Montag, 6. Dezember 2004
05.12.2004, Heimkino

Notizen:

Erste Quersichtung für ein Referat. Ich betrachte den Film unter Gesichtspunkten des Traumas, vor allem auch, wie de Palma die zahlreichen Traumatisierungen - sichtbare wie jenseits der Erzählung, in der Vorgeschichte des Films zu situierende - formell umsetzt. In der Tat auch deshalb über weite Strecken keine Tonzuschaltung, was allerdings auch den Gegebenheiten der Sichtung geschuldet war. Interessant, wie intensiv der Film dennoch auf dieser bloß visuellen Ebene wirkt und narrativ voll verstehbar bleibt (der Wunsch, de Palma möge sich an einem Stummfilm versuchen).

Auffällig ist, wie der Film immer wieder auf die Mittel der Zeitlupe und langen Einstellungen zurückgreift, um ein "ganz bei sich und in der Welt sein" zu vermitteln. Das Fallen aus der Welt und seiner Kontinuität, wie es eine traumatische Erfahrung mithin charakterisiert (vgl. vielleicht den Reemtsma-Text "Im Keller", den wir zuvor im Seminar gelesen, bzw. dessen Hörspielbearbeitung wie gehört haben), wird mit raschen Schnittfolgen, die die souveräne Perspektive verunmöglichen und für Irritation sorgen, bewerkstelligt. Der für de Palma typische, hier aber noch sehr verhalten wirkende Einsatz von Splitscreens ist ein interessantes Paradox: Er unterteilt die Welt in Fragmente und trägt maßgeblich zur chaotischen Atmosphäre der Geschehnisse im Ballsaal bei, impliziert aber zur gleichen Zeit narrativ wie ästhetisch Carrie Whites nun endlich erlangte souveräne Position über das Geschehen und ihre Mitmenschen.

Einige interessante meta-narrative Aspekte, die ich eventuell zu einem eigenen Punkt ausbauen werde: Nach einem kurzen Prolog auf einem Volleyballfeld (der im übrigen in der Rede des Films interessanterweise fast immer wieder als "Beginn des Films" übergangen wird), der im wesentlichen dazu dient, Carrie White als bereits Ausgestoßene und vor allem sich ihres Körpers unsichere Person zu etablieren (und zudem gleichzeitig an das "Trauma" jedes unsportlichen Schülers appelliert: Das Versagen auf dem Feld, mit auf dem Fuße folgenden Spott.), mündet der Film in die berühmte Duschszene und kehrt darüber an einen traumatisierenden Moment der Filmgeschichte zurück: Die Duschszene in Hitchocks Psycho (1960; filmtagebuch), die, das müsste ich im Referat zunächst erläutern, eine inner-filmliche wie filmhistorische Zäsur markiert: Nicht nur stellt sie einen, für das damalige Publikum nicht abzusehenden Bruch in der Handlung des Films dar, sie brach auch gleichzeitig mit dem Hollywood-Starsystem, ließ das Gefährliche in Form des Mitmenschen in die innersten Bereiche der Privat- und Intimheit eindringen und begann an dieser Stelle den modernen Horrorfilm. Überhaupt ein interessanter Moment: Der moderne Horrorfilm beginnt nicht mit Psycho, sondern an dieser Stelle in Hitchcocks Film. Gerade auch die Schnitttechnik sorgt zudem dafür, dass die Sequenz zwar erfahren, aber kaum erlebt werden kann und sich "der Sprache entzieht": Zwar lässt sie sich inhaltlich beschreiben, aber aufgrund der harschen Folge einzelner Einstellungen nicht in ihrem Vollzug, weiterhin liegt ihr eigentlicher Inhalt im Bereich des Impliziten, also an sich ästhetisch nicht Erlebten. Der Mord bleibt, von der grafischen Konsequenz her gedacht, ungesehen, die Dusche als Ort des letzten Refugiums des Privaten ist von diesem Moment als solcher, im Kino, nicht mehr denkbar. Carrie hebt darauf ab, indem er für seine erste emotional mitreißende Szene an diesen Ort zurückkehrt und den Einbruch der Hölle, die die Anderen sind, potenziert und, trotz vorläufiger Rettung durch eine Mutterfigur, von dieser Szene ausgehend die Katastrophe des Finales minutiös aufbaut. Weitere Indizien für eine Bezugnahme auf Psycho wären b eispielsweise die Umbenennung der High School in "Bates High School" (die literarische Vorlage bezeichnet diese als "Ewen High School"), die gothisch-verkarstete Darstellung des Mutterhauses, das sich, ähnlich dem Motel aus Psycho, von der modernen Alltagswelt deutlich abhebt, sowie ein ikonografisches Zitat - wenn die Mutter das Messer zum finalen Stich hebt - , das direkt der Duschszene von Psycho entnommen ist und zudem von dem charakteristischen Geigenhieben musikalisch unterlegt ist.

