Montag, 22. November 2004
Thema: Hoerkino
Das ist sicher tragisch für die Musiksenderkultur. Andererseits komme ich nicht umhin zu denken, dass das auch der Anfang von was sein kann: Die Fronten sind geklärt, die Paläste gesichert, draußen das musikalische Proletariat. So geht Sturm auf die Bastille: Es wurde viel zu lange gekuschelt, viel zu lange war alles fluffig nett und nach dem Meeting noch schnell einen Milchkaffee bei den Hackeschen Höfen. Dieses legere Alles-Wurscht ist nun vorbei: Biografien wurden umgeschmissen, die Butter wird dünner auf dem Brot. Befreit vom Speck der Chefetage kann nun wieder auf die Kacke gehauen werden: Die Zutaten liegen überall bereit, man muss sie nur sich anzueignen wissen. Jede Krise ist auch Chance, jeder verstopfte Kanal stellt die Entdeckung neuer bereits in Aussicht. Pop heißt wieder bluten, heißt wieder kämpfen, heißt wieder den Feind klar und deutlich als Krawattenträger zu diffamieren.

Vermutlich wird es so nicht kommen. Vermutlich Rückzug in die Eigenheimnische. Ab und an die Intro auf dem Frühstückstisch. Die kostet nichts. Aber ich hoffe dennoch, so irgendwie, dass sich was tut. Dass Bewegung ins Glied kommt. Weg mit Virginia Jetzt!, Mia, den Stillern und all den blöden Spacken mit ihren Hipness-Spastiken. Eure Biedermeierlichkeit kennzeichnet den Boden, auf dem ihr steht, als jenseits unseres Gebiets. Vielleicht wird was geschehen, es ist zumindest möglich...


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Thema: good news


So las ich es eben bei twitch und der Autor bezieht sich auf diese Meldung von aintitcoolnews.com. Paul Greengrass darf also Hand an Alan Moores Meisterwerk der Comickunst legen. Darren Aronofsky wurde auch hier, wie schon zuvor bei dem neuen Batman-Film, frühzeitig gekickt. Eigentlich schade, gerade von Aronofsky hätte ich mir (in beiden Fällen) viel erhofft. Greengrass hingegen - das Sequel von Bourne Identity habe ich nicht gesehen (der erste war schon, von ein paar netten Verfolgungsszenen mit Minis abgesehen, Film gewordenes Schlafmittel für Füße) und den vielgelobten Bloody Sunday kenne ich auch nicht. Ein Sprung ins kalte Wasser also, ich hoffe das Beste...


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Thema: Kinokultur
bezaubernd. [via tillmann]


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» .txt
neu und könnte sehr nett werden: http://txt.twoday.net


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Thema: Kinokultur
Sky Captain ist seit langem mal wieder ein Kinofilm, auf den ich so richtig rundum Lust habe. Auf den ich sehr gespannt bin. Und jetzt, wegen Peithenen, noch eine kleine Spur mehr.


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18.11.2004, Kino Arsenal

Ulrich Gregor begrüßt die Anwesenden im Saal. Man merkt ihm deutlich an, wie wichtig ihm das ist. Diese kurze Ansprache, wie überhaupt der gleich gezeigte Film. Ob man denn Griffith nicht zuviel Raum in der filmhistorischen Jahresreihe gewähre, auf dieser rethorischen Frage hebt er ab und argumentiert: Natürlich kann man auf die Kurzfilme nicht verzichten, die gehören dazu, das sind wundervolle Artefakte. Und Intolerance, der sei ja sein Meisterwerk, muss also. Birth of a Nation, ideologisch fragwürdig sicher, aber auf dieses große Epos mag man allein der Filmsprache halber schon nicht verzichten wollen. Und Broken Blossoms, der gleich zu sehen wird, der sei nun Griffiths schönster und poetischer Film. Was will man also tun, als Programmator? Eine Zwickmühle, die man mit Lust nicht auflöst, sondern sich ihr fügt: Zeigen wir eben alle. 4 Griffithabende von 365, in denen die Filmgeschichte erneut zum Leben erweckt werden soll: Das ist knapp mehr als 1 Prozent aller Termine (erfahrungsgemäß kommt die Reihe meist ohnehin nicht ans Ziel), ein stolzer Raum, der da gewährt wird also. Bedauern darüber seitens Gregor? Wie man sieht: keineswegs. Es ist ihm eine Freude. Ich bin gespannt, was da nun kommt.

Die Pianistin hebt mit den Bildern einer längst vergangenen Epoche an, lässt mich ins Geschehen hineingleiten. Ihre Improvisationen und Miniaturen sind wundervoll: Sie unterstützen das Bild, dehnen den Zeitfluß, wo es Not tut, durch erdrückende Stille (die Peitsche!) und verleihen dem stummen Film eine Leichtigkeit, die denen jener Tage oft abhanden gekommen scheint. Und dabei rückt sich die Musik nie in den Vordergrund, bleibt immer eins hinter dem Bild, dem die eigentliche Aufmerksamkeit gebührt. Mit einem Wort: Schön.

