Sonntag, 14. November 2004
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Die beim Hören ihres Livealbums unweigerlich entstehende, überwältigend große Lust, diese Band endlich, ja endlich mal wieder live erleben zu können. Viel zu lange ist es hier.


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Thema: Hoerspiele
Erst jetzt, im Radio, drauf aufmerksam geworden, leider einen Tag zu spät: Gestern tagte zum 5. Mal Plopp, das Forum für die unabhängige Hörspielszene Berlins, in der Akademie der Künste. Deutschlandradio stellte das Programm vor wenigen Tagen vor (hier im Audio-on-Demand von Deutschlandradio als mp3) und präsentiert hier, ebenfalls als mp3, ein Fazit danach. Das nächste Jahr: Bin ich dabei! (zumindest im Publikum)

(schöne Idee übrigens, dieses Audio-on-Demand)


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Thema: comics
Spirit von Will Eisner erschien erstmals im Jahr 1940, mit dem das goldene Jahrzehnt der Superhelden begann. Der Spirit ist ein irrtümlich für tot gehaltener, markiger Polizeibeamter, der von seinem Geheimversteck auf dem Friedhof aus die Charade aufrecht erhält und von dort aus (geringfügig) maskiert auf Verbrecherjagd geht. Ein Superheld ist er deshalb im eigentlichen Sinne nicht, seine Waffen sind Witz, Erfindungsreichtum und körperliche Agilität - Superkräfte hat er keine, trotz vorhandener orgin story. Darin ähnelt er Batman, doch unterscheidet er sich auch von ihm durch sein lebensbejahendes Auftreten als Bon Vivant und Charmeur. Entsprechend ähnelt sein "Höhle" unter den Gräbern eher einem attraktiven Apartement als der bizarren Tropfsteingrotte, in der Batman dunkelnd über seine Lebenstragödie sinniert. Überliefert ist es wohl auch, dass Will Eisner die an Zorro erinnernde Maskierung nur widerwillig und als Zugeständnis an seine Vorgesetzten mit ins Spiel brachte.

Virilität, Witz, Charme, adrette Kleidung und stets den richtigen Spruch auf den Lippen: Keine Frage, Spirit hat seinen Ursprung in den eher etwas harmloseren Pulp Novels, in kleinen Gaunergeschichten um schnell gedrehte Dinger und ehrenvolle Polizisten. Es herrschen satte, knallige Vierfarbbilder, der Film Noir hat die Welt noch nicht aus den Angeln genommen. Doch deuten sich dessen Schattenwelten in Spirit bereits an: Über mehrere Ausgaben hinweg steht dem Helden ein handfester Mordverdacht im Wege, der ihm die Arbeit erschwert. In den Hafengebieten tummelt sich bereits allzu scheeles Pack und im Verlauf der Reihe werden die Blickachsen der Panels gewagter, das Geschehen verzerrter. Handelt es sich in den ersten Stories noch um kleinere Gaunereien, die der strahlende Held mit linker Hand zu lösen weiß, mehren sich bereits nach einigen Monaten Geschichten um sprechende Affen, verrückte Wissenschaftler, Femmes Fatales und Politiker, die für Ämterposten zu Mördern werden. Eine Folge gibt es, da gerät der Spirit gar zur bloßen Randfigur und zum ahnungslosen Beobachter von einigen Phänomen, deren Ursachen ihm weitgehend verborgen bleiben: Das Böse richtet sich in dieser selbst und dem guten Helden bleibt nurmehr das konstatierende Schlußwort, dass es manchmal keines Spirits bedarf, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Der Charme des Serials hat vor allem zweierlei Ursprünge: Zum einen die Stories selbst. Auf wenigen Seiten werden Räuberpistolen aus der Wunderwelt des Pulps entwickelt, für die manch andere ganze Hefte füllen müssten. Oft nur umrißartig, geradewegs skeletthaft werden diese knalligen Stories präsentiert, wie die Essenz aus einschlägiger Literatur sozusagen. Ein Herz für Schund- und Trivialkultur ist deshalb für den Genuss unweigerlich vonnöten (schon alleine, um das Konzentrat mit Fleisch zu füllen). Aus dieser Raumbegrenzung folgert das zweite Faszinosum: Die Kunst der Form, die hier ganz dem Inhalt dient. Eisner ist, wenn man so will, der erste große Comicästhet und wie er den Ausdruck dieser Kunst mittels einer an sich trivialen Story aus Niveau brachte, ist schlicht fabelhaft. Wer auf wenigen Seiten solche zwar in sich teils recht komplexe Miniaturen vermitteln will, muss notgedrungen organisieren, straffen, wirtschaftlich denken: Bei Eisner wachsen die Panels über sich hinaus, gehen untereinander Bündnisse ein, Einschübe, Schnitttechniken, Verdichtungen, aber auch Weglassungen ergeben eine Strukturierung und ästhetische Vermittlung des Geschehens, die seinerzeit atemberaubend gewirkt haben muss und auch heute noch beeindruckend ist. Eisner mag vielleicht nicht der erste gewesen sein, der die weiße Fläche zwischen den Panels nicht als unerhebliche Zwangsläufigkeit der Form, sondern als mitkonstituierenden Aspekt derselben wahrnahm, aber sicher war er der erste, der die Thematisierung und Nutzung dieser Fläche (und sei es nur durch ihre Weglassung oder Überbrückung) zur grundlegenden Methode emporhob.

