Montag, 14. Februar 2005
Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films

Nach „13 Lakes“ am nächsten Morgen „Ten Skies“. Von der Nacht gezeichnet bin ich einen Moment unsicher, ob ich nicht doch lieber eine andere Vorführung wählen soll. Die Befürchtung ist klar. Was soll nach dem gestrigen Erlebnis noch Neues hinzukommen. Ich hätte mich kaum gründlicher täuschen können.

Die Anordnung ist die selbe. Die Kamera blickt jeweils 10 Minuten in den Himmel, diesmal - unterbrochen von Schwarzblenden, die gerade lang genug sind um die Augen neu zu kallibrieren, ein bißchen, wie wenn man sich bei einer Weinprobe zwischendurch den Mund mit Wasser ausspült. Allerdings, diesmal kommt der Kadrierung keine Bedeutung zu, diesmal ist das Bild in ständiger Bewegung und diesmal bleibt der Raum ein zweidimensionaler.

Was bei „13 Lakes“ eine beinahe bewußtsseinserweiternde Erfahrung war, wird hier zur philosophischen Betrachtung. Jedes Bild ist gleichzeitig Auflösung und Neubeginn, jeder Moment einzigartig und unwiderbringlich verloren. Wolkenformationen oder durchziehende Nebelschwaden werden mit zunehmender Zeit in der subjektiven Betrachtung zu einem abstrakten Gemälde, dass sich ständig neu erschafft und jegliche Deutungsversuche obsolet macht.

Die Bilder sind was sie sind, nicht mehr und nicht weniger. Es stellt sich erstaunlicherweise eine direkte Verbindung zu ganz unterschiedlichen emotionalen Erfahrungen ein. So erlebt man euphorische Momente um kurz darauf eine tiefe innere Ruhe zu empfinden. „Ten Skies“ ist der aufregendste Film, den ich seit langem gesehen habe.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films

Der Titel könnte den Inhalt des Films nicht treffender bezeichnen. James Benning, dessen Filme in der derzeitigen Kinolandschaft einzigartig sind, hat sich dieses Mal 13 Seelandschaften vorgenommen. Wie bereits in seinen früheren Filmen sind die statischen, jeweils um die 10 Minuten langen Einstellungen, von einer mehrere Sekunden andauernden Schwarzblende unterteilt. So kommt der gut 130 minütige Film zustande.

Formal strenger kann man ein Filmprojekt kaum angehen. Bei „13 Lakes“ kommt der Kadrierung entscheidende Bedeutung zu. Nur einmal sieht man am unteren Bildrand das Ufer, ansonsten blickt die Kamera über das Wasser in den Raum, der sich am Horizont noch einmal aufteilt. Im Hintergrund sind dann je nachdem Gebirgszüge, Gesteinsformationen, eine Autobrücke, eine Hafenanlage oder schlicht der Himmel zu sehen. Alles beschreiben hilft jedoch wenig, wenn es darum geht die Faszination der Bilder in Worte zu fassen.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich die übliche Unruhe gelegt hat. Während ein Teil des Publikums sich offensichtlich in die Projektion verlaufen hat und konsequenterweise das Kino wieder verläßt, gibt es direkt hinter mir ein paar Arschlöcher, die mir durch nervöses Gekicher, permanentes Geflüster oder nervtötendes Rascheln die notwendige Konzentration unmöglich machen.

Dann ist es endlich still. Nur das Brummen der Nagra und das plätschern des Wassers dringt zu uns. An die hundert Menschen sitzen in einem Raum und starren auf eine Wand, auf der eine zweidimensionale Projektion sichtbar ist. Irgendwann geschieht das Unfassbare. Der Raum öffnet sich, die Leinwand ist verschwunden und der Blick verliert sich in den Bildern. Magisch!


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Für jeden halbwegs an Musik interessierten Menschen gibt es Bands, die man zumindest einmal in seinem Leben gesehen haben will. Ich hatte ziemlich viel Glück was das anbelangt und dennoch werde ich es vermutlich nie verschmerzen, Hüsker Dü nie gesehen zu haben oder Anfang der 90er, als ich gerade nach Berlin kam, Velvet Underground verpennt zu haben. Daniel Johnston gehört nicht dazu, obwohl sich seine Songs bei mir tief eingegraben haben. Das hat nichts mit dem Musiker zu tun sondern mit dem unguten Gefühl, das mich beschleicht, wenn ich Aufnahmen von seinen Auftritten sehe.

