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Donnerstag, 16. Februar 2006
... und dann, als ich gerade vor den Toren der Arkaden am Potsdamer Platz fast food verspeise, fragt mich diese junge Frau mit einem Fingerzeig in Richtung Arkaden, ob das denn der Berlinale-Palast sei. Ich bin so verdutzt, dass ich mich verschlucke und hustend nur noch "Nää!" rauskriege, ein bisschen muss ich dabei auch lachen.

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Surreales gab's vor der Vorführung am Nachmittag. Als ich mich setze, bemerke ich, dass mein Sitznachbar schon schläft. Schlafende im Kino sind ja nun keine Seltenheit auf einem Festival, aber schon bevor der Film überhaupt angefangen hat? Der andere Platz neben mir ist hingegen von einer Tasche samt Mantel besetzt; plötzlich stürzt deren Besitzer durch die Reihe, entschuldigend mit den Händen wedelnd, greift sein Zeug und murmelt irgendwas von "Ist mir ja noch nie passiert, falsches Kino, die haben mich einfach reingelassen, ich muss doch wo ganz woanders hin!", nicht wenige lachen über diesen Quatsch. Dann kommt die Ansage, dass der Film nun anfange, viel Spaß und so, was den Schlafenden neben mir jäh aus seinen Träumen reißt. Doch der Film beginnt nicht, der Vorhang bewegt sich nur gerade so weit auf, dass man lediglich ein bisschen Leinwand sieht, aber so grotesk gecacht kann der folgende Film nun wirklich nicht sein. So bleibt das eine Weile, bis irgendein Techniker hinter den Vorhängen an der Seite verschwindet; derweil fällt vorne links irgendein Schild um, dass da stand. Schließlich geht das Licht aus, und geht wieder an. Der Vorhang noch immer so wie zuvor. Dann geht hinter der Leinwand eine Neonröhre an, was ziemlich Scheiße aussieht; aber immerhin tut sich der Vorhang auf, während der Kinoangestellte sich offenbar im Nebenvorhang verfangen hat. Nun, einige Minuten nach der Ansage, kann de Film endlich beginnen.

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Es gilt eine Unsitte bei den Pressevorführungen zu schelten, die der unlauteren Platzreservierung nämlich. Für diese lässt man einfach seine Jacke auf einem günstigen Platz liegen, verlässt den Saal und wartet draußen, bis es wieder reingeht. Welches Anrecht über die einzelnen Vorführungen hinaus da gewähnt wird, ist mir schleierhaft. Anderen, beherzten Menschen offenbar auch, weshalb sich solche Reservisten nun anscheinend zu anderen Methoden gezwungen sehen: Eine Jacke lässt sich schließlich leichter Hand entfernen, um einen Platz nonchalant einzunehmen; weit mehr Skrupel bestehen allerdings, wurde vom Platzgeierer statt eines unproblematischen Kleidungsstücks seine offenkundig weidlich benutzte Rotzfahne auf dem Kinosessel hinterlassen. So vorgestern beobachtet, niedriger geht's nun wirklich nicht mehr.

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Ich gehe in den Raum, wo die Pressekonferenzen stattfinden, suche mir einen Platz mit guter Sicht und blicke nach vorne; just in diesem Moment greift Isabelle Huppert, während Chabrol Französisches, das ich nicht verstehe, von sich gibt und dabei ganz krötenhaft wirkt, zur Mineralwasserflasche und füllt deren Inhalt in ein Glas. Dies in wenigen Sekunden, mit einer Perfektion und Eleganz eines Bewegungsablaufs, der reine Magie darüber legt; dazu hat sie ihr Kinn leicht nach vorne geschoben, der Mund ist eine dünne Linie, die sich an den Enden zu einem geheimnisvollen Irgendwas zwischen Lächeln und kühler Abschätzung kräuselt, Augen halb geschlossen, der Blick ist ganz auf ihre Hände gerichtet. Ich bin glücklich, weil ich alles gesehen habe, was ich sehen wollte, und verlasse den Raum umgehend wieder, nicht ohne einen letzten Blick auf sie zu werfen, diese foxy lady.