Es macht große Freude in diesen Stories zu blättern, sich darin zu versenken und ästhetischen Genuss darauszuziehen. Dass sie schon über 60 Jahre auf dem Buckel haben sollen, ist angesichts ihrer ungeheuren Bild- und narrativen Dynamik eigentlich kaum zu glauben. Fast jede Seite ist noch ein kleines Kunstwerk für sich, das man gerne groß kopieren und sich an die Wand hängen möchte. (In der Tat der kurze Gedanke, genau dies mit einer besonders liebgewonnenen Geschichte zu machen, um damit meinen doch recht langen Flur etwas aufzupeppen.) Sie sind kleine Zeitreisen in die Geschichte des Comics und in eine charmante Genrenaivität, die heutigen zynischen Zeiten - been there, seen it all, done it twice - ziemlich abhanden gekommen scheint.

links: perlentaucher


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Volker Pantenburg von new filmkritik hat Francois Ozons neuester Film 5x2 (filmz.de) nicht sonderlich gefallen. Der Film, offenbar (ich habe ihn noch nicht gesehen und zweifele auch, ob dieses Textes, an der Dringlichkeit, diesen Umstand zumindest in naher Zeit zu ändern, weil, freilich, irgendwann sollte man ihn dann doch gesehen haben) nur eine Drehbuchspreizerei, wie sie in letzter Zeit populär ist, erzählt eine nicht gut enden werdende Liebesgeschichte eliptisch von hinten und gelangt vermittels dieser Organisation dann doch an sein Happy End, das, natürlich, an sich lediglich den Beginn der Liaison darstellt. Ganz pikant jedoch, und dies macht Volkers Text hinweisenswert, der Gedanke, der sich zum Ende des Filmerlebens und deshalb auch in den des davon berichtenden Textes heranschleicht, dass es doch spannend wäre, ertränken beide Liebenden zu Beginn ihrer Leidenschaften, der das Ende des Films markiert, ganz einfach in dem See, in dem sie gerade umherschwimmen.

Das ist in der Tat ein Film, auf den ich von nun an warte!


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Über allem liegt das kalte, diesige Grau eines trockenen Novembersonntags. Volkstrauertag ist heute; das wüsste ich selbst nicht, das Radio hat es mir am Morgen beim Kaffee gesagt. Aber das interessierte mich nicht, also habe ich es vergessen. Deshalb stehe ich jetzt hier, am Boxhagener Platz, erwartet hatte ich das emsige Flohmarkttreiben, das hier allsonntäglich zu beobachten, zu erleiden, zu genießen ist, aber nichts dergleichen: Der Platz ist so karg wie der ganze Tag. Volkstrauertag, vermutlich deshalb, denke ich kurz, als ich mich wieder an die entsprechende Information aus dem Radio erinnere. Kein Flohmarkt, kein Treiben, keine schmuddeligen Bücherkisten mit kleinen und auch größeren Schätzen. En contraire, der Platz stellt seine weiß-grauen Flächen aus, wie sonst nie, das Grün in seiner Mitte: abgeriegelt, eine große Tafel klärt das Bauvorhaben auf, irgendein Bauarbeitermonstermobil steht herrenlos herum.

Doch egal, es ist noch vor Mittagszeit, ich bin schon eine ganze Weile wach und überdies kein Kind von Traurigkeit. Ich genieße es, im fast menschenleer gefegten Kiez für einen Moment so dazustehen, nicht zu wissen, was mit dem angebrochenen, nunmehr sinnlos erscheinenden Gang aus dem Hause anzufangen ist, und entschließe mich kurzerhand zu einem Spaziergang durch den Kiez und seine karge Novembersonntagmorgenwelt, sinnfreie, müßige Beobachtungen anzustellen. "Dieser Tag gehört nur Dir allein", hauchen, später: schreien, Dawnbreed in einem wunderbaren Song, der mich seit meiner Jugend Blüte an Morgen wie diesen (manchmal auch: an Morgen nach Nächten wie jenen) stets im Geiste begleitet.