Daniel Johnston ist manisch depressiv und vermutlich schizophren, was immer das heißen mag – keiner was das schließlich genau. Ausdruck seiner Krankheit ist sein obsessives Bedürfnis nach Anerkennung als Künstler. Wenn er Mitte der 80er Jahre zum ersten Mal bei MTV auftaucht, hat sich für ihn ein Lebensziel erfüllt. Der Film zeigt das ganz deutlich, wie überhaupt viel gezeigt wird. Johnston hat unentwegt mit der Filmkamera hantiert, seine Ängste und Wahnvorstellungen in den Taperekorder gesprochen.

Wenn Johnston nach einem Zusammenbruch von Sonic Youth Drummer Steve Shelley nach New York gelotst wird, ist eine Kamera dabei; wenn die Bandmitglieder den plötzlich verschwundenen, stark suizidgefährdeten Johnston auf der anderen Seite des Hudson Rivers, im schäbigen New Jerey aufgabeln – auch dann fuchtelt irgendwer mit einer Videokamera herum. Nicht nur dass es mir vollkommen schleierhaft ist, wie man in einer solchen Situation ans dokumentieren denken kann, werfe ich den Filmemachern vor, dass sie sich dieses Materials auf eine Art und Weise bedienen, die die Mechanismen des kommerziellen Musikbetriebs verlängern.

Insofern ist der Film auch eine Betrachtung über eben diese Mechanismen, die scheinbar vor nichts und niemandem Halt machen. Das Unangenehme und auch Verstörende daran ist die Tatsache, dass der Eindruck entsteht, genau das sei für Johnston Lebenselexir und Daseinsberechtigung – ein Nullsummenspiel wechselseitiger Ausbeutung. Nur konsequent dass alle beteuern wie positiv sich Johnstons Karriere entwickelt hat, sogar bis nach Europa, wo man ihn in Stockholm beim gemeinsamen Singsang mit dem Publikum zeigt.

Jeder der in seinem Bekanntenkreis mit dieser Krankheit konfrontiert wurde weiss aber ganz genau, dass das alles nichts bedeutet. Wenn Johnstons Galerist in Los Angeles stolz verkündet, dass praktisch alle Gemälde noch vor der Vernissage einen Abnehmer gefunden haben, ein alter Weggefährte pausenlos die frühen Tapes überspielt, beklebt und vertreibt um Johnstons Werk vor der Auslöschung zu bewahren – wenn man Curt Cobain sieht, mit Daniel Johnston T-shirt und immer wieder Talking Heads von Musikjournalisten, die das geniale Talent wie in einem Mantra beteuern, dann wird die direkte Verbindung des Films zu seinem Sujet überdeutlich. „The Devil and Daniel Johnston“ ist an dem Mythos interessiert, nicht an dem Menschen.


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Der Film läuft in der Sektion German Cinema

Zunächst, im Vorspann, Lichtpunkte, die sich verdichten zu einem Tableau, dann einem Negativprint, nachkoloriert und schließlich das wahre Leben. So beginnt „Sommer Hunde Söhne“ und man ist gespannt.

Stipe Erceg, der sich, wies scheint, nicht über mangelnde Engagements zu grämen braucht, spielt einen windigen Typen mit Schnurrbärtchen und unausgeglichenem Naturell. Er blafft ins Telefon, glaubt jemanden getötet zu haben, schwingt sich aufs Motorrad und rast durch die Stadt, erstmal weg. Fabian Busch sitzt in Papas Wohnmobil, während Mama und Onkel in der Ikea einkaufen. Er ist Hypochonder, Süßigkeitsfetischist und Mausgrau. Typecasting in Reinkultur, das ist gar nicht böse gemeint. Ich seh die beiden eh ganz gerne. Kurz darauf rumpelts und das Motorrad des Windbeutels ist im Arsch, unsere beiden Helden haben sich getroffen.

