Donnerstag, 6. März 2014
Heute beim Perlentaucher erschienen: Meine Kritik zum 300-Sequel, das ich wider Erwarten sehr genossen habe.

---------------

Zack Snyders "300", die Verfilmung der gleichnamigen Comicvorlage des um so politisch unkorrekte, wie nervige Kernigkeiten nie verlegenen Rechtsaußen Frank Miller, war eine groß angelegte Peinlichkeit des Kinojahres 2007: Markig im Ton, künstlich im Bild, virtuell das Geschlachte, Geschwafel und Gebrülle. Ein bleiernes Filmerlebnis, das sich zudem noch vom Vorwurf, gleichermaßen xeno- wie homophob zu sein, trotz allen mit übergroßen Strichen gepinselten Überzeichnungen und Verschiebungen ins Camp-hafte, nie so wirklich reinzuwaschen vermochte. Schlimmer noch: In der Zuspitzung seines Kriegspathos, seiner eisernen Reden, seiner digital verplompten Welt wirkte der Film so lustfeindlich, gehemmt in seinen Vektoren des Begehrens, dass der Rezeptionsvorschlag des Films selbst, seine ausgebreiteten Transgressionen wenigstens als Tabubruch lustvoll mitzugehen, abperlte. Ein Lust vergrätzendes Ärgernis, eine gülden-bronzene Albernheit.



Ob es nun also am neuen Regisseur liegt, dass "300: Rise of an Empire" seinen Vorgänger zwar nicht verleugnen kann, aber doch ein wuchtiger Blockbuster im besten Sinn geworden ist? Zack Snyder jedenfalls produzierte das nun vorliegende Sequel "300: Rise of an Empire" lediglich als einer von vielen mit, auch Frank Millers Vorlage "Xerxes" ist noch gar nicht abgeschlossen, geschweige denn veröffentlicht (und alles, was darüber zu lesen ist, klingt nicht so, als hätte es viel mit dem Film zu tun). Stattdessen sitzt mit Noam Murro ein ziemlich unbeschriebenes Blatt auf dem Regiestuhl. Lediglich eine Romantic Comedy, "Smart People", hat er vorzuweisen. Oder liegt es nur an der zwischenzeitlich nochmal deutlich avancierteren Technik, dass dem schon jetzt jämmerlich veralteten, texturarmen Vorläufer nun ein Sequel zur Seite steht, das den bei Snyder ins digital-unverbindliche geschobenen Körper wieder in seiner ganzen Kraft, Agilität und vor allem Verletztlichkeit ins Bild setzt?

Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass "300: Rise of an Empire" mit einer im Blockbusterkino selten geahnten, enthemmten Lust seinen Erregungs- und Affektpotenzialen freien Lauf lässt. Zum Vorteil gereicht es, dass die golden schimmernde Patina aus Teil 1 einer profunden, weihevollen Schwärze weicht, dass der Film über weite Strecken auf einem toll stürmischen Meer spielt und der alberne Monstertand aus Snyders "300" beinahe konsequent ignoriert wird: "300: Rise of an Empire" ist ein Fetischfilm reinsten - oder besser: schwärzesten - Wassers, der eine Lust an allem entwickelt, was körperlich ist und was auf den Körper einwirkt, was ihn fesselt, freisetzt, verstümmelt, zum Bluten und zum Beben bringt; nicht zuletzt den Körper des Zuschauers, der sich - eine entsprechende Soundanlage im Saal vorausgesetzt - inmitten einer stählern dröhnenden Höllenwelt hoch zu Wasser wiederfindet.

