Samstag, 11. Februar 2006
Mit Eternal Sunshine of the Spotless Mind drehte Gondry vor gar nicht langer Zeit nach einem Drehbuch von Charlie Kaufman den vielleicht schönsten Liebesfilm des US-Indiekinos der letzten Jahre (neben, versteht sich, Punch-Drunk Love und Lost in Translation). Sein einer neuer Film - parallel läuft im Panorama der Berlinale sein anderer neuer Film, eine Dokumentation - ist ebenfalls eine Liebesgeschichte, diesmal allerdings selbst geskriptet und sie spielt ganz in Frankreich, wo der Film auch produziert wurde. Beides mag von Vorteil gewesen sein, denn Gondry - der schon in den 80er Jahren für seine eigene Band kleine Musikvideos bastelte - ist vor allem am abwegigen Einfall, an der absurden Idee, am kreativen Umgang mit dem Material und einer generellen Unfertigkeit interessiert - Elemente, die einem das französische Kino vielleicht noch eher verzeiht als das, bei aller gern gesehenen Verspultheit der Ausfertigung, doch auf Transparenz und innere Schlüssigkeit pochende us-amerikanische Indiekino.

Entsprechend herrlich fällt The Science of Sleep auch auseinander, von Anfang an. Es geht um eine Liebesgeschichte auf einem Stockwerk eines Wohnhauses, Gael Garcia Bernal gibt den in Mexico aufgewachsenen Halbfranzosen Stéphane mit Künstlerseele, der Realität, Traum und Wunschdenken nicht recht auseinanderhalten kann, in die Wohnung nebenan zieht die von Charlotte Gainsbourg gespielte Stéphanie, die eine ähnliche Vorliebe für hübsche, obskure Gegenstände, Basteleien am groben Material und wattiger Kleinkunst wie ihr Nachbar hat. Makel allein: Sie ist nicht recht an einer Partnerschaft interessiert, "why me?", wird sie ihn später vorwurfsvoll anblaffen, nachdem er es in seinem naiv-euphorischen Kleinkunst-Überschwang so ziemlich verbockt hat, "because all others are boring and you are different", wird er antworten - wer könnte es ihm verdenken (und wem ginge es beim schwärmerischen Sich-Verlieben jemals anders?)?

Wobei nicht wirklich ganz klar wird, was alles zwischen den beiden läuft und lief. In die Konstruktion einer objektiven Erzählwelt, glaubhaft versichert durch die schwenkende Handkamera, bricht immer wieder das Abstruse, der verspielte Wahnsinn Gondrys ein, der hier, nach dem digital gestützten Sunshine-Film, wieder ganz an die Do-it-yourself- Tradition seiner Musikvideos anschließt und hemmungslos Filz, Watte, Pappe, Zellophan und Tonpapier zu einer herrlichen Stop-Motion-Collage verarbeitet.

Anfangs wirkt das zunächst beliebig und unkonzentriert; aber schon bald hat das Konzept das Herz gewonnen und man wartet sehnsüchtig auf den nächsten Einfall, auf den nächsten von allen Digitalismen befreienden Trick aus der Schatzkiste der Filmgeschichte. Das Menschliche vergisst Gondry dabei nun nicht: Es wird zwar viel gelacht in diesem Film, doch eine kleine Träne vergisst man insgeheim dann gerne für diese beiden, die sich gefunden haben und doch nicht finden.

Mithin erkennt man im Verlauf auch das utopische Projekt Gondrys, der in dem verspielt-verträumten Stéphane ganz offensichtlich ein Uhustift-schwingendes Alter Ego in Szene setzt: Seine Kunst lädt zum Mitmachen ein, zum Selbermachen, zum eigenen Animationsfilm, zur eigenen Mini-Musik auf schrottigen Keyboards. Die Unfertigkeit des Materials, so Stéphane an einer Stelle, strahlt Freundlichkeit aus; dies gilt im gleichen Maße für den ästhetischen Entwurf Gondrys, dem es nicht so sehr um künstlerischen Ausdruck, um die Monade des kunstschaffenden Subjekts geht, sondern vor allem um eine Aufsprengung von Möglichkeiten, sich Material anzueignen und Miniversen zu entwickeln. Er will, so scheint es, das Publikum retten, das vor jeglichem Nachahmungspotenzial entrückter CGI zum bloß passiven Bestaunen reduziert wird; Merian C. Coopers King Kong mag zu Harryhausen und unzähligen Super-8-Monster-Homemovies geführt haben, Peter Jacksons King Kong hingegen führt lediglich zum Trailer-Download. Dem setzt Gondry, darin Wenzel Storch nicht vollkommen unähnlich, die Physis des Materials entgegen: Eine Klorolle kann, so recht für sich besehen, auch eine Fernsehkamera abgeben, auf Flohmärkten und in verlassenen Hobbykellern tun sich ganze Ausstattungsfilme auf, das Filmband selbst bleibt bei ihm haptisch und wird, bedingt durch eine erfundene Zeitmaschine, die allerdings nur Sekundensprünge nach vorne und zurück ermöglicht, gerne mal in hektische Loopsprünge zerhäkselt. Konservativ ist das nun gerade nicht, was Gondry vorschwebt, im Gegenteil um Pluralismus und nicht zuletzt um die Schönheit einer ideenreichen Kunst bemüht, die noch danach trachtet den Zuschauer zum ehrlichen Staunen zu bringen.