Jetzt gehts los. Mit dem Hymermobil über die Autobahn nach Frankreich in eine Kneipe, zum Saufen – Identitätsstiftend. Windbeutel fickt im Wohnmobil während Maus im Regen fern der Heimat besoffen pennt. Derangierte Luxuxmietze gabelt Maus auf, später trifft Maus wieder auf Windbeutel. Dann gehts weiter, jetzt zu dritt.

Über die Autobahn nach Spanien, Benidorm. Man stolpert herum, irgendwann landet man neben der Abfalldeponie. Anklänge an Kusturica, eine Kapelle ohne Instrumente läuft durchs Bild, passende Mukke gibts dafür im Off. Der kuriose Pauli taucht auf, ein Abfallsammler. Jetzt ist man schon zu viert. Man erfährt: Papa von Maus ist tot, hatte Faible für Wüste. Windbeutel versteht das, findet Oasen aber geiler. Ein Traum ist geboren. 50 Minuten von 96 sind bislang verstrichen.

Regisseur/Autor Cyril Tuschi hat in seinem Spielfilmdebüt ein märchenhaftes, urkomisches, bisweilen groteskes Road Movie geschaffen, über eine seltsame Freundschaft und über kleine Veränderungen – der Temperatur und des Geistes, lese ich beim Rausgehen im Pressewaschzettel.


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Der Film läuft im Wettbewerb

Was waren das noch Zeiten, als Téchiné hintereinander „J´embrasse pas“, „Ma saison preferée“ und „Les roseaux sauvages“ inszenierte, seine Bilder vor Leidenschaft vibrierten, für seine Figuren, zumeist Außenseiter aus der Provinz oder Heranwachsende in Identitätskrisen. Nichts von alledem ist spürbar in seinem neuesten Film, „Les temps qui changent“.

Es ist geradezu erschreckend, wie wenig Téchiné mit seinen Schauspielern anzufangen weiß, wie blutleer selbst die Szenen zwischen Catherine Deneuve und Gérard Depardieu wirken, den beiden Hauptdarstellern, die ein Liebespaar zu spielen haben, das nach langer Zeit wieder zueinander findet. Zwischendrin eine halbherzig erzählte Liebesgeschichte zwischen Deneuves Sohn und einem Maghrebiner. Als wolle sich Téchiné zwanghaft an seine Wurzeln erinnern, waren doch eben diese Konstellationen immer die Stärke seiner Filme - die Unentschlosseneit seiner Figuren, das Erwachen von Leidenschaft. Eingebettet das Ganze in einen zaghaft angerissenen „Culture-Clash“. Es hätte nicht viel gefehlt, denkt man, und die Autoren hätten auch noch eine von Islamisten gezündete Bombe explodieren lassen.

Ich weiß nicht wovon ich mehr enttäuscht bin. Von dem Desinteresse an den Figuren oder von den inszenatorischen Einfällen, etwa wenn sich wiederholt ein tollwütiger Hund kläffend ins Bild drängt. Später, nachdem der Köter endlich zuschnappt, versichert man sich der Harmlosigkeit des Angriffs. Es ist ein Hin und Her, ein Vor und Zurück, in dessen Folge jegliche Konsequenz begraben wird, wie der arme Gérard Depardieu, der in seinem schönen Anzug durch den Matsch stapft und von einer Erosion verschüttet geht.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Sicher einer der spannendsten Filmemacher aus Hongkong ist Fruit Chan, der 1997 mit seinem selbstproduzierten Low-Budget Streifen „Made in Hong-Kong“ auf Anhieb den Zugang in die Welt der internationalen Filmfestivals geschafft hat und dem der Ruf des kompromisslosen Autorenfilmers vorauseilt; nebenbei bemerkt, denn so wichtig ist das nun auch nicht. Interessanter schon, dass man beim Betrachten von „Dumplings“, der übrigens weltweit als Horrorfilm vermarktet wird, überrascht ist, immer wieder und auf unterschiedliche Weise.