War "300" noch der Versuch, eine Geschichte von Soldatenmut zu erzählen, erzählt "300: Rise of an Empire" nur noch nebenbei. Seiner ästhetischen Programmatik ordnet er alles unter: Alles ist Exzess, alles Spielmaterial - Raum, Zeit, Körper, Ding und Wucht, Bewegung. Was in "300" an erotischem Begehren noch albern übergepfropft wirkte, erfährt Konkretion: In jedes Bild schießt ein ekstatischer Überschuss, geradezu gefräßig ist dieser Film, wie er alles einer sehr dunklen Form des Begehrens unterordnet. "Die Ekstase von Stahl und Fleisch" benennt ein Dialog es einmal konkret. Dem folgt eine schön ruppige Sexszene, die zugleich den Nukleus des Films bildet, seinen Mittelpunkt und seine Achse, in der das erotische Spiel nur eine Waffe innerhalb einer militärischen Auseinandersetzung mit schwerstem Gerät darstellt. Und Eva Green, die selten so schön war wie in diesem Film, führt das Regiment in dieser Auseinandersetzung noch dort, wo sie sich dem Schein nach unterwirft. Aus Königen macht sie Götter und Könige bringt sie zu Fall. Den Phallus hält am Ende dieser Sexszene eindeutig sie in der Hand.

"300: Rise of an Empire" ist im Grunde kein Kinofilm, keine Sache der Öffentlichkeit. Eigentlich ist er der Halböffentlichkeit ästhetischer Produktionen zuzurechnen, die konkret und ungefiltert dem körperlichen Begehren entspringen: Eine intimistische Fetisch-Séance in aller Öffentlichkeit, die überwältigen, einen mit ihrer eigenen Logik des Genusses infizieren will. Entsprechend gelten eigene Regeln, die mit denen des Kinos nicht wirklich übereinstimmen. Wie sollte etwa einem Sado-Maso-Porno, in dem erwachsene Beteiligte und Zuschauer die Sache unter sich ausmachen, mit allegemeinen Kategorien und Auflagen moralischen Handelns zu begegnen sein, ohne der Gesamtanordnung im höchsten Maße Gewalt anzutun? Ähnlich verhält es sich mit "300: Rise of an Empire", der durch und durch Fantasie und Wonne am Fetisch ist: Politisch ist dieser Film rundheraus abzulehnen. Aber als überwältigender Fetischfilm macht er verdammt viel Spaß.



Das Uninteressanteste zum Schluss: Gewiss gibt es auch eine Geschichte. "300: Rise of an Empire" wird teils als Prequel, teils als Parallelhandlung des Vorgängers, teils als dessen Fortsetzung erzählt. Quasi: Die nachgelieferte Parallelmontage mit Überhang. Waren es im ersten Teil Computerspiele-Spartaner, die ihr Pixelblut ließen, geht es nun um Protein-Athener, die sich auf hoher See mit der Flotte des Xerxes aus dem fernen Persien herumschlagen müssen. Der Armada voran steht - kalblütig, sardonisch, breitbeinig, ein lüsternes Amalgam aus Eros und Thanatos - Artemisia, die den Griechen und ihren eigenen Männern ordentlich was mit auf den Weg gibt. Gespielt, wie gesagt, von Eva Green, einem dem Cine-Olymp entsprungenen Geschenk der Götter.

____________________
300: Rise of an Empire - USA 2014 - Regie: Noam Murro - Darsteller: Lena Headey, Eva Green, Rodrigo Santoro, Sullivan Stapleton, Jack O'Connell, David Wenham - Laufzeit: 102 Minuten.



° ° °




Donnerstag, 16. Januar 2014
Dieser Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein geachteter Gentleman in den feineren Kreisen im New York des Jahres 1841. Seine Künste als Geigenspieler sind geschätzt, man grüßt ihn auf den Straßen und in den Läden mit zuvorkommendsten Floskeln und hält gerne Konversation mit ihm. Es ist der Traum des gelingenden Lebens, dessen Verwirklichung Solomon Northup und der enge Kreis seiner Liebsten beträchtlich nahe kommen.