The Science of Sleep ist darin ein warmer, schöner Film.

imdb ~ Jump Cut-Kritik




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In Between Days ist eine Entdeckung, wie man sie auf der Berlinale nur im Forum machen kann; ein kleiner, langsamer Film, eine Momentaufnahme aus dem Leben eines heranwachsenden Mädchens, unspektakulär in der Wahl seiner Mittel, die dann aber doch mit Bedacht eingesetzt, behutsam im Tonfall, aber nie beschaulich, und doch jede Sekunde spannend.

Die Person des Films ist die kleine Aimie, die gerade zu pubertieren beginnt. Die stammt aus Korea, lebt aber seit neuestem mit ihrer Mutter in einer amerikanischen Stadt. Mit dem ebenfalls aus Korea stammenden Tran pflegt sie eine seltsam-innige Freundschaft; immer geht es um Banalitäten, Teenie-Tand und -Blödsinn (wie sich gegenseitig mit der Nadel tätowieren), sie will ihm die Hausaufgaben machen, weil sie in einem Film gesehen hat, dass man das so macht. Er will nicht recht, später will er allerdings, dass sie's ihm macht, mit der Hand, ohne viel Aufregung. Sie macht es, neugierig, ein wenig erstaunt auch. Natürlich ist sie verliebt, auch wenn sie nicht weiß, was das eigentlich heißt; Sex aber gibt es keinen, da bleibt sie ganz Kind, das sie Gesicht und Kleidung nach noch immer ist (kaum zu glauben, dass die Darstellerin 21 sein soll). Er ist eher Slacker, interessiert sich, zu ihrem Missfallen, auch für andere Mädchen, solche Probleme eben. Parties folgen, auf denen Gespräche mit anderen immer schon im Verdacht des Verrats stehen. Aimie geht auf Distanz.

In Between Days ist immer dicht dran an den Figuren; kaum ein Dialog, der nicht beide Gesichter im Close-Up vereint, überhaupt verschwindet die Umwelt, scheint's, nahezu völlig aus dieser kleinen Welt, die erste Schritte in eine größere tätigt. Dass der Film in den USA spielt, merkt man so gut wie nie, selten genug, dass man von der Stadtkulisse mehr sähe als ein paar Farbschlieren im Hintergrund, die sich im Bildoberflächen-Rauschen der digitalen Artefakte verlieren (eigentümlich referenziell sind dann doch jene Szenen in den überzäunten Straßenübergängen, die in der Tat so aussehen wie eben jener in Michael Manns Collateral, in jener Schlüsselszene über der Autobahn). Kapitelartig oder in Handlungseinheiten strukturiert wird das Geschehen dann doch durch digital besonders verrauschte Stadtansichten, die die Skyline suchen, unbewegt, immer etwa eine Minute lang; dazu aus dem Off Aimie, die offenbar einen Brief an ihren Vater aufsetzt, eigentümlich leblos eingesprochen. Sie spricht von "so vielen Dingen", die sie ihm "hier zeigen" wolle; welche dies sein könnten, bleibt alleine ihr Geheimnis. Der Film lässt keine Schlüsse darauf zu, man vermutet darin schnell eine bloße Floskel, vielleicht auch etwas Selbst-Belügen.

Denn Aimies Lieben wie Leben ist alles andere als leidenschaftlich oder gar von Schönheit getragen. Aber auch nicht neo-trist. Es ist leer, und mit Tand angefüllt, eine Welt zwischen billigen Plüschanhängern und grellen Handytönen, Ablenkungsstaffagen, die das große Nichts verbergen sollen, durch das die Figuren sich manövrieren. Dabei formuliert der Film weder Kritik noch Mitleid, sondern allenfalls Zustand. Er bleibt dicht bei diesem Mädchen, das wir nicht kennen werden.

imdb ~ weitere Informationen




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Pocahontas, der Name fällt an keiner Stelle. Einmal - fast, im letzten Moment dann doch nicht. "Sie trägt diesen Namen nicht mehr!", meint der eine, später wird sie Rebecca heißen und ist dann schon ganz in die syntagmatische Signifikantenkette der anderen eingegangen. Ein Verlauf, der mit sacht nachgeplapperten Wörtern einsetzt und den The New World, geradewegs in einer Umkehrung der mit diesem Diktum verbundenen Assoziation (denn in der für Rebecca neuen Welt, die dem Zuschauer bis dahin fremdgeworden zu sein nahegelegt wird, wird der Film enden), en detail schildert. Ein Prozess der kulturlellen Einverleibung, Adaption und Verschiebung, den Malick als "Verlust der Unschuld" zu charakterisieren sich beeilt und damit doch nur im eigenen Garten gräbt.