Friedrichshain lässt sich, in dieser Ecke, als große Galerie begreifen. Überall gibt es was zu sehen. Nicht im Sinne des Ausdrucks natürlich, denn sensationslüstern geht es hier nur selten zu. Es gibt was zu sehen für jene, die Freude am Sehen haben, die nicht vom Anblick erschlagen werden, sondern einen solchen, der sich lohnt, ausfindig machen wollen. Ich beginne umherzustreifen und erstmals wieder seit langer Zeit (im Sommer war ich oft hier nachts unterwegs, aus gleichem Grund) erbllicke ich, befreit von der Zweckhaftigkeit meines Weges, das Viertel (oder besser: diese Ecke desselben) mit, in der Tat, wachen Augen. An den Wänden erblühen Generationen von Werken der Straßenkunst, die sich zunehmend komplexer gestalten (dies erschließt sich freilich nur dem, der das oft Aufregende, was hier an verfallenen Fassaden wuchert, über längere Zeit mitverfolgt). An manchen Gemäuern ist die Farbe kaum mehr auszumachen, dafür befinden sich darauf Dutzende, Aberdutzende kleiner Xerox-Art-Artefakte, die sich ergänzen, kommentieren, Strukturen in das Zettelchaos bringen, die doch nur die Strukturlosigkeit zum Thema haben. Oft und gerne bleibe ich stehen, fasziniert von dem Einfallsreichtum, mit dem sich Künstler jenseits von Kulturbetrieb, Museumsmuff und Fördergremien mit dem wenigen, was hier - jüngster Wahlbezirk Deutschland, überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, Copyshops mit lachhaft kleinen Preisen - greifbar ist, aufschwingen, um Kreatives zu leisten, dem die eigene Vergänglichkeit, der eigene Ursprung aus Abfall der Populär-, Reklame-, was-weiß-ich-Kultur in jeder Nuance eingeschrieben ist.

Ich entdecke einen Hinweiszettel, auf dem der neue, sehr sympathische Buchladen Lit.List in der Mainzer Straße von einem öffentlichen und wöchentlichen Treffen in seinen Räumlichkeiten jeden Donnerstag Abend um 20 Uhr erzählt und alle Schreibenden, die das Zeug zum Vorlesen haben, herzlich einlädt (Buhrufer sollen, so der Zettel weiter, indes zu hause bleiben). Ich mag das, dass dieser Zettel überall hängt, die Möglichkeit dort donnerstags einfach hinzugehen, nur zwei Ecken weg von meiner Wohnung, das Gefühl, dass das genau hier ist, genau jetzt, ohne diesen ganzen Hippness-Scheiß, der sonst an here and now zu hängen pflegt. Ob ich hingehe, weiß ich nicht. Aber es ist schön, davon zu wissen, dass Menschen voller Leidenschaft andere, in dieser Hinsicht Gleichgesinnte suchen. Mit einem Zettel an einem Baum, an einer Wand, an Abfalleimern, die so zum zentralen Ort des öffentlichen Austauschs werden.

Und dann der ganze Abbruchcharme dieser Ecke. Kaputte, rusige Fassaden, abgeplatzter Putz, schäbige Antiquariate, die noch versuchen dem, was andere achtlos wegwarfen, einen schnellen Euro zum Leben abzuringen. Ich erinnere mich, wie ich selbst vor langer Zeit hierherzog, aus dem sauberen Franken/Westdeutschland, wie ich damals, 19jährig, geradewegs abgeschreckt war von diesen Insignien des Verfalls (die in den letzten Jahren weniger wurden, leider), wie ich mich lange Zeit weigerte, daran Gefallen zu finden, obwohl ich weiß Gott kein Spießerjunge war, und wie ich mich irgendwann dabei ertappte, das alles, dieses Spezifische dieser Gegend, bereits seit langer Zeit mit der Selbstverständlichkeit des heimisch Gewordenen zu lieben, ohne mir dabei des Bruchs dieser Ansicht bewusst gewesen zu sein. Heute, an diesem frösteligen Tag, um diese Zeit, liebe ich das Ambiente wieder ganz besonders. Ein kleiner Rumpelladen an der Ecke hat ein Akkordeon im Schaufenster hängen, das ich kurz näher beobachte, daneben wieder abgefledderte Straßenkunst. Diese Kreuzung hier mag ich, den "Feuermelder", eine abgeranzte, unheimlich charmante Kneipe, in der es gerne mal laut wird, im Rücken, ganz besonders.

Ich manövriere mich von Zeichen zu Zeichen, mäandere durch die Vertrautheit dieses Soziotops, denke kurz an die Situationisten, die das ziellose Umherschweifen als politischen Akt zelebrierten und frage mich kurz, ob das überhaupt die Situationisten waren. Egal. Eine andere Wand zeigt sich neu bemalt, die Hauseigentümer waren der wilden Zuständ' darauf wohl überdrüssig. Eigentlich beklagenswert, könnte man meinen, doch ich weiß es besser, denn nichts in dieser Ecke ist von Bestand und in spätestens drei Monaten wird die Wand wieder in alter Pracht erblühen, voller Schmierereien mit orthografisch zweifelhaftem Inhalt, ambitioniert-wilder Straßenkunst und Plakaten, die auf wundersame Ereignisse der nächsten Zeit in den lokalen Kleinclubs und dergleichen hinweisen. Bis dann wieder zuviel Farbe übrig ist und ein neuer Anstrich gewagt wird. Das Spiel vom Hasen und dem Igel.

Ich sehe mich satt an allen Ecken, gehe zufrieden nach Hause, fröstele etwas, da ich über meinem T-Shirt nur eine Kapuzenpullover trage. Ich denke mir, dass das zu diesem Tag passt, schüttele mich und weiß einmal mehr: Ich liebe diesen Flecken Erde von ganzem Herzen.


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