Bis er auf die Herren trifft, die Gentlemen zu sein nur vorgeben, ihn dann unter Drogen setzen, demütigen, auspeitschen und in den Süden nach New Orleans verkaufen. Denn Solomon Northups Hautfarbe ist dunkler als ihre. Das Scheusal, das ihn als erstes in einer ganzen Reihe von Scheusalen mit der Peitsche malträtiert, prügelt es ihm gehörig ein: "Ich bin ein Sklave", soll Northup sagen. Zum Sklaven ist man nicht geboren, zum Sklaven wird man gemacht. [weiterlesen beim perlentaucher]



° ° °




Mittwoch, 15. Januar 2014
Aufstieg und Fall eines Mannes, der seinen Ambitionen manisch nachgeht und sich und seine Welt dabei in den Abgrund reißt: Ein wiederkehrendes Thema in den Filmen des amerikanischen Meisterregisseurs Martin Scorsese, etwa in seinen epischen Mafiafilmen "Goodfellas" (1990) und "Casino" (1995). Wenn er dieses Sujet nun neuerlich aufgreift und mit der wahren Geschichte des schillernden Aktienhändlers Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) verknüpft, der sich in der New Yorker Finanzbranche in den 1980er- und 1990er-Jahren ein Vermögen – unter anderem mit dem Verkauf von wertlosen "Penny Stocks" – ergaunerte, lässt sich dies vor dem heutigen Stand der Dinge auch als Statement lesen: Jenen Berufsstand, dessen unverantwortlich habgieriges Handeln 2008 die globale Finanzkrise verursachte und zahllose Menschen weltweit in die Armut stürzte, verortet Scorsese damit von vornherein in der Nähe des organisierten Verbrechens. [weiterlesen bei fluter]



° ° °




Mittwoch, 11. Dezember 2013
Unterm Goldschatz schlummert der Drache. Noch bevor man das CineStar im Berliner SonyCenter betritt, wo die Pressevorführung von Peter Jacksons zweitem Hobbitfilm stattfinden soll, ist man in Mittelerde, genauer: im Einsamen Berg, in dem ein Drache vor Jahr und Tag eine Zwergenstadt erst ausgeräuchert und dann deren prächtigen Goldschatz in Besitz genommen hat, weshalb nun eine Horde von 13 Zwergen samt Hobbit Bilbo Baggins (Martin Freeman) unter gelegentlicher Begleitung von Gandalf (Ian McKellen) quer durch Mittelerde stapft, um, nunmehr schon im zweiten von insgesamt drei Teilen, zurückzuholen was einst fest in Zwergenhand war. Zur Premiere am Vortag hat die Marketingabteilung was springen lassen: Ein prächtiger Plastikdrache lugt aus einem noch prächtigeren Plastik-Goldschatz, der Schriftzug des Franchise prangt funkelnd über allem. Während einen Steinwurf weiter die Buden vom Weihnachtsmarkt im herbstlich-nassen statt winterlich-romantischen Berliner Dezember ein eher kärgliches Bild bieten, klotzt man im SonyCenter richtig ran mit dem Weihnachtsprunk. Ein Event, ein Film, der sich über die Grenzen des Kinosaals hinaus auf die Stadt legt, der darin aber auch unmissverständlich klar macht: Man kann gegen ihn eh nicht anschreiben. Und man kann es wirklich nicht. [weiterlesen beim perlentaucher]



° ° °




Samstag, 7. Dezember 2013


Llewyn Davis (Oscar Isaac) ist ein Mensch, für den es keinen Ort gibt. Wohnungslos, mit Hundeblick und allenfalls dürftigen Klamotten angesichts der Witterung im winterlichen New York des Jahres 1961 zieht der Folkmusiker tagsüber durch die Stadt und in der Nacht über die Sofas arrivierter Gönner (in deren Wohnungen er so deplatziert wie schusselig wirkt) und prekärer Musikerfreunde (die davon wenig begeistert sind). Und schlimmer noch, nicht einmal die Zeit ist auf seiner Seite: Seine Lieder, verinnerlicht im legendären Gaslight Café vorgetragen, nehmen zwar bereits die Wende innerhalb der populären Musik von zuvor industriell normierten Standards hin zu einer Ästhetik des authentischen Ausdrucks einer Künstlerpersona vorweg, doch historisch betrachtet genau jene eine entscheidende Millisekunde zu früh, um als Pionier in die Geschichte einzugehen. Schon wenig später wird diese Art der Musik, genau von dieser Spielstätte aus, auf Jahrzehnte weithin Wellen schlagen - bis hin zum heute wieder sehr optionalen Modell des Singer-Songwriters. Den zentralen Impulsgeber, Bob Dylan, sieht man ganz am Ende dieses Films auf derselben Bühne spielen wie zuvor Llewyn Davis, der in diesem Moment hinter dem Schuppen liegt wie ein geprügelter Hund in der Gosse. Schon im März 1962 kommt Dylans Debütalbum auf den Markt, Llewyn Davis ist da längst vergessen. [weiter beim perlentaucher]