Ob ich den Film als Rückkehr an einen traumatisierten Ort der Filmgeschichte vorstellen werde, wird sich im weiteren Verlauf meiner Recherchen weisen. Bislang bin ich davon aber zumindest angetan.

imdb | mrqe | tv-termine:de palma

senses of cinema: essay | brian de palma


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Thema: Hoerkino
"In 2005, Basic Hip Digital Oddio will feature an entire year of albums from the golden age of kiddie records, transferred from the original 78s and encoded to 192kbps MP3 format. One a week for 52 weeks!

We believe people from around the world and of all ages would be interested in hearing these records. Not many folks these days play 78s or share this type of recording online. Chances are you've never heard them and if you have, it's been a long, long time. They are nostalgic, entertaining and just plain fun. The colorful covers are beautiful works of art.

Someday soon these records will be altogether forgotten and we think that's a shame. Our mission is to give these wonderful old recordings a new lease on life.

The fun begins January 3, 2005. Friends and webmasters, if you support this project, please spread the word and help get a little buzz going. Thanks and Happy Holidays!"


Aber gerne doch! The fun takes place at http://www.basichip.com .

Freunde schräger Found music kommen bei Basic Hip Digital Oddio auch beim Christmas Special zu ihrem Recht: Alle vier Tage präsentiert der Online-Radiosender ein Weihnachtsalbum aus längst vergangenen, glorreichen Vinyltagen in digitaler Form zum kostenfreien Download. Das mag halblegal sein (andererseits sind die Public-Domain-Gesetze in den USA wohl wesentlich relaxter), andererseits handelt es sich um längst ausverkaufte Scheiben, die auch, mangels Markt, kaum eine Neuauflage auf CD erleben werden. Ich, als genuin an Archivierung vorrangig zu verlieren gehen drohender Artefakte Interessierte, kann das nur begrüßen.

(Mit etwas Muße die nächsten Tage mal mehr Links zu found music, da tummelt sich ein schönes Netzwerk im Netz)


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Frage an die Mitlesenden: Wer kann mir Weblogs nennen, die schon so ein paar Jährchen einigermaßen fortwährenden Betrieb aufweisen können und zudem nicht in meiner Blogroll auftauchen, vornehmlich aus dem deutschsprachigen Bereich? "Jährchen" meint so drei mindestens, gerne mehr. Möchte da mal was recherchieren, ja beobachten. (seit ich es nämlich als sehr spannend empfinde, in "betagter" Weblogs Archive zu stöbern, "wie alles begann" gewissermaßen und dann: was so geschrieben wurde, bei "Großereignissen". )

Danke.


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05.12.2004, Kino Arsenal

Vorauszuschicken ist, dass ich nur die ersten 4 Gesänge gesehen habe. Dann bin ich - nicht wegen des Films, sondern ganz generell, wegen der Zeit - gegangen. Nicht, dass ich mich gelangweilt hätte oder mich Fritz Langs Epos für das deutsche Volk, das immerhin im Ruf steht, ein eher anstrengendes Werk zu sein, ermüdet hätte. Ganz im Gegenteil: Die besonderen Umstände der Vorführung - in der Tat also stumm, keine Musik, keine eingespielte Begleitung, vollkommene Stille im Saal, von gelegentlichem Husten und verlegenem Herumrutschen auf den Sesseln abgesehen, geradezu meditativ also - bedingen in Verbindung mit den ruhigen, aber nicht ereignislosen Bildern eine tiefe Konzentration, die nicht dem Versinken entspricht, sondern die Sinne wach und frisch hält, dabei die Gedanken zwar stets auch kreisen lässt, auch und gerne vom Film weg, diesen wiederum aber auch nie ganz außer Acht lassend (wohingegen man sich bei gerade nicht sonderlich beeindruckenden Filmen - dann eben auch bunt, laut, oft entsprechend nerviger - ertappen kann, seit Minuten an alles andere, aber nicht an diesen Film gedacht zu haben).