Mehr als alle anderen Malick-Filme ist dieser Bilderbogen; die Kamera schaut aus dem Wasser in den Himmel, sie schaut vom Erdboden in den Himmel, an Bäumen und Gräsern entlang, wirft Blicke vom Himmel auf den Boden, lässt Noch-Pocahontas als überhöhtes Nymphchen durch Steppen tanzen - Paradies- und Erinnerungsbilder allenthalben, die kein Narrativ formulieren; dies erledigen die multiperspektivischen Voice-Overs, die neben Handlungserläuterung leider auch manchen Spruch aus dem Poesiealbum, die Tiefe der Liebe und die eigene Aufrichtigkeit betreffend, besorgen. Zumindest ersteres ist nicht das Schlechteste: Zwar wird Voice-Over gerne als unfilmisch gescholten (was natürlich an sich Unfug ist, beweist doch gerade die Tradition der benshi im japanischen Stummfilmkino, dass ein solches bildäußeres struktives Element dem Bild und seinem Status für das Funktionieren des Films auch sehr zugute kommen kann), doch bietet er hier Malick die Möglichkeit, sich von der Verpflichtung zur narrativen Sequenzialisierung zu emanzipieren ohne im bloß Abstrakten zu landen.

Und man merkt, dass er genau dies im Sinne hatte; alles lädt ein zur meditativen Kontemplation. Die Naturansichten, die Ansichten der Ureinwohner, die leicht bekleidete Pocahontas, das stete Zirpen und Gurren auf der Tonspur, nicht zuletzt die Musik, die sich in Schwermut und Romantik übt. Das Problem alleine ist, dass man immer nur diese Absicht sieht, nie aber deren Ergebnis. Malick ist sichtlich bemüht, am eigenen Werk anzuschließen, und steckt dabei doch nur seine eigenen Charakteristika baukastenartig zusammen. Der Film atmet Bedeutungstiefe wie kein zweiter auf diesem Festival; und doch bedeutet jedes Bild nur "Dies ist ein Malickfilm". Das einstige Wunderkind von New Hollywood, der Legenden umwobene Einsiedler der us-amerikanischen Filmindustrie ist mit seinem vierten Film in rund 35 Jahren leider Gottes bei der routinierten Selbstzitation gelandet. Ästhetische Erfahrung um jeden Preis will dieser Film sein, Reflexion kulturphilosophischer Konstanten auf hohem Niveau ; geworden ist's Postkartenkino mit etwas Meditationskolorit - wohl gerade ausreichnend für die Produktionsgesellschaft New Line Cinema, um, wenn schon vermutlich nicht als großer wirschaftlicher Erfolg, so eben doch als Kunst-Prestigefilm für's eigene Renommé verbucht zu werden.

Dabei ist der Film stellenweise gar nicht mal schlecht; zuweilen recht gelungen rückt er den Status von Symbolen und Ritualen (diese nicht so sehr als festives Element verstanden, sondern generell als performatives, im Miteinander sinnstiftendes Verhalten) für Kulturen in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Die kulturellen shiftings, die alleine Pocahontas vorbehalten sind - Captain Smith, ihr tragischer Liebhaber, wird nie beim Einüben von Worten gezeigt, lediglich beim Einüben von rituellen Handlungen, doch mögen diese zu rein äußerlicher Mimesis gerinnen, wie auch sein im Voice-Over dargestelltes Verständnis der Ureinwohner manches Missverständnis verrät -, protokollieren dabei vielleicht überhaupt die Entdeckung von Kultur als solcher (im Gegensatz zu einem als naturalisiert wahrgenommenen Zustand verstanden), die, um sich ihrer Kulturalität bewusst zu werden, das Fremde und Andere überhaupt erst benötigt. Für diese Prozesse nimmt sich The New World viel Zeit, und hier kann er bestehen.

Allein, er gibt sich nicht damit zufrieden. Er schwingt sich auf zur steten Mythifizierung und schreibt sich fortlaufend als Kommentar voller Elegie über den Verlust menschenhistorischer Unschuld in die Begegnung der Kulturen ein. Da er ästhetisch nicht einlösen kann, was er einem in Permanenz nahelegt, bleibt The New World als seltsam delirant gescheiterter Versuch in Erinnerung, der sehr zu seinem Schaden den guten Film, der er ohne weiteres hätte sein können, immer als Ahnung mit sich herumträgt.

imdb ~ Jump Cut -Kritik




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