Sowie nur kurz, da der Text knapp und der Film übergehenswert ist: Meine Besprechung zum Carrie-Remake in der taz.


° ° °




Donnerstag, 28. November 2013
Fernsehaufnahme - [8/71] - weitere Stills



Erst ist da ein wahnwitziger Einbruch, irgendwo in luftiger Höhe auf den Stalinbauten der Karl-Marx-Allee. Und dann plötzlich: Vierziger, vielleicht auch Fünfziger. Sperling beim Barbier, jecker Big-Band-Swing spielt - eh schon die ganze Zeit - in der Luft, alles Vintage - der Barbier, der Rasierschaum, die Plakate an der Wand, der beknackte Überfall plötzlich zwischendrin, die ganze Erzählwelt: Friedrichshain, Ost-Berlin, eine Welt, die im Grunde noch so aussieht, wie sich das deutsche Erzählkino gerne die 40er imaginiert, oder die 50er. Aber die Kulisse ist authentisch: Gedreht wurde 1996, ausgestrahlt 1997. 1997 kam ich selbst nach Friedrichshain, viele Locations liegen keine fünf Minuten Fußweg von meiner Wohnung weg. Und ja, verdammt, so sah Friedrichshain aus, damals, jetzt bei weitem nicht mehr: Kaputt, rusig, mit beigem Ostblock-Boiler im ungekachelten Badezimmer. Eine Welt, die immer noch ein bisschen so wirkte, als hätten die alten DEFA-Filme einfach ihre Kulissen in der Stadt stehen gelassen. Und überall, wirklich überall: Baustellen, Bausand, Bauschutt. Eine Stadt wird aufgerissen, umgegraben, später dann auch: neu gebaut. Die Zierfische am Frankfurter Tor gibt es nicht mehr, der Schriftzug ist musealisiert.

Drehbuch: Rolf Basedow. Das heißt, man kennt die Themen, um die es am Ende gegangen sein wird, auch aus seinen Filmen für Dominik Graf: Drogen, Prostitution, Milieu. Hier noch ohne Russen. Mittendrin: Ein gehetzter Ex-Boxer, Ex-Knacki. Ein Film über Gezeichnete: In der Riege der Nebenfiguren tragen bald viele Grind im Gesicht. Und es gibt eine fragile, geradezu papierene verlorene Seele: Meret Becker, ungeheuer sexy und Ehefrau des Ex-Boxers, die ihrem Dealer gegenüber "freundlich" ist, um den nächsten Schuss zu sichern. Und ab und an gibt sie auch Tipps.



Nicht alles will wirklich wie es soll. Aber schön ist diese Geschichte doch - und im Grunde könnte sie, was hier nur positiv gemeint sein soll, auch aus einem billigen Groschenheft, einer Pulp Novel aus den 40ern stammen. Nicht so sehr, weil der Ermittler, Sperling, sonderlich hard boiled wäre, ganz im Gegenteil ist er auf tapsig-schöne Art und Weise fast schon mütterlich im Umgang mit den Schwerenötern. Aber die Mischung aus billigen Buden - Meret Becker wohnt in der Butze direkt überm Kino Intimes, wo man heute wahrscheinlich totalsaniert, teuer und bio lebt - und billigem Leben, das Milieu zwischen Boxer, Kirmes-Wachhund, Bruch-Jungs und alten Kneipen atmet schwer das Pathos von Noir-Existenzialismus.