Der Film selbst ist vielleicht die Geburtsstunde des Melodrams wie wir es heute kennen. Er hat eine Leichtigkeit, eine Schönheit, aber auch eine tiefe Melancholie, die bis heute auf der Klaviatur der Gefühle mit leichter Hand zu spielen weiß. Es sind Bilder zu entdecken, die sich umgehend einbrennen, die man behalten möchte und wie einen Schatz nach der Vorführung mit nach Hause trägt. Der Hafen in China etwa, mit dem der Film beginnt und endet. Die Glocke im Tempel, wie auf sie geschlagen wird. Der "Gelbe Mann", wie er sich in London an die Wand drückt, darin gescheitert, die Lehre des Friedens in die westliche Welt zu tragen. Natürlich das Mädchen, das unter dem Vater, der verkörperten Rohheit dieser Tage, leidet. Deren Trauer und natürlich die tiefe Verzweiflung, die aus den zunächst witzig anmutenden Versuchen spricht, ein ungelenkes Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Wie sie am Ende, mit diesem kläglichen Lächeln, das zeit ihres Lebens kein wirkliches war, aus dem Leben scheidet. Der Tand, der überall zu bewundern ist. Die Reihe könnte beliebig fortgesetzt werden.

Beeindruckend, wie das frühe Kino emotional zu manipulieren wusste. Innerlich kämpfte ich beim Anblick dieser geisterhaften Bilder mit, wollte einschreiten, Leben retten. Man ist sich dessen bewusst, dass man hier einer List ergeht, der List der Filmsemantik, des behaupteten Gefühls: Ein lustvolles Sich-Ergeben. Ein schöner, glänzender Film. Auf ihn zu verzichten wäre in der Tat nicht zu verzeihen.

imdb | mrqe
filmtagebuch: magical history tour | griffith


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... und dann Michael Bautes Notizen vom Oktober/November.


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In Tagen wie diesen, wo die Deutschen wieder ganz besonders bei sich sind und ihre so übliche, wie langweilige Griesgrämigkeit bezüglich ihrer Identität (die ihnen ja - wie man von ihnen weiß - tagtäglich aufs neue wie das Zipfelchen des kleinen Jungen von finsteren Gesellen weggeschnitten, abgezupft und hinfortgetragen werden könnte) mit besonderer Emphase in Aggression ummünzen, in diesen Tagen, wo sie wieder ganz besonders ihre Identität einfordern und dabei weder auf Sinn und Verstand noch auf die Vorgaben der Realität Rücksicht nehmen, wenn sie in bizarr anmutenden Szenarien aus dem Reich des Phantastischen - so wurde im Hessischen zwar ein Gebetshaus muslimischer Provenienz angezündet, doch schuld daran, so scheint es Konsens, sind nun - was angewandter Verstand als Einsicht gebieten würde - nicht etwa die zündelwilligen Vollstrecker, sondern ganz im Gegenteil: die Moslems selbst, die nun, erweitern wir den Kreis doch mal grundsätzlich um alles irgend Orientalische in deutschen Landen, sei es nun gläubig oder nicht, sich von allen Seiten, vor allem aber von den üblichen Besorgnisträgerseiten, die nun endlich, ja endlich auch mal gegen Kanaken wettern können, ohne vor sich als Unmensch dazustehen, als Kritik getarnte ausgespieene Kotze im Gesicht gefallen lassen müssen, weil zuvor, noch nicht einmal in diesem, nein, in einem anderen Land, ein besonders durchgeknallter Spinner einen Filmemacher (dessen Kritik im übrigen teilenswert ist!) niedergeschossen hatte - in einem Endlos-Loop vor sich hindelirieren, in diesen Tagen also ist es kraftspendender Trost, bei Wiglaf Droste nachzuschlagen und zu blättern, alleine schon, um sich rückzuversichern, dass nicht jeder, der sich mittels des Deutschen ausdrückt, im Hirnkasten in Absenz anderer dort üblicherweise anzutreffender Reliquien einem Haufen Exkrement in Permanenz Asyl gewährt. So steht also bei Droste, wahllos herausgepickt, 1997 geschrieben:

Die Deutschen auf ihrem Marsch in die geistige Umnachtung zu begleiten und zu beobachten, war einmal die Aufgabe ihrer Kritiker. Diese Aufgabe ist abgeschlossen: Die Deutschen aller Fraktionen sind an ihrem Ziel angekommen.

Diese Worte seien an dieser Stelle mit Nachdruck wiederholt.


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