Die Geschichte ist geschmacklos. Eine schöne, zumindest nicht unansehnliche, reiche Frau (Box-Office Queen Miriam Yeung mit Spießerlady-Hairdo) kann sich mit dem Prozess des Alterns nicht abfinden. Sie sucht eine ehemalige Gynäkologin auf (Bai Ling), die sich mittlerweile aufs Schamanentum verlegt hat und die ewige Jugend verspricht. Ihr Geheimrezept: das Verspeisen abgetriebener Föten. Das ist, staubtrocken formuliert, der Plot von „Dumplings“ und ähnlich trocken ist Fruit Chans Humor, der in den Schnittbildern, scheinbar beilläufig, das zuvor gesehene kurz und knapp kommentiert. Da wird eine Hirschattrappe von einem Wasserstrahl umgenietet – man fragt sich ob Chan neben das Skript grinsend „Schluß mit Röhren“ gekritzelt hat – oder es wird ein andermal ein Gartenschlauch ins Bild gerückt, der sich, orgiastisch enthemmt, wild blubbernd aus einer Badewanne windet - oder wars ein Swimmingpool? Paßt das mit der angeschlagenen Thematik zusammen? Erstaunlich gut! Und warum auch nicht.

Wie lächerlich ist es wohl sich selbst beim Schauspielern zu beobachten, über einen 16:9 Plasmafernseher aus einer mit Blumenblüten übersähten Badewanne heraus, und dabei die verblichene Schönheit zu begrämen? Wenn man dazu ganz genau weiß, dass man vom Ehemann (ein blondierter Tony Leung Ka Fai) schon lange zur Edelhure degradiert wurde, nicht etwa für gewährte sexuelle Gefälligkeiten, sondern vielmehr um den Schein zu waren? Es geht natürlich nicht um Liebe, sondern um verletzte Eitelkeit; um raubtierhafte Gier, nicht um Nähe. Der Film macht diese wenig sympathische Figur zum Herzstück einer zuweilen erheiternden, im Kern aber deprimierenden Dreierkonstellation.

Deprimierend, weil man die Ausweglosigkeit der Figuren spürt: Menschen sind eben so. Da wird gefressen, betrogen und verzehrt und am Ende siegt der Stärkere. Hier verbirft sich denn auch der wahre Horror des Films. Hilflos muss man zusehen, wie die Kamera das Drehbuch wörtlich nimmt und eine Abtreibung im Schmuddelbad inszeniert während sich wenig später die Entbundene blutend über den Gehweg schleppt. Am Ende ist Fruit Chan bei der Groteske angelangt. Wenn alles nichts hilft, gesagt werden muss es doch.


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Der vierte Tag und die Stimmung ist gekippt. Gestern noch euphorisch bis in die späte Nacht im Kino gesessen und das Festivaltreiben genossen, geht mir heute alles auf die Nerven. Der Handyterror und die Hetzerei, die Aufgeregtheit und das Funkeln in den Augen der Mädchen, die eine Einladung zu einer Party oder einer Premiere ergattert haben. Ich möchte am liebsten mein Handy in die Mülltonne kloppen, schreite bewußt langsam die Wege zwischen den Kinosälen und den Futtertrögen ab, nur um einen Kontrapunkt zu setzen. Wenn im Pulk, der sich tröge über die Treppen im Cinemax schiebt jemand den permanenten Stress beklagt, blaffe ich zurück, dass man sich den selbigen ja nicht zu machen braucht; als ob ich nicht ganz genau wüsste, dass man sich das nicht immer aussuchen kann. Ich war auf meinem ersten Empfang, auf der ersten Filmparty, habe frühmorgens mit wenigen anderen Abwegiges gesehen und mich ins Gedränge des Berlinale Palastes begeben, wurde angehustet, angerotzt und diffamiert. Ich habe bis in die frühen Morgenstunden mit Gleichgesinnten gesoffen, mit jedem Bier vehementer den bedauerlichen Zustand des deutschen Films beklagend – ein alljährlich wiederkehrendes Ritual. Ab jetzt wird sich alles wiederholen, bis das Festival vorbei ist oder man entkräftet aufgibt. Es ist ein bisschen affig über all das zu schreiben. Zustandsbeschreibung, die erste ist hiermit beendet. Weitere werden angedroht.