Doch der wahre Hauptdarsteller - dieser Folge, aber (soweit ich sie kenne) vor allem auch dieser Krimireihe - ist ohnehin das Berlin der 90er, kurz vor der eigentlichen Wende in dieser Stadt, die sich verzweifelt auf Repräsentation zu trimmen versuchte, während sie im Grunde abrissreif war. Es ist wirklich der Wahnsinn, ja, man glaubt es kaum, wie in dieser Welt alles vor Vergangenheitsschutt stinkt. So fühlte sich das an, als ich, Landei aus dem fränkischen Dorf, wegen Punk und Hardcore durchaus an Siff gewohnt, aber eben doch sehr aufgeräumt aufgewachsen, '97 meine ersten Schritte durch dieses und die benachbarten Viertel tat. Was für ein Anblick für verwöhnte Wessi-Augen.

Seit 2001 wohne ich nun in dieser Wohnung. Mein Badezimmer ist noch immer ungekachelt.

--------------------
Sperling und der gefallene Engel - Deutschland 1997 - Regie: Kai Wessel - Mit: Dieter Pfaff, Benno Fürmann, Petra Kleinert, Meret Becker, Sylvester Groth, u.a. - ca. 89 Minuten


° ° °




Freitag, 25. Oktober 2013
(Hier in der Mediathek.)

Für den Perlentaucher bespreche ich den tollen neuen Tatort von Dominik Graf, der am kommenden Sonntag, den 27.10., im Ersten ausgestrahlt wird. Hinweis vorneweg: Der Text war schon recht lang, deswegen habe ich mir den Hinweis auf den Drehbuchautor noch irgendwie verkniffen. Was bei Graf, dessen Werk sich sehr eindeutig nach Autorenkollaborationen einteilen lässt, im Grunde gar nicht geht. Dies umso mehr, da hier wieder eine Zusammenarbeit mit Bernd Schwamm vorliegt, bei dem Graf, wenn man denn so will, quasi in die Schule gegangen ist: Schwamm zeichnete für viele Fahnder-Episoden an der Schreibmaschine verantwortlich, darunter folgerichtig auch Grafs erste Arbeiten im Polizeifilm, sowie für Grafs Tatort-Einstand, den Schimanskifilm Schwarzes Wochenende. Fernerhin war Schwamm am Drehbuch von Grafs Deine besten Jahre beteiligt (eine meiner noch zu schließenden Lücken).



München im Fast-Forward-Modus: Die Wolken rasen, die Zeit rast, die Stadt rast, gräbt sich auf, weidet sich aus - und spuckt dabei eine ganz eigene, dunkle Geschichte in Form einer Leiche aus. Und rast die Stadt, im Panorama betrachtet, noch so sehr dahin, so erstickt sie doch in der Ameisenperspektive an sich selbst: Da ist Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), der mit dem Auto nicht ein, noch aus weiß: Einbahnstraßen, Baustellen, verwirrende Navi-Angaben - urbaner Entropietod. Parallel und als Kakophonie hektisch darüber gelegt: Verhandlungen über das Wie und Ob stadtbaulicher Maßnahmen - rhetorische Standardfloskeln, Empörungssignale, die der Absicherung der eigenen Position dienen, Vorwurfrituale, die nicht um die Klärung des Sachverhalts bemüht sich, mithin asiger Profi-Sprech, der die Schicksale der Menschen, die in den Ecken leben, um die es geht, noch im engagiertesten Parlare eiskalt zum Verschwinden bringt (wenn man genau hinhört, hört man mitten in dem verwirrenden Konzert der Stimmen Regisseur Dominik Graf selbst das Wort schwingen).

Kurz: Ein Dominik-Graf-Furiosum, wie es im Buche steht, in dem sich Schichten um Schichten auftürmen und gleichzeitig dekuvrieren. Atemlos, ausufernd, mit einem fahrigen Zoom, von dem sich kaum sagen lässt, ob er nun gierig auf die Leute ist, die er aus der Welt schneidet, oder schlicht panisch gehetzt. Mittendrin: Immer wieder kleine Vignetten, Spielereien, Ablenkungsmanöver, Partikel, die aus dem blanken Leben in den Sonntagabendkrimi schießen: Einmal rennt ein Typ im Skelettkostüm johlend durch die Straßen, ständig stellen die Leute ihren Kaffee in den Kühlschrank (oder schauen nach, ob einer dort drinsteht), bei einem Verhör fallen einer Frau die drallen Brüste aus dem Morgenmantel. Die sozialdemokratische Behäbigkeit, die man dem "Tatort" gerne vorwirft, hat Graf seinem Film gründlich ausgetrieben.



