenfalls lautet, nach viel Behauptung, das Fazit von Superman Returns. Am Anfang sieht das noch ganz anders aus: Fünf Jahre war Superman auf der Suche nach seinem Heimatplaneten Krypton und also für den Rest der Menschheit spurlos verschwunden und gerade Lois Lane, jener seltsamen Geliebten Supermans in jener seltsamen Liebschaft, ist es vorbehalten gewesen, einen Leitartikel zu verfassen, der den Titel Why the world doesn't need Superman trägt. Versteht sich, dass am Ende das Gegenteil behauptet werden muss. Weder den einen, noch den anderen Artikel bekommt man im Detail zu lesen; es dämmert einem: Mit gutem Grund.

Aber jetzt ist er wieder da, weil er zurückkehrt, und dies in Permanenz. Zweieinhalb Stunden dauert diese Rückkehr, die sich Bryan Singer, der in Sachen Comicadaptionen eigentlich einen guten Leumund vorweist, ausgedacht hat. Und alleine für die Feststellung, dass die Welt Superman nicht mehr braucht und Superman daran schwer zu knuspern hat, hat der Regisseur nicht enden wollende 90 Minuten investiert. Das zweifelhafte Kunststück dabei ist, dass Singer zu diesem Thema nicht das Geringste zu sagen hat. Superman Returns brütet so irgendwie vor sich hin, macht ein paar hübsche Mätzchen und lässt Superman-Aspiranten Brandon Routh ein paar altbekannte Sätzchen aufsagen, damit auch die Freunde der alten Superman-Filme was fürs Herz mit auf den Weg bekommen. Den Rest erledigt das glossy image, das hier verdächtig oft zum Pastellfarbenen drängt. Sieht super aus, lässt vollkommen kalt.

Dann folgt etwas Zinnober und mal wieder dräuender Weltuntergang. Verantwortlich hierfür zeichnet natürlich Lex Luthor, Supermans Leib- und Magenwidersacher. Kevin Spacey spielt ihn auf höchst lächerliche Weise. Von der seltsamen Ironie, die Gene Hackman seinerzeit dieser Figur fast schon untergejubelt hat, ist Spacey meilenweit entfernt. Wie überhaupt der ganze, noch hastig in den Film reingebutterte Weltuntergangsplot von allem sehr weit entfernt ist: In seiner betulichen Naivität datiert er glatt auf die späten 30er, frühen 40er Jahre. Jene Zeit also, in der Superman als Pionier ein ganzes Comicgenre ausgehoben hat, das seitdem von unzähligen Figuren bevölkert ist, die mal mehr, mal weniger albern ihren Superkraftbefähigungen nachgehen. Vor allem das Verlagshaus Marvel - Superman stammt ja aus dem Hause DC - hat den Superheld als solchen dabei auf ein neues Niveau gehoben; der Filmgänger kann dies den gelungeneren Comicadaptionen der letzten Jahre abspüren.

Superman Returns aber tut am Ende so, als hätte es nie was anderes gegeben als die infantilen Geschichtchen der frühsten Jahre. Immerhin offenbart sich dabei, dass Superman der vielleicht kulturhistorisch wichtigste, im Detail letzten Endes aber der uninteressanteste aller Superhelden ist. Das Vorhaben Singers, Superman als großen Melancholiker zu etablieren, ist vielleicht wirklich von vorneherein zum Scheitern verurteilt, zumindest aber allemal in der vorliegenden Konzeption. Diesen Superman, sorry, braucht kein Mensch.

imdb ~ angelaufen.de ~ filmz.de



° ° °




Mittwoch, 20. Dezember 2006
Heimkino.

Zum Inhalt:
»Verschlafene Örtchen wie Wheelsy gibt es tausendmal in den USA. Seine Bewohner sind höflich, freundlich und ziemlich normal. Unter der Oberfläche allerdings gedeiht etwas teuflisch Böses. Langsam, verflucht langsam, beginnen sich die Dinge zu verändern. Haustiere verschwinden, und der einflussreiche Grant Grant (Michael Rooker) verhält sich plötzlich äußerst merkwürdig.

Als dann noch das Vieh eines Farmers erschreckend mutiert und eine junge Frau wie vom Erdboden verschluckt wird, stellen Sheriff Pardy (Nathan Fillion) und sein Team Nachforschungen an ... und das hätten sie lieber bleiben lassen sollen. «

[Text: UIP]

Slither ist zunächst eine erfreulich unambitionierte Reprise des vor allem in den 80ern (und da schon unter Rückgriff auf die spröden Horrorfilme der 50er) beliebten Horror-Motivs "Monströses, vorzugsweise aus dem Weltall, infiltriert us-amerikanische Kleinstadt" - Gremlins, Crittert, Blob-Remakes, Raketenwürmer und hassenichgesehen bevölkerten seinerzeit die Leinwände und noch viel mehr Videorekorder. Diesmal sind es kleine, schmierige kackwurst-artige Wesenheiten, die in Leute schlüpfen und von ihnen Besitz ergreifen - Cronenbergs Parasisten-Mörder wird denn auch in einer Sequenz überdeutlich gehuldigt, wenn man schon die Idee fürs Monster von dort klaut. Und es versteht sich, dass ein Film, der auf den Blick der 80er auf die 50er blickt, sich dazu auch irgendwie verhalten muss. Das macht er, indem er sämtliche Subtexte, die aus dem bekannten Stoff mittlerweile extrapoliert wurden, wie warme Brötchen mitliefert. An allen Ecken und Enden kann man "Kenn' ich" sagen und das beliebte Spiel "Spot the reference" mitspielen.

Nur macht Slither in dieser Hinsicht nicht sonderlich viel Spaß (wobei der eine Moment, in dem, wie beiläufig, in einem Fernseher gerade The Toxic Avenger läuft, schon herzig ist); auch als jungsiger Ekelhorror kann er nicht überzeugen. Am Ende gibt's viel Kautschuk und Blut spritzt und egal ist's einem trotzdem. Das ist zum einen an sich schade und zum anderen Symptom dafür, dass die Sparte des Geek-Horrors sich orientierungslos in einer handfesten Krise befindet. Dies wiederum ist bedauerlich, da Geek-Horror, wie sonst vielleicht nur die RomCom, ein bilderspendender Kompass für Jugendliche ist, weshalb man sich, in Anbetracht von Slither, Sorgen um den Nachwuchs machen muss.

imdb ~ angelaufen ~ filmz ~ movie magazine search engine ~ movie blog search engine


° ° °




lol