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Thema: Kinokultur


A.O. Scott in New York Times zur Wiederaufführung des Godard-Klassikers in New York.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Entweder ist das vollends größenwahnsinnig, verrückt und gerade deshalb auch sehr großartig, vor allem aber von geradewegs erfrischender Inspiriertheit. Oder es ist einfach nur schräg hingezimmert. Ich bin der Meinung, ersteres hat Gültigkeit. Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber schon alleine das macht diesen Film wichtig und es ist gut, dass er auf dem Festival einen Platz gefunden hat. Von nicht wenigen Wettbewerbsfilmen wäre das genaue Gegenteil zu behaupten.



Es sind zwei Männer, die durch diesen Film fahren. Sie sind auf dem Weg zu einem dritten, zu Klopfi, dem Regisseur selbst. Der ist auch im Film Regisseur und vermutlich sogar er selbst, denn in seinem letzten Film, Das Schweigen der Männer, spielten die beiden Männer mit - dies- wie jenseits des Films. Und nun wollen sie wieder hin zu ihm, weil der eine, Max, einen Vorschlag zu machen hat: Er will ein Sequel hininszeniert bekommen, eine große Kolportage, mit Sex'n'Crime natürlich, ein Film ganz für das Publikum, das weltweite natürlich, weil den ganzen verschrobenen Kunstmist, finanziert aus öffentlichen Mitteln der Schweiz, den will doch keiner sehen. Ein Afrikafilm soll es werden, eine Jagd über den Kontinent, mit Al-Quaida und der CIA und jungen, schönen Frauen. Klopfi aber lebt in einer Ruine, ganz verschrobener Künstler, sinniert über sich, den Film, die Kunst, die Welt. Doch bis es dazu kommt, delirieren die beiden Männer durch einen Erotikfilm mit Splatterende, ein intellektuelles Klosterdrama, das sich als Klopfis letztgeplantes Filmprojekt zu erkennen gibt, und wenn sie dann endlich bei ihm sind, ist er nicht begeistert von der Idee und er dreht mit ihnen im Wald einen Franziskaner-Mönchsfilm, doch es ist eine Falle, er haut ab, die beiden allein, verirrt, Hunger, sie finden seine Kamera, Klopfi ist tot, der Wolf hat ihn gefressen - Blair Witch Project in Norditalien. Dann ist der Film aus, ein Standbild zeigt die beiden, in Mönchsgewand, in der Weite einer verlassenen Landschaft.

Das ist witzig und genial. Mal ist es hanebüchen und prätentiös. Dann eröffnet sich wieder manche Überlegung zum Verhältnis des öffentlich finanzierten Films, des billigen Genrekinos, ja überhaupt zum State-of-the-Art des Films und des Kunstfilms, der sich als Kunst im trivialsten Medium (wie es ihm Film an einer Stelle bezeichnet wird) bewegt und schnell somit auch verschütt geht (wo, etwa, kann man schon einen Klopfensteinfilm sehen, obwohl der Mann bislang nicht gerade unproduktiv war!). Ästhetisch handelt es sich dabei am ehesten noch um eine Art fiktiven Dokumentarfilm, was verwirrend ist, wenn die beiden Protagonisten ganz offensichtlich die Welt des Authentischen verlassen und durch Genrewelten laufen, dabei aber selten ein ästhetischer Bruch vonstatten gegangen wäre.

Dazu dann die Musik, die fast stets präsent ist, mal trashig, mal Camp, mal atmosphärisch dicht und passend. Sie erinnert an Videohorrorfilme aus den 80ern und ähnliches Gemurkse. Überhaupt wäre zu untersuchen, wie auf der Tonspur sich unter Umständen eine zweite Erzählung entfaltet.

Eine Reflektion also über Film, Kino, Kunst, Mainstream, Trivialitäten. Wie das alles immer mehr durcheinander wischt, ganz ohne schwerfälligen Gestus der Grüblerei entwickelt, vielmehr in seiner Leichtigkeit geradezu brillant und darüberhinaus aufs Frechste humorvoll und durchtrieben. An der Wand hängt ein Bild von Godard, im Hintergrund, nicht nach vorne gedrängt, die Musik dazu stammt aus einem Video Nasty. Doch, ich glaube dieser Film ist der Wahnsinn in bester Form. Schauen Sie ihn sich an!