Die Leiche in der Münchner Baugrube führt tief hinein in die Geschichte Münchens - in die Geheimnisse einer Stadt. Da ist eine Villa, in der die alte Frau Magda Holzer (unfassbar großartig: Erni Mangold), einst als Zirkusprinzessin mit Gewehr zur Berühmtheit aufgestiegen, mit burschikoser Geste und notfalls mit dem Gewehr ihren Haufen von einer dysfunktionalen Familie gerade noch so zusammenhält - bei der Leiche, stellt sich bald heraus, handelt es sich um ihren seit geraumer Zeit verschwundenen Sohn Florian. Da ist ihr zweiter, fahrig-nervöser Sohn Peter (Martin Feifel), dem die alte Holzer schon mal mit "Depp" übers Maul fährt - und Liz (Meret Becker), die mit beiden Söhnen ein Verhältnis hat, Leitmayr an einer Stelle ziemlich großartig auf der Nase herumtanzt und beim Verhör Spagat macht, nachdem sie von Grafs Regie mit Blut überschüttet wurde. Aus diesem Sumpf zwischen Großbürgertum und Familienneurose führen die Spuren ins Milieu der kroatischen Faschisten, in die unmittelbare Nachkriegszeit und hin zu einer zweiten Leiche, während der Grund, auf dem die Villa steht, buchstäblich ins Wanken gerät und die Stadt angesichts steigender Mieten zusehends zu brodeln beginnt.

So kann man einen "Tatort" also auch drehen: Wendig, schnell, die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz fordernd (am Ende springt der Film schon mal kurzatmig in den Rückblendenmodus), mit einer großen Lust an Pulp und Genre und einer erheblichen Freude an der Physiognomie der Darsteller, in die sich Alexander Fischerkoesens Kamera geradezu vernarrt. Einmal mehr huldigt Graf seinen großen Leidenschaften: Dem italienischen Genrekino, den abgefahrenen "Kommissar"-Episoden von Zbynek Brynych - kurz: Korrespondenzkino im Fernsehfilmformat, das hinter den Bildern filmhistorische Verbindungen und Verstrebungen freilegt.



So hängt in einer Szene das italienische Kinoplakat von Wolfgang Beckers "Ich war ihm hörig" (1958), "Nude per il Diavolo" an der Wand - "nackt für den Teufel" lautet der verheißungsvolle italienische Verleihtitel, grell und spektakulär ist das Poster, das man ersten Blickes so gar nicht mit dem deutschen Kino der 50er Jahre in Verbindung bringen würde. Aber offenbar gab es hier Allianzen, die weiter führen, ins bundesrepublikanische Fernsehen der 60er bis 80er Jahre, in dessen Dienste sich Wolfgang Becker, auch so ein Verschütteter des deutschen Kinos, vom "Kommissar" über den frühen "Tatort" bis hin zum "Alten", "Derrick" und der zwar onkeligen, aber zuweilen auch schon verspielten Serie "Polizeiinspektion 1" stellte.

Wenn man nur lange gräbt, kommen irgendwann die verscharrten Leichen, aber auch die verschütteten Geschichtsverläufe ans Tageslicht. Und für Deutschland, wo man sich der Leichen schon immer schnell entledigt hat und bis heute stets darum bemüht ist, alles, was aus der Vergangenheit ins Hier und Jetzt ragt, dem Stadtbild auszutreiben, damit am Ende alles, was es nicht verdient hat, geschmeidig aussieht, gilt das im besonderen Maße. Auch (aber nicht nur), weil er sich mit allem, was er aufbringen kann, gegen diese Tendenzen stellt, zählt Graf zu den besten und wertvollsten Filmemachern hier im Land. Und sein Tatort "Aus der Tiefe der Zeit" ist sein Geschenk an jenes Publikum, das sich vom Sonntagabend mehr erwartet, als verschnarcht betüttelt zu werden, und willens ist, seine dem Sonntagabendkrimi untergejubelte Flaschenpost zur Kenntnis zu nehmen.