(den dazu passenden Film habe ich leider nicht gesehen, sehr wohl aber Ekkehard und der zeigt sich nicht eben unangetan)


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Ein neues New Yorker Filmblog, Hinweis via greencine daily.


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Hübsche Impressionen nicht so sehr von den Festivalfilmen, sondern von dem allgemeinen Festivalgeschehen, dem allgemeinen Wahnsinn, dem der Potsdamer Platz im Februar immer für 10 Tage verfällt - Realität? Vergiss es! -, bietet das Blog von epd Film. Vieles von dem, was da steht, ist sehr wahr.

Darauf aufmerkam gemacht wurde ich durch eine Mail von deren Seite, ich hoffe in aller Öffentlichkeit, nun auch mit einer Gegenverlinkung rechnen zu dürfen. ;-)


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Der erste leichte Hangover macht sich bemerkbar; nicht so sehr, was das allgemeine Feeling betrifft - selten war ich bei einer Berlinale mit Akkreditierung zu diesem Zeitpunkt noch derart fit und filme-launig -, eher was die Schreibmotivation angeht. Wird mir hoffentlich nachgesehen, dass ich vorerst nur einige Notizen anbringe, womöglich in einer ruhigeren Minute zu den einzelnen Filmen noch etwas mehr:

Retrospektive: Monate und Jahre in Freuden und Schmerz (Keisuke Kinoshita, Japan 1957)
Für mich bislang der schönste und beste Film der diesjährigen Berlinale; und wie in fast allen Jahren zuvor war mein Liebling in der Retrospektive (die ich in diesem Jahr allerdings eher mäßig zusammengestellt finde) zu sehen. Er ist ein shomingeki, das heißt, grob gesagt, ein japanischer "Alltagsfilm". Geschildert werden Szenen und Episoden aus dem Leben eines Leuchturmwärter-Ehepärchens. Der Film dauert fast drei Stunden, aber in keinem Moment habe ich auch nur die Ahnung von Langeweile spüren können; im Gegenteil, ich habe diesen entspannten Urlaub vom ansonsten so hektischen Festivalbetrieb jede Sekunde genossen.
Der Film umspannt rund 30 Jahre, Kinder werden geboren und wachsen auf, es gibt sehr schöne und manche traurigen Momente. Der Krieg zeichnet diese beiden, später wird der Sohn in Tokio abgestochen. Beide Eheleute tragen einander und am Ende ergibt sich eine Kreisstruktur, die im stoisch im Bild rollenden Leuchturm-Licht aus dem Vorspann bereits angedeutet wurde. Ein wenig ändern sich die Dinge, die Menschen, ihr Verhalten, ihre Körperhaltung. Am Ende war es die Mühe wert gewesen, wenn nächtens ein Schiff - auf dem sich die Tochter befindet, die gerade nach Frankreich fährt, wo sie ihre Ehe leben wird - und an der Küste ein Leuchtturm - darauf die beiden Eltern mit Fernglas - sich gegenseitig mit dem Nebelhorn alles Gute wünschen: "Utosa - okasa - domo arigato!", flüstert die junge Frau an der Reling, eine Träne fließt über die Wange. Die Aufrichtigkeit des kleinen Wortes.
Eine flüchtige Melancholie durchzieht den Film, er ist so sanft und klar und einfach und so nichts weiter meinend wie ein Haiku.

Das Filmmuseum Berlin hat ein Filmblatt zu diesem Sektionsbeitrag erstellt, das man sich hier downloaden kann (ganz runterscrollen).