offizielle Website | infosheet


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Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Es liest sich wie ein üblicher Direct-to-Video-Schocker aus der Category III (entspricht in Hongkong so in etwa unserem FSK 18, wobei "Cat III" in der Regel für noch derbere Kost steht): Eine nach außen hin junge, knackig attraktive Dame (in Wirklichkeit ist sie allerdings schon jenseits der 60) hat den Jungbrunnen entdeckt: Wer bei Ihr zum abendlichen Dinnieren eintrifft, erhofft sich von dem exklusiven Mahl weiche Haut und weniger Falten. Die Basis der Speise: Liebevoll zubereitete, knusprig frittierte Teigtaschen, gefüllt mit abgetriebenen Föten, aus China importiert. Eine ins Alter gekommene Schauspielerin wird schon bald ihr Stammkunde, da sie nicht nur dem eigenen Image hinterher trauert, sondern auch, weil ihr Gatte eher von jungen Dingern angetan ist. Ein Psychogeflecht entwickelt sich ...



Was sich schlüprig-schmierig liest und eine vor allem grafisch ausgereizte Belastungsprobe für den Magen in Aussicht stellt, gibt sich als bemerkenswerte Filmmeditation über das Verhältnis des Horror- und Ekelfilms zu seinem Bild zu erkennen. Dumplings haut nun eben nicht, wie man erwarten könnte, nach Manier eines drittklassigen sleazy movie auf die Pauke, sondern entzieht seinen Bildern vielmehr das direkt Grafische der eklen Begebenheiten (u.a. auch eine Abtreibung in progress) und überlässt dem Zuschauer einen großen Teil der Bildarbeit. Der Horror, respektive Ekel, entsteht im Kopf. Eine Binsenweisheit, sicher. Doch Dumplings schafft es, diese vermittels einer ausgetüftelten und ungeheuer intensiven Soundkulisse einem Update zu unterziehen: Es wird geknuspert und geflutscht, geschmatzt und gequirlt, gescheppert und geplongt - und all dies mit einem selten anzutreffenden Geschick in Gestaltung und Organisation des Tons. Was das Bild selbst an narrativ bedingtem Ekel aus sich selbst verbannt, holt den Ton auf diese Weise ins Bild zurück, erweitert so den diegetischen Raum und lässt Schauder über Schauder den Rücken hinuntergehen. Charakteristisch ist hierfür dann auch eine Kopulationsszene, die - an sich ja völlig einleuchtend, im Film aber eben nie gehört - von vaginalen Schmatzgeräuschen unterlegt ist.

Dies ist dabei nicht nur dem Blick auf den Effekt geschuldet, sondern versteht sich durchaus auch als Kommentar zum Horrorfilm und seiner Lust am Sehen (und aber eben auch Nicht-Sehen, wie es sich charakteristisch im Blinzeln durch die vor die Augen geschlagenen Hände niederschlägt.), der im Film selbst auch motivisch umgesetzt auftaucht: Die Wohnung dieser jungen "Hexe" unterteilt sich in zwei Zimmer. In einem warten die Gäste auf die Speise, im anderen wird sie mit allerlei kulinarischem Instrument zubereitet. Die Gäste hören dabei vor allem die schaudrigen Geräusche und besagte Schauspielerin horcht auch schon mal an der Wand. Die Sichtbarkeit rückt indes ins Zentrum, wenn sie schließlich - von Neugier getrieben, obwohl sie eigentlich weiß, dass sie nicht sehen will, was sie sehen wird - in die Küche hinüber geht und das ganze entsetzeliche Ausmaß des morbiden Mahles zu Gesicht bekommt. Natürlich schreit sie auf, rennt weg - und durch den Kinosaal geht ein angewidertes Zischen angesichts des dargebotenen Menschenmatschs.

Vor allem auch der exzellenten Kameraarbeit von Christopher Doyle ist es geschuldet, dass das Treiben ästhetisiert (aber nie stilisiert) dargeboten und somit also, welch Konflikt, goutierbar wird. Diese Effekte und eben die Tatsache, dass ein fürs Hongkonger Trashkino recht üblicher spekulativer Stoff diesem Zusammenhang entrissen und auf eine sehr geschickte und anspruchsvolle Weise inszeniert wird (nicht eben eine Selbstverständlichkeit, ganz und gar nicht sogar), machen den Film zu einer Besonderheit, nicht nur dieses Festivals. Einem magenfesten Publikum wird er als Geheimtipp empfohlen (zumal damit zu rechnen ist, dass der Film, schon allein aufgrund seiner Thematik, bei der Kritik verschrieen sein wird).