Die Nibelungen markiert die Crux aller Ausstattungsfilme, die aus ihrem Pomp vornehmlichen Reiz entwickeln wollen: Der Übergang zu den "Bildern einer Ausstellung" ist schnell vollzogen und Langs Werk tänzelt oft gefährlich schwankend auf dieser feinen Grenze. Jedes Bild (und Bilder im klassischen Sinne sind es meist, die man zu sehen bekommt, und weniger ein Film im klassischen Sinne) erzählt vom Aufwand, der geleistet wurde und vom Willen, in den Bann zu ziehen. (und bleibt dabei doch, letzten Endes, 10 Jahre hinter der Filmgeschichte zurück, wenn ich mich an Cabiria (Italien 1914) erinnere).

Kamera und Montage tun ihr übriges und fallen ganz hinter die Errungenschaften der Filmgeschichte zurück. Erstere bleibt unbewegt und verharrt in beständiger, einmal gefundener Distanz zum Dargestellten. Zweiterer überrascht den Zuschauer nicht mit Extravaganzen, allenfalls ein Schnitt in die Tiefe des Bildes, um ein Detail - heilige Erde etwa - hervorzuheben, scheint diesem Film akzeptabel. Ihr Einsatz bezweckt selten, ja kaum Dramatisierung, allenfalls Präsentation. Man soll blicken: Das Erhabene, das geschieht, und eben nicht auf von der großen Erzählung, vom Pathos ablenkende Tricksereien achten. Denn es geht, dies macht der Vorspann nur zuletzt noch deutlich, um Fragen der Nation: "Dem Deutschen Volke zu Eigen", mahnt eine Tafel zu Beginn in Gravurschrift. Und wo die zu spät gewordene Nation - was sie der Welt bis heute nicht verzeiht - Nabelschau betreibt, vor allem aber sich selbst schweißt, ist das sinnlich Ästhetische der großen Geste zumindest auf unmittelbarer Ebene - denn, so fiel mir auf, die Ausleuchtung verhilft dann auch dem zweiten Blick zu seinem Recht - hintangestellt. Ein Irrweg natürlich, denn Die Nibelungen ist, allein auf dieser Ebene betrachtet, zunächst auch ein für die Verhältnisse seiner Zeit künstlich schwerfälliger, oft geradewegs plumper Film, zumal im Vergleich etwa zum zeitgleich entstandenen Der Letzte Mann von Murnau, der vor formellem Witz schlicht sprüht.

Dennoch: Fritz Langs Epos ist filmisch ambivalent. Er mag sich bildkompositorisch an der Statik der Malerei orientieren (was sich immerhin auch so deuten ließe, dass es ihm um das Bild und das Ikon, um den Mythos allenthalben, nicht um echte Geschehnisse zu tun ist), die Kulissenhaftigkeit des komplett im Atelier entstandenen Films mag ans Theater gemahnen. Und dennoch formuliert sich ein eigenes Filmverständnis aus, das den Film in der Nähe der Kamera zu den Geschehnissen vor ihr seine Differenzqualität zu anderen Künsten finden lässt. Es sind Details, die ungeheuren Falten in den Gesichtern der Hunnen, jeder Zopf und jeder Halm Stroh in den Lehmwänden, die den Film hier als solchen ausmachen. Diese Nähe, diese Lust an bald fraktal wirkenden Falten, Winkeln, Spalten, die fast jedes Bild bestimmen (und, natürlich, im gespenstisch ebenmäßigen Gesicht Kriemhilds einen Gegenentwurf finden). Es ist das sich im Bereich der Nuance (aber nicht im Understatement) situierende Spiel der Kriemhild, das, in dieser Nähe zur Kamera, dem Film den Status als solchen dennoch verleiht.

Ein zumindest interessanter Film. Ein gewiss aufgeblasenes, künstlich in die Länge gezogenes Epos. Und darin auch sicher gescheitert. Dies mag bezeichnend sein. Ihm dabei jedoch zuzusehen, das ist aufschlußreich und als Kinoerfahrung von Gewinn. Ambivalenz im Kino, wichtiger als jede Konsenserfahrung.

web:
imdb | mrqe | goethe-institut | deutsches filminstitut | transit film | tv-termine: fritz lang | jump-cut.de: fritz lang

filmtagebuch:
Weitere Filmerlebnisse im Rahmen der "Magical History Tour in 365 Filmen" des Kino Arsenals.


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