Forum: Before Born (Zhang Ming, China 2005)
Huang Guangliang sucht einen Mann namens Li Chonggao und begeg­net dabei Yu Ran, die ebenfalls nach ihm forscht. Sie begeben sich gemeinsam auf die Erkundungsreise, auf der Huang entdeckt, dass sie ein Geheimnis verbirgt. (Quelle: Forum)

Keineswegs ein herausragender Film, aber er hat seine Momente. Gesprochen wird fast nichts, alles nähere verschwindet in der Lakonie, oft genug zwischen zwei Einstellungen. Manchmal ist da ein seltsamer Humor, der sich nicht recht zu erkennen gibt, dann wieder gibt es einfach nur schön karge Bilder vom grauen Strand, dem jede Sommerlichkeit abhanden gekommen ist. Ich bin mir nicht sicher, wirklich viel verstanden zu haben, es scheint aber eine kleine Ellipsenstruktur zu geben. Es ist ein Film, bei dem zuschauen kann, was Leute tun, wenn sie nicht so recht wissen, was sie tun sollen. Davon mag man halten, was man will - begeistert war ich nicht, aber auf eigentümliche Art angetan. Alleine etwas deplatziert wirkt der Aufschwung zur orchestralen, tragische Bedeutung markierenden Musik, in manchen Einstellungen ungeheuer niedlich: Die Hauptdarstellerin.

Forum: The Last Communist (Amir Muhammad, Malaysia 2006)
"The Last Communist" ist ein hybrider Dokumentarfilm: er verbindet Fakten und Fiktion, und vor allem mischt er Zeugenaussagen und Gesang. Chin Peng, die Hauptfigur, wurde 1924 geboren und ist der letz­te Vorsitzende der verbotenen Kommunistischen Partei Malayas (CPM). Obwohl er wiederholt angeboten hat, sich dem Gericht zu stellen, gestattet ihm die malaiische Regierung nicht, aus dem thailändischen Exil nach Malaysia zurückzukehren. Vor dem Hintergrund der konfliktreichen Geschichte untersucht Amir Muhammad, inwieweit sich das Land seit Chin Pengs Jugend entwickelt hat. Gemeinsam mit seinem Kameramann reist er in die Städte, in denen Chin Peng früher gelebt hat. Die meisten von ihnen sind noch genauso unterentwickelt, obwohl sie am Rand moderner Autobahnen liegen. Hier führt Muhammad Interviews mit unterschiedlichsten Menschen über die vielgestaltige Realität des heutigen Malaysia. Er begibt sich aber auch nach Thailand, um mit Exil-Kommunisten über ihre Ansichten zu sprechen. (Quelle: Forum)

Es ist manchmal ungeheuer spannend, manchmal ungeheuer befreiend, wie Amir Muhammad es angeht, eine Doku - eigentlich eher einen Essay - über eine historische Episode, eine historische Persönlichkeit zu inszenieren, ohne dabei ins Archiv zu gehen und seinen Film mit Naheliegendem zu illustrieren. Es gibt kein "altes Material" (Fotos, Film, etc.), der Portraitierte selbst, Chin Peng, taucht zu keinem Moment auf; verblüfft ist man, wenn man aus dem letzten Schriftinsert erfährt, dass Chin Peng noch immer lebt, wo man dann doch die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass die historische Welt, die die zahlreichen Texteinblendungen evozieren, mit jener zeitgenössischen, die im Bild repräsentiert wird, so gar kein Verbindungsstück mehr aufweist. Dennoch, Amir Muhammad beschäftigt sich auch im heute mit kommunistischen Reizthemen: Er schildert den Alltag der Lohnarbeit, besucht Fabriken, Straßenarbeiter, lässt alte Kombattanten zu Wort kommen, die in ihrer Alterstattrigkeit so weit weg vom Bild der Dschungelguerilla sind, dass man es mit der Angst zu tun kriegt, wenn man hört, was sie früher alles getan haben wollen.
Geschichte wird bei Amir Muhammad nicht zum Simulakrum, zum Bildarchiv, gar nicht erst suggeriert wird, dass ein audiovisuelles Bild eine Historie as is zu fassen kriegen könnte; dennoch steht sie nicht verbindungslos neben den Oberflächen des Heute und Jetzt. Darin ist der Film ein kluger, mutiger und wichtiger Beitrag. Und der footage-Fetischist Guido Knopp erscheint nur einmal mehr als der unfassbar dumme Esel, der er ist.



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