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Der Film läuft im Wettbewerb.

Fürchte die Deutschen, die in die Fremde fahren. Die Chancen stehen gut, dass nicht viel Gutes dabei rumkommt. Ähnliches gilt für Hannes Stöhr, der nach seinem Achtungserfolg Berlin is in Germany nach Moskau, Istanbul, Santiago de Compostela und schließlich wieder nach Berlin geflogen ist, um dort vor dem Hintergrund des Champions League Finales zwischen Galatasaray Istanbul und Deportivo La Coruña Variationen des im Kern sich ähnelnden Geschichtchens zu drehen. Das Ergebnis ist One Day in Europe, schmiegt sich natürlich konzeptuell an Night on Earth an und ist über weite Strecken damit beschäftigt, die eigene Einfallslosigkeit mit behauptetem Einfallsreichtum zu tarnen.



Das Finale in Moskau legt an diesem Tag das Leben in allen vier Städten fast völlig lahm. In Moskau kommt das einer nicht eben wenig arrogant auftretenden Künstleragentin zu Schaden, die auf offener Straße ausgeraubt wird und nun auf der fußballlethargischen Wachstation der Polizei vor sich hindarben muss. Immerhin kommt ihr die herzensgute Elena, die den Raubüberfall beobachtet hat, zu Hilfe. In Istanbul hingegen will ein junger deutscher Student einen Versicherungsbetrug begehen und sich als Opfer eines nicht stattgefunden habenden Raubüberfalls inszenieren. Bald sitzt er selbst auf der Wache, aber der Taxifahrer, der ihn zur Polizeistation gebracht hat (und sich als schwäbelnder Exil-Exiltürke zu erkennen gab), kommt ihm zu Hilfe. In Spanien nun wird einem ungarischen, schwermütigen Wanderer die Kamera geklaut. Ein Klassiker: "Können Sie mich mal fotografieren-" und weg ist der Dieb. Der lebensfrohe Polizist, an den er sich wendet, kommt ihm leider ganz und gar nicht zu Hilfe. Und dann, in Berlin, ein französisches Pärchen, das durch Europa fährt und sich mit Straßenperformances im Clownskostüm über Wasser hält. Die Geldbörse ist erschöpft - was tun? Man begibt sich auf die Suche nach dem rechten Platz in Berlin, wo man ausgeraubt hätte werden können - um dann von der Versicherung Geld zu kassieren.

Das noch Bemerkenswerteste an Stöhrs Film ist die vollkommene Ambitionslosigkeit. Weder wird hier eine Aussage gewagt, die über Banalitäten auch nur irgend hinauskäme, noch wird die Form des Episodenfilms selbst ausgelotet oder zumindest die eine oder andere originelle Geschichte erzählt. Mit gepflegter Beschaulichkeit und einem die Episoden verbindenden, bewusst naiv gezeichnetem Zeichentrickflugzeug, das die einzelnen Spielorte anvisiert und so als Moderation fungiert, ist man sich's schon zufrieden. Das riecht in jedem Moment nach dffb-Fingerübung: Solides Handwerk, sicherlich. Jenseits dessen: Wenig Vorweisbares. Also bleibt es beim Geschichtchenerzählen, das - über ein paar nette lakonisch-witzige Momente hinaus - nur wenig vorzuweisen hat als hinfabulierte Begebenheiten, die, sind die alle Episoden einenden Motive etabliert und also erkannt, ihren Reiz auch schon so gut wie verloren haben und allenfalls noch im Detail kleine Schrulligkeiten anzubieten wissen, die nun wiederum einen ganzen Film zu tragen selbverständlich nicht in der Lage sind.

Was so ein in jeder Hinsicht für den ausgerufenen "jungen deutschen Film" und dessen Schwächen typischer Film im Wettbewerb zu suchen hat, bleibt fraglich. Obwohl, vielleicht ja gerade deshalb.

imdb


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