-------------------
Tatort: Aus der Tiefe der Zeit - Deutschland 2013 - Regie: Dominik Graf - Drehbuch: Bernd Schwamm - Darsteller: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Meret Becker, Erni Mangold, Martin Feifel, Misel Maticevic, Susanna Kraus - Laufzeit: 90 Minuten.


° ° °




Mittwoch, 16. Oktober 2013
Man darf sich fragen, was mit den Geistern und Dämonen, die einst aus der Laterna Magica vors nackte Auge traten und schließlich in den Insuffizienzen und Defiziten der chemo-optischen, späterhin elektronischen Medien westen und hausten, geschehen soll, wenn sich die hochauflösenden Medien mit ihren hyperrealistischen, auf die vollständige Abtastung und Erfassung ihres Gegenstands abzielenden Bildern bald endgültig durchgesetzt haben werden. Wo nichts mehr rauscht, wo kein chemo-photographischer Prozess mehr Bilder eigenen Rechts hervorbringt, wo der Grad der Einschreibung des Mediums ins Bild zusehends in den Hintergrund und der Traum vom komplett durchlässigen Medium zum Greifen nahe rückt, ist ein beispielloser Exorzismus im Gange, der die Entitäten übernatürlicher Art akut mit Obdachlosigkeit bedroht. [weiter beim perlentaucher]



° ° °




Deutschland als Abmantelung, als Kokon, als Wundschorf. Eine abgeschottete Finsterwelt mit blasierten, ihren Ekel mit aasig-selbstgerechtem Grinsen vor sich hertragenden Menschen, aber auch solchen, die es immerhin, wenn auch etwas betulich, gut meinen. Der engagierte Lehrer etwa, der den unbekümmerten Wohlstandskindern wenigstens den Hauch einer Ahnung von Geschichte mitgeben will, da hier vor nur 70 Jahren noch massenhaft Menschen ins Gas geschickt wurden. Dieser Schrecken ist aus dem Alltag gründlich getilgt: Die Städte sind frisch herausgeputzt, die Autobahnen frisch asphaltiert, die Trümmer und Leichenberge unters Wirtschaftswunder gefegt. Was, Deutsche? Doch nicht wir. Womit man sich der deutschen Geschichte entledigt, zum lässigen Savoir-Vivre aber gerade nicht findet, sondern bloß zur deutschen Tugend der Verkniffenheit. [weiter bei der taz]



° ° °




Donnerstag, 3. Oktober 2013


[...] Vorschnell könnte man sagen: Ein Amalgamfilm, der sich in der Kinogeschichte frei bedient. Der Vorwurf ist nicht ganz falsch, verfehlt aber den Kern der Sache: Cuarón dampft - eine Wohltat nach all den storymäßig überfrachteten Blockbustern der ausklingenden Saison - seine Geschichte aufs Minimum ein - ein technischer Einsatz in 600 Kilometer Höhe wächst sich zur existenziellen Meditation übers nackte Überleben aus -, setzt Science-Fiction-Partikel und -Anschlüsse gerade so ein, dass sie offenkundig werden, nicht aber zum Wesenskern, und konzentriert sich - dergestalt abgesichert, dass man sich immer noch im für die Refinanzierung des Ganzen so wichtigen Unterhaltungskinosegment befindet - im wesentlichen auf die zentralen Achsenelemente des Kinos: Zeit und Raum - in einem Film, in dem erstere sich in zuletzt im Mainstream selten gesehener Konsequenz als intakte Nahezu-Echtzeit der Realität des Zuschauers annähert, während zweiterer jeglicher Verlässlichkeit des Alltagsempfindens komplett entbunden ist. [weiterlesen beim perlentaucher]





